Autor Thema: Eine moderne Parabel  (Gelesen 674 mal)

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Eine moderne Parabel
« am: 15. Februar 2006, 22:00:04 »
Mir war so langweilig:

Eine moderne Parabel

Sie hatten sich auf dem Schlachtfeld eingefunden. Die meisten waren jung, zu jung, wie einige meinten. Andere konnten vor Alter und Schwäche kaum ihre Waffen halten. Kaum einer hatte Zugriff auf das Gerät, das die Situation eigentlich erfordert hätte. Und noch eins war ihnen gemein: Sie waren keine Krieger oder Soldaten.
Und trotzdem hatten sie sich auf diesem Feld nicht weit ihrer Heimat eingefunden, um den unbekannten Feind zu bekämpfen. Nicht weil ihre Land oder gar Leben bedroht war, nicht aus dem Grund, dass sie sich gegen eine äußere Gefahr verteidigten, und auch aus keinem subtilen Verlangen nach Gerechtigkeit oder Rache. Genau genommen ging es um etwas, dass sie nie besessen hatten – und auch nie besitzen würden. Es ging um Macht, die Macht ihres Königs.
Dieser hatte am Ende des Sommers ein Edikt erlassen, das alle Männer, die das Alter erreicht hatten, in selbständiger Weise für sich selbst sorgen zu können, zum Kriegsdienst verpflichtete. Unterstützt wurde das Vorhaben vom Rat des Königs. Nach langen Revolten und Petitionszügen in vergangenen Tagen war es den braven Bürgern gelungen, dem König eine Art Volksvertretung abzupressen. Dieser hatte sich lange gewehrt, musste jedoch schlussendlich nachgeben. So erlaubte er den Bürgern eine Volksvertretung zu wählen, natürlich nur aus adeligen Bürgern mit königstreuer Gesinnung, man holt sich ja bekanntlich nicht den Teufel ins Haus. Auch dürften nur Bürger eines gewissen Bildungsstandes und Einkommens wählen. In anderen Ländern richtete sich das Wahlrecht nach der Größe des Zensus, nicht so hier, denn Adelige zahlten bekanntermaßen gewiss keine Steuern. Sollte der Rat etwas beschließen, dass dem König nicht gefiel, so konnte er sich über den Rat hinwegsetzen.
Mancher vertrat die Ansicht, dass dies nur ein geschickter Zug des Königs gewesen wäre, um das Volk zu besänftigen. Im Endeffekt wäre es eigentlich egal, wen man wähle, sie würden alle gleich handeln. Viele anderen waren glücklich über das unverhoffte Recht zur Mitbestimmung.
Viele Gesichter, die heute auf dem Schlachtfeld versammelt waren, waren von Hass und Verachtung erfüllt. Doch wer genauer hinsah, merkte schnell, dass keines dieser Gefühle durch die bevorstehende Schlacht entstanden war. Man hatte Hof und Familie verlassen müssen und so mancher musste seine Ernte auf dem Feld verrotten lassen. Kaum einer hatte gelernt mit einem Schwert umzugehen, denn eigentlich besaß auch keiner eins. Hastig und Schnell wurden die alten Geräte zu neuen Formen gegossen. In einigen Orten hatte man sich diese Mühe nicht gemacht und verwendete stattdessen die unveränderten Ackergeräte, Sensen, Dreschflegel und Pflugscharten.
In geordneten, geschlossenen Reihen betrat der Feind das Feld. Ein Raunen ging durch die ungeordneten Reihen der Krieger. Der Mut, der in vielen Balladen und Schriften beschworen wurde, war aus ihren Gesichtern gewichen und hatte einer Angst unbekannten Ausmaßes Platz gemacht. Wer sich nicht ergab wartete wie gelähmt bis die Truppen über sie einfielen.
Es war ein schreckliches Blutbad. Binnen eines Tages hatte sich das Feld rot gefärbt und der nahe Fluss war noch Tage später von Blut durchzogen. Fußsoldaten lagen sterbend am Boden, übersäht mit schweren Wunden. Den wenigsten wurde die Gnade eines schnellen Todes gewährt. Viele lagen noch dort, nachdem der Feind schon weiter gezogen war und warteten darauf, dass sie der Tod mit seinen gierigen Klauen zu sich rief.
Als die Kavallerie sah, welch schiere Übermacht der Feind besaß, verließen sie unverletzt das Schlachtfeld. Ein einzelnes blutüberströmtes Gesicht sah ihnen nach, wie sie im Abendrot verschwanden und fragte sich, welches Metall, welches Wort oder Papier so mächtig war, das sie so zu fürchten vermochten.
Das ist philosophisch noch ungeklärt.