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Ein speckiger Schlapphut aus Rindsleder, der vermaledeite Staub liegt wie ein feiner roter Schleier auf der Krempe. Darunter im Schatten ein hohlwangiges Gesicht, das seine Augen hinter dunklen Gläsern in runden Fassungen verbirgt. Der Mund war gerade noch von einem Staubtuch geschützt, jetzt spielt ein grausames Lächeln auf den gesprungenen Lippen; Lippen, die mit Gleichmut ein Todesurteil oder auch einen Freispruch verkünden könnten.
Der Richter schiebt seinen Hut mit dem Daumen zurecht, klopft beruhigend auf den Hals seiner Stute. Der Sattel knarzt, wie auch der lange Ledermantel, der in einer steifen Linie von den Schultern des hageren Mannes fällt und auf dem Rücken des Pferds gespannte Falten wirft. Das gleiche Material: dunkelbraunes Leder, glatt und glänzend vom Gebrauch. In einer Schlaufe am Sattel steckt ein langstieliger Hammer, das Metall des Kopfs stumpf und dreckverkrustet, aber mit feinen Ziselierungen
versehen.
DER ERSTE RICHTER
Die Jahre nach dem Eshaton waren unbarmherzig. Wie ein freigelassenes Rudel wilder Hunde fielen die Menschen übereinander her, mordeten und raubten. Man erklärte es sich mit dem Überlebenswillen und bezichtigte die grausamen Umstände der Tat. Jahrhunderte der ethisch-moralischen Entwicklungen waren wie weggewischt.
Die ersten Banden bildeten sich schnell. Sie verhießen Sicherheit, solange sie stärker, zahlreicher und brutaler als die Konkurrenten waren. Der Einzelne zählte nichts, war schutzlos dem Tanz der Gewalt ausgeliefert. Verirrte Überlebende und Familien auf der Flucht aus dem Nirgendwo ins Nirgendwo wurden allerorten Opfer der Willkür. Folter, Vergewaltigungen, Morden aus perverser Lust heraus – tiefer konnte der Mensch nicht sinken.
Einer sollte das Volk wieder auf den Pfad der Tugend führen. Er nannte sich „der Richter“. Er tauchte erstmals 2381 in einem kleinen befestigten Dorf nahe der Ruinen von Bochum auf. Dort richtete er ein Bandenmitglied, das bei einem Überfall verletzt und zurückgelassen worden war. Er zählte dessen Verbrechen auf, von denen Raub noch das harmloseste war, und führte ihn zum Richtblock, einem umgedrehten Eiseneimer.
Mit dem Stiefel im Nacken fixierte der Richter den Kopf des Delinquenten auf dem matten Blech – und zerschmetterte den Schädel mit einem gezielten Schlag seines Vorschlaghammers.
Es gab keine Axt in dem Dorf.
Die Zuschauer waren schockiert. Man hatte das alles für ein Spiel gehalten, hatte sich an der Todesangst des Gefangenen erfreut, nach dem Leid, dass dieser über ihr Dorf gebracht hatte. Aber dass er wirklich hingerichtet werden würde, damit hatte niemand gerechnet. Der Richter war unberührt. Er rückte seinen breitkrempigen Schlapphut zurecht, blickte auf den mit Blut, Hirn und Knochenstückchen besudelten Saum seines speckigen Rindsledermantels und erbat eine Schüssel mit Wasser. Den Hammer wollte er dem Bauern zurückgeben, von dem er ihn entliehen hatte, doch sein Gegenüber tat erschrocken einen Schritt zurück und winkte angewidert ab.
Fortan sah man den Richter öfter in der Gegend. Er reiste von Dorf zu Dorf, vermittelte mit der Ruhe einer Schlange zwischen Streitenden und übernahm die Arbeit, für die er berühmt und berüchtigt geworden war: Das Richten der Schuldigen.
Die Dörfler warteten bereits mit den Gefangenen auf ihn und schilderten die Taten. Der Richter versündigte sich für sie, wenn er den Delinquenten tötete, war das ausgelagerte Gewissen der verängstigten Menschen. Er brachte ihnen Zuversicht.
Seine Richtsprüche waren unbarmherzig aber gerecht, seine Hinrichtungen brutal und widerlich. Sein Schlapphut, die Brille, der Mantel und der Hammer als sein Erkennungszeichen waren bald in ganz Westborca bekannt. Er stand für Recht, Ordnung und Abschreckung. Schon zu Lebzeiten war er eine Legende.
Der Richter zog eine blutige Schneise durch die Landschaft der Banden und Gesetzlosen. Und sie wehrten sich. Man lockte ihn in Fallen, griff ihn aus dem Hinterhalt an und versuchte ihn in der Gruppe zu überwältigen, doch er war ein gerissener alter Bastard, der seinen Feinden stets einen Schritt voraus war und einem nach dem anderen seinen altgedienten Hammer zu spüren gab. Und er hatte Anhänger: junge, enthusiastische Menschen, die von seinen Taten beeindruckt waren und ihm allerlei Informationen zutrugen. Andere schlossen sich ihm an, folgten und beschützten ihn auf seinem Kreuzzug für die Gerechtigkeit.