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Workshop => Story Hour => Thema gestartet von: Berandor am 12. März 2005, 16:46:14

Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 12. März 2005, 16:46:14
 So, hier geht es weiter mit der Story Hour zum Dungeon Adventure Path.

Die Ereignisse aus dem ersten Abenteuer, Basar des Lebens, könnt ihr als PDF herunterladen, und zwar hier.

Die Ereignisse schließen relativ nahtlos an den ersten Teil an, aber das erste Kapitel ist noch mal etwas ausführlicher in manchen Dingen, um die Einführung zu erleichtern.

Wie immer gilt:
Kommentiert! Wenn euch die Story Hour gefällt, sagt es. Wenn nicht, lügt!
Bitte postet Fragen, die relevante und den Spielern unbekannte Informationen beinhalten, als SPOILER. Bitte postet keine Informationen, die größere Zusammenhänge beleuchten oder spätere Entdeckungen vorwegnehmen. Solche Fragen könnt ihr mir per PM oder E-Mail stellen.

Nachdem die Kesselflicker gescheitert sind, liegt es nun anscheinend an den Kettenbrechern, Cauldron vor Unheil zu bewahren. Leider sind sie noch ganz am Anfang... also warten wir nicht länger, los geht's!
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 12. März 2005, 16:49:46
 Prolog: 1372 TZ

Terseon unterdrückte ein Niesen. Das verdammte Heu machte ihm zu schaffen: seine Augen tränten, seine Haut juckte, und das Atmen fiel ihm schwer. Vielleicht hätte er die Überwachung doch nicht persönlich übernehmen sollen? Jetzt war es jedenfalls zu spät. Wenn Triel nur bald käme!

Terseon hatte dem Gerede um Triel lange nur wenig Beachtung geschenkt; in den ersten Jahren als Hauptmann der Stadtwache hatte er genug zu tun, die offensichtlich ungeeigneten Wachleute auf die Straße zu befördern. Aber mit der Zeit waren die Gerüchte immer beunruhigender geworden: Triel habe einen Säufer bestohlen, einem Dieb die Finger gebrochen, und einen Gast des Bordells erpresst. Er konnte die Beschwerden nicht mehr ignorieren.

Der Bericht eines Händlers aus Saradush kam gerade recht. Triel habe ihn aufgesucht und ihn mit dem Tod  des Zuchthengstes bedroht, den er bei Tippys Sicherschritt erstanden hatte. Und jetzt hockte er auf dem Heuboden des Pferdestalls und wartete ab, ob Triel kommen und ihre Drohung wahrmachen würde. Und das Heu brachte ihn um.

Terseon war nahe dran aufzugeben, als sich die Stalltür öffnete. Das dumpfe Licht einer abgedeckten Laterne warf winzige Lichtfinger durch den Raum. Horst – das Pferd – schnaubte nervös. Terseon hielt den Atem an. Seine Nase juckte.

Leise trat Triel in den Stall – nur das Knirschen ihrer Lederrüstung drang zu Terseon empor – und schloss die Tür. Terseon spürte, wie selbst im Halbdunkel des Stalls sein Blut in Wallung geriet. Triel Eldurast war eine muskulöse, durchtrainierte und überaus reizvolle Frau. Ihre kurzes rotes Haar züngelte sich wie Flammen in die Höhe, und mehr als eine kunstvolle Tätowierung zog sich über ihren Körper. Für einen Moment vergaß Terseon sogar seine juckende Nase.

Triel zog einen schlanken Dolch. Terseon konnte sehen, dass sie lächelte. Es war Zeit, sie zu überrumpeln, bevor sie Horst noch etwas antun konnte. Vorsichtig bewegte er sich zum Rand des Heubodens, als ein Halm geradewegs in seinen Nasenflügel stach. Er zuckte zurück, und dann musste er niesen.

»Hatschi!«

Triel tat einen Satz nach hinten. Mit einer Handbewegung löste sie einen Verschluss an der Laterne, und ein heller Lichtstrahl blendete Terseon. Er hörte, wie Triel überrascht die Luft einsog, und rollte sich vom Heuboden. Er landete in der Hocke, sein Langschwert in der Hand.

»Hauptmann!«, rief Triel. Terseon stand langsam auf.

»Lass den Dolch fallen, Triel. Es ist vorbei.« Für die Dauer eines Atemzuges dachte er, sie gebe auf. Dann sah er in ihre kalten, schwarzen Augen und wusste, er hatte sich geirrt.

»Fahrt zur Hölle!«, schrie Triel und warf die Laterne nach ihm. Terseon hob schützend den Arm. Das Gehäuse zerbrach und übergoss ihn und den Boden um ihn herum mit brennendem Öl. Terseon fluchte, und Horst wieherte ängstlich. Triel hingegen lächelte ihn überlegen an. Er hatte sie, seinem Schwert konnte ihr Dolch nichts entgegen setzen. Die Flammen auf seiner Rüstung erstarben schon wieder – sie würden ihn nicht entscheidend ablenken. Aber das Pferd tänzelte unruhig in seiner Box. Es wüde verbrennen. Terseon sah von Triel zu Horst und wieder zurück. Triels Lächeln wurde noch breiter. Wortlos spuckte Terseon vor Triel auf den Boden. Dann wandte er sich zu Horst um. Er hörte, wie sie die Tür öffnete und ging. Jetzt gestattete er sich ein Lächeln. Er war nicht allein gekommen.

Die Stallbox war rasch geöffnet. Mit beruhigenden Gesten ging Terseon auf das Pferd zu. Hinter ihm fraßen die Flammen sich fest und wurden größer. Ein Blick zur Tür sagte ihm, dass Triel den Ausgang offen gelassen hatte.

»Ho! Ruhig, Brauner«, sagte er und legte Horst die Hand auf die Nase. Die Nüs-tern des Pferds zitterten in beängstigendem Tempo. Terseon ging an seinem Kopf vorbei und fasste es an der Flanke.

»Ganz ruhig. Ich bringe dich hier raus. Lass mich nur erst...« Terseon stellte einen Fuß gegen die Stallwand und schob sich ächzend auf den Rücken des Pferds.

»Und jetzt raus hier«, sagte er und trat Horst vorsichtig in die Flanken, während er seinen Hals umklammerte. Das Pferd scheute zuerst, aber dann galoppierte es mit drei großen Schritten aus dem Stall heraus.

Terseon rollte sich sofort vom Pferd und sah sich um. Die Nachtluft tat nach der Hitze und dem verdammten Heu doppelt gut. Dann sah er seine Männer. Er hatte vier Wachleute mitgenommen. Triel hatte sie alle getötet. Hatte sie es getan, bevor sie herein gekommen war? Dann hätte sie den Stall doch nicht mehr betreten. Aber es schien unvorstellbar, dass die kurze Zeit, in der Terseon Horst gerettet hatte, Triel die Gelegenheit zu vier Morden gegeben hatte. Er konnte es nicht fassen.

Die ersten Wasserträger kamen mit gefüllten Eimern angelaufen. Tippys Sicherschritt war unter ihnen. Sie kam auf Terseon zu. Für einen Moment hielt sie inne, als sie die vier Toten sah, aber dann drückte sie Terseon einen Eimer in die Hand.

»Die stehen nicht wieder auf, Herr. Aber ihr könnt noch verhindern, dass das Feuer sich ausbreitet.« Mit einem Kopfschüttel riss Terseon sich vom Anblick der Toten los und rannte zum Wasser, um den Eimer zu füllen.

-

Von einem Dach in der Nähe beobachtete Triel den feuerroten Sonnenaufgang am Seeufer. Sie hätte sich gewünscht, das Feuer wäre ein wenig größer geworden. Wahrscheinlich hatte auch der Hauptmann überlebt – wie sie diesen Schwachkopf einschätzte, hatte er sogar das Pferd gerettet.

Und nun? Sie dürfte sich in der Stadt nicht mehr sehen lassen. Nachdem sie die vier Weichlinge aufgeschlitzt hatte, würde man sie jagen. Dabei hatte sie nur die Wache von vier Nieten befreit. Es gab einfach keine Gerechtigkeit mehr.

Aber sie würde für Gerechtigkeit sorgen. Zuerst würde sie dem Händler einen Besuch abstatten, der sie an Terseon verpfiffen hatte. Dann galt es, sich ruhig zu verhalten und einen Unterschlupf zu finden. Gras über die Sache wachsen lassen. Pläne schmieden. Irgendwann würde sich die Gelegenheit bieten. Und dann würde sie sich an Cauldron rächen.
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 15. März 2005, 20:51:44
 Der Mann lag in seinem Blut, röchelnd wich das Leben aus ihm. Branda kniete neben ihn und begann, seine Wunden zu verbinden.
»Warum helft ihr mir?«, fragte er. In den Augen der Zwergin lag große Traurigkeit, als sie antwortete: »Ich habe schon zu viele sterben sehen.«

- Tao Sintal, Erzählungen einer Dämmerfürstin, 1370 TZ


Annastriana
Beim ersten Hahnenschrei schlug Helion die Augen auf. Der schlanke Magier spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht und kämmte die dunkelbraunen Haare nach hinten, dann ging er, um seine Freunde zu wecken. Er fand Dirim im Gebet vor; der stämmige Zwerg saß auf dem Boden und gedachte Tyr, dem Gott der Gerechtigkeit, dessen Priester Dirim war. Helion stand einen Moment daneben, dann ging er ins nächste Zimmer der umgebauten Scheune, die sie gemietet hatten. Thargad lag im Bett, sein Atem ging ruhig. Seine Hände hatte er unter der Decke verborgen.

»Aufstehen«, rief Helion, und Thargad schlug ruhig die Augen auf. Dann schlug er die Decke zurück und schob die bereits gezogenen Krummsäbel wieder in ihre Scheiden zurück. Helion schüttelte den Kopf. Im letzten Zimmer schnarchte Boras. Der Muskel bepackte Barbar war nicht unbedingt von betörendem Äußeren, aber sein Herz war genauso groß wie das seines Vaters gewesen sein musste. Helion spürte einen leichten Stich bei diesen Gedanken. Boras hatte seinen Vater nicht gekannt, ebensowenig wie Thargad, oder wie Helion oder Dirim ihre Mütter nicht kannten. Aber das würde sich ändern. Sie alle waren nach Cauldron gekommen, in diese Stadt im Krater eines Vulkans, um nach dem Verbleib ihrer Eltern zu forschen. Nach dem Verbleib der Schätze Tethyrs.

»Boras!«, rief Helion laut. Der Barbar hörte kurz zu schnarchen auf, dann drehte er sich um und schlief weiter. Helion ging zu seinem Bett und trat dagegen. »Boras – he!« Er konnte sich gerade noch in Sicherheit bringen, als Boras plötzlich herumfuhr und seine riesige Axt in den Fußboden rammte. Helion sah mit großen Augen zu, wie Boras schläfrig blinzelte. Erst nach einem Augenblick erkannte er, was geschehen war, und hob zu Entschuldigungen an.

»Schon gut, Boras«, sagte Helion. »Schläfst du etwa mit dem Ding?« Boras sah schuldbewusst drein und nickte. Helion musste lächeln.

»Na, dann mach dich mal fertig. Wir müssen zum Tempel.« Als er die Kammer verließ, sah Helion zur gegenüberliegenden Türe. Dahinter lag das Zimmer seiner Halbschwester Anna. Er schloss für einen Moment die Augen. Anna war im Kampf gegen den Sklavenhändler Kazmojen umgekommen. Jetzt lag ihre Leiche im Tempel von Helm, dem Wächtergott, aufgebahrt. Heute würden sie versuchen, Anna ins Leben zurück zu rufen. Helion konnte in seinem Kopf ihr Lachen hören. Bald würde es wieder durch die Hütte hallen.

Hinter ihm nahm Boras etwas Wasser in den Mund und spülte, dann spuckte er aus.

»Fertig!«

-

Der Helmtempel war eines der wenigen Gebäude der Stadt, die nicht aus schwarzem Vulkangestein bestanden. Dadurch setzte sich der weiße Marmor noch stärker ab, als es die Venen aus blauem Quartz, von denen die Wand durchzogen war, alleine vermocht hätten.

»Die Nacht kommt, und meine Nacht beginnt«, las Helion leise die Inschrift über dem Eingang.

»Sie soll nicht enden bis zum Morgen«, antwortete Jenya. Die vorübergehende Hohepriesterin des Tempels begrüßte die Vier. »Willkommen, Kettenbrecher. Ich habe euch erwartet.«

Jenya führte sie durch die große Gebetshalle in einen kleineren Raum. Helions Schritt stockte für einen Moment, als er den Raum betrat; die anderen sahen betreten zu Boden. Auf einem einfachen Steinaltar lag Annas Leiche, in eine graue Wollrobe gewandet. Der feine Duft edler Öle ging von ihre aus, aber ihre Wangen waren kalt und bleich.

»Braucht ihr noch einen Moment?«, erkundigte sich Jenya.

»Helion schüttelte den Kopf. »Es geht schon. Habt ihr euren Zauber vorbereitet?« Jenya nickte. »Dann beginnt.«

Die Helmpriesterin strich ihr langes Haar zurück, dann beugte sie sich über die Tote. Sie legte ihren linken Panzerhandschuh auf Annas Gesicht. Dann betete sie.

»Großer Wächter, verleihe diesem Körper Kraft, zu sprechen, auf dass wir an seinem Wissen teilhaben können.« Sie verharrte in dieser Position für einige Minuten, die Augen geschlossen. Plötzlich ballte sie die Hand zur Faust, und im selben Moment sog Annas Leiche gierig Luft ein.

»Was wollt ihr?« Es war Annas Stimme, und doch nicht ihre Stimme. Jenya begegnete Helions Blick, und schüttelte den Kopf.

»Es ist nicht sie selbst, nur die Erinnerung an sie.« Dann wandte sie sich an die Leiche: »Wer war dein Schutzgott?« Keine Antwort. »Sag mir, wer dein Schutzgott war!«, befahl die Priesterin. Wieder keine Antwort. Eine Vorahnung beschlich die Anwesenden. Jenya schluckte, dann fragte sie: »Hattest du einen Schutzgott?«

»Nein.«

Die Luft wich aus Annas Lungen, der Zauber verbraucht. Jenya drehte sich zu den Kettenbrechern um.

»Es tut mir leid. Aber ohne Schutzgott – nur ein Gott kann sie dann noch retten. Wir können sie nicht zurückholen.«

»Und jetzt?«, fragte Boras.

»Ihre Seele wird gerichtet werden. Wenn sie nicht in den Blutkrieg verkauft wird, baut man sie in die lebende Mauer um Kelemvors Kristallstadt ein. Dort muss sie bleiben, bis der Mörtel ihre Seele zersetzt hat – hunderte von Jahren lang.«

Helion merkte, dass seine Freunde darauf warteten, dass er etwas sagte.

»Wann können wir sie bestatten?«

»Jederzeit«, sagte Jenya. »Es ist mir eine Ehre, die Zeremonie zu leiten. Wann wünscht ihr es?«

Helion schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht...«

Dirim schaltete sich ein: »Wann führt ihr die Totenfeier für eure Gläubigen durch?«

»Bei Sonnenuntergang.«

»Dann bei Sonnenuntergang«, sagte Helion. Jenya nickte. Helion wandte sich zur Tür. »Gehen wir.«

-

Den Rest des Tages verbrachten sie damit, die Schätze aus der Malachitfeste zu bergen. Sie fanden Unmengen von Münzen, meist Kupfer und Silber, mehrere Edelsteine, und ein paar wertvolle Gegenstände. Unter anderem einen Spazierstock aus aschfarbenem Holz, dessen Knauf von einem silbernen Adler gekrönt wurde.

»Corystons Gehstock«, sagte Dirim. »Wir sollten ihn ihr zurückbringen.«

»Morgen«, entgegnete Helion.

Der Kassensturz dauerte den ganzen Vormittag und den halben Nachmittag, bevor die Vier wussten, dass sie reich waren. Nicht unermesslich reich, aber es hatte doch jeder grob eintausend Aenar in seinem Beutel.

-

Pünktlich zu Sonnenuntergang fanden sie sich im Helmtempel ein. Jenya begrüßte sie, wie immer in ihrem Plattenpanzer, und führte sie hinten hinaus auf den Tempelhof. Die vier lebenden Kettenbrecher verharrten in andächtigem Schweigen.
Man hatte einen hüfthohen Scheiterhaufen errichtet und Annas Leiche darauf gelegt. Sie trug immer noch nur das einfache Gewand, aber ihre wichtigsten Besitztümer hatte man an ihre Seite gelegt: ihre Peitsche, den Rapier, und die Schmuckstücke, die sie getragen hatte.

Mindestens ebenso bemerkenswert aber waren die Personen, die ebenfalls gekommen waren, um der Halbelfe Lebewohl zu sagen. Sie sahen Kristof Jurgensen, den Lathanderpriester, neben Keygan Ghelve stehen. Gretchen Tashykk war mit dem einäugigen Halbork gekommen, der im Waisenhaus Hausmeister war. Vor den beiden standen die Waisen, die von den Kettenbrechern gerettet wurden: Deakon, Evelyn und Lucinda. Außerdem stand dort, sie glaubten ihren Augen nicht, Terrem Karathys, der doch von dem Betrachter entführt worden war. Aber auch die anderen Personen, die aus der Malachtifeste befreit worden waren, hatten sich eingefunden: Krylscar Endercott, der aufmüpfige Raufbold. Deven Myrzal. Irruth Mercadi. Jasper Drundlesput, der Mathematiker. Coryston Pike. Sonder Eisenfalz. Jeneer Immermorn. Gryffon Malek mit seiner Alma. Maple. Fario Ellegoth und Felliarn Sharn, die beiden Halbelfen, unterhielten sich leise mit Ruphus Laro. Vor einer Woche waren sie als Fremde in diese Stadt gekommen, und nun hatten sich über zwei Dutzend Personen eingefunden, um Annastriana das letzte Geleit zu geben.

Bei ihrem Eintreffen verstummte die Versammlung und wandte sich zu ihnen um. Jenya ging voraus und nahm einen Platz nahe dem Scheiterhaufen ein. Aus der Nähe roch man das Öl, dass man über Holz und Leiche gegossen hatte. Eine große Pechfackel flackerte im Wind, aber der leichte Nieselregen vermochte sie nicht zu löschen. Helion trat vor und streichelte Annas Stirn. Die Kettenbrecher versammelten sich um die Leiche, und Helion nahm eine silberne Kette hervor, die sie in Kazmojens Schatzkammer gefunden hatten. Er legte sie ihr um den Hals, dann traten sie wieder ein paar Schritte zurück. In diesem Moment berührte die Spitze der Sonne den Horizont, und Jenya fragte die Gefährten: »Möchte jemand von euch etwas sagen?«
Helion schüttelte stumm mit dem Kopf, und auch die anderen verhielten sich still.

»Nun gut.« Jenya sprach mit fester, ruhiger Stimme. »Wir sind hier, um dem Fortgang Annas in das Totenreich beizuwohnen. Anna war eine Hüterin der Stadt. Sie starb im Dienst, und nun tritt sie ihre Wacht im Jenseits an. Anna war eine Ungläubige, und doch handelte sie im Sinne Helms. Sie ging zu früh. Wir werden ihrer gedenken.«

Jenya nahm die Fackel aus ihrer Halterung und hielt sie in stillem Salut empor. Dann stieß sie sie tief in den Scheiterhaufen. Sofort züngelten Flammen über das ölgetränkte Holz, wuchsen, kletterten an den Balken empor, leckten an Annas Gewand. Bald versperrten das Feuer die Sicht auf die Leiche, und die Hitze färbte ihre Wangen rot, doch die Anwesenden blieben stehen, sahen in die Flammen. Ruß und Rauch tränkte ihre Kleider, setzte sich auf ihrer Haut ab, nur um von dem Regen wieder abgewaschen zu werden, bis ihre Gesichter wie mit Kohle gezeichnet aussahen. Helion stand näher am Feuer als alle anderen, und doch vermochte die Hitze nicht, sein Herz zu wärmen. In seiner Armbeuge hielt er den Kater Nimbral, seinen Vertrauten. Er miaute kläglich.

-

Irgendwann war das Feuer heruntergebrannt. Jenya bedankte sich bei den Anwesenden für ihr Kommen und bot allen ein Glas Wein in einem Nebenraum des Tempels an.

Es herrschte eine betretene Stimmung. Jeder brachte mit einem Händedruck und einem leeren Wort seine Trauer zum Ausdruck und vermochte doch keinen Trost zu spenden. Dann verabschiedeten sie sich. Schließlich blieben nur Jenya und die Kettenbrecher übrig.

»Seid ihr bereit für den zweiten Teil?«, fragte sie. Sie deutete zur Tür, wo Ruphus Laro auf sie wartete. Er hielt einen Stahlschild wie ein Tablett vor sich. In der Wölbung lagen Asche, Knochenreste und ein paar verkohlte Metallklumpen.

»Folgt mir, bitte.« Gemeinsam gingen sie in die Katakomben des Tempels.
»Wir haben Annas Überreste gesammelt. Hier in den Katakomben werden unsere Kleriker bestattet, wenn sie ihre Wacht beenden.« Sie hielten vor einer leeren Nische, und Ruhpus legte den Schild mit Annas Überresten hinein.

»Es heißt, in tausend Jahren würde die Asche mit neuem Leben gefüllt, und die Toten würden wieder Wache halten.« Jenya lächelte. »Und Anna wird mit ihnen sein.«

Dann entließ sie die Kettenbrecher mit dem Versprechen, jederzeit die Katakomben aufsuchen zu können, und schickte sie zurück in den Regen von Cauldron.
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 15. März 2005, 20:52:26
 Nächster Teil vorauss. am WE.
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: dude am 17. März 2005, 09:51:40
 hi berandor!

wieder mal ein großes lob an dich! ist kaum zu übertreffen. und auch ein lob an deine spieler, denn die sind schon so richtig gut!

aber eins versteh ich nicht: die geschichte mit anna. ich dachte sie kann wiedererweckt werden, so wie du es in die vorherige sh reingepostet hast mit all den auswahlmöglichkeiten, oder wollte der sc einfach nicht mehr?

gruß aus dem süden

dude
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Gast_Berandor am 17. März 2005, 10:37:29
Zitat von: "dude"
hi berandor!

wieder mal ein großes lob an dich! ist kaum zu übertreffen. und auch ein lob an deine spieler, denn die sind schon so richtig gut!

aber eins versteh ich nicht: die geschichte mit anna. ich dachte sie kann wiedererweckt werden, so wie du es in die vorherige sh reingepostet hast mit all den auswahlmöglichkeiten, oder wollte der sc einfach nicht mehr?

gruß aus dem süden

dude
Deshalb hatte ich die Optionen auch getrost posten können.

Der Spieler (Shaz'Narahd) war an dem Spieltag leider krank. Am Telefon hat er aber Bescheid gesagt, dass er Anna nicht mehr spielen wollte. Da gab es durch ihren Tod doch zu viel "böses Blut".

Zum Glück hatte ich für beide Möglichkeiten vorgesorgt :D

Trotzdem wird mir Anna fehlen. Ich fand den SC richtig klasse.
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 20. März 2005, 14:40:11
 Die Einladung
Es regnete auch während der nächsten Tage. Langsam aber stetig stieg der Pegel des Zentralsees an, Schlamm und Matsch floss durch die steilen Straßen, und die Kettenbrecher versuchten, ihre erbeuteten Schätze zu Geld zu machen.

Helion schloss sich für ein paar Tage in ein Zimmer im Helmtempel ein – in der Scheune war es ihm zu feucht. Während dieser Zeit verwob er magische Energie mit Wollfäden, um einen Umhang zu erschaffen, der ihn vor Kälte und Krankheit schützen würde.

Boras hatte vorgehabt, seinen Anteil in einem magischen Kettenhemd unterzubringen. Zuerst hatte er sein Augenmerk auf die kristallumhüllten Rüstungen des Zwergenschmiedes Gurnezan  geworfen, aber der Preis, den dieser verlangte, erschien ihm doch etwas hoch. Leider war auch die Rüstung Bathas des Ogertöters nicht viel günstiger gewesen. Skie Aldersun, eine freundliche Gnomin, hatte dieses Kettenhemd in ihrem Zauberladen gehabt.

Thargad hatte ebenfalls Gefallen an der kristallenen Schmiedekunst des Zwerges gefunden, aber Waffen waren noch unerschwinglicher, als es die Rüstung gewesen war. Im Zuge der nächsten Tage suchte er noch seine Kontakte auf. Meerthan Eliothlorn verriet ihm, dass die Käfigschmiede vor knapp zwanzig Jahren versucht hatten, ein Portal in eine andere Ebene zu öffnen, es ihnen aber misslungen war. Genaueres wusste der Elf leider nicht, da er in der Zeit der Sorgen alle Spuren verloren habe. Er sah auch Arlynn wieder, die tatsächlich eine Anstellung bei der Dame Knowlern gefunden hatte. Arlynn verriet ihm auch, dass zwischen Fürst Aslaxin und Fürst Taskerhill eine große Rivalität und Abneigung bestand. Sie war von Thargads neu gewonnenen Ruhm und seiner Beliebtheit in den Kneipen überrascht und anscheinend leicht verunsichert. Zu guter Letzt hatte Thargad noch Maple aufgesucht, um sie nach ihren Verbindungen zu Cauldrons Unterwelt zu fragen. Maple gab ihrem Verdruss Ausdruck, dass die Gilde des Letzten Lachens alle anderen Gruppen vertrieben oder vernichtet hätte, dann überließ sie Thargad ihr Diebeswerkzeug, als er nach einem solchen fragte.

Dirim schließlich verbrachte viel Zeit im Lathanderschrein. Er schrieb einen Brief an seinen Orden, in dem er von dem verlassenen Tempel der Dreifaltigkeit berichtete, und sandte ihn per Pferdeboten los. Dirim unterhielt sich auch noch einmal mit Terrem, allerdings ohne Erfolg. Terrem widerstand Dirims Wahrheitszauber, und ansonsten erwies sich der Junge als störrisch und eigensinnig. Er wollte Dirim nichts von dem Betrachter und seiner Gehilfin erzählen, und brachte diesen Unwillen deutlich zum Ausdruck.

-

Eines wieder einmal feuchten Tages fand Thargad die anderen um einen Tisch versammelt, während sie wüste Spekulationen ausstießen.

»Was ist denn los?«, erkundigte er sich. Zur Antwort hielt ihm Dirim einen Zettel entgegen. Thargad las: »Verschwunden von Faerûns Antlitz / Zur Zeit, als Götter sterblich waren / In den Schatten zwischen Leben und Tod / Gefangen von Gefangenen / Der Weg führt durch den Himmel in der Hölle / Käfige verhelfen zur Flucht.«

»Jenya hat eine Weissagung über unsere Eltern eingeholt«, erklärte Helion. »Das ist sie.«

»Müsste es nicht heißen: „Der Weg führt durch den Himmel in die Hölle“?«, fragte Thargad.

»Sag ich doch«, stimmte Boras zu. Helion zuckte mit den Schultern.

»Das hat Jenya vernommen. Ich glaube nicht, dass Götter Probleme mit Grammatik haben.«

»Was ist mit Baghtru?«, gab Dirim zu bedenken. Baghtru war der „dämliche Sohn Gruumschs“ und der Orkgott der Stärke. Es galt als bewiesen, dass Baghtru Probleme mit Worten hatte, die mehr als zwei Silben besaßen, also war Grammatik sicher auch kein Zuckerschlecken für ihn.

»Die meisten Götter haben kein Problem damit«, gab Helion nach.

»Das hilft uns aber auch nicht weiter, oder?«, unterbrach Thargad die Beiden. Daraufhin wandten sie sich alle wieder der Weissagung zu.

-

Und so vergingen die Tage in Cauldron. Die Bewohner zeigten sich wenig besorgt wegen der dauernden Niederschläge – es werde schon rechtzeitig aufhören – und begannen mit den Vorbereitungen für das jährliche Flutfest. Die Kettenbrecher erholten sich, festigten Freundschaften, und gaben ein ums andere Mal die Geschichte ihres ersten Abenteuers zum Besten.

Sie hatten nicht viel Neues herausbekommen, außer einem vagen Verdacht bezüglich Carceri, der Gefängnisebene. Dämonen, Teufel und allerhand andere Lebewesen wurden nach Carceri verbannt, wo sie trotz mächtigster Magie gefangen waren. Außer der Tatsache, dass ein solcher Ort in etwa zu den „Gefangenen“ der Weissagung passen könnte, gab es aber keinen Anhaltspunkt.

Nachdem beinahe zwei Wochen verstrichen waren, hatte eine gewisse Langeweile eingesetzt. Es fiel ihnen immer schwerer, die selbe Geschichte von ihrem Kampf gegen Kazmojen noch einmal zu erzählen, und es schien, dass auch immer weniger Leute diese Geschichte hören wollten. Der Alltag griff um sich, und die Abenteurer, die für einen Moment im Zentrum des einheimischen Lebens gestanden hatten, wurden wieder an den Rand gedrückt. Dementsprechend spürten die Kettenbrecher Ruhelosigkeit in sich aufkommen.

Die Einladung kam genau zur richtigen Zeit: Ein Fest zur Herbstsonnenwende im Palast des Stadtherren. Die wenigen Tage bis zur Feier verbrachten die Kettenbrecher damit, sich passende Kleidung zu besorgen und dafür zu beten, dass sie sich nicht zu sehr blamieren würden. Kurz überlegte man, Kheygan Ghelve zuhause zu lassen, aber dann nahm man den Gnom doch mit und stand, festlich gekleidet, pünktlich zu Sonnenuntergang vor Severen Nalavants Anwesen.

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Die Residenz des Stadtherren glich einem kleinen Schloss, zweistöckig und aus schwarzem Malachit erbaut. An den vier Kanten des Hauses erhoben sich Türme mit Spitzdach, während das Haus selber eine große Glaskuppel aufwies. Die Fenster waren aus buntem Glas in eisernen Rahmen, der Eingang ein großes zweiflügeliges Holztor. Zwei Stadtwachen standen am Eingang und prüften die Einladungen. Sie nahmen außerdem die Waffen der Gäste entgegen; Dolche und Rapiere konnten behalten werden.

Im Inneren des Hauses gab es einen großen Zentralraum mit Brunnen und Lichtspielen, während alle Kammern auf die Seitenflügel verteilt waren. Säulen schwangen sich zur Decke empor, mit Reliefen junger Männer verziert. Ein Streichquartett bestehend aus drei Gnomen und einem Halbling spielte im Hintergrund, während beflissene Diener Häppchen und Wein reichten.

Kaum hatten die Kettenbrecher die zentrale Halle betreten, als ein untersetzter Mann mittleren Alters auf sie zukam, in grünen Pluderhosen, sonnengelbem Hemd und purpurner Weste. Seine Finger und Ohren waren durch zahlreiche Ringe geschmückt, sein braunes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, seine Köprerfülle und seine Lachfalten verrieten Hang zum Genuss.

»Die Kettenbrecher! Entzückend!«, rief er. »Ich bin so glücklich, euch endlich kennen zu lernen! Ich bin Severen Nalavant!«

Der Stadtherr bedankte sich noch einmal überschwänglich bei ihnen, dann verabschiedete er sich für den Augenblick, und die Kettenbrecher hatten Muße, sich umzusehen.

Die Elite Cauldrons hatte sich hier eingefunden. Die wichtigsten Adeligen, ein paar Kaufleute, und die Oberhäupter der Kirchen. Kristof Jurgensen kam mit Erleichterung in den Augen auf Dirim zu. Er trug eine orange Robe, die Brust freiliegend, sowie einen Kopfschmuck in Form eines Sonnenaufgangs. In der „Sonnenrobe“ sah er noch verlorener aus als ohnehin.

»Di... Dirim!« Er schüttelte Dirim die Hand, machte Anstalten, ihn zu umarmen, und besann sich dann. »Ich bin ja so froh, dass Ihr hier seid.«

Thargad nickte Corah Lathenmire zu, die am anderen Ende des Raumes mit den Sturmklingen sprach. Sie fing seinen Blick auf und deutete ein Lächeln an, dann wandte sie sich ab.

»N’Abend.« Terseon Skellerang hatte sich die Haare mit Fett in den Nacken gelegt, seine Bartstoppeln aber nicht entfernt. Neben Jenya war er der einzige Anwesende in Rüstung und trug ein Kurzschwert an der Seite. »Wie geht’s?«

»Wie solls gehen?«, fragte Boras zurück.

»Gut, gut. Du machst ja keinen Ärger, oder? Ich will nur sicher gehen, verstehst du.«

»Warum sollte ich?«

»Na ja, es ist ziemlich langweilig für einen deines Schlages, und Alkohol tut sein Übriges.« Terseon lächelte. »Vergessen wirs. Es ist halt meine Pflicht, auch wenn ihr unbewaffnet seid.«

Boras wies auf das Kurzschwert: »Ihr habt auch nur einen Zahnstocher. Ich bevorzuge größere Waffen.«

Der Hauptmann der Wache stieß ein bellendes Lachen aus. »Du gefällst mir. Ich besorge uns jetzt etwas Bier, und dann trinken wir einen.« Und so geschah es.

Helion unterhielt sich derweil mit einem muskulösen Halbork, dem „Meister“ des Gondtempels.

»Ihr wart in Jzadirune?«, erkundigte sich Asfelkir Hranleurt bei dem Magier.

»Waren wir.«

»Ein Priester meines Ordens, Gunther Derigal, hat mich gebeten, euch nach dem „Codex Ferrum“ zu fragen.«

»Codex Ferrum?«

»Ja. Ein Buch.« Ungeduldig wrang sich der Halbork die Hände. »Ihr habt es nicht zufällig dort unten gefunden?«

»Nein. Tut mir leid.«

»Hmm. Solltet ihr es noch finden, würde er es euch abkaufen wollen.« Asfelkir wartete einen Augenblick um sicher zu gehen, dass es keine Einwände gab. »Wenn ihr mich entschudligen wollt? Ich habe Vorkehrungen für das Flutfest zu treffen.«

Helion sah ihm nach, als Dirim dazu kam. »Komischer Kerl«, sagte Helion leise.

»Die sind hier alle komisch«, gab der Zwerg zurück.

Thargad kam aufgeregt zu ihnen herüber. »Wusstet ihr schon, dass Kristof allen erzählt, warum wir hier sind? Von den Schätzen?« Er machte eine wegwerfende Bewegung. »Dieser Lathanderpriester ist froh, dass er was erzählen kann, und plappert sich um unser Leben.«

Helion legte Thargad beruhigend die Hand auf die Schulter. »So schlimm wird es nicht sein.« Sein Blick fiel auf Vortimax Weer. Er starrte feindselig zu ihnen herüber. »Oder?«

»Meister Helion?« Eine ältere Frau stand vor ihnen, die silbernen Haare streng zurück gekämmt, in einem Gewand aus grauer Seide. Embril Aloustinai, die „Erste“ von Azuth. »Ist es wahr, dass ihr nach den Schätzen Tethyrs sucht?«

»Ja«, gab Helion zu. Warum sollte man jetzt auch leugnen?

»Ich habe sie gekannt. Vor allem Horas Lutharia«, sagte Embril mit Bedauern in der Stimme. »Wir haben uns oft über Azuth und Zauberei unterhalten. Er war mir sehr lieb.« Sie machte eine kurze Pause. Als sie weitersprach, war ihre Stimme hart geworden. »Ich bin davon überzeugt, dass die Schätze in eine Falle gelockt wurden, bevor sie verschwanden. Sie wurden verraten, ich weiß es.«

»Das glauben wir auch«, sagte Helion. Embril lächelte.

»Wenn ich euch helfen kann, kommt zu mir. Ich muss demnächst für eine kurze Zeit ins Inland, aber danach stehe ich euch zur Verfügung. Wir werden die Decke über dem Schicksal eurer Eltern lüften.«

-

Kurz darauf wurde zu Tisch gerufen. Die Sturmklingen saßen zur Linken des Stadtherren, die Kettenbrecher zur Rechten. Man speiste gebratenen Faun mit Waldkräutern sowie Backkartoffeln und Sauerrahm, und schließlich gebot Severen noch einmal seinen Dienern, die Kelche zu füllen, und erhob sich.

»Verehrte Gäste, in diesem Jahr feiern wir das fünfte Jahr meiner Herrschaft über Cauldron. Eigentlich sollte mir diese Zahl Grund zur Unruhe geben, aber wir haben gleich zwei neue Kräfte in der Stadt, die das Gegenteil hoffen lassen. Zwei Gruppen von tatkräftigen und mutigen Streitern, denen der Schutz unserer Stadt am Herzen liegt. Da sind natürlich die Sturmklingen, deren heldenhafter Einsatz uns von einer seltenen Plage befreit hat, einem Koboldstamm. Die Sturmklingen haben die Lehre unserer Silberherrin verinnerlicht; derart aktiv für das Volk eintretende Adelige findet man selten in unserem Land. Und dann sind da natürlich noch die Fremden, die als die Kettenbrecher bekannt wurden. Sie haben uns einen großen Dienst erwiesen, indem sie arme Seelen der Stadt vor einem düsteren und grausligen Schicksal bewahrt haben. Wahrlich, mit diesen Beschützern ist mir um mein fünftes Jahr nicht bange. Ein Hoch auf unsere Helden!«

Die Anwesenden erhoben mehr oder weniger enthusiastisch ihre Becher, und man trank auf das Wohl der beiden Abenteuergruppen. Annah Taskerhill warf ihnen dolchartige Blicke zu, da sie es gewagt, ihren Ruhm zu beeinträchtigen. Dann sprach ihr Vater mit Severen Nalavant.

»Eine vortreffliche Idee, Ankhin!«, rief der Stadtherr. »Meine verehrten Gäste, wollen wir nicht Annah um ein Lied bitten? Singt doch etwas für uns!«

Die Anführerin der Sturmklingen bedankte sich höflich, dann trat sie vor. Die Kettenbrecher warteten mit leicht spöttischem Gesichtsausdruck. Sie sang ein elfisches Trauerlied. Ihre Stimme war klar und rein, und unweigerlich drifteten die Gedanken der Zuhörer zu ihren Freunden und ihrer Familie, unweigerlich ergriff sie leise Sehnsucht. Nach dem Lied herrschte kurze Stille, dann klatschte man höflich. Helion ging zu Annah.

»Danke. Meiner Schwester hätte das gefallen.«

»Gerne«, antwortete sie. Ihrer beider Blicke begegneten sich und versprachen keine Freundschaft. Helion verabschiedete sich.

»Ihr entschuldigt? Der Stadtherr wollte uns sehen.«

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Die Kettenbrecher saßen in einem gemütlichen Zimmer am Kamin, ihnen gegenüber in einem Sessel der Stadtherr Severen Nalavant. Rechts hinter ihm stand Tenebris Valanthru, links davon Terseon Skellerang.

»Ihr hattet um eine Audienz gebeten?«, fragte der Stadtherr.

»Ganz recht, Herr«, übernahm Dirim das Wort.

»Nun denn, ich bin ganz Ohr!«

»Was wisst ihr von den Schätzen Tethyrs?«

Severen überlegte. »Hmm. Eine Abenteurgruppe, nicht wahr? Das war vor meiner Zeit. Sie... sie kämpften gegen einen Drachen, Vitriss irgendwas.«

»Vitriss Bale«, warf Helion ein.

»Ganz recht! In einer Ruine unter der Stadt... eine Zauberweberruine, wenn ich nicht irre. Sie stand leer, seitdem Surabar Zaubermeißel diese Wesen vertrieben hatte – mit ihrer Hilfe erbaute er Cauldron, Redgorge und Kingfisher Hollow, müsst ihr wissen. Ich nehme an, der Eingang wurde damals verschlossen?« Er sah zu Tenebris Valanthur hoch.

»Das wurde er. Ich erinnere mich aber nur dunkel an die Ereignisse.«

»Ihr habt die Schätze damals zu euch eingeladen«, sagte Dirim.

»Wirklich? Nun, wenn ihr es sagt... ja, ihr habt recht.« Valanthru blickte versonnen in die Luft. »Ich wollte eine Statue zu ihren Ehren erbauen lassen. Aber es hat sich nie etwas daraus ergeben. Ich erinnere mich... ja, ich erinnere mich, von ihnen sehr beeindruckt gewesen zu sein. Aber auch enttäuscht, weil sie doch sehr von sich eingenommen und auf geradezu raue Art ihre Forderungen stellten.« Entschuldigend sah er zu den Kettenbrechern. »Ich nehme an, viele Legenden verlieren ihren Glanz, wenn man sie am eigenen Leib erfährt.«

»Gab es da nicht ein Gedicht?«, fragte der Stadtherr plötzlich. »“Und als sie... und als sie... und als sie sich bereit gemacht, da lachten die Götter ihnen, die Schätze hatten wohl vollbracht, sich ihren Platz dort zu verdienen,...“ Weiter weiß ich nicht mehr. Aber ich werde nachsehen«, versprach er den Nachkommen, «ob ich das Buch noch habe.«

Er hatte es nicht mehr.

»Wir hätten da noch eine Bitte«, sagte Helion am Ende des Gespräches.

»Nur heraus damit!«, rief der Stadtherr.

»Wäre es möglich, uns zu Bürgern der Stadt zu machen? Es ist wegen der Steuer beim Kauf und Verkauf von Gegenständen, wisst ihr?«

Severen sah zu Valanthru auf. Dieser schüttelte unmerklich den Kopf.

»Nun, tut mir leid. Ihr könnt euch natürlich auf übliche Weise die Bürgerschaft verdienen: durch fünfjährigen Dienst für die Stadt oder die Zahlung von 500 goldenen Aenar. Die Verleihung der Bürgerehre ist jedoch nicht einfach so möglich. Aber wer weiß?«, fragte er grinsend. »Wenn ihr das nächste Mal die Stadt gerettet habt, sieht es vielleicht schon anders aus.«

-

Die Nachkommen der Schätze kehrten auf das Fest zurück, und verbrachten noch einige Zeit damit, sich nicht zu blamieren. Endlich schien der Abend seinem Ende zuzustreben, als plötzlich ein Klirren den Raum zum Schweigen brachte. Alle Anwesenden sahen zu Jenya hin, die ihren Wein hatte fallen lassen. Die rote Flüssigkeit breitete sich zu ihren Füßen in demselben Maße aus, wie Jenya immer blasser wurde. Ihre Augen weiteten sich.
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»Sarcem! Ich... ich habe verstanden.« Sie sprach hastig, wie unter Zeitdruck. »Seid gewiss, ich werde mich um Hilfe kümmern.  Ich glaube, ich weiß schon, an wen ich mich wende. Haltet...« Sie brach ab. Ihre Schultern fielen zusammen, und dann flüsterte sie kaum hörbar: »...aus.«

Sie sah auf, ihr Blick fiel auf die Sturmklingen, und dann auf die Kettenbrecher. Helion und die anderen waren schon auf dem Weg zu ihr, und sie lächelte dankbar.

»Ich brauche Eure Hilfe!«
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 20. März 2005, 14:51:01
 Die Anwesenden auf dem Fest
Severen Nalavant
Der Stadtherr ist ein untersetzter Mann mittleren Alters, dem man den Genuss ansieht. Sein dunkles Haar passt zu seiner gebräunten Haut und seinen fast schwarzen Augen. Er trägt einen Pferdeschwanz. Grüne Pluderhosen, ein sonnengelbes Hemd und eine lila Weste, sowie silberne Ohrringe und mehrere edelsteingeschmückte Ringe.

Lord Premiarch Vanderboren
Ein recht junger und nervöser Mann mit braunem Haar und ebensolchen Augen, breiter Nase. Trägt neueste Mode, etwas zufällig zusammen gestellt. Er wird gerne Premiarch oder Vanny genannt.

Lady Aeberrin Vanderboren
Eine ebenfalls sehr junge Frau mit kurzem schwarzem Haar und blauen Augen.
Stupsnase. Trägt ebenfalls neueste Mode, aber ohne Esprit. Den Vanderborens gehört das Waisenhaus und die Scheue Fee.

Lord Ankhin Taskerhill
Ein großer, massiger Mann, das schwarze Haar langsam ergrauend. Er trägt dunkelblaue Lederhosen und ein blaues Wams mit silbernen Steinen darin. An seinen Händen prangen Ringe mit Rubinen.

Lady Sefrane Taskerhill
Eine hochgewachsene und sehr schöne Frau mit langem, lockigem Haar, das gekonnt
hochgesteckt wurde. Trägt ein Schlauchkleid aus purpur und orange, als wäre es nur für sie gemacht, und Ketten und Ohrringe aus Obsidian. Sie gleitet mehr als das sie geht.

Sir Gendry Lathenmire
Muskulös, wirkt in silbergrauer Seide und grauem Leder wie in Rüstung, der Rapier ist zu zierlich für ihn. Er hat kurzes rotes Haar (samt Bart) und grüne Augen, sowie
Sommersprossen um die Hakennase. Er ist ein alter Haudegen im wahrsten Sinne des Wortes. In den Zeiten von Tethyrs Unruhe hat er seine linke Hand verloren, und er trägt seine Narbe mit Würde und Stolz. Er ist ein großer Importeur von Waffen und Rüstungen, und beliebt dafür, dass er allen Schmieden die gleichen Preise macht.

Evelyn Lathenmire
Eine Frau mittleren Alters und durchschnittlichen Aussehens. Ihre blonden Haare fallen über die Schultern und ihr pfirischfarbenes Kleid hat vor einigen Jahren sicher noch besser gepasst.

Lady Thirifane Rhiatavi
Eine elegante, aber unscheinbare Frau mittleren Alters. Sie trägt ein einfaches Kleid aus dunkelgrünem Stoff mit weißer Spitze, das elegant ist, ohne andere in den Schatten zu stellen, sowie eine einfache Perlenkette. Sie ist die Witwe eines niederen Adeligen aus Saradusch und hat sich in das Anwesen in Cauldron zurück gezogen. Gerüchten zufolge ist dies das einzige Haus, dass nach den Spielschulden ihres Mannes noch übrig blieb. Lady Rhiatavi richtet regelmäßig Feste für die Adeligen und Reichen der Stadt aus.

Lord Zacharias Aslaxin I
Ein Mann mitte Vierzig, schlank, mit blondem Schnurrbart. Jede seiner Bewegungen
scheint berechnend. Er trägt eine Hose und Wams aus blauem Samt und ein Hemd aus dunkelroter Seide, goldene Ringe. Seine Frau starb vor sieben Jahren an einer Krankheit.

Annah Taskerhill
Eine extrem hübsche junge Frau mit sandbrauner Haut und eng an den Kopf
geflochtenen Haaren. Die Arme und Beine ihres Kleides sind nur an der Spitze
zusammengenähte Tücher in Rot, Blau und Gelb, das Oberteil ein eng geschnürtes
weinrotes Mieder, Armbänder aus vielfarbigen Kristallen.

Zacharias Aslaxin II
Ein junger Mann mit gestutzem Schnurrbart und den blonden Haaren seines Vaters (und seiner Mutter?). Trägt eine Weste aus blauem Stoff, darunter ein champagnerfarbenes Rüschenhemd sowie eine hellbraune Pluderhose. Er gleicht dem klassischen Adeligen/Musketier.

Todd Vanderboren
Ein Junge mit kurzem braunen Haar, wässrigen Augen, fliehendem Kinn und langem
Gesicht, fast wie ein Wiesel. Sehr dünn. Trägt eine Hose aus schwarzem Leder und ein Hemd aus dunkelblauem Samt mit hohen Stiefeln. Er ist der Adoptivsohn der
Vanderborens.

Corah Lathenmire
Sie hat das kurze rote Haar ihres Vaters und viele Narben (vor allem auf Hand und
Arm). Sie trägt ein Kleid aus grünem Stoff; der Rock ist weit und lässt ihr viel Platz,
und das Dekolletee ist weit geschnürt, ein einfaches Medallion baumelt an einer
schlanken Kette um ihren Hals. Fühlt sich in ihrem Kleid etwas unwohl, hätte lieber eine Hose an.

Beschützerin Jenya Urikas
Eine Frau mittleren Alters, mit hochgesteckten Haaren; in der Schwärze einige weiße
Strähnen. Sie ist betont als Vertretung des wahren Hohepriesters Sarcem Delasharn
anwesend. Sie trägt eine einfache weiße Robe mit stählernen Brust- und
Schulterplatten sowie einen einfachen offenen Helm.

Erste Embril Aloustinai
Eine Ältere Frau mit streng zurück gekämmten, silbernen Haaren. Sie trägt ein graues Gewand, auf dem Azuths Finger prangt. Er ist komplett von rotem Leuchten umhüllt.

Dämmerfürst Kristof Jurgensen
Ein sehr junger Mann mit blonden, kurz abstehenden Haaren und dunkelbrauner Haut. Er trägt eine Robe aus Orange und Rosa, die Brust ist frei (eine Scheibe aus Quartz dient als heiliges Symbol) und die Ärmel sind golden abgesetzt, sowie einen Kopfschmuck in Form eines Sonnenaufgangs in eben diesen Farben. Dies ist die rituelle Sonnenrobe, nicht das einfache weiße Gewand, das er sonst trägt.

Meister Asfelkir Hranleurt
Ein muskulöser Halbork, der eine wilde Frisur hat und ein schmales Brillengestell trägt. Er trägt eine weite safrangelbe Robe mit scharlachrotem Schal und Kragen, außerdem einen Ledergurt um die Schulter, in dem nützliche Gegenstände verstaut werden, einen Gürtel aus verzahnten Gliedern und einen riesigen Sonnenhut. Sein heiliges Symbol ist aus Messing.

Alek Tercival
Der Paladin hat einen Vollbart und lange dunkelblonde Haare. Seine braunen Augen
glühen fast. Er ist extrem stark und trägt ein einfaches Gewand aus weißem Stoff, das silbern abgesetzt ist und auf der Brust einen Silberkelch führt. Seine rechte Hand liegt stets in der Nähe seiner Hüfte, wo sonst sein Schwert hängt. Er ist freundlich,
leidenschaftlich von seiner Sache überzeugt und träumt davon, mittels gewonnener
Reichtümer seine Familie wieder ehrbar zu machen und ihren Familiensitz
zurückzukaufen.

Lord Tenebris Valanthru
Der Elf hat bronzene Haut und kohlschwarzes Haar, grüne Augen mit einem Goldstich. Er ist mittelgroß und eher hager, was seine Züge aber nur unterstreicht. Er trägt ein Gewand aus gewebten Gold- und Silberfäden, das bei jedem Schritt blitzt und funkelt.

Maavu
Ein alter Mann mit einem kleinen Bauch, einem langen Gesicht und einem grauen
Schnurrbart sowie wallendem schwarzen Haar.

Lady Ophellia Knowlern
Diese Elfe ist extrem hübsch, eher schön. Ihre elfenbeinerne Haut ist in Tethyr eine
Besonderheit, ihre Haare sind ebenso königlich blau wie ihre Augen purpur. Sie hat
lange, feine Finger und einen schlanken aber deutlich weiblichen Körper. Ihr Kleid ist
dunkelrot und aus einem Stoff, der im Licht orange schimmert, als ob es in Flammen
stünde, und ist außerdem reichlich geschlitzt und offen, sodass viel Haut zu sehen ist.
In ihrem Haar sind kleine Kristalle eingeflochten und sie trägt schlanke Ringe an den
Fingern. Eine Freundin von Jenya Urikas.

Terseon Skellerang
Ein kleiner Mann mit aufrechtem Gang, dessen schwarze Haare mit Fett zurückgekämmt wurden und der leichte Bartstoppeln hat. Er trägt einen Brustpanzer mit einem flammenden Auge darauf sowie ein Kurzschwert an der Seite. Er ist als Hauptmann der Wache anwesend und kann seine soldatische Natur nicht ablegen.

Vortimax Weer
Eine hagere gestalt mit dem Gesicht eines Geiers. Er hat eine glatt polierte Glatze,
über der zwei Ionensteine schweben (eine scharlachrote und blaue Kugel, und ein
lavendelfarbenes Ei). Er trägt eine dunkelgrüne Robe mit hellgrünen Absätzen und einem hohen Stehkragen sowie einen Ring an jeder Hand.

Inara Weer
Inara ist ebenso hager wie ihr Vater, hat aber ein rundes Gesicht mit vollen Wangen
und Lippen. Ihre Haare sind feuerrot und ihre Augen hellgrün. Sie trägt ein ihrem Vater nachempfundenes Gewand aus dunklem und hellem Grün.

Coryston Pike
Coryston Pike hat ihre dunkelblonden Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie
trägt einen blau und schwarz gestreiften Anzug mit langärmeliger Weste und
Bundfaltenhose, einen Zyinder und einen Stock aus Ebenholz mit silbernem Knauf. Wegen ihres steifen Beines nimmt ihr niemand diese männliche Kleidung übel.

Celeste
Eine Frau von besonderer Schönheit mit vollem blonden Haar, das von einem grünen
Stirnband zurückgehalten wird und bis zu ihren Hüften reicht, blauen Augen und
geschwungen Lippen. Ihr weiblicher Körper steckt in einem Kleid aus weißem Stoff mit goldenem Rand, das von einem grünen Gürtel um ihre Hüfte gehalten wird. Sie trägt keinen Schmuck und ist doch eine der auffälligsten Erscheinungen des Abends.  
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: shaz´narahd am 21. März 2005, 13:09:13
 Anmerkung: Nein, es gab kein "böses Blut" - vor allem nicht im nachhinein  ;)

Das Problem ist rein metaphysischer Natur. Anna fällt auf Level 2 zurück, wobei die anderen (durch meine zusätzliche zweimalige Abwesenheit) auf Level 4 sind. Anna würde in Null-Komma-Nichts wieder draufgehen und ich hätte keinen Spaß daran (nicht in einer so kampflastigen Kampagne).
Attack +1, 12 HP und eingeschränkte Zauber (wohlgemerkt Bardenzauber, also nichts besonderes) durch einen Fluch machen den Charakter unspielbar, da würde ich ganz einfach die Lust verlieren.

shaz
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: shaz´narahd am 21. März 2005, 13:10:22
 doppeltpost
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: dude am 21. März 2005, 23:02:35
 @shaz´narahd
und was/wen spielst du eigentlich jetzt? mir ist nicht aufgefallen, das ein neuer char in der gruppe wäre? oder bist du ein spector, der im imaginären raum zwischen licht und dunkelheit herusmschwirrst?

dude
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Kylearan am 22. März 2005, 08:57:45
 Das wüssten wir auch gerne, wer uns statt Anna demnächst unter die Arme greifen wird. Shaz hat zwar Andeutungen gemacht, aber mehr auch nicht.

Kylearan/Helion
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Gast_Berandor am 22. März 2005, 09:14:41
Zitat von: "Kylearan"
Das wüssten wir auch gerne, wer uns statt Anna demnächst unter die Arme greifen wird. Shaz hat zwar Andeutungen gemacht, aber mehr auch nicht.

Kylearan/Helion
Ich weiß es! (glaube ich)

 :ph34r:  
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: DarkAttic am 22. März 2005, 09:17:52
 @ Berandor

Spoiler: Klicke, um den Beitrag zu lesen
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Gast_Berandor am 22. März 2005, 10:47:32
 Darkattic:
Spoiler: Klicke, um den Beitrag zu lesen


Und das deine Spieler Kazmojen nicht überlebt haben, ist durchaus nachvollziehbar. Die Zwischen- und Endgegner gerade der ersten Abenteuer sind ja doch ziemlich happig. Zungenfresser, dann Triel, Tarkilar & Co... und ich habe da noch ein paar Überraschungen vorbereitet  :ph34r:  
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Kylearan am 22. März 2005, 13:11:45
Zitat von: "Gast_Berandor"
Die Zwischen- und Endgegner gerade der ersten Abenteuer sind ja doch ziemlich happig. (...) ... und ich habe da noch ein paar Überraschungen vorbereitet  :ph34r:
Ach ja, muss ja mal an meinen Nachfolgecharakteren basteln... *schluck*

Kylearan
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Thargad am 22. März 2005, 14:20:31
Zitat von: "Kylearan"
Ach ja, muss ja mal an meinen Nachfolgecharakteren basteln... *schluck*

Kylearan
Oder Dir einen guten Grund überlegen, warum Helion unbedingt wiedererweckt werden muß.

Der Grund, daß wir noch herausfinden müssen,  was mit unseren Eltern geschah, wurde ja schon verwendet. Wer zuerst stirbt, hat eben die freie Auswahl  :D
 
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 22. März 2005, 14:29:30
Zitat von: "Thargad"
Zitat von: "Kylearan"
Ach ja, muss ja mal an meinen Nachfolgecharakteren basteln... *schluck*

Kylearan
Oder Dir einen guten Grund überlegen, warum Helion unbedingt wiedererweckt werden muß.

Der Grund, daß wir noch herausfinden müssen,  was mit unseren Eltern geschah, wurde ja schon verwendet. Wer zuerst stirbt, hat eben die freie Auswahl  :D
Oder ihr sichert euch ein paar Gefallen :D

Es geht gar nicht um den Grund selbst, als vielmehr eine Motivation, die zu eurem Schutzgott passt. Und "ich will wissen, wer meine Eltern waren" passt zu den meisten nicht. Man muss es halt "gefälliger" formulieren - dann geht alles.

Wie in der Politik halt :)
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 27. März 2005, 18:26:11
 Kleiner Teaser:
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 :blink:  
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 29. März 2005, 22:57:52
 Rückkehr zum Glücklichen Affen
Es regnete noch immer. Jenya war sichtlich aufgeregt, und in kurzen Sätzen er-klärte sie ihre Not.

»Ich habe eine magische Botschaft von Sarcem bekommen. Er ist in einer Wirt-schaft in der Nähe, dem „Glücklichen Affen“.«

»Wir kennen diesen Ort«, sagte Helion.

»Sarcem sprach von einem Überfall. Er...«, Jenya stockte, »er sagte, er sei schwer verletzt. Ihr müsst ihm helfen!«

»Keine Sorge. Wir werden.«

»Habt Dank. Macht euch fertig, ich besorge inzwischen Reittiere für euch. Wir treffen uns am Tempel.«

-

Jenya hatte vier Pferde besorgt, schnelle und leichte Tiere.

»Das ist Hrolf«, sie deutete auf ein rauchgraues Tier. «Hrolf ist ein Tarpaner. Das bedeutet, dass er sehr störrisch ist – ihr werdet ihm kaum sagen können, was er zu tun hat. Dafür kennt er die Umgebung und wird euch sicher den Berg herunter bringen.«

»Wo ist denn mein Pony?«, fragte Dirim und sah die großen Tiere misstrauisch an.

»Es wäre zu langsam gewesen. In der Nacht und diesem Wetter kommen selbst diese Pferde kaum schneller voran als ein Mensch zu Fuß bei Tageslicht – wir haben keine Zeit zu verlieren.« Jenya zögerte. »Es gibt noch etwas. Sarcem war unterwegs, um Zauberstäbe zum Schutz gegen Überflutung zu besorgen. Er kaufte acht Stück. Bringt Sarcem zurück, und bringt die Stäbe mit! Es könnte lebenswichtig sein.«

Diesem Argument gab es wenig entgegen zu setzen, und die Kettenbrecher saßen auf. Jenya begleitete sie zum Stadttor.

»Jenya«, sagte Helion, während sie warteten, dass die Wachen das Tor öffneten, »wir möchten vermeiden, für einige Erbstücke Zoll zu entrichten. Würdet ihr darauf Acht geben?« Er überreichte der Priesterin die magischen Ringe der Schätze.

»Ich werde sie hüten wie mich selbst«, sagte Jenya zum Abschied. Dann ritten sie durchs Tor, und in die Nacht hinaus. »Helm bewache eure Schritte.«

-

Schweigend ritten sie dahin. Dirim hatte Hrolf die Zügel überlassen, und das Pferd marschierte trittsicher voraus, die anderen folgsam hinterher. Nach etwa einer Stunde erreichten sie flaches Land, und die Straße führte geradewegs nach Westen. Der Mond war nur der Hauch einer Ahnung im wolkenschweren Himmel, und in der Dunkelheit kamen sie trotz der Pferde nur langsam voran; der matschige Untergrund tat sein Übriges.

Bald hingen sie alle ihren Gedanken nach, mehr oder weniger vor sich hin dösend. Es war ein langer Tag gewesen, und ein weiterer kündigte sich an, da war es wichtig, sich auf dem monotonen Ritt etwas auszuruhen. Ab und an durchdrang der Schrei eines Tieres die Stille, aber ansonsten wirkte das dumpfe Stampfen der Hufe und das leise Plätschern des Regens angenehm beruhigend.

Sie erreichten das Wirtshaus mit Anbruch der Dämmerung. In sicherer Entfernung stiegen die Kettenbrecher ab und schickten Thargad, sich umzusehen. Thargad schlich vorsichtig um das Haus herum. Die Fensterläden des Affen waren geschlossen, hier und da ein Fenster einschlagen, und es roch nach Blut und Alkohol. Die Vordertür war eingeschlagen und hing schief in den Angeln; dahinter erkannte Thargad Tische, mit denen der Eingang verbarrikadiert worden war.

Grölender Gesang machte ihn auf eine Gruppe Banditen aufmerksam, die an einem Tisch im großen Schankraum Platz genommen hatten. Der Raum war ein Schlachtfeld aus Tischen und Stühlen, und die fünf Männer und Frauen schienen ihren Sieg zu feiern. Thargad fiel auf, dass jeder der Banditen ein rotes Tuch am Arm trug, wie ein Erkennungszeichen. Ohne länger zu lauschen, machte sich Thargad auf den Weg zur Hintertür, die in die Küche führte.

Die Rückseite des Glücklichen Affen lag nahe am Waldrand. Thargad schlich da-her durch das Gehölz, bis er an eine Schneise kam, etwa in Höhe der Hintertür. Ihm stockte der Atem. Die Banditen hatten in der Schneise einen Leichenhaufen aufgeschichtet. Thargad sah Holzfäller, Schankfrauen, aber auch ein oder zwei Banditen unter den Toten. Es waren etwa zwei Dutzend, allesamt blutig und verstümmelt.

Bevor er näher heran gehen konnte, traten zwei mannhohe Echsen aus dem Wald, schlanke Körper auf zwei kräftigen Hinterbeinen, mit verkümmerten Vor-derarmen. Diese Dinosaurier waren in der Gegend nicht selten, und der Geruch des Fleisches hatte sie angezogen. Sie begannen auch gleich, zu fressen. Thargda wandte sich ab, und der Tür zu. Vielleicht konnte man wenigstens den Überlebenden noch helfen – wenn es welche gab.

Die Hintertüre war verschlossen. Vorsichtig spähte Thargad durch die Ritzen in den Fensterläden.

»Was sagst du jetzt? Da bleibt dir die Spucke weg, wie?«

Für einen Moment, glaubte Thargad, er sei angesprochen, doch dann sah er, wem die kreischende Stimme gehörte, und für einen Augenblick wünschte er, es doch mit den Dinosauriern aufnehmen zu dürfen.

Die Küche schien zu dem Hauptquartier der Banditen umfunktioniert worden zu sein. An der Wand türmten sich Kunstgegenstände, und säuberlich gestapelte Münzen lagen neben aufnahmebereiten Säcken. Drei oder vier Paviane turnten durch das Zimmer, und mitten in diesem Chaos stand der hässlichste Halbork, den Thargad je gesehen hatte. Er war massig, mit einer schmutzigen Fellrüstung bekleidet, und sein Gesicht war eine Grimasse, eine Mischung aus Paviankopf und orkischen Zügen. Ringe baumelten in den Brustwarzen der Kreatur, Tätowierungen und Narben bedeckten den Körper. In seinem Gürtel steckte ein gewaltiges Krummschwert.

»Damit hast du nicht gerechnet, oder?«, höhnte die Kreatur wieder. Thargad reckte seinen Hals, aber er konnte nicht sehen, mit wem das Ungetüm sprach. Schnell machte er, dass er zurück zu den anderen kam.

»Da lebt noch jemand«, sagte er. »Wir müssen schnell handeln.«

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Dirim hatte einen Stillezauber auf sich gewirkt, und in dessen Schutz standen er, Thargad und Boras vor der Hintertür. Ein paar Schritt entfernt – aber nicht zu nahe an den Dinosauriern – hatte Helion Aufstellung genommen und bereitete sich darauf vor, die Verriegelung magisch zu öffnen. Dirim gab ihm ein Zeichen, dass sie ihre Waffen bereit gemacht hatten.

»Aportis!«

Die Riegel glitten beiseite, und Dirim stieß die Tür auf. Der Affenmensch sah sich überrascht um. Boras stürmte zu ihm und schwang seine Axt. Blitzschnell hatte das Ungetüm sein Krummschwert gezogen und den Hieb abgewehrt, dann verkeilten sich die Waffen. Dirim näherte sich vorsichtig, doch der Affenmensch brachte Boras zwischen sich und den Zwerg. Thargad stach derweil nach einem der Affen, der schreiend zurücksprang.

Der Atem des Affenmenschen stank nach Verwesung und Tod. »Ich werde deine Zunge fressen«, drohte er. Boras begegnete seinem Blick, ohne zurückzuweichen. Die Muskeln beider Kämpfer waren zum Zerreißen ge-spannt, aber immer noch hingen ihre Waffen über ihnen in der Luft. Langsam, zitternd, zwang der Affenmensch Boras’ Griff nach unten. Die Klinge des Krummschwertes näherte sich dem Barbaren.

»Arcanex!« Magische Geschosse explodierten in der Brust eines Affen und warfen ihn um. Thargad erledigte einen zweiten, Dirim war mit dem dritten beschäftigt. Der Krummsäbel berührte Boras’ Wange.

»Ich bin stärker als du«, höhnte der Affenmensch. Zur Antwort nahm Boras den Druck von der Axt und ließ sich von dem Schwung des Schwertes um die eigene Achse drehen. Noch während der Affenmensch seine Lefzen zu einem Grinsen verzog, wirbelte Boras herum und trennte ihm den Kopf von den Schultern.

»Und kleiner«, sagte der Barbar. Er befühlte seine blutende Wange, dann verzog er den Mund zu einem abschätzigen Grinsen. »Anfänger.«

In dem Moment, als der Affenmensch starb, wandte sich der letzte Pavian zur Flucht. Dirim versetzte ihm noch einen Hieb, und bevor der Affe den Wald erreichen konnte, zwang ihn der Bolzen aus Helions Armbrust zu Boden.

Drei Bewaffnete kamen die Treppe in den ersten Stock herunter. Ihr Blick fiel auf die Kettenbrecher, und sie verharrten. Dann sahen sie die Leiche ihres Anführers.

»Masks schwarze Seele!«, entfuhr es dem Ersten.

»Aurils kalte Klaue!«, flüsterte die Zweite, bleich geworden.

»Scheiße!«, rief die Dritte.

Dann flohen sie.


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Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: -=Loki=- am 29. März 2005, 23:50:38
 Netter Schlag Boras!
Wie immer spannend :)
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 29. März 2005, 23:57:55
 Kritischer Treffer, 1w12+13 x 3 (Axt).
Gewürfelt 10, 10, 9.

Da ging er hin, der Zungenfresser. :D

Die nächsten Updates sind schon in der Entstehung. Es gibt Drama, Trauer, Zorn und... überrumpelte Wachen.

Hoffe ich ;)
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Kylearan am 30. März 2005, 10:57:47
 68 frickin' points...
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 31. März 2005, 21:43:01
 Überlebende
Boras und Thargad folgten den Banditen unter lauten Alamrufen in den ersten Stock. Der Barbar holte auf, während Thargad zurück blieb und begann, mögliche Flucht- und Zugangswege zu blockieren.

»Flieht!«, rief eine der Frauen und verlangsamte ihren Schritt. »Ich halte ihn auf.« Sie hob ihr Schwert abwehrbereit.

Boras fegte ihre Waffe beiseite, dann schlug er ihr in erst den Magen, dann ins Gesicht. Benommen ging sie zu Boden. Er sah den Flüchtenden hinterher, doch diese waren inzwischen zu weit entfernt, als dass er sich alleine vorwagen wollte. Er zerrte die Frau in die Höhe.

»Geh voraus!«

-

Inzwischen bewachte Dirim die Türen, die vom Erdgeschoss in die Küche führten, und Helion sah sich um. Dabei machte er einen grausigen Fund. Der Affenmensch hatte sich nicht mit einem Gefangenen unterhalten, sondern hatte den abgetrennten Kopf eines Mannes verhöhnt, dem zudem die Zunge fehlte.

»Ich hoffe, das ist nicht Sarcem«, sagte Helion.

»Fragen wir doch nach«, sagte Thargad, der mit Boras und seiner Gefangenen herunter kam.

»Isch ergebe misch«, lallte die Frau. Boras stieß sie zu Boden.

»Was wolltet ihr hier?«, fragte Dirim.

»Wir wollten nurn bischen Spaß. Nbischen Randale, und das wars.«

»Spaß?«, echote Dirim. »Ihr habt Menschen abgeschlachtet und nennt das Spaß?«

Die Frau zuckte mit den Schultern. »Konntn ja nisch ahnen, dass das son Gemetzel wird. Der Priester wollt nisch aufgebbn.« Sie grinste. »Hättem auch nix genutzt.«

»Ich habe genug gehört. Boras!« Dirim zog sein Langschwert und hielt es aufrecht vor sich. »Im Nahmen Tyrs und der Gerechtigkeit verurteile ich dich zum Tode. Das Urteil wird sofort vollstreckt.«

»Wasch? Aber...« Die Frau wich zurück. Boras hob seine Axt. »Nein. Bitte nisch. Bitte-« Die Axt schnitt ihr Flehen ab.

-

Leise stiegen die Kettenbrecher die Stufen in den Keller hinab. An der Wand standen große Brauereifässer, zerschlagen. Der Boden war von Blut und Bier durchtränkt und in einem Kampf aufgewühlt. Der Geruch, der über der Wirtschaft hing, war hier noch stärker. An einem der Fässer lehnte die kopflose Leiche eines Helmklerikers, die Waffe noch in der blutigen Hand. Aus einem Gang am Ende des Kellers drangen Stimmen. Thargad schlich hinüber und sah eine Handvoll Banditen, die vor einer mit dünnem Eis überzogenen Schicht standen und beratschlagten.

»Ich packe die nicht mehr an«, sagte einer von ihnen gerade. »Meine Finger brennen noch vom letzten Mal.«

Thargad hob seine Hand als Zeichen, wie viele es waren.

»Ich erledige das«, sagte Boras.

-

Sie hatten die Leichen in den Weinkeller geschleppt, der von den Banditen nahezu leer geräumt worden war. Weitere Räume waren ein Vorratsraum für Früchte, die Regale umgestürzt, und eine Kühlkammer. An der Türe hing ein Schild ?Kein Feuer in diesem Raum?, und in der Kammer lag eine umgestürzte Metallkiste, die mit leichtem Frost überzogen war. Eine Untersuchung der letzten Türe hatte ergeben, dass unter der Eisschicht ein bräunliches Moos wucherte, aber keiner der Kettenbrecher konnte sagen, ob es für die Kälte verantwortlich war. Die Türe war außerdem im Rahmen verzogen und klemmte. Thargad hörte ein leises Stöhnen dahinter.

»Dahinter könnte Sarcem liegen«, sagte Helion. »Die Leiche hier vorne kann ein Begleiter sein. Er war bestimmt nicht alleine unterwegs.«

»Vielleicht können wir das Moos abbrennen?«, schlug Thargad vor. Dirim entzündete eine Fackel und hielt sie an das Holz. Augenblicklich wurde es kälter im Gang, und das Moos wuchs die Wände entlang auf die Flamme zu. Schnell trat Dirim in den Keller zurück. Sein Atem kam in Wolken gefrorener Luft.

»Das Zeug mag Feuer.«

»Hat jemand eine Idee?«, fragte Helion.

»Ich könnte Boras vor Kälte schützen, und er macht die Türe platt.«

»Klingt gut«, sagte der Barbar. Dirim presste ihm seine heiliges Symbol auf die Stirn.

»Tyr, erfülle diesen Mann mit der Wärme der Rechtschaffenheit, auf dass ihm die Kälte nichts anhaben möge.«

Boras rammte mit der Schulter gegen die Tür. Sie bog sich unter seiner Kraft, gab aber nicht nach. Der Barbar sah, wie die Haare auf seinem Arm weiß wurden und gefroren, doch er spürte die Kälte kaum. Der Zauber wirkte. Er nahm seine Axt und begann, die Türe einzuschlagen. Als er fertig war, hatten sich leichte Frostbeulen auf seiner Haut gebildet.

Er trat in den Raum. Auch hier war das Gebiet um die Türe herum von Moos und Eis bedeckt. In der Mitte des Raums war ein niedriger Brunnen, dahinter zusammengesunken ein Körper. Boras sah, dass es sich um Shensen Tesseril handelte, die Halbdunkelelfe, die im Glücklichen Affen wohnte. Sie war bewusstlos.
Dirim folgte Boras in den Raum und kümmerte sich um die Elfe.

»Tyrs Gnade komme über dich«, flüsterte er, und ihre Wunden schlossen sich. Sie schlug die Augen auf.

»Hilfe! Hi-«, dann erkannte sie ihn. Ihr Körper entspannte sich, und sie lächelte. »Ihr seid gekommen. Danke.«

-

Die Kettenbrecher saßen mit Shensen in der Küche. Helion hatten ihr und Dirim einen heißen Tee gebracht, den sie dankbar schlürften. Während der Zwerg Shensen so weit aufgepäppelt hatte, dass sie sich durch den vereisten Gang wagen konnten, hatten Boras und Thargad das Wirtshaus durchsucht. Die restlichen Banditen waren geflohen, mit Ausnahme eines Liebespärchens, das in trunkener Lust erst voneinander ließ, als es zu spät war.

»Dann erzählt mal«, sagte Helion. »Was genau ist hier passiert?«

Shensen zog eine Grimasse, als ob selbst die Erinnerung schmerzhaft wäre. »Es begann kurz nach Einbruch der Dunkelheit...«

-

Shensen erhob sich von ihrem Gebet. Wie jeden Abend fühlte sie sich erfrischt, nachdem sie ein wenig meditiert hatte. Sie machte sich auf den Weg in den Schankraum, um einen letzten Humpen zu trinken. Die Nacht war gerade erst angebrochen, aber ihr war nicht nach Gesellschaft. Vielleicht würde sie noch ein wenig durch den Wald gehen?

Ihr Gedankengang wurde von dem Geräusch splitternden Holzes unterbrochen. Shensen beschleunigte ihren Schritt. Im Schankraum brach das Chaos aus, als eine Handvoll Bewaffneter durch die zerbrochene Eingangstüre drängten. Der erste der Eindringlinge ging zu Thoren; der Holzfäller saß regungslos an seinem Tisch, als ihm das Schwert in den Bauch getrieben wurde. Shensen blieb stehen. Ihre Augen schienen ihr einen Streich zu spielen ? wer sollte den Glücklichen Affen angreifen? Und doch war es so. Jetzt erst kam Leben in die Anwesenden. Vera, die Schankmaid, kreischte, und einige Männer packten Knüppel, um sich zur Wehr zu setzen. Die Angreifer waren jedoch ausgebildet, überlegen. Shensen zwang sich aus dem Schockzustand. Ohne ihre Hilfe würden ihre Freunde sterben. Sie hatte geschworen, den Affen und seine Bewohner zu beschützen. Es war Zeit, ihren Eid zu erfüllen. Sie rannte vor und versetzte dem erstbesten Angreifer einen Schlag unters Kinn, dann tauchte sie unter einem Schwerthieb durch und trat dem nächsten zwischen die Beine. Und währenddessen begann sie, das Lied der Glücklichen Affen zu singen, um den Verteidigern Mut zuzusprechen.

»Kehrt zurück in die Nacht, Abschaum!« Der Priester, der heute angekommen war, betrat den Schankraum. Er trug einen Plattenpanzer, ein Streitkolben leuchtete in seiner Hand. »Helm wacht über dieses Haus.«

Für einen Moment wendete sich das Blatt. Angespornt von Shensen Lied und der Macht des Priesters fassten die Verteidiger Mut. Die Schankfrauen griffen zu Stühlen, und die Holzfäller hatten ihre Äxte in der Hand. Sie konnten gewinnen. Dann trat der Affenmann in den Schankraum.

Keuchend kam der letzte Holzfäller die Treppe herunter. Shensen konzentrierte sich und verzog die Tür in ihrem Rahmen. Es würde sie nicht lange aufhalten. Es würde
ihn nicht lange aufhalten. Shensen kannte den Ausdruck, jemanden in der Luft zu zerreißen, aber sie hätte nie geglaubt, dass jemand so etwas tatsächlich vermochte. Und doch hatte der Affenmann ? seine Leute nannten ihn Zungenfresser ? genau das getan. Er hatte den letzten Begleiter des Priesters hochgehoben und... zerrissen. Shensen schauerte. Schon längst hatte sie aufgehört, zu singen.

»Die Tür wird eine Weile halten«, sagte sie laut, um ihre Sorgen zu widerlegen. Es funktionierte nicht. Sie sah sich um. Der Keller war ein großer Raum, zu groß für die Handvoll Überlebenden, sollten ihre Angreifer hereinströmen. Sie waren zu siebt: Drei Holzfäller aus  der Umgebung (Semon, Sasha und Jarl? Shensen erinnerte sich nicht an ihre Namen. Wie konnte sie ihre Namen vergessen?), ein dicker Händler mit einem schlanken Dolch (Biros?), ein Schankmädchen, kaum vierzehn Jahre alt (Cara), der Priester (sie kannte seinen Namen nicht), und schließlich sie selbst. Alle waren irgendwie verwundet.

»Wir werden sterben, wir werden sterben, Waukeen sei gnädig, wir sterben.« Der Händler jammmerte und jammerte. Shensen hätte ihm am liebsten das Maul gestopft, wollte ihm das Maul stopfen, seit er mit Thomek gegen einen Banditen gekämpft hatte, und der Bandit den Wirt tötete anstelle des Händlers. Warum hatte der Bandit nicht Biros angegriffen? Am Ende steckte der Händler in der Sache drin, und selbst die Bauchwunde, die der Priester gerade mit einem Gebet notdürftig verschloss, war nur ein Trick, um sie zu schwächen.

»Oh, ich weiß es, wir sind bald tot! Tot!« Wenn er nur die Klappe halten würde! Unruhig ging Shensen die Kellerräume ab, doch sie konnte seinem Jammern nicht entkommen.

»Habt ihr etwas gefunden?« Der Priester war ihr gefolgt, weg von den anderen. »Warum ist es hier so kalt?«

Shensen deutete auf ein Metalllkästchen. »Das habe ich gefunden ? der Grund für die Kälte. In dem Kästchen bewahrt Thomek... bewahrte er braunes Moos auf. Es entzieht Wärme ? auch Körperwärme. Vielleicht können wir damit einen Schutzwall errichten.«

Der Priester schüttelte den Kopf. »Ich kann uns nicht vor der Kälte schützen. Darüber wollte ich mit euch sprechen. Meine Magie ist erschöpft. Ich kann höchstens noch Nadelstiche heilen.«

»Ich habe noch etwas Kraft übrig«, sagte Shensen.

»Bewahrt sie. Ihr werdet sie brauchen. Hört zu: Diese Kerle suchen etwas. Sie werden nicht aufgeben. Die anderen sind ohnehin totgeweiht ? der Händler hat recht. Und ich werde sie beschützen, solange es geht, sicher stellen, dass ihnen nicht noch mehr Leid geschieht als nötig.«

»Und ich stehe euch zur Seite.«

»Nein. Ihr könnt es schaffen. Wenn es zum Kampf kommt, haltet euch hinten. Lauert auf eine Gelegenheit ? sie wird kommen. Und dann flieht.«

»Aber die Menschen...«

»Sie sind nicht wichtig.« Shensen starrte den Priester an, der seine Wortwahl bemerkte, und seine Stimme weicher werden ließ. »Jedenfalls nicht im Vergleich. Cauldron ist in Gefahr. Wenn die Banditen wirklich gekommen sind, weshalb ich fürchte, dann sind mehr als nur eine Handvoll Menschen in Gefahr. Ihr müsst aufpassen, und berichten, damit man diesen Angriff sühnen kann. Merkt euch: Die Flut wird kommen!«

»Die was?«

Sie wurden von dem Geräusch splitternder Balken unterbrochen. Beide hasteten in den Keller, wo das Gejammer des Händlers zu einem hohen Kreischen geworden war. Wieder krachte es gegen die Tür zur Küche. Sie waren fast durch.

»Helft mir!«, rief der Priester und schlug mit seinem Streitkolben gegen eines der großen Bierfässer. Die anderen folgten seinem Beispiel, und bald ergoss sich Bier über den Kellerboden und verwandelte ihn in einen Sumpf.

»Bleibt hinter mir im Gang. Sie müssen einzeln oder zu zweit kommen.« Der Priester baute sich vor ihnen auf, und er wirkte unverrückbar. Shensen hielt sich im Hintergrund, fast gegen ihren Willen. Fast. Ein Teil von ihr wünschte sich, zu überleben, egal was mit den anderen geschähe.

Ein letztes Splittern, gefolgt von einem verhaltenen Jubelschrei und... Affengekreische? Dann stolperten Stiefel die Treppe herunter. Vier, nein acht, nein, immer mehr Banditen kamen herunter und bezogen Aufstellung. Allen voran Zungenfresser mit seinem Krummschwert. Der Affenmann schwankte lauernd hin und her, und seine Leute schienen der letzten Konfrontation fast schon freudig entgegen zu sehen. Die Verteidiger hatten ihnen anscheinend doch nicht so viele Verluste beigebracht, wie Shensen gehofft hatte. Schließlich hatten fast zwanzig Banditen den Keller betreten, standen knöcheltief im Bierschlamm, und Zungenfresser tänzelte vor ihnen herum. Warum griffen sie nicht an?

Stiefel schritten über das Holzparkett der Küche, langsame und bedächtige Schritte. Die Banditen wurden ruhiger, selbst Zungenfresser schwankte langsamer. Die Schritte näherten sich der Tür, dann kamen sie die Treppe herunter. Shensen reckte den Hals, um besser sehen zu können.

Zuerst waren nur die Stiefel zu sehen, schwarzes Leder bis zu den Knien. Dann nackte Haut, eine Tätowierung in Form von Flammen, und darüber Stahl, schwarzer Stahl. Ein muskulöser Oberkörper, die Rüstung scheinbar auf nackter Haut. Weißer Haut. Eine Frau. Jetzt sah man ihr Gesicht: nicht mehr jung und noch nicht alt, ein kühles Lächeln auf den Lippen. Grüne Augen blitzten unter roten Brauen. Kurze Haare wie Flammen, wie die Tätowierung. Die Schatten tanzten um sie herum, streichelten ihre Haut. Die Banditen machten ihr Platz, und sie trat vor.

»Triel«, die Stimme des Klerikers troff vor Abscheu.

»Sarcem, alter Freund«, entgegnete die Frau nicht weniger unfreundlich. »Es freut mich, dass du dich an mich erinnerst. Du weißt, warum wir hier sind?«

»Was ist aus dir geworden, Triel? Einst warst du eine Beschützerin Cauldrons, und jetzt? Jetzt schlachtest du ein Wirtshaus ab ? wofür?«

»Cauldron? Was hat Cauldron mir gegeben, wie haben sie meinen Schutz gedankt? Sie schicken einen verdammten Fremden her, der die Stadtwache säubern soll, sie reinwaschen von all denen, die in den Jahren der Unsicherheit den Frieden hielten. Scheiß auf Cauldron! Ich schulde der Stadt nichts ? aber Cauldron schuldet mir alles. Ich werde es bluten lassen, und dann werde ich es zahlen lassen!« Triel schnaufte, dann zwang sie sich zur Ruhe. »Du weißt, warum wir hier sind?«, wiederholte sie.

»Die Stäbe«, sagte Sarcem tonlos. Triel lächelte. »Ihr werdet sie nicht bekommen.«

»Doch, das werden wir, alter Mann.«

»Nur über meine Leiche.«

»Deine und die all der anderen.«

»Nein! Nein, bitte. Ich... ich will nicht sterben.« Der Händler drängte sich vor. »Bitte, ich habe Geld. Ich kann euch bezahlen.« Er zwang sich an Sarcem vorbei und lief auf Triel zu.  »Bitte. Lasst mich leben!«

Triel lachte nur. Dann stieß sie den Mann zurück, sodass er stolperte und fiel. Er blieb im Matsch liegen und schluchzte. »Als nächstes bietet uns die Kleine dahinten ihre Unschuld an.« Sie wies auf Cara. »Ihr habt nichts mehr. Es gehört alles uns. Und wenn wir es wollen«, sie sah dem Mädchen in die Augen, »dann nehmen wir es uns.«

Sarcems Angriff kam plötzlich, aber Triel hatte dennoch damit gerechnet. Aus dem Nichts hielt sie einen glänzenden Schild in der Hand, und der Schlag des Priesters wurde abgeschmettert. Dann entstand in ihrer Rechten eine furchtbare Axt, voller Scharten und mit einem dunklen Leuchten.

»Komm nur, alter Mann. Tanzen wir! Ich zeige dir die Macht meines neuen Herren!« Triel schien plötzlich noch einen Atemzug schneller, noch stärker. Als Sarcem ihren Hieb mit seinem Streitkolben blockte, schlugen Funken von den Waffen. Shensen drängte es, vorzustürmen und dem Priester beizustehen, aber sie hielt sich zurück. Vielleicht würde er ja gewinnen?

Für ein paar Augenblicke sah es tatsächlich so aus. Sarcem kämpfte mit der Wildheit eines eingeschlossenen Tieres, und Triel wurde ein ums andere Mal zurück gedrängt. Aber der Boden war schwer, und der Priester war müde von den Kämpfen zuvor. Er hatte keine Zauber mehr. Und er hatte keine Hoffnung. Immer wieder gingen seine Hiebe fehl, und jeder Schlag war weiter als der vorige. Und nach jedem Fehlschlag konterte Triel mit einem eigenen Hieb. Sie kämpfte kühl, überlegen. Sie wusste, sie hatte gewonnen, noch bevor der Kampf begann. Also wartete sie auf das Unvermeidliche.

Sarcem trat in eine Bierpfütze und rutschte weg. Er rang um sein Gleichgewicht. Triel ging vor und schlug seinen Streitkolben mit dem Schild zur Seite, dann stieß sie die Axt in seinen Magen. Sarcem ächzte leise, ging in die Knie. Triel ließ die Axt los und sie verschwand, ebenso wie ihr Schild. Sarcem kniete vor ihr, den Streitkolben fest umklammert. Er sah zu ihr hoch. Sie sah zu ihm herab.

»Na los, alter Mann. Schlag zu. Ich bin unbewaffnet. Heb den Streitkolben und erschlag mich. Heb deinen verdammten Arm!« Sarcem krächzte etwas Unverständliches. Mit enttäuschter Mine wandte Triel sich um und ging die Treppe hoch.

»Zungenfresser«, sagte sie, ohne sich umzusehen, »erledige den Rest.«

Der Affenmann trat vor Sarcem hin. Er steckte seinen Krummsäbel in den Matsch und packte den Priester am Kopf. Dann zog er.

Shensen wandte sich ab und schloss die Augen. Die Schreie ihrer Gefährten drangen ihr ins Ohr. Nein, es waren nicht ihre Gefährten, sie waren Opfer. Opfer, die ihr Überleben sichern sollten. Sie hatte einen schalen Geschmack im Mund. Sie zwang sich, wieder hinzusehen. Biros lag auf  dem Boden und wurde gerade abgestochen. Die Holzfäller hatten Cara hinter sich gezogen und hielten für den Moment stand, aber noch war Zungenfresser nicht zu sehen. Der Weg nach vorne war versperrt. Shensen verfluchte Sarcem. Lauert auf eine Gelegenheit, hatte der Priester gesagt, und jetzt würde sie doch genauso sterben wie die anderen. Es gab kein Durchkommen, und sie konnte sich nicht einfach hinter einer Türe verschanzen... oder konnte sie? Shensen überlegte. Die letzte Türe führte zum Brunnen. Der Raum war recht groß, und der Brunnen würde Schutz bieten vor der Kälte. Es war eine Gelegenheit. Es war die einzige Gelegenheit, die sich ihr bieten würde.

Shensen rannte in den Kühlraum und öffnete das Kästchen. Das Metall war schmerzhaft kalt. Im Inneren war ein Leinensack, mit Frost überzogen. Darin war das Moos. Shensen packte den Sack und rannte hinaus. Als sie aus der Tür kam, sah sie, wie Sasha als letzter der Holzfäller niedergestochen wurde. Cara schrie und hielt ihre Klinge vor sich wie das Mädchen, das sie war. Shensen dachte an Triels Worte. Sie durfte das nicht geschehen lassen. Sie griff Caras Schulter und zerrte sie mit sich den Gang entlang, aber der Gang war zu schmal für die beiden. Sie spürte einen Verfolger, hörte seinen Schlag, sah das Blut auf Caras Brust. Das Mädchen fiel vornüber. Gleichzeitg traf Shensen ein Schlag an der Schulter. Sie hatte zu lange gezögert. Es war zu spät.

Ohne auf ihre innere Stimme zu hören, rannte Shensen durch die Tür. Im Türrahmen warf sie den Leinensack zu Boden. Er landete mit einem dumpfen Klatschen, und sofort waberte braune Faser durch die Luft. Shensens Atem gefror. Verzweifelt warf sie die Tür hinter sich zu. Frostbeulen bildeten sich auf ihrer Haut. Ihre Finger schmerzten, als sie ihren letzten Zauber auf die Tür anwandte, die sich prompt im Rahmen verzog. Mit letzter Kraft taumelte Shensen von der Türe weg, von der Kälte weg, hinter den Brunnen. Dann brach sie zusammen.
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 31. März 2005, 21:57:00
 Triel war auf dem Cover des Dungeon:
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Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 01. April 2005, 19:22:16
 Zwischenspiel: Verrat
Die Tür zur Bibliothek glitt auf, und träge ließ Vlaathu ein Auge zum Eingang wandern.

»Was willst du?«, fragte er.

Jenya neigte den Kopf. »Mein Fürst, ich komme um zu berichten.«

»Jetzt? Sollst du dich nicht um den Stadtherren kümmen, und auf diese Abenteurer aufpassen?«

»Es... kam etwas dazwischen.« Sie erhob sich und sah ihm ins Auge. »Triel hat den Glücklichen Affen angegriffen. Sarcem Delasharn ist tot.«

»Was sagst du da?« Vlaathu ließ das vor ihm schwebende Buch ins Regal schweben und rotierte seinen Körper um die zentrale Achse. »Soll das heißen...«

»Ja«, sagte Jenya. Röte stieg ihr in die Wangen. »Ich bin der neue Hohe Wächter.«

»Ich bin so stolz auf dich«, sagte Vlaathu. Er schwebte zu Jenya herüber. Seine fleischige Zunge rollte aus seinem Mund und reckte sich ihr entgegen.

»Mein Fürst!«, sagte Jenya und erwiderte den Kuss.
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 01. April 2005, 19:27:14
 
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Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: sir_ollibolli am 04. April 2005, 12:50:33
 Bei Dir weiß man das nie so genau...  ;)  
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 10. April 2005, 11:13:34
 Jenya
Die Kettenbrecher packten die Münzen und Kunstgegenstände zusammen und verluden es auf ihre Pferde. Sarcems Leiche – samt Kopf – legten sie auf eine Trage, die von einem der Tiere gezogen wurde.

»Sind wir soweit?«, fragte Boras.

»Noch nicht ganz«, antwortete Dirim. Sein Blick lag auf dem Leichenhaufen, an dem immer noch die beiden Saurier fraßen. »Wir müssen die Leichen verbrennen.«

»Mal sehen, ob ich die Viecher verscheuchen kann.« Helion begann, mystische Gesten zu vollführen. »Incendere!« Der Feuerstrahl ging daneben, und als Antwort fauchten die Tiere bedrohlich.

»Also doch auf meine Art«, sagte Boras und heftete seine Axt.

-

Es war ein kurzer, aber verbissener Kampf. Am Ende hatten sie alle Schrammen davon getragen, aber die Saurier waren bezwungen. Dirim begann, für die Toten zu beten.

Thargad entfernte sich von der Gruppe und ging zurück in den Affen. Er durchstöberte die Küche, bis er eine Flasche billigen Branntwein fand. Mit den Zähnen entkorkte er sie, dann nahm er einen langen Zug. Er seufzte, als sich die Hitze in seinem Magen ausbreitete. Seine Hand begann zu zittern. Noch einen kleinen Schluck, dachte er sich. Nur noch einen kleinen. Die anderen würden nichts merken. Es wäre kein Problem, danach aufzuhören. Aber einen kleinen Schluck...

Thargad biss sich auf die Zunge. Der Schmerz brachte ihn wieder zur Besinnung. Dies war nicht der Ort für ein Besäufnis. Er warf die Flasche weg, kramte er eine Zwiebel aus der Tasche und biss hinein, um den Alkoholgeruch zu überdecken. Der Schnaps breitete eine warme Decke über ihm aus, benebelte den Schrecken, den er hier gesehen hatte. Er ging zurück zu den Anderen.

-

Der Weg nach Cauldron war auch bei Tag mühsam. Der immerwährende Regen hatte die Erde aufgeweicht und die Serpentinen mancherorts gefährlich rutschig werden lassen. Zudem waren die Pferde voll beladen.

Das Stadttor war noch offen, als die Kettenbrecher in Sicht kamen, und gleich hatte sich ihnen ein Wachmann genähert, der einen prüfenden Blick auf die Waren warf. Die Leiche des Priesters quittierte er mit hochgezogenen Brauen und der Auskunft, dass die Besitztümer des Toten nicht verzollt würden.

»Was aber den ganzen Rest betrifft...«, sagte er weitschweifend und meinte damit sowohl Tränke als auch Kunst- und somit Handelsware.

»Holt einfach Jenya«, sagte Helion barsch. »Sie wird wegen des Toten Bescheid wissen wollen.«

Der Wachmann überlegte einen Augenblick, schickte dann aber einen Boten los. »Zurück zum Zoll«, sagte er dann.

»Wir zahlen nix«, beschied Boras.

»Ach nein?«

»Ich bin ein Freund von Terseon Skellerang. Er wird nicht wollen, dass ihr uns aufhaltet.«

»Da kann ja jeder kommen«, lachte die Wache.

»Holt ihn doch«, sagte Boras.

»Seid ihr verrückt? Glaubt ihr, ich will meinen Posten aufs Spiel setzen, weil ich den Hauptmann wegen jemandem wie Euch störe?«

Boras sah der Wache in die Augen. »Lasst nach ihm rufen, oder ihr werdet es bereuen.«

Der Wachmann begann zu lachen, stockte aber, als er dem Blick des Barbaren begegnete. Er schluckte. »Also... also gut. Aber ihr steht mir dafür ein, wenn es Ärger gibt.« Er hieß einen seiner Männer, nach Terseon Skellerang zu schicken.

»Und jetzt?«, fragte Shensen.

»Jetzt warten wir«, antwortete Helion.

»...und sehen, wer zuerst kommt«, ergänzte Dirim.

Terseon Skellerang kam zuerst. Der wuchtige Hauptmann trat durch das Tor und grüßte Boras freundlich, aber verwirrt. Dann sah er die Leiche.

»Donner, Tod und Teufel!«, entfuhr es ihm. Dann wandte er sich an die Wachen. »Seht ihr Idioten nicht, dass das der Hohepriester des Helmtempels war? Lasst die Leute rein, verdammt!«

»Aber... der Zoll...«, stammelte der Torwächter.

»Kein Zoll!«, brüllte Terseon. Er deutete den Kettenbrechern, ihm zu folgen, und ging durch das Tor in Richtung Helmtempel. Als sie außer Hörweite der Wachen waren, fügte er hinzu: »Dieses eine Mal.«

Jenya kam ihnen auf halbem Weg entgegen. Ihr Blick wanderte die Reihen ab, doch sie sah Sarcems Gesicht nicht unter den Ankömmlingen. Dafür sah sie die Bahre. Sie ging schnell, ohne zu eilen, um die Pferde herum und blieb stehen, als sie Sarcem erkannte. Ihre Mine entgleiste für einen Moment, sie erbleichte, dann hatte sie sich gefangen.

»Er ist also tot. Gehen wir zum Tempel.«

Die Kettenbrecher saßen mit Terseon Skellerang und Jenya, der neuen Hohepriesterin, in einem großen Raum und hörten Shensen zu, die ihre Geschichte erneut erzählte.

»Kennt jemand diese Frau?«, fragte Helion, als sie geendet hatte. Jenya verneinte. Helion wandte sich an Terseon: »Was ist mit euch?«

»Es könnte sein, dass ich sie kenne. Aber das ist kaum wahrscheinlich – das letzte Mal sah ich sie vor drei Jahren. Ich nahm an, sie sei aus der Stadt geflohen.« Er schüttelte entschieden den Kopf, wie um sich selbst zu überzeugen. »Nein. Sie kann es nicht sein.«

»Und wenn doch?«, fragte Dirim. »Können wir uns erlauben, dieser Spur nicht zu folgen? Erzählt uns von ihr.«

»Ich denke nicht, dass es euch helfen wird, aber bitte.« Terseon erzählte von Triel Eldurast, wie er der korrupten Wachfrau eine Falle gestellt hatte und sie in Feuer und Blut entkommen war.

»Trotzdem glaube ich nicht, dass sie zurück gekommen ist. Warum sollte sie? Hier droht ihr der Tod, anderswo kennt man sie nicht einmal.«

»Vielleicht war sie nie weg?«, fragte Helion, der den Grund für Terseons Unmut erkannt zu haben glaubte.

»Denkt ihr, ich hätte sie drei Jahre lang übersehen?«, warf Terseon zurück. »Haltet ihr mich für unfähig?« Er stand auf. »Ich habe genug für heute. Wenn ihr mich braucht – ich bin in der Kaserne. Guten Abend.«

»Ich gehe wohl auch besser«, sagte Shensen.

»Ich muss auch noch etwas erledigen«, stimmte Thargad mit ein. Gemeinsam verließen die beiden den Tempel.

»Ich denke, wir haben den selben Weg«, sagte Thargad, als sie im Regen standen.

»Das glaube ich kaum«, erwiderte Shensen.

«Oh, aber es ist so.«

»Wie gesagt: Ich glaube nicht.« Mit einem freundlichen Lächeln ging Shensen in die Nacht hinaus. Ein paar Minuten später sah Thargad sie in Meerthan Eliothlorns Zimmer wieder. Er war schneller als sie, und Shensen war ob seiner Anwesenheit sichtlich überrascht.

»Sagte ich es nicht?«, lächelte Thargad. Gemeinsam berieten sie mit dem Anführer der Silberstreiter, aber Meerthan hatte noch nie zuvor von Triel gehört.

Die anderen Kettenbrecher waren im Tempel zurück geblieben.

»Und nun?«, fragte Dirim. »Könnt ihr Triel finden?«

»Ich weiß nicht«, sagte Jenya. »Sarcems Leiche ist zu stark verstümmelt, um sie wiederzubeleben oder sie auszufragen. Ich werde den Stern der Gerechtigkeit benutzen, um Helm um Auskunft zu bitten. Außerdem kann ich einen Zauber erbitten, der die Stäbe womöglich aufspüren kann. Ich würde sagen, wir treffen uns in zwei Stunden wieder.«

»Abgemacht«, sagte Helion. »Bis dahin werden wir uns frischmachen.«

»Wieso?«, fragte Boras im Hinausgehen. »Der Regen wäscht uns doch.«

-

Jenya ging in ihr Zimmer – ihr altes Zimmer. Sie musste überlegen, ob sie in Sarcems Gemächer umziehen wollte. Eigentlich wollte sie nicht. Aber erwartete man es von ihr? Sie goss sich einen Becher Wein ein. Es klopfte, und Ruphus Laro erschien an der Tür.

»Beschützerin – verzeiht – Hohe Wächterin, ich bringe Euch den Stern der Gerechtigkeit.« Er legte den Morgenstern auf ihren Schreibtisch. Jenya nahm ihn in die Hand. Er war schwer, unhandlich, ein Symbol mehr denn eine wirkliche Waffe. Sie legte den Morgenstern mit einem dumpfen Klatschen zurück auf den Tisch. Sie musste einen Brief schreiben, um dem Helmtempel in Saradusch von Sarcems Tod und ihrer Beförderung zu berichten. Jenya setzte sich an den Tisch und nahm Tinte, Feder und Papier hervor.

Sarcem war tot. Sie durfte nicht darüber nachdenken. Sie spürte, wie der Verlust an ihrem Herzen zehrte, eine große Welle drohte, sie wegzuschwemmen. Jenya zwang sich, das Gefühl zu ignorieren. Sie hatte eine Mauer um ihr Herz errichtet, die kein Schmerz durchdringen würde. Seit damals, als ihre Eltern... es hatte keinen Sinn, daran zu denken, was geschehen war. Jenya setzte die Feder an und begann zu schreiben. Ihre Eltern waren bei einem Überfall ums Leben gekommen, und als die Banditen lachend versuchten, die damals sechsjährige Jenya aus ihrem Versteck zu zerren, wurde sie von einem Helmiten gerettet. Von Sarcem Delasharn. Sie sah ihn vor sich, wie er zwischen den umgestürzten Karren hervortrat. Wie er sich zu ihr herunter beugte und ihr durch das Haar strich, durch die grauen Strähnen, die sie seit jenem Tag hatte.

Eine Träne tropfte auf das Pergament. Jenya zog schniefend die Nase hoch. Sie musste sich zusammenreißen! Sie konnte sich nicht erlauben, zu trauern. Sie war die Hohe Wächterin! Der Tempel, die Stadt brauchten sie. Die Verwantwortung... Plötzlich spürte sie die Last ihrer Verwantwortung, und sogleich brandete der Verlust wieder auf. Wenn nur Sarcem hier wäre! Ihre Trauer und Verzweiflung umtosten die Mauer um ihr Herz, rissen sie nieder, spülten über sie hinweg als wäre sie nicht da, brachen alle Dämme. Jenya heulte, Tränen und Rotz tropften auf das vergessene Papier, kraftlose Schreie entrangen sich ihrer Kehle. Die Trauerwelle schwappte über ihr Herz, entfaltete einen gewaltigen Sog, riss an ihrer Seele. Jenya überließ sich der Strömung, trieb durch die Wellen. Ihre Kehle war geschwollen, ihre Brust schmerzte, und sie hieb auf den Tisch. Es war egal. Alles war egal. Sie wollte weg, wollte trauern, wollte das nicht: all die Verwantwortung, all die Pflichten. Sarcem war fort! Sie schrie es hinaus.

»Sarcem! Sarcem!«

Jenya ging zu Boden, überwältig von ihren Gefühlen. Immer noch umspülte sie Trauer, immer noch zerrte Verzweiflung an ihr. Sie spürte, sie könnte sich gehen lassen. Sich aufgeben. Nie mehr zuürckkehren. Sie trieb auf ein schwarzes Loch zu. Sie würde ertrinken. Warum nicht?

Sie prallte gegen eine Mauer. Nein, das Wasser prallte gegen eine Mauer, drang nicht mehr bis zu ihr durch. Der Sog ließ nach, der Schwall versiegte. Zwischen Jenya und dem schwarzen Loch ragte ein rieser Panzerhandschuh empor. In der Handfläche öffnete sich ein Auge und sah Jenya an; es blickte ernst, aber nicht streng.

»Verzweifle nicht, meine Tochter, sondern wisse, dass ich über dich wache, so wie du über die Deinen. Denn du bist mein.«

Jenya erhob sich. Ihre Glieder zitterten immer noch. Sie atmete tief durch. Sie sah den Morgenstern auf dem Tisch, packte ihn. Der Griff schien heiß, und die Wärme strahlte durch ihren Körper, verbrannte die letzten Reste ihrer Verzweiflung zu Dampf. Der Morgenstern war gar nicht so schwer, wie sie gedacht hatte. Man konnte sich an sein Gewicht gewöhnen. Er fühlte sich gut an. Er fühlte sich richtig an.

Jenya setzte sich wieder an den Tisch und nahm ein neues Blatt Papier hervor. Sie musste einen Brief schreiben.
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Gecko am 10. April 2005, 12:53:14
 Ganz großes Kino Berandor. Ich muss schon sagen, deine SH liest sich wie ein gutes Buch.
Wie kommst du auf diese ganzen Zwischenspiele? Zum Beispiel wie Jenya den Brief schreibt. Überlegst du dir sowas, oder kommt dir das einfach so in den Sinn? Würde ja mal gerne bei eurer Runde zuschauen.
Nur weiter so und spielt so oft es geht  :)

Hab erst jetzt entdeckt das "The Second Coming" von dir ist. Hat mir auch sehr gut gefallen.

Grüße
Gecko
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 10. April 2005, 18:06:26
 Erst mal danke. Das gibt wieder einen Motivationsschub für die nächsten Episoden :)

Die Zwischenspiele erfüllen mehrere Zwecke. Zunächst einmal kann ich damit den Spielern ein wenig der Infos mitgeben, die man ansonsten kaum erfährt. Damit hoffe ich, dass der Adventure Path etwas umfassender erlebt wird, bzw, etwas lebendiger erscheint. Außerdem muss ich bei der Beschreibung der SC acht geben, dass ich den Spielern nicht reinrede, wie ihr Charakter zu etwas steht. Die Zwischenspiele ermöglichen mir also, die Gedanken und Gefühle eines NSC zu beleuchten, um wiederum der Gesamtstory Leben einzuhauchen (und meine literarischen Muskeln zu strecken).

Wir spielen am 24. wieder, und vorher gibt es noch ein weiteres Update (das schon fast fertig ist).
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 12. April 2005, 19:23:32
 Der Unterschlupf
Zwei Stunden später traf man sich im Helmtempel wieder. Die Kettenbrecher hatten sich gewaschen und gestärkt. Ihre Vermieterin, Minuta, hatte Ihnen empfohlen, umzuziehen, da sich das Ufer des Zentralsees inzwischen innerhalb der umgebauten Scheune befand. Jenya erbot sich, im Notfall die Besitztümer der Nachkommen aufzubewahren.

»Ich habe außerdem etwas über die Stäbe herausfinden können«, kam sie  dann zur Sache. »Sie befinden sich irgendwo nördlich von hier, etwa zweihundert Meter unterhalb der Stadt.«

»Unterhalb der Malachitfeste?«, fragte Dirim.

»Nein, weiter nördlich. Ich habe mich außerdem an die Götter gewandt, wer hinter dem Ganzen steckt. Ihre Antwort lautete, dass ich für die Lösung hinter Feuer und Wasser verborgen wäre.«

»Das würde zu Triel passen«, sagte Helion. »Aber wahrscheinlich sperrt sich Terseon immer noch.«

»Sonst noch was?«, fragte Boras.

»Nein«, antwortete Jenya.

»Nun gut«, gab Helion zurück. »Dann erzählt  jetzt noch einmal, warum die Stäbe so wichtig sind.«

»Sarcem hatte eine Vorahnung. Er befürchtete – und war sich seiner Sache sehr gewiss –, dass in diesem Jahr der Regen nicht rechtzeitig stoppen würde. Über zehn Jahre lang gab es keine wirklichen Fluten mehr in Cauldron. Aber wenn es weiter regnet, werden versteckte Hohlräume und unterirdische Seen überlaufen, und dann wird der Kratersee schneller ansteigen, als man glauben könnte. Deshalb hat er die Stäbe der Wasserkontrolle erstanden – acht Stück. Damit könnten wir den Fluten Herr werden.«

»Warum befürchtet nur ihr diese Gefahr?«

»Zum Teil liegt das sicher daran, dass unser Glaube uns zu größter Wachsamkeit erzieht. Aber das Flutfest ist sicherlich mit daran schuld. Es ist längst nur noch symbolisch, und die Kirchen nutzen es auch, um ihre Anhängerschaft zu vergrößern. Niemand hält eine Flut mehr für möglich.«

»Seid ihr denn nicht zu den anderen Kirchen gegangen?«

»Doch, sind wir. Aber es liegt ebenfalls in der Natur unseres Glaubens, dass man uns für übervorsichtig hält. Die meisten Menschen – und anderen Lebewesen – glauben erst dann an eine Katastrophe, wenn sie passiert ist. Und dann, wenn sich kaum jemand auf die Flut eingestellt hat, und wir vielleicht nur drei oder vier Priester haben, die von alleine das Wasser beherrschen können, ist es wahrscheinlich zu spät.«

»Ganz davon ab, dass Triel mit den Stäben den Wasserpegel noch stärker anheben könnte«, fügte Thargad hinzu.

»Soweit wird es nicht kommen«, sagte Dirim. »Wir werden es verhindern.«

-

Früh am nächsten Morgen begannen die Kettenbrecher mit den Nachforschungen. Thargad erkundigte sich bei Meerthan, ob dieser eine Ahnung hätte, wo Triels Unterschlupf sein könnte. Aber der Elf war ratlos.

»Der einzige Lavatunnel, den ich kenne, war der, in dem eure Eltern verschwanden«, sagte er. »Aber der ist verschüttet – ich habe mich bei meine Ankunft vor einigen Wochen selbst davon überzeugt.«

Helion wandte sich an Vortimax Weer. Die Kobolde, die von den Sturmklingen ausgeräuchert worden waren, hatten schließlich in einer Höhle gehaust. Vielleicht kannte er ihren Standort. Widerwillig und nur mit ein paar Schmeicheleien beschrieb Weer den Weg zur Höhle, fügte aber hinzu, dass die Sturmklingen von keinem weiteren Ausgang berichtet hatten. Und ein Söldnertrupp wäre ihnen bestimmt aufgefallen. Dann begann er, die Phiolen in seinen Regalen zu zählen. Helion verstand den Hinweis, und ging.

Dirim versuchte, Pellir ausfindig zu machen. Seit dem Kampf um die Malachitfeste war der kleine Junge nicht mehr aufgetaucht. Nach einigen Erkundigungen hatte Dirim herausgefunden, in welchem Gebäude sich die Straßenkinder aufzuhalten pflegten. Aber bei seinem Klopfen hörte er nur Stille in dem Haus. Es war die Art Stille, die nur von Personen ausging, die besonders leise sein wollten. Einer Eingebung folgend ging Dirim, um frisches Brot zu kaufen, und solcherart bewaffnet lockte er die Straßenkinder aus ihrem Versteck.

»Habt ihr Pellir gesehen?«

Einer der Jungen, scheinbar der Anführer, trat vor und reckte das Kinn. »Du bist der Zwerg, oder? Der mit der komischen Bezahlung.«

»Ich wollte nicht...«, Dirim seufzte. »Ja, der bin ich.«

Der Junge entspannte sich etwas. »Du bist in Ordnung, hat Pellir gesagt. Aber wir ham ihn nich mehr gesehen, seit er für dich Eingänge in den Untergrund suchen sollte.«

»Wisst ihr denn, wo er gewucht hat?«

»Als Letztes hat er gesagt, wollte er vor dem Tor suchen. Er ist mit  Tamara losgegangen, und nich wiedergekommen. Tamara auch nich.«

»Vor dem Nordtor?« Der Junge zuckte mit den Achseln.

»Trotzdem danke.«

-

Das Nordtor (genannt Dschungelschleuse)war wie das Südtor ganztags geöffnet. Hier kamen die Händler aus dem Dampfsee, aus Chult und noch exotischeren Orten an, und derart war auch das Gebiet vor dem Tor ein Schauplatz fremdartiger Waren. Hier wurden calishitische Pfannkuchen angeboten, und ein Zwerg bot gemeinsam mit einem Halbork gewöhnungsbedürftige Alkoholika feil.

Die Kettenbrecher hatten ihre magische Ausrüstung bei Jenya hinterlegt, um den Torzoll möglichst gering zu halten. Dieser Ausflug sollte ja nur der Erkundung dienen. Vor dem Tor führte Dirim den selben Ortungszauber aus, der Jenya auf die Spur der Stäbe gebracht hatte.

»Ich spüre sie...  gerade so eben. Sie  sind genau unter uns, am Rande meiner Wahrnehmung. Sehr tief.«

»Das hilft uns natürlich überhaupt nicht«, sagte Thargad. »Der Weg nach unten lässt sich so nicht herausfinden.«

Dennoch nahmen sie sich ein paar Stunden Zeit, um die nähere Umgebung nach einem Pfad abzusuchen, erfolglos. Gegen Mittag kehrten sie in die Stadt zurück.

-

»Wen haben wir denn da?« Die Sturmklingen waren aus einer Seitengasse getreten. Annah Taskerhill hatte die süffisante Frage gestellt. »Der Helden der Stadt!«, fügte sie in gespielter Ehrfurcht hinzu.

»Das „Kompliment“ kann ich nur zurück geben«, sagte Helion ebenso überzeugend.

»Wir tun unser Bestes.«

»Das ist zwar mehr als andere Adelige, aber immer noch nicht viel.«

Corah Lathenmire hatte ihre lange Klinge schon halb gezogen, als sie Annahs scharfer Ruf zurückpfiff. Sie verharrte leicht nach vorne gebeugt, bereit zum Angriff.

»Entschuldigt Corahs Unmut«, lächelte Annah. »Sie hat euren Freund sicher mit einem Ork verwechselt.« Jetzt war es an Helion und Dirim, Boras zu beruhigen.

»Wollt ihr irgendwas Bestimmtes?«, fragte Thargad gelangweilt. »Oder seid ihr nur auf einen Plausch vorbeigekommen?«

»Ach, wir untersuchen nur eine mögliche Bedrohung. Und ihr?«

»Wir untersuchen etwas«, sagte Helion. Er wollte sich von den Sturmklingen nicht den Ruhm ablaufen lassen. Für einen Moment standen sich die beiden Gruppen gegenüber, und niemand sagte etwas. Annah schürzte die Lippen.

»Nun denn. Guten Tag.«

Die Sturmklingen drängten sich an den Kettenbrechern vorbei und verschwanden in Richtung Stadthaus. Keiner von ihnen bemerkte, dass Thargad sich ihnen unauffällig angeschlossen hatte.

-

Thargads Stimmung sank auf einen weiteren Tiefpunkt herab, als er durch die matschigen Straßen huschte. Zweimal wäre er beinahe einem Bürger in die Arme gelaufen, der sich sicher lauthals über den Rempler beschwert hätte. Dann wäre seine Anwesenheit offenbar geworden. Er wäre gerne etwas sorgfältiger vorgegangen, aber leider hatte er nicht so viel Zeit, wenn er den Sturmklingen auf den Fersen bleiben wollte. Zum Glück war der stetige Regen ein Schleier vor den Augen jener, die ihn entdecken könnten.

Und so schlüpfte er aus einer Seitengasse, hinter einen Obststand, und in eine Häusernische, darauf bedacht, den Abstand weder zu groß noch zu klein werden zu lassen. Zu seinem Glück ließen sich die Sturmklingen Zeit. Sie hielten hier und da an, unterhielten sich mit den Leuten, und kauften Kleinigkeiten von fahrenden Händlern. Thargad wurde klar, dass die Sturmklingen beim Volk durchaus beliebt waren. Man konnte sie also nicht einfach umbringen und hoffen, dass die einfachen Leute Stillschweigen bewahrten.

Thargad hatte das Ziel der Sturmklingen früh geahnt, und tatsächlich marschierten sie schnurstracks auf das Stadthaus zu, und gingen selbstbewusst hinein. Thargad suchte sich einen Platz, in dem er sowohl vor neugierigen Blicken als auch Regen geschützt war. Dann wartete er.

Etwa eine Stunde später kamen die Sturmklingen wieder heraus. Thargad konnte auf den ersten Blick keine Veränderung an ihnen erkennen. Der Regen erschwerte nun auch ihm die Sicht. Er wagte sich vorsichtig  näher heran. Die Sturmklingen sahen zufrieden aus. Vor allem Todd und Annah trugen fast schon ein überlegenes Grinsen zur Schau. Was immer sie im Stadthaus gewollt hatten, war eindeutig erfolgreich gewesen. Während Thargad nach dem Grund ihres Besuches forschte, trat er aus den Schatten. In diesem Augenblick sah Annah sich um. Ihre Augen weiteten sich für einen Moment, dann fing sie sich wieder. Obwohl die Sturmklingen weiter gingen, als wäre nichts gewesen, wusste Thargad, dass sie ihn gesehen hatte. Ihnen weiter zu folgen hatte jetzt keinen Sinn. Sie würden ihn zum Narren halten oder sogar in eine Falle locken. Er machte sich auf den Weg zurück in den Helmtempel.

-

Dirim las den Brief noch einmal.

»An die Kettenbrecher: Ich habe Informationen über Triel Eldurast. Trefft euch mit mir am Hintereingang des Schlüpfrigen Aals. Bringt 500 Königinnen mit. Kommt allein.«

»Kommt allein?«, fragte Helion. »Was soll das heißen? Nur einer von uns?«

Dirim kratzte sich am Bart. »Der Brief ist an uns alle gerichtet. Allein bedeutet also nur, dass wir keine Wachen mitbringen sollen.«

»Das ist eine Falle«, sagte Thargad.

»Und wenn nicht?«, fragte Helion.

»Und wenn?«, gab der Schurke zurück.

»Dann habt ihr mich dabei«, sagte Boras.

-

Der Hinter- oder Kücheneingang des Schlüpfrigen Aals bildete mit dem Rücken zweier anderer Häuser eine enge Sackgasse, die bei Nacht und Regen nahezu völlige Ungestörtheit versprach. Weshalb die Kettenbrecher aus erst Mal ein Liebespärchen verscheuchen mussten. Helion, Dirim und Boras warteten unten auf den geheimnisvollen Kontaktmann, während Thargad das Dach der Kneipe erklommen hatte. Gesang und Stimmengewirr drangen dumpf aus dem Aal in die Nacht.

Trotzdem hörte Thargad ein leises Geräusch, oder vielmehr das Fehlen eines Geräusches. Das Plätschern des Regens auf dem Dach war leiser geworden. Seine Instikte verrieten dem Schurken, dass eine weitere Person auf dem Dach war  und den Regen aufhielt. An der Spannung in der Luft merkte er, dass die Person ihn ebenfalls bemerkt hatte.

Er sah sich um. Sie hatte kurze schwarze Strubbelhaare und ein schwarzweiß bemaltes Gesicht. Nachtschwarzes Leder umhüllte einen athletisch-weiblichen Körper. Das Funkeln ihrer Augen sah man selbst durch den Regen hindurch. Ihre rechte Hand schob sich zu einem der Wurfdolche, die sie am Gürtel trug.

»Ich hatte doch gesagt, ihr sollt alleine kommen!«, zischte sie.

»Sind wir doch.«

Sie zögerte einen Moment, dann verdrehte sie die Augen. »So kann man es auch sehen, nehme ich an.«

»Kenne ich euch?«, fragte Thargad unvermittelt. Wieder blitzte es in ihren Augen auf.

»Der Überfall auf den Priester. Ich war auf dem Dach. Mein Name ist übrigens Jil.«

Thargad war für einen Atemzug versucht, sich wie bei einer Vorstelllung gebührend zu verbeugen, so skurril erschien ihm die Situation. Aber das Gefühl ließ rasch nach. »Habt ihr die Informationen?«

»Habt ihr das Gold?«

Der Sack wurde hochgereicht, und Jil hielt ihn prüfend in den Hand. »Scheint zu stimmen. Also gut: Triel hat einige unserer Leute angeworben; eine ganze Menge sogar. Sie haust in einer verlassenen Ruine unterhalb der Stadt.«

»Wie kommen wir dahin?«

»Geht durch das Nordtor, dann an der ersten Biegung nach Westen. Geht etwa fünfhundert Meter, dann kommt ihr an ein Plateau. Da geht’s rein.«

»Und dann?«

Jil hob die Arme in einer Mixtur aus Unwissenheit und Unschuld. »Ich war noch nicht da.«

»Warum helft ihr uns?«, fragte Thargad schließlich.

»Nicht für das Gold, soviel ist klar«, antwortete die Schurkin. »Sagen wir, unsere Ziele sind im Augenblick verträglich. Indem ich euch helfe, helfe ich mir selbst.«

»Und wenn sich die Situation ändert? Wenn wir euch nicht mehr helfen können?«

Jil sah Thargad in die Augen. Ihr Blick verriet Kälte, schlecht verheilte Narben, und einen unstillbaren Hunger, der mit ihrem Geist um die Herrschaft ihres Körpers rang.

»So oder so«, sagte sie schließlich, »werde ich euch finden.« Sie verschwand im Regen.

-

Die Kettenbrecher erzählten Jenya von ihrer Spur und ließen ihre Schmuckstücke wieder bei der Priesterin. Kaum war die Sonne hinter dem Wolkenschleier erkennbar, zogen sie wieder zur Dschungelschleuse hinaus. Da sie vermuteten, dass die Sturmklingen ihnen zuvorkommen wollten, zählte jede Stunde.

»Der frühe Held erntet den Ruhm«, hatte Dirim gesagt. Und er hatte Recht – wie es sich für einen Tyrpriester gebührte.

Sie folgten Jils Wegbeschreibung und gelangten nach einer rutschigen Kletter-partie tatsächlich an einen versteckten Höhleneingang. Vorsichtig sahen sie sich noch ein letztes Mal um. Thargad war er erste, dem der kleine Körper etwa dreißig Meter tiefer auffiel. Es sah aus wie ein Kind, das von dem Plateau vor der Höhle abgestürzt war.

»Boras, hilf mir«, rief Dirim. Er warf dem Barbaren ein Seil zu und kletterte hinab. Boras’ gewaltige Muskeln spannten sich, als er Dirim und die Leiche nach oben brachte.

»Wenn ich es nicht besser wüsste«, sagte Helion angesichts der schenkelgroßen Oberarme, «würde ich sagen, dass du noch stärker geworden bist.«

Die Leiche war tatsächlich die eines Kindes. Der Regen hatte die Kleidung völlig ruiniert, und anhand der Verwesung und des Wurmbefalls schloss Dirim, dass sie schon seit knapp drei Wochen tot war. Trotzdem erkannte er Tamara. Ob die Leiche des kleinen Perrin ebenfalls hier irgendwo lag? Dirims Mine versteinerte; selbst sein Bart schien plötzlich still im Wind zu hängen.

»Sie hat meine Kinder getötet.«

Die anderen sahen sich an. »Deine...«, begann Helion.

»Hallo«, sagte Dirim mit bedeutungsschwangerer Stimme. »Mein Name ist Dirim Gratur. Du hast meine Kinder getötet, und jetzt bist du des Todes!« Er nickte. »Das klingt gut.«

Sie schichteten einen behelfmäßigen Steinhaufen über der Leiche auf, und Dirim sprach ein kurzes Gebet.

»Du warst zu jung, um die Gnade Tyrs erfahren zu haben. Aber noch im Jenseits wirst du seine Gerechtigkeit erleben, und deine Mörderin von seinem Zorn gestraft.« Er sah zu dem niedrigen Tunnel hin, den heiße Lava vor mindestens einer Zwergengeneration geschaffen hatte, und den nun ein Rinnsal Regenwasser hinabfloss. »Gehen wir«, sagte er, und folgte dem Wasser.

-

Der Tunnel war eng und zu niedrig, um aufrecht gehen zu können. Selbst Dirim musste hin und wieder den Kopf einziehen. Dafür wand er sich aber stark genug, dass die Kettenbrecher es riskierten, im Schein der Laterne vorwärts zu gehen. Auch dadurch rutschte niemand auf dem steten Schwall Regenwasser aus, dass denselben Weg wie die Abenteurer nahm.

Nach etwa einer halben Stunde schließlich sahen sie grünliches Schimmern voraus und dimmten das Licht. Kurz darauf traten sie in eine gewaltige Höhle. Von dem Sims, auf dem sie standen, fiel das Regenwasser plätschernd in einen etwa dreißig Schritt tiefer gelegenen See. Weiter als einen Steinwurf entfernt und auf Höhe der Wasseroberfläche ragten Gebäude aus dem Fels. Das Ufer und der Sims waren durch zwei straff gespannte Taue verbunden, von denen ein großer Metallkäfig hing. Der Käfig baumelte eine Hand breit vom Sims entfernt über dem Abrgund – nahe liegende Holzbretter dienten wohl als behelfsmäßige Brücke. Die ganze Höhle wurde von leicht grünlichem Schimmern erhellt, dass seinen Ursprung im Wasser des Sees hatte.

»Und was ist hier drin?«, fragte Helion mit Blick auf das niedrige Gebäude, das aus dem Fels gehauen in den Sims ragte. Eine schwere Steintüre, die anscheinend um die Mittelachse rotierte, verhieß Einlass.

»Finden wirs raus«, sagte Boras und heftete die Axt.

Der erste Raum beherbergte eine Vorrichtung aus Zahnrädern und einer Kurbel, mit der man wohl den Käfig herablassen konnte, und ein kleines Fenster mit einem rot angestrichenen Stein, der in einer Klemme am Fenster steckte.

Durch eine weitere Steintüre gelangte man in einen Wachraum. Typischerweise spielten die beiden Aufpasser gerade Karten, als Boras hereinstürzte und gegen den Stuhl des Einen trat. Der Wachmann flog nach hinten gegen die Wand und sah mit großen Augen zu den Kettenbrechern hin, während die andere Wache gleich aufsprang und die Hände hob.

»Langsam, langsam! Wir ergeben uns!« Er warf die Karten auf den Tisch. Der andere stand langsam auf und sah hin.

»Ich wusste du bluffst! Ich wusste es!«

Der Erste wollte gerade etwas entgegnen, als Boras kurz knurrte. Sofort war die Aufmerksamkeit wieder bei ihm und seiner Axt.

»Also, ihr ergebt euch?«

»Klar. Ihr habt die Oberhand, und wir werden nur bezahlt. Wenn wir zwischen Gold und Leben wählen müssen... na ja.«

»Das wird Triel aber nicht gerne hören«, sagte Helion kopfschüttelnd.

»Wa... Gehört ihr etwa dazu?« Der Wachmann lachte und entspannte sich. »Ihr habt mir vielleicht einen Schrecken eingejagt. Tempus’ Hintern, das habt ihr.«

»Wir sind nicht wirklich beeindruckt, wie ihr eure Arbeit macht.«

»He, das ist ein ruhiger Posten. Hier kommt niemand hin, der hier nix zu suchen hat – ihr gehört ja auch dazu.«

»Jedenfalls weiß ich jetzt, warum Triel Profis haben wollte«, fiel Thargad mit ein. Der Wachmann rollte mit den Augen.

»Was soll das heißen?«, brummte Boras. Sofort hob sein Gegenüber wieder die Arme.

»Nix für ungut, Jungs, aber ihr müsst es uns nicht noch unter die Nase reiben, dass ihr uns überrascht habt.« Er wischte sich mit dem Ärmel seine Nase ab, dann spuckte er auf den Boden. »Also was ist nun, wollt ihr runter oder nicht?«

-

Ruckelnd und zuckelnd bewegte sich der Käfig abwärts, und bei jedem Ruck schwankte er hin und her. Mehr als einmal sah einer der Kettenbrecher zu den Trageseilen, die jedoch zu halten schienen – gerade so. Endlich kamen sie unten an. Der Käfig hielt an einem frei stehenden Gebäude vor den eigentlichen Wohnstätten. Der Wasserspiegel des unterirdischen Sees war durch die Regenfälle gestiegen, und die Kettenbrecher bekamen kalte Füße, als der Boden des Käfigs im Wasser versank. In trockeneren Zeiten endete die Fahrt wahrscheinlich am Ufer, aber jetzt mussten sie waten.

Das Gebäude war nur der Sitz einer weiteren Kurbelanlage – und einer Falle. Ein Regal voller Holzbretter stürte über Dirim ein, der allerdings relativ unversehrt blieb. Thargad machte die Mechanik der Kurbelanlage unbrauchbar. Danach sahen die Nachkommen sich erst einmal um.

Der Kiesstrand endete in der Felswand, die vierzig Schritt in die Höhe ragte. Aus dem Felsen heraus schälten sich die Vorderseiten von Gebäuden, deren glatter Fels auf eigentümliche Art sowohl künstlich als auch natürlich wirkte. Das Wasser war beinahe bis zu den Eingängen in den Gebäudekomplex gestiegen; hier und da ragten Felsen aus dem Nass. Die Kettenbrecher konnten sechs Eingangstüren ausmachen. Ob sie zu getrennten Wohnungen oder einem zusammenhängenden Bauwerk führten, konnte selbst Dirim nicht sagen. Ohne Hinweise wählten sie einfach eine Tür aus und gingen hinein.

Dirim betrat den achteckigen Raum als Erster, und sogleich wurde er Opfer der nächsten Falle. Der Boden brach unter dem Zwerg weg und er stürzte ins Wasser. Noch im Fallen sah er eine schwarze Wolke aus kleinen Gallerten, die auf ihn lauerten. Schon schlug das Wasser über seinem Kopf zusammen, und gleich war die Wolke um ihn herum. Schwarze Egel saugten sich am Körper des Zwerges fest. Gallertklumpen drangen ihm in Ohr und Nase, und einen zerbiss Dirim sogar. Dann warf Boras ein Seil herunter, und Dirim kletterte hoch. Ein paar Augenblicke später pulte er den letzten Gallert aus seinem Bart und zertrat ihn.

»Bah!«

Die Fallgrube hatte einen schmalen Grat gelassen, auf dem die Kettenbrecher den Raum durchquerten. Der Gang dahinter öffnete sich in zwei Wachräume, in denen Soldaten mehr oder minder friedlich schlummerten. Thargad legte lächelnd einen Finger auf den Mund, zog seinen Totschläger, und machte sich ans Werk. Bald schlummerten die Wachen in einem wesentlich tieferen Schlaf, jeder mit einer oder zwei Beulen am Kopf. Ein paar besonders rauh aussehende Gesellen wurden in Fesseln gelegt, und die Türen grob mit ihren Schwertern verbarrikadiert. Dann gingen es weiter.

Ein halbes Dutzend Wachen lehnte auf Stühlen und vertrieb sich die Zeit, als die Kettenbrecher herein kamen. Sofort stürmte der erste los und durch eine weitere Tür, noch bevor die restlichen seinen Rückzug decken konnten. Boras ging mit einem glücklichen Seufzer und erhobener Axt auf den erstbesten Söldner zu, und Dirim und Thargad kümmerten sich ebenfalls um einen. Helion hielt sich zurück, um schwankende Feinde mit gezielten magischen Geschossen zu Boden zu schicken. Bald war nur noch einer übrig, und auch dieser ergriff die Flucht, wurde aber schnell wieder von Boras gestellt. Die Axt sprach ihr Urteil, und dann war Stille.

»Wo ist der Andere hin?«, fragte Boras. Gemeinsam gingen die Vier den Gang entlang, bis sie an ein Zimmer kamen, dessen Boden von Staub bedeckt war.

»Hier ist er nicht lang.«

Auf dem Weg zurück gab es zwei weitere Türen. Die Kettenbrecher entschieden sich für die, welche dem Wachraum näher lag. Sie war versperrt. Thargad rolte sein Werkzeug auf dem Boden aus und kniete sich vor die Tür.

»Ich erledige das.«  
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 12. April 2005, 19:29:47
 So, hier haben wir aufgehört. Weiter geht es am 24.04. Hinter der Türe steht Triel, wie die Spieler schon wissen - wir werden ca. 30 Sekunden in die Vergangenheit reisen (vom Schnittpunkt aus gesehen), da Annas Nachfolger zur Gruppe stößt.

Die Chancen, dass Triel einen umhaut (negative TP), würde ich mit 75 Prozent schätzen. Chance auf einen Toten aber nur ca. 20 Prozent. Na ja, vielleicht hab ich ja Glück. Ansonsten ist das Abenteuer ja noch nicht vorbei  :akuma:

Da wir nach zechis Vorbild die Hausregel von Andy Collins bzgl. Wiederbelebung übernommen haben (Link), wäre ein Tod auch nicht mehr so schlimm. Leider zu spät für Anna.
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Thargad am 12. April 2005, 20:57:31
 
Zitat von: "Berandor"
Der Unterschlupf
»Hallo«, sagte Dirim mit bedeutungsschwangerer Stimme. »Mein Name ist Dirim Gratur. Du hast meine Kinder getötet, und jetzt bist du des Todes!« Er nickte. »Das klingt gut.«

:lol:  

In Zukunft nenne ich Dirim nur noch Inigo.  ;)  
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Sheijtan am 13. April 2005, 07:20:36
 Klingt wieder sehr gut, Berandor.

Immer weiter so... :)  
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: sir_ollibolli am 13. April 2005, 11:59:41
 Ich bin sehr gespannt herauszufinden, was die Sturmklingen im Stadthaus gemacht haben (aber das wird noch ein Weilchen dauern, bis das aufgeklärt ist...)
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 25. April 2005, 11:26:12
 Wir haben gestern gespielt, leider waren nicht alle da. Allerdings hatten wir einen Gastspieler, den aus diesem Forum bekannten Osric.

Die anderen beiden SC wurden ausnahmsweise mitgeführt (machen wir sonst nicht), weshalb die Gruppe mit drei Spielern und fünf SC besetzt war.

Eine kleiner Einblick vorab...
Triel ist im Original ein Fighter 4/Cleric 3; ich habe sie zur Champion of Darkness (Arcana Unearthed) gemacht, weil das einfach hervorragend passte.
Spoiler: Klicke, um den Beitrag zu lesen


Skaven ist eigentlich nur ein Diviner 7 und glaubt an Vecna. Da er laut Hintergrund an Geheimnissen und Mysterien interessiert ist, bot sich als Übersetzung in die Reiche Shar an, und damit natürlich der Shadow Adept aus dem Player's Guide to Faerûn. Dementsprechend habe ich Feats und Zauber angepasst, was Skaven alleine nicht so gefährlich machte, aber mit "Helfern" immer noch sehr bedrohlich.
Spoiler: Klicke, um den Beitrag zu lesen
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Kylearan am 25. April 2005, 13:48:27
 Verflixt, da habe ich ja richtig was verpasst. Aber ich bin voller Hoffnung, dass Thargad, Dirim und Osric (war sehr nett übrigens) sich gut geschlagen haben. Ich habe jedenfalls noch nicht gehört, dass ich mir einen neuen Charakter machen muss. (Wobei, was nicht ist, kann ja noch werden. Und wir haben noch eine oder zwei Wiederbelebungen übrig, dank wohlwollender Meisterwillkür.)

Immerhin habe ich noch den Kampf gegen Triel mitbekommen, und da haben wir recht gut ausgesehen. ;-) Lief gut.

Kylearan, wartet also auf die SH.
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 25. April 2005, 20:10:17
Zitat von: "Kylearan"
Verflixt, da habe ich ja richtig was verpasst. Aber ich bin voller Hoffnung, dass Thargad, Dirim und Osric (war sehr nett übrigens) sich gut geschlagen haben. Ich habe jedenfalls noch nicht gehört, dass ich mir einen neuen Charakter machen muss. (Wobei, was nicht ist, kann ja noch werden. Und wir haben noch eine oder zwei Wiederbelebungen übrig, dank wohlwollender Meisterwillkür.)

Immerhin habe ich noch den Kampf gegen Triel mitbekommen, und da haben wir recht gut ausgesehen. ;-) Lief gut.

Kylearan, wartet also auf die SH.
Nein, Kylearan, DU bist nicht gestorben. Helion war nur auf 1 TP runter und konnte sich dann hinter Alec (Osric) zurückziehen, der Glückspilz!  :akuma:  
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Kylearan am 26. April 2005, 08:28:40
Zitat von: "Berandor"
Nein, Kylearan, DU bist nicht gestorben. Helion war nur auf 1 TP runter und konnte sich dann hinter Alec (Osric) zurückziehen, der Glückspilz!  :akuma:
Na dann geht's ja. Vielleicht sollte ich Helion in "Glücksbär" umtaufen... ;-)

Mal gespannt, wer wieder dran glauben musste. (Langsam bekomme ich ein schlechtes Gewissen.)

Kylearan
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Doombrand am 28. April 2005, 15:41:24
 An dieser Stelle auch noch mal ein Lob von mir! Diese SH ist wirklich, wirklich, wirklich, wirklich gut! ;)  
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 05. Mai 2005, 21:24:20
 So, jetzt geht es endlich weiter.

Aus den Aufzeichnungen von Skaven Umbermead
Heute haben die Käfigschmiede uns die Pläne gebracht. Wie bei den Treffen zuvor haben mich Tarkilar und Triel nicht dabei haben wollen. Aber ich habe natürlich trotzdem alles mit angesehen. Sie müssen wissen, dass meine Augen überall sind. Aber vielleicht wollen sie meine Anwesenheit verborgen halten, falls unsere Auftraggeber nicht ehrlich mit uns sind. Ein schönes Geheimnis wäre das...
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Unser Schiedesklave macht ganze Arbeit, aber mir geht sein weinerliches Getue und seine erschreckend tierhafte Intelligenz dennoch an die Nerven. Dieser Frosch zuckt schon zusammen, wenn ich die Halle nur betrete. Ich werde ihn lehren, meine Anwesenheit zu fürchten... sobald Triel schläft, gehe ich durch den Geheimgang und unterhalte mich mit unseren Quaker.
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Die Spinnen in den Höhlen verhalten sich ungewöhnlich territorial. Ich habe die Türen in den Gang offen gelassen, aber sie sind nicht rausgekommen. Dafür ist Sarea ihnen betrunken ins Netz gegangen. Als ich dazu kam, zappelte sie noch. Die Spinnen haben sie weggeschafft – ist das normal? Ich werde mir noch ein oder zwei überflüssige Helfer suchen und der Sache auf den Grund gehen.
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Erstaunlich! In den Höhlen haust eine Harpunspinne! Natürlich sind die anderen Spinnen von diesem Geschöpf ebenso fasziniert wie ich. Die Harpunspinne hat sich scheinbar ein kleines Reich aus Spinnen und Ettercaps geschaffen. Ich habe ihr Martus und Silas geopfert, und ich denke, wir verstehen uns. Ich nenne sie Gunilla.
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Ich habe Triel nichts von Gunilla erzählt. Als sie fragte, habe ich behauptet, Martus und Silas wären dem Wasseroger zum Opfer gefallen, oder diesem anderen Dämon. Aber sie hat sowieso nicht genau zugehört. Die Schnepfe plant schon wieder ihren Rachefeldzug, und auch wenn ich die Idee der Wasserkontrolle schätze, sieht Triel das Ganze einfach zu verbissen. Vier Jahre mit dem Streben nach Rache zu verbringen, ist – nun ja – typisch weiblich.  Dieser Zug gefällt mir allerdings nicht so sehr wie Triels andere weibliche Charakteristika. Ich höre, sie nimmt fast jede Nacht jemand anderen aus der Wache in ihr Bad. Ich werde mal sehen, ob ich nicht ein Zauberauge in ihre Kammer schleusen kann...
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Shar sei gedankt! Der Käfig ist endlich fertig, und die Abgesandte, die unser Arbeitsfrosch als „dreiäugige Frau“ bezeichnet – erstaunlich scharfsinnig für so einen Dämlack – hat den Käfig und die Pläne abgeholt. Leider hat Triel entschieden, den Frosch erst einmal noch nicht zu Tode zu foltern. Aber in ein paar Tagen wird sie so sehr mit ihrer Rache beschäftigt sein, dass ich ihn Gunilla schenken kann. Ich glaube wirklich, die Harpunspinne hat mich in ihr Herz geschlossen.
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Die alte Wolfsschnauze hat sich die letzten Wochen sehr ruhig verhalten, aber jetzt haben wir wieder etwas von Tarkilar gehört, im wahrsten Wortsinne. Die Kavernen haben gezittert, und irgend etwas muss bei ihm explodiert sein. Ich habe ein Zauberauge reingeschickt, und Tarkilar sah ziemlich tot aus. Leider sind seine Spielzeuge jetzt etwas außer Kontrolle geraten, und außerdem alle Besitztümer, die nicht für seine Experimente verkauft wurden, bei der Explosion zerstört worden, außer seiner Stachelkette. Und wer will so ein hässliches Ding schon? Außerdem ist Gunillas Versteck ohnehin schon gut gefüllt.
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Tarkilar lebt! Oder vielmehr, unlebt! Triel hat gesagt, sie hätte die Möglichkeit, ihn in die Schranken zu weisen, aber ich bin da nicht so sicher. Tag und Nacht hört man irres Gekicher und Streitgespräche aus den Höhlen, und Triel mag ihre Axt noch so sicher führen, ich würde nicht auf sie wetten. Vor allem nicht mit meinem Leben. Trotzdem meint Gunilla, ich sollte die beiden gegeneinander hetzen, und den Überlebenden mit ihrer Hilfe töten. Und als Nachtisch nehmen wir uns dann den Frosch vor. Köstlich!
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HALLO EINDRINGLINGE! KOMMT UND HOLT MICH, WENN IHR ES WAGT, DEM TOD GEGENÜBER ZU TRETEN. KOMMT, UND SEID DES TODES!
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 05. Mai 2005, 23:46:56
 Paladin und Dunkler Streiter
»Halt mal«, sagte Dirim. »Habt ihr etwas gehört?« Spätestens jetzt viel den Kettenbrechern das leise Klirren auf, das sich ihnen näherte.

»Einer«, vermutete Thargad. »Schwer gerüstet.« Die vier Abenteurer machten sich bereit, den Neuankömmling gebührend zu empfangen. Helion trat zurück, Boras trat vor.

»Wohlan, Kettenbrecher!«, rief eine feste Stimme durch den Gang, und wahrscheinlich durch die gesamte Anlage. Um die Ecke kam ein muskelbepackter junger Mann mit feistem Bart und forschem Gang, en Silberkelch deutlich auf  Platte und Schild gebrannt. Alek Tercival, der Paladin. »Jenya schickt mich, euch meinen Schwertarm zu leihen.«

»Ach«, sagte Helion trocken. »Nett von ihr.«

»Habt ihr die Übeltäter schon gestellt?«, erkundigte sich der Paladin.

»Sind gerade dabei«, antwortete Helion, und mit einem ungeduldigen Kopfschütteln fügte er »Apertis!« hinzu. Man hörte, wie ein Riegel innerhalb des Steins bewegt wurde, und dann stieß Thargad die Türe auf.

Sie blickten in ein kleines, aber gemütlich eingerichtetes Zimmer, in deren Ecke eine heiße Quelle sprudelte. Daneben hing eine Hängematte, unter der eine Truhe stand. Aber die Aufmerksamkeit der Helden wurde von Triel Elduras in Anspruch genommen, die gerade von einem Helfer in ihre schwarze Stachelrüstung gesteckt wurde. Triels Mund verzog sich zu einem freudigen Grinsen in Erwartung der Schlacht.

»Das hat aber lange gedauert.«

Boras riss die Axt hoch und sprang vor. Im selben Moment fuhren Zacken aus der Steintür, und selbige fiel zu, den Barbaren zwischen sich und der Wand einquetschend.

»Das hatte ich fast vergessen«, rief Triel fürsorglich. »Vorsicht bei der Türe.« Boras Zähne knirschten und seine Augen traten fast aus den Höhlen, aber er bekam die Türe auch mit Hilfe von Alek und Thargad nicht auf. Währenddessen schlug der Helfer auf den eingeklemmten Barbaren ein, und in Triels Händen erschienen Waffe und Schild. Gleichzeitig legte sich ein Schatten um sie und verhüllte ihre ansehnliche Form.

»Zur Seite«, befahl Dirim. »Kein Stein widersteht der Macht von Tyr.« Der Zwerg griff mit seinen Händen direkt in die Wand neben der Tür und schob den Stein zur Seite. Boras stolperte durch die enge Öffnung, die anderen drängten hinterher. Triel lächelte. Mit einem kurzen Schlachtruf schien sie noch einmal anzuwachsen, dann hieb sie auf den Barbaren ein und verletzte ihn schwer. Ihr Helfer schlug wild in die selbe Richtung, wurde jedoch von Alek mit einem Schlag ins Jenseits befördert.

»Dispensat!« Helion sprach einen seiner mächtigsten Zauber aus, und die magischen Bande um Triel verflüchtigten sich. Sie wurde wieder schwächer, aber ihre Waffen, und auch die Dunkelheit blieben.

»Siehe ins Antlitz des Rechts und erkenne deine Schuld!«, rief Dirim ihr zu. Triel sah auf – und erstarrte. Ihre Augen starrten furchtsam auf ihre Feinde, doch sie war unfähig, auch nur den Finger zu rühren. Thargad stieß mit seinen Klingen zu, Boras revanchierte sich mit seiner Axt, und Alek stach ihr das Schwert durch die Brust. Sterbend sank sie zusammen.

»Ihr mögt mich besiegen«, flüsterte Triel mit letzter Kraft, «aber meine Rache könnt ihr nicht aufhalten.« Ihre Lider flatterten, ihr Kopf sank zur Seite.

»Das wars schon?«, fragte Boras.

»Noch nicht«, gab Dirim zurück und beugte sich neben Triel, um ihre Wunden zu stillen. »So leicht kommt sie nicht davon.«

»Was habt ihr vor?«, fragte Alek.

»Sie ausquetschen«, gab der Zwerg zurück. Wenn wir wissen, wo die Stäbe sind, können wir sie immer noch töten.«

»Nein. Wir sollten sie sogleich richten.«

»Sie kann uns viel sagen.«

»Aber wird sie?«, mischte sich Thargad ein. »Was können wir ihr als Gegenleistung bieten? Warum sollte sie uns etwas erzählen? Da können wir sie gleich töten.«

»Warum bringen wir sie nicht in den Helmtempel?«, fragte Dirim.

»Damit die sie töten?«, gab Thargad zurück.

Dirim grummelte vor sich hin. »Na gut. Boras?« Treu wie der Barbar war, übernahm er die Aufgabe gerne, Tyrs Richtschwert zu sein. Während Boras seine Axt reinigte, konnte Dirim seiner Liste der Vergehen, die mit dem Tod bestraft werden, ein weiteres hinzufügen: Kindesentführung. Zumindest hoffte er, dass er hier unten den kleinen Perrin finden würde.

-

Nachdem man Triels Unterkunft durchsucht hatte, und die wenigen Wertgegenstände unter sich aufgeteilt – Alek hatte Thargads Versuchen zum Trotz auf die Stachelrüstung verzichtet -, machten sich die Helden an die weitere Erkundung der Ruinen. Triel hatte drei der Stäbe bei sich gehabt, also fehlten noch fünf. Zu viele, um das Risiko einzugehen. Die Helden stießen auf leere Zellen und eine ebenso leeren Folterkammer, sowie zwei Zugänge zu anscheinend natürlichen Höhlen, in die sie sich aber zunächst nicht wagten.

Dann öffneten sie die nächste Türe, und im Raum dahinter fuhren Eisenspitzen aus dem Boden heraus. Sie hatten versehentlich eine weitere Falle ausgelöst. Die gegenüberliegende Türe führte wohl zurück zum Höhlensee, und es war ein Glück, dass die Kettenbrecher diesmal von innen den Raum betreten hatten.

»Ist da wer?«, fragte eine Stimme von oben. Etwa auf halber Höhe zur Decke zog sich ein schmaler Absatz rings um den Raum, und hinter der schmalen Brüstung versteckten sich Wachen.

»Nein, kein Problem. Wir wollten nur mal nach dem Rechten sehen.« Thargad hoffte, dass dieser Bluff wirken würde. Stattdessen umrundeten die vier Wachen den Sims, und sahen jetzt direkt auf die Türe und die Kettenbrecher herunter. Dirim versuchte, sich möglichst vor Aleks Schild zu stellen, während Thargad versuchte, Dirims Tyrkluft zu verdecken.

»Ich kenne euch nicht«, sagte ein Wachmann.

»Wir sind neu«, sagte Dirim.

»Ach ja?« Ein gefährliches, aber nicht besonders gewitztes Funkeln trat in die Augen der Wache. »Dann kennt ihr bestimmt das Passwort?«

»Na klar«, sagte Dirim. »Ihr auch?«

Der Wachmann schüttelte den Kopf. »Ihr gehört nicht zu uns«, sagte er. »Jungs!« Die Wachen hoben ihre Bögen und spannten sie. Thargad trat noch einen Schritt in den Gang zurück, und Boras machte die Tür zu.

»Und jetzt?«, fragte Helion.

»Wir kreisen sie ein«, erklärte Alek. »Einer oder zwei gehen außen rum, wir anderen warten hier. Die müssen erst mal vom Sims runter, und dann haben wir sie.

»Ich gehe«, sagte Boras sofort. »Ich bin der Schnellste.« Nachdem keiner widersprach, trabte der Barbar los, um den anderen Eingang zu besetzen. Die restlichen Kettenbrecher (und Paladine) blieben zurück und verschanzten sich.

Boras hastete durch die Gänge, sprang über die Fallgrube und trat gerade aus der Tür heraus, als die vier Wachen den anderen Eingang verließen. Das Wasser war inzwischen knöcheltief gestiegen und spritzte auf, als Boras mit erhobener Axt auf die vier losstürmte. Das sollte doch kein Problem werden...

-

»Boras! Wie siehst du denn aus?«, fragte Dirim geschockt, als der Barbar blutend und keuchend zurückkam.

»Die haben mich schwerer erwischt, als ich dachte.«

»Das sehe ich.« Sofort bat Dirim um Tyrs Hilfe und verschloss die meisten Wunden, aber dennoch konnte er sich ebenso wie Thargad nicht des schlechten Gewissens erwehren, Boras alleine losgeschickt zu haben.

»Weiter?«, fragte Thargad, um Boras nicht auf ähnliche Ideen kommen zu lassen.

-

Die Helden stießen auf eine weitere Falle – Speere flogen aus der Wand und verletzten Thargad leicht – und auf einen leeren Speisesaal. Weitere Gänge gingen davon ab, unter anderem eine große Doppeltür. Nach langem Hin und Her schob man die Türe auf, nur um einen breiten Gang zu enthüllen, der mit versteckten Pfeilscharten aus den Seitenwänden abgesichert war.

»Dann muss es einen Geheimraum geben«, schloss Dirim sofort. »Pfeilscharten haben wir noch keine gesehen.«

Tatsächlich führte ein Geheimgang in eine kleine – und leere - Kammer, von der aus man den Gang mit Pfeilen spicken konnte. Hinter den gegenüber liegenden Pfeilscharten war keine Bewegung zu erkennen.

»Riskieren wirs?«, fragte Dirim in die Runde. »Durch den Gang und die Doppeltüren, oder durch die andere Tür?«

»Wir könnten auch aus den Ruinen raus und den letzten Eingang ausprobieren«, fügte Thargad hinzu.

Keinem der Anwesenden waren Gang und Doppeltür geheuer. Da hörte sich Thargads Idee ganz vernünftig an. Helion nickte als erster.

»Tun wirs.«
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 07. Mai 2005, 23:37:21
 Wenn euch der Kampf etwas kurz vorkommt - mir auch! Aber es war halt schnell vorbei, ich glaube in drei Runden oder so. Triel ist wirklich ohne viel Federlesens von uns gegangen...

Für den nächsten Teil habe ich mir etwas Besonderes ausgedacht...

Kann man die Schrift hier zentrieren?
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Zechi am 08. Mai 2005, 14:59:33
 Hast du eigentlich die Türfalle modifiziert? Die fand ich nämlich eigentlich kaum schaffbar für die SC von den Werten her :)

Gruß Zechi
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 08. Mai 2005, 15:11:45
 Nein, habe ich nicht. Und  du hast natürlich recht - von den Schwierigkeitsgraden her was das extrem schwer. Ich habe halt damit gerechnet, dass Thargad dann die Falle entschärfen müsste - Dirim hat einen einfacheren Weg gefunden :)

Aber da die Gruppe vorher kaum Kämpfe hatte (haben ja keinen Alarm ausgelöst), hatte ich keine Angst wegen der Herausforderung.
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Zechi am 08. Mai 2005, 16:02:29
Zitat von: "Berandor"
Nein, habe ich nicht. Und  du hast natürlich recht - von den Schwierigkeitsgraden her was das extrem schwer. Ich habe halt damit gerechnet, dass Thargad dann die Falle entschärfen müsste - Dirim hat einen einfacheren Weg gefunden :)
 
Ach so er hat Stone Shape gewirkt oder wie? Das war in der Tat clever und Glück das er den Zauber parat hatte :)

Gruß Zechi
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 08. Mai 2005, 16:04:43
 Ja, Stone Shape. Den Zauber mag er. :)
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Klingentänzer am 08. Mai 2005, 22:47:57
 Hab mir grade den ersten Teil durchgelesen...echt gut, die SH, hab beim kampf gegen Kazmojen selbst n bißchen mitgefiebert ;)
Aber mal was anderes...kannst du mir sagen, wo du die Charakterportraits im PDF herhast?
 
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Hedian am 10. Mai 2005, 17:00:55
Zitat von: "Berandor"
Erstaunlich! In den Höhlen haust eine Harpunspinne! Natürlich sind die anderen Spinnen von diesem Geschöpf ebenso fasziniert wie ich. Die Harpunspinne hat sich scheinbar ein kleines Reich aus Spinnen und Ettercaps geschaffen. Ich habe ihr Martus und Silas geopfert, und ich denke, wir verstehen uns. Ich nenne sie Gunilla.
Ein Brüller! :P  
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 10. Mai 2005, 19:39:07
 Leider kann ich hier nicht zentrieren...

VERSAMMLUNGSRAUM, INNEN
Ein mittelgroßer Raum, geeignet für kleine Versammlungen. In der Mitte ein langer Tisch mit sechs Hockern. Zwei TÜREN führen aus dem Raum. WACHE 1 und WACHE 2 lehnen an der Wand und sehen gelangweilt zu, wie sich WACHE 3 und WACHE 4 über die Beschaffenheit einer Frucht streiten.

WACHE 3
Lychees sind rund!

WACHE 4
Sie sind oval!

WACHE 3
Rund!

Wache 4 will antworten, wird aber unterbrochen, als eine der beiden Türen auf-schwingt. Klares SEEWASSER schwappt über die Schwelle, und die Kettenbrecher BORAS, THARGAD kommen mit gezogenen Waffen hinterher. Die anderen WARTEN draußen. Wache 1 und Wache 2 greifen die Neuankömmlinge an, während Wache 3 sich zurückhält und Wache 4 zur anderen Tür stürzt. Ein Kampf entbrennt.

WACHE 4
Alarm!

THARGAD
Wir müssen ihn aufhalten!

BORAS
Nimm das!

Wache 2 geht tödlich getroffen zu Boden, Wache 3 nimmt seinen Platz ein.

DIRIM
Das Schwert Tyrs richte ihn.

Ein geisterhaftes Schwert erscheint vor Wache 4 und attackiert diesen. Wache 4 sieht ängstlich zwischen der Waffe und der offenen Türe hin und her.

WACHE 3
Mach hinne, Kerl!

Wache 4 schluckt und rennt durch die Tür.

DIRIM
Boras, halt ihn auf.

BORAS
Keine Angst, der kommt nicht weit.

ALEK
Siamorphe sei Dank, endlich
kann ich mein Schwert mit dem
Blute dieser Verbrecher tränken.

THARGAD
Alles, was du willst, nur schnell, bitte.

Boras drängt sich an den Kämpfenden vorbei und hinter dem Flüchtenden her. Alek nimmt seinen Platz ein. OFFSCREEN: Man hört, wie Wache 4 sein Schwert gegen die Türen schlägt und ALARMRUFE ausstößt. Dann hört man, wie Boras’ Axt Fleisch schneidet, und die Rufe VERSTUMMEN.

ALEK
Hört ihr das, Schurken?
So ergeht es euch auch gleich.

THARGAD
Etwas mehr kämpfen und
weniger reden, bitte.

ALEK
Wie Ihr befehlt.

Wache 1 fällt unter Aleks Schwert. Gemeinsam attackieren Alek und Thargad Wache 3, und Boras kommt zurück in den Raum.

DIRIM
Ergib dich.

WACHE 3
Nichts leichter als das.

Wache 3 wirft sein Schwert zu Boden.

ALEK
So ist’s fein.

DIRIM
Und jetzt erzähl mal.

WACHE 3
Was wollt ihr wissen?

THARGAD
Wo sind die Stäbe?

WACHE 3
Keine Ahnung. Da müsst ihr schon
Triel fragen, aber sie wird euch
nicht so einfach ins Netz gehen.

DIRIM
Triel ist tot.

Wache 3 ist geschockt.

ALEK
Also nochmal: Wo sind die Stäbe?

WACHE 3
Mann, ich habe keine Ahnung.
Triel hat sie versteckt. Na ja, ich nehme an,
Skaven hat einen oder zwei,
und vielleicht auch Tarkilar...

DIRIM
Skaven?

WACHE 3
Skaven Umbermead. Ein... ein Halbling.
Er zaubert.

DIRIM
Gut zu wissen. Was ist mit Tarkilar?

WACHE 3
Das weiß niemand.
Und ich wills auch nicht wirklich wissen.

DIRIM
Wie viele seid ihr?

WACHE 3
Was?

DIRIM
(langsam) Wie... viele... Söldner... gibt es hier?

WACHE 3
Du musst nicht gleich wie mit nem
Kind mit mir reden, Mann. Keine Ahnung,
wie viele. Zwei Dutzend? Drei?
Habe ich nie gezählt. (lacht)

THARGAD
Ich glaube nicht, dass er viel weiß.

DIRIM
Du hast recht. Also, hör zu, Kerl.
(zornig) Warst du bei dem Überfall
auf den Affen dabei?

WACHE 3
Ähh... nein.

DIRIM
Du lügst doch nicht?

WACHE 3
(nervös) Natürlich nicht. Ich bin sowieso
nur hier, weil die Frauen auf
düstere Typen stehen. Der ganze Plan,
die ganze Organisation ist mir echt
scheißegal, ehrlich. Ist eigentlich
nur ein Zufall, dass ich hier bin.

ALEK
Ein wirklich dummer Zufall.

Alek konzentriert sich.

Er ist jedenfalls nicht böse.

WACHE 3
Seht ihr? Ich bin harmlos, echt.

DIRIM
Nutzlos auch. Wir töten ihn. Boras!

WACHE 3
Was?

THARGAD
Was?

ALEK
Wie bitte?

Boras tritt vor und hebt die Axt. Wache 3 weicht vor ihm zurück.

ALEK
Moment mal, was soll das?

DIRIM
Er ist Mittäter einer bösen Organisation
und hat Mord und Schlimmeres unterstützt.
Darauf steht der Tod.

THARGAD
Gibt es eigentlich ein Vergehen,
dass bei dir nicht mit dem
Tod bestraft wird?

DIRIM
Diebstahl. Da hacke ich die Hände ab.

THARGAD
Vergiss, dass ich gefragt habe.

ALEK
Warum sollen wir ihn töten?
Er hat sich ergeben.

DIRIM
Sein Pech.

THARGAD
Alek hat Recht. Wir können ihn
nicht einfach so abschlachten.

WACHE 3
(weiter zurückweichend) Hört, hört!

DIRIM
Was sollen wir sonst tun? Ihn
in die Stadt bringen? Wie lange dauert das?
Und dort töten sie ihn sowieso.
Nein, wir richten ihn jetzt und hier.

THARGAD
Was sagst du dazu, Alek?

Wache 3 stößt einen VERZWEIFLUNGSSCHREI aus und stürzt in Richtung der Türe nach draußen. Thargad lässt ihn  durch, Boras schlägt nach ihm, kann ihn aber nicht zu Fall bringen. Alek greift nur halbherzig ein. Dirim schlägt ihm e-benfalls nach. Wache 3 taumelt, schleppt sich aber durch die Tür. Dirim folgt ihm. Wache 3 BLUTET stark. Er steht bis zu den Knien im WASSER und weicht langsam zurück, während Dirim auf ihn zu geht.

DIRIM
Bleib ruhig. Wir tun dir nichts.

WACHE 3
Was? Ihr tut mir nichts?
Wen willst du denn jetzt verarschen?

DIRIM
Dein Fluchtversuch hat uns
überrumpelt. Ehrlich, ich will dir helfen.

WACHE 3
Weißt du, wo du dir deine Hilfe
hinstecken kannst? In deinen
zweifellos haarigen...

Ein SPEER kommt aus dem Wasser und durchbohrt Wache 3. Er starrt auf die Spitze, die aus seinem Bauch ragt. Ein WASSEROGER erhebt sich hinter Wache 3 und reißt diesen herum, bevor beide wieder im See verschwinden.

DIRIM
Umberlees schleimige Locken!

Dirim weicht zurück, bis er wieder im Raum steht. Der Wasseroger taucht nicht wieder auf.

ALEK
Was war denn?

THARGAD
Und wo ist der Wachmann?

BORAS
Ich hätte ihn wirklich gerne getötet.

Dirim sagt nichts und geht zur anderen Tür.

DIRIM
Kommt ihr?
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 10. Mai 2005, 20:53:32
Zitat von: "Klingentänzer"
Hab mir grade den ersten Teil durchgelesen...echt gut, die SH, hab beim kampf gegen Kazmojen selbst n bißchen mitgefiebert ;)
Aber mal was anderes...kannst du mir sagen, wo du die Charakterportraits im PDF herhast?
Irgendwo aus dem Netz, wahrscheinlich epilogue.net
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Klingentänzer am 10. Mai 2005, 21:13:53
 Danke
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Kylearan am 11. Mai 2005, 10:11:29
 Ganz großes Kino - und ich gehe davon aus, dass zumindest Dirim solches gesagt hat ;-)

Schade, dass ich nicht dabei war.

Kylearan
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Doombrand am 11. Mai 2005, 15:21:39
 Wieso hast du das jetzt so komisch formatiert? Also ich fands trotzdem cool, aber fragen ist ja nicht verboten. ;)  
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Gast_Berandor am 11. Mai 2005, 16:01:32
 Zentriert ist das Drehbuch-Format.

Wollte ich mal ausprobieren.
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 21. Mai 2005, 22:34:19
 Ich hatte ein paar familiäre Probleme, aber jetzt geht es sehr zügig weiter - am Sonntag spielen wir ja wieder.

Ein furchtsamer Frosch
»Wenigstens weiß ich jetzt, wo die toten Wachen geblieben sind«, sagte Boras. »Die sind wohl doch nicht nur abgetrieben.«

»Erinnere mich nicht daran, ja?« Thargad schüttelte sich. »Schließlich müssen wir noch mal durch den See zurück.«

Alek war unbesorgt. »Das Vieh soll nur auftauchen – es wird unseren Klingen zum Opfer fallen.«

Anstelle einer Antwort öffnete Thargad die nächste Tür. Vier Wachen machten sich gerade kampfbereit, von Alarmrufen aufgeschreckt. Sofort war Boras durch die Tür, noch bevor die Ersten reagieren konnten, und hatte zwei Wachen niedergestreckt.

»Ergebt euch!«, rieg Thargad, als Alek einen Ausfall machte und den dritten Wachmann durchbohrte. »Ähh – ergib dich!«

Der letzte Wachmann ließ das Schwert zu Boden fallen.

»Entschuldige«, sagte Alek.

»Schon gut«, gab Thargad zurück, und zu Dirim: »Was machen wir mit ihm?«

»Dieser ist böse«. fügte Alek hinzu und fasste sein Schwert fester.

»Nein, den fesseln wir nur.«

»Macht Sinn«, sagte Helion. »Die Bösen fesseln, die Anderen meucheln wir.«

Dirim sagte nichts dazu.

-

Der Gefangene war redselig, aber konnte ihnen nicht groß weiterhelfen. Allerdings konnte er den Kettenbrechern und ihrem heiligen (Mit-)Streiter sagen, wo Skaven seine Gemächer hatte. Die Tür war leider, und zwar sogar ziemlich fest, verschlossen.

»Die kriege ich nicht auf», sagte Thargad und sah zu Helion. Der Magier schüttelte den Kopf. »Vielleicht hätte unser Zauberer vorhin nicht so ungeduldig sein sollen.«

»Ich wollte Triel nicht noch länger warten lassen«, gab Helion zurück. »Boras, kannst du was machen?«

»Die Wand ist zu dick.«

Auch Dirim hatte seine Steinverformung verbraucht, also ließen sie das Zimmer links liegen und gingen weiter. In einem weiteren Raum hatten sich ein paar Wachen hinter einem umgestürzten Tisch verschanzt.

»Gebt auf«, empfahl Dirim ihnen.

»Komm uns doch holen, du Sitzriese!«

Und das taten sie dann auch.

-

»Es bleibt uns nicht mehr viel, oder?«, fragte Helion in die Runde.

»Nur Skavens Kammer – da kommen wir nicht rein -, und die Doppeltüren, wenn wir nicht ganz oben in die Höhlen wollen«, zählte Thargad auf.

»Und die Spinnen«, fügte Boras hinzu. Hinter zwei Türen hatten die Helden spinnwebenbehangene Höhlen gefunden, aus denen sich dunkle und achtbeinige Schatten genähert hatten. Sie waren nicht weiter vorgedrungen.

»Erst Mal die Doppeltür«, entschied Dirim. »Ganz oben lassen wir noch weg.«

-

Die schweren Türen schwangen zurück und gaben den Blick in die Finsternis preis. Das Kratzen der Türen auf dem Untergrund hallte durch das Dunkel wie ein schnarchender Drache. Alek trat mutig vor, um der Dunkelheit die Stirn zu bieten und trat prompt auf etwas Metallisches, das auf dem Boden lag. Er hob es hoch und runzelte die Stirn.

»Ein Gitterstab?«

Nach einer vorsichtigen Erkundung stellte sich der Raum als ehemaliger Tempel und umfunktionierte Schmiedehalle heraus. Große Alkoven an den Wänden gaben der Halle ein wabenförmiges Aussehen, und selbst die hellste Fackel vermochte nicht alle Ecken zu erhellen. Vorsichtig tasteten sich die Kettenbrecher weiter vor, zumal sie in der Ferne ein leises Geräusch vernommen hatten, oder zu haben glaubten. Große Werkbänke schälten sich aus der Finsternis, die wie schwerer Staub in der Luft hing, und schließlich, in der hintersten Ecke des Raumes, stießen sie auf eine kauernde Kreatur. Ausgezehrte, übermäßig lange Gliedmaßen staken seitwärts, ein aufgeblähter Leib und ebenso schmallippiger wie breiter Kopf versuchten, mit der Wand zu verschmelzen, was aber angesichts der schimmlig-grünen Haut nicht gelingen wollte.

»Was in Cyrics schändlichem Wahn ist das?«, fragte Alek und hielt sein Schwert abwehrend empor. Die Kreatur hielt vierfingrige Hände vor ihr Gesicht. Zwischen den Fingern spannten sich Schwimmhäute.

»Ein Wesen aus den Außenwelten«, ließ sich Helion vernehmen. »Eine seltene Ausprägung einer ungemein faszinierenden Rasse namens Slaad. Seht ihr, sie sind einander feindlich gesonnen und dennoch aufeinander angewiesen, denn...«

»Ja ja, schon gut«, wehrte der Paladin ab. »Das Ding ist nicht böse. Ist das normal?«

»Soweit ich weiß, schon. Sie kommen aus dem Limbo, dem reinen Chaos – aber böse sind sie nicht. Nur unberechenbar.«

Dirim trat vor.

»Hallo. Verstehst du mich?«

Große, feuchte Forschaugen sahen den Zwerg ängstlich an.

»Wohl nicht. Helion, was für eine Sprache...«

»Versteht. Bin Croaker«, krächzte/quakte der Slaad.

»Croaker. Schön. Sag mal, kennnst du dich hier aus?«

»Coraker kennt Halle. Halle ist gut dunkel, gut verstecken. Andere können Coraker nicht finden.«

»Andere?«

»Andere... andere wie Croaker.« Der Slaad zuckte sichtlich zusammen.

»Und Triel?«

»Triel ganz nett. Nicht wie kleiner Mann. Kleiner Mann tut Coraker weh.«

Die Kettenbrecher tauschten Blicke aus. Skaven.

»Warum tut er dir weh?«

»Croaker weiß nicht. Triel zufrieden mit Croaker, sagt ihren Namen. Kleiner Mann verboten, hier zu sein, aber kommt durch geheimen Gang.«

»Ein Geheimgang? Wo?«

»Croaker zeigt euch, wenn ihr dann geht.«

»Gut. Warte – was machts du hier eigentlich.«

»Croaker ist Schmied. Baut Käfig.«

Thargad schaltete sich ein. »Einen Käfig? Was für einen Käfig?«

Der Slaad zuckte mit dem ganzen Körper in einer Geste der Hilflosigkeit. »Nicht wissen. Magischer Käfig.«

»Wo ist der Käfig, Croaker?«

»Weg. Käfig war fertig, und dreiäugige Frau hat ihn abgeholt.«

»Wer?«

»Die dreiäugige Frau.«

»Warum nennst du sie so?«

»Sie hat drei Augen.« Hätte Dirim drei Augen gehabt, hätte er jetzt mit allen dreien gerollt. So behalf er sich mit den üblichen beiden.

»Na ja. Dann zeig uns mal den Geheimgang.«

Der Slaad führte sie – in sicherem Abstand – zu einer Stelle in einem Alkoven, wo Dirim nach kurzer Suche den Geheimgang fand. Leider führte er nur wieder in den Gang nahe Skavens Quartier und nicht wie erhofft zum Halbling selbst.

»Dann haben wir wohl nur noch eine Möglichkeit«, sagte der Zwerg.

Thargad zückte seine Schwerter. »Spielen wir Kammerjäger.«

Missmutig stapfte Boras hinterdrein. «Ich hasse Spinnen.«
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 22. Mai 2005, 18:57:32
 Der Kleine Mann

Als die Kettenbrecher die Türe öffneten, hörten sie gleich das aufgeregte Rascheln sich nähernder Arachnidenbeine. Der Großteil des Raumes war von zähen und feucht glitzernden Spinnweben durchzogen; Wände, Decke und Boden waren von getrockneten Spinnweben bedeckt. Im hinteren Teil des Raumes öffnete sich ein Höhlensystem, und daraus krabbelten die runden, haarigen Formen hundsgroßer Spinnen. Ihre fleischigen Körper wurden jedoch schnell Opfer scharfer Klingen, und dann brannte Boras die frischen Seidenfäden mit seiner Fackel weg.

»Folgt mir.«

Knisternd und zischend brannten sie sich einen Weg in die Höhlen. Ausgetrocknete Überreste von Ratten, Fischen und menschenähnlichen Gestalten klebten an den Wänden. Bald trat Dirim in ein Gebiet noch frischer Spinnweben und blieb kleben.

»Igitt.« Langsam zerrte er seinen Stiefel frei. Die Helden kamen jetzt noch langsamer vorwärts. Jeder Schritt konnte erneut zur Stolperfalle werden.

Die Höhlen waren gut drei Schritt hoch und sehr weit; das Fackellicht reichte nicht bis in die hintersten Ecken. Aus dem Dunkel lösten sich hagere Gestalten mit einem Wasserbauch, gelblicher Haut und Kneifzangenmäulern. Die Wesen griffen, scheinbar unbehindert von jeglichen Spinnweben, an.

Alek trat gleich vor. Sein Stiefel sank tief in die frischen Spinnweben ein, und blieb kleben.

»Torms treulose Tomate!«, fluchte der Paladin und mühte sich, dem Feind zu begegnen. Die Kreaturen kamen heran schlugen mit ihren Krallen, kniffen mit ihren Zangen. Thargad bekam einen Kratzer an der Wange ab und spürte, wie die Wunde ungewöhnlich heftig brannte: Gift. Er schüttelte den Effekt ab und konterte den Angriff. Bei aller Zähigkeit waren die Kreaturen keine große Gefahr, und so lagen sie bald tot oder sterbend in den weißlich-matten Spinnweben.

-

Skaven hatte sich, als sich die Eindringlinge vor seiner Tür versammelt hatten, mittels einer Schriftrolle zu Gunilla zurückgezogen. Als er die Kampfgeräusche hörte, begann er, seine magischen Schutzvorkehrungen zu treffen. Sachte streichelte er über Gunillas Speerzähne. Die Harpunspinne zitterte. Skaven lächelte.

»Sie kommen.«

-

Die Höhle war nach einer schmaleren Stelle wieder breiter geworden. Spinnweben bedeckten alles; Fackellicht bedeckte nur einen kleinen Teil der Höhle.

»Hier geht es nicht weiter«, vermutete Thargad.

»Ganz recht!«, rief eine gehässige Stimme aus der Dunkelheit. »Hier ist für euch Endstation!« Eine geisterhafte Hand erschien bei Boras und schlug ihn. Kleine Wunden platzen in seiner Haut auf, der Barbar merkte es kaum. Dann kraxelte aus dem Nichts eine riesige Spinne heran. Knochige Stacheln bedeckten ihren Leib, und bösartig intelligente Augen musterten die Gruppe. Zwei dicke Knochen ragten wie Speere aus der Mundpartie, geiferüberströmt. Sie zuckten kurz, dann flogen sie aus dem Maul und geradewegs auf Boras zu. Ein Stachel bohrte sich in den Oberarm, ein andere in den Unterschenkel. Boras zog eine Grimasse und stemmte sich gegen die Spinne, die ihre Speere nun wieder einholte. Der Stachel im Oberschenkel löste sich und riss eine Handvoll Fleisch heraus, der Schultertreffer hielt jedoch.

»Ich komme!«, rief Alek, und trat prompt in eine Spinnwebenfalle. »Da soll mich doch-« Trotzdem stapfte der Paladin tapfer weiter auf die Spinne zu. Thargad war wesentlich flinker und hatte schon einen Hieb mit seinen Kurzschwertern angebracht, und nun machte sich auch Dirim auf den Weg, als aus dem Nichts eine weitere dieser hageren Kreaturen auftauchte. Blitzschnell hatte Helion einen magischen Schild bereit, aber die Kreatur durchschlug alle Schutzmaßnahmen und verletzte ihn schwer. Helion taumelte zurück.

»Dafür wirst du büßen!«, drohte Dirim.

»Wirklich?«, fragte Skaven amüsiert. »Du zuerst! Imago Horribilis

Es wurde kalt um Dirim, und eine schattenhafte Gestalt wuchs vor ihm aus dem Boden. Die Augen des Zwerges weiteten sich. Ohne zu wissen, warum, hatte er eine gewaltige Angst vor dieser Gestalt. Er wusste, dieses Wesen konnte ihn mit einem Schlag töten. Schon spürte er die Klauen auf seiner Brust, fühlte, wie das Leben aus ihm wich, wie... Nein, das durfte nicht passieren. Dirim schrie auf und stieß seinen Schild in den Schatten. Die Gestalt zerstob vor seinen Augen.

»Da musst du schon besseres auffahren!«

»Gunilla wird dich strafen, Zwerg!«, schrie Skaven.

»Gunilla?«, fragte Thargad. »Kommt die noch?« Er stand mit Boras bei der Leiche der Harpunspinne, Kurzschwert noch im Auge und Axt in ihrem Schädel. Der Schrei aus Skavens Kehle war nicht länger der Schrei eines vernunftbegabten Wesens. Er hallte durch die Höhle, aber sein Ursprung war schnell durchschaut.

»Ich sehe dich«, sagte Thargad. Skaven klebte mit den Füßen an der Decke, fünf verschwommene Gestalten, ein Magier mit all seinen Schutzzaubern.

»Ich auch«, sagte Alek und zog seinen Bogen. »Wollen wir doch mal sehen.« Der erste Pfeil schlug in ein Spiegelbild und löste es auf. Gleich hatte auch Thargad seinen Bogen bereit. Boras sah etwas verlegen auf seine Axt.

»Jetzt haben wir dich«, lachte Dirim.

»Jungs?«, fragte Helion, der sich immer noch der Kreatur erwehrte. »Habt ihr nicht was vergessen? Mich?« Im selben Moment drang wieder eine Klaue durch den Schild und riss Helion die Seite auf. Der Magier stolperte zurück, außer Reichweite. Dirim stellte sich dazwischen, aber die Kreatur marschierte einfach an ihm vorbei. Angst stand in Helions Augen, Zuversicht in Dirims. Der Zwerg holte aus, um das  Wesen zu erschlagen.

»Arreste

Dirim erstarrte mitten in der Bewegung. Er kannte den Zauber, hatte ihn gerade erst gegen Triel gewandt. Das durfte nicht sein! Die Kreatur fuhr herum, Gier in den Augen. Dirim erkannte Intelligenz in diesen Augen, schwach aber umso hinterlistiger. Kiefer mahlten aneinander, Kneifzangen öffneten und schlossen sich begierig. Dann riss das Wesen ihm die Kehle heraus.

»Das reicht!« Boras schlug seine Axt in den Boden und holte zwei Tränke hervor. »Dafür stirbst du.« Er leerte den ersten Trank, und schon wuchs er zu neuer Größe. Alek zog sich zu Helion zurück, dem sich die Kreatur wieder zugewandt hatte, und verschoss derweil weiter Pfeile. Aber noch hatte niemand Skaven treffen können. Thargad spannte seine Armbrust ebenfalls ein ums andere Mal, nur um die Bolzen in die Höhlenwände zu jagen. Immer noch waren vier Spiegelbilder übrig.

Boras trank den zweiten Trank. Nichts passierte, nur ein listiger Zug schlich sich in den Blick des Barbaren. Dann nahm er Anlauf und sprang. Der Zaubertrank federte seine gewaltige Gestalt in die Höhe, drei Meter, vier Meter, geradewegs auf einen der vier Skavens zu, die an der Decke kauerten.

Auf den echten Skaven. Boras prallte gegen den Halbling und packte ihn fest. Für einen Moment hielt Skavens Zauber beide an der Decke, dann gab er nach, und sie stürzten zu Boden. Gleich hatte Boras den Halbling im Würgegriff. Skaven versuchte, einen Zauber zu sprechen, aber Boras zog den Griff kurz an und die Formel ging in einem Schmerzensschrei unter.

»Hab dich.«

Nachdem sich Thargad und Alek der Kreatur widmen konnten, war sie schnell besiegt. Helion schnaufte, hatte aber noch alle Gliedmaßen beisammen. Skaven hatte keine Chance, aus Boras’ Griff zu entkommen – was nicht heißt, dass er es nicht versuchte.

Schließlich wurde der Magier hingerichtet, und mit Dirims Leiche über den Schultern machten sich die geschundenen Helden daran, nach Cauldron zurückzukehren. In Skavens Zimmer und seinen Sachen fanden sie noch zwei weitere Zauberstäbe und sein Zauberbuch sowie einige Notizen. Dann betraten sie geschafft die Gondel. Thargad reparierte den Mechanismus, und Boras kurbelte die vier anderen nach oben, bevor sie den Barbaren nachholten. Schließlich standen sie alle an dem Abhang und blickten auf den grünlich schimmernden See hinab.

»Wir müssen wiederkommen«, sagte Thargad. »Wir haben nur drei Stäbe.«

»Morgen«, sagte Helion, und niemand widersprach.

-

Die Kettenbrecher kehrten nach Cauldron zurück und überbrachten der innerlich zerrissenen Jenya die Stäbe – ein Grund zur Freude – und Dirims Leiche – keiner. Es wurde vereinbart, dass am folgenden Morgen eine Wiederbelebung versucht werden sollte. Dirim besuchte den Lathandertempel, während Thargad sich mit den Silberstreitern austauschte.

Die Flut hatte einige Gebäude zum Einsturz gebracht, und der ein oder andere war bereits von Wassermassen oder stürzenden Bauten verletzt worden. Der Schupppen, den die Kettenbrecher gemietet hatten, trieb jetzt auf dem Kratersee. Die Bevölkerung war inzwischen besorgt über die Situation, und bald würden sich die unterirdischen Seen gefüllt haben – dann würde das Wasser noch schneller steigen.

Am nächsten Morgen war trotz strömenden Regens die Stimmung etwas besser geworden. Der Grund dafür und für die dunklen Ringe unter Jenyas Augen war derselbe: Jenya hatte mit zwei Klerikern aus ihrem Tempel die Nacht damit verbracht, die Zauberstäbe zu leeren. Der Wasserpegel in der Stadt war erst einmal gesunken, wenn auch weiterhin kleine Sturzfluten durch die Straßen stoben.

Trotz ihrer Müdigkeit ließ Jenya es sich nicht nehmen, die Wiederbelebung des Zwerges selbst durchzuführen. Das Zeichen Helms prangte stolz auf ihrem Plattenpanzer. Fast wie ein drittes Auge, durchfuhr es Thargad, aber dann wandte er sich dem Ritual zu.

-

Dirim stand auf einer luftigen Anhöhe. Wenn er hinabsah, konnte er kleine Figuren entdecken, Lebewesen, von dieser Warte so groß wie Ameisen. Er spürte eine Präsenz hinter sich, ein Hühne im Panzer. Einhändig. Geblendet.
»Es gibt da ein Kind?«
»Einen Jungen«, sagte Dirim. »Ich bin für ihn verantwortlich.«
»Geh zurück, und finde ihn. Erst dann gehört dein Leben wieder dir.«
»Das werde ich«, schwor Dirim.

-

Im Helmtempel zu Cauldron öffnete ein toter Zwerg die Augen.

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Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Boras am 28. Mai 2005, 14:58:07
 Was freue ich mich schon auf das morgige Erwachen. Kompliment für die technische Umsetzung des Sprungs. Persönlich hätte ich es nicht besser machen können. Den Würfeln sei Dank B-)  
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 29. Mai 2005, 09:19:04
 So, da wir in einer Stunde spielen, wird jetzt wohl keiner mehr lesen... hehe.

Zwischenspiel: Gutterrut
Gutterrut war gelangweilt. Tarkilar war in eine Art Koma gefallen, und egal, wie oft Gutterrut versuchte, ihn zu necken, es funktionierte nicht. Manchmal hatte Tarkilar diese Phasen, aber zum Glück wusste Gutterrut, dass der untote Kleriker danach umso heftiger auf seine Späße reagieren würde.

Er würde sich eben mit Triel unterhalten. Vielleicht war es auch an der Zeit, ihr seine Dienste anzubieten und Tarkilar endlich loszuwerden. Es war zwar amüsant, ihn unsichtbar in den Wahnsinn zu treiben, aber er wollte nicht in den Katakomben festwachsen. Und Tarkilar würde wohl kaum noch hier raus wollen, wenn nichts Unvorhergesehenes passierte.

Als Gutterrut durch die Gänge flatterte, bemerkte er gleich den Geruch von Blut in der Luft. Ein schöner Geruch. Er stutzte, als er in einen Wachraum kam und dort mehrere Leichen lagen. Frische Leichen. Und in der Wand zu Triels Kammer klaffte ein Loch. Nein! Das durfte nicht sein. Gutterruts Chance auf Größeres, seine Chance, mehr als nur ein einfacher – zugegeben genialer und gutaussehender - Quasit zu sein. Aber Triel war tot.

Schnell durchsuchte Gutterrut die gesamten Ruinen. Anscheinend war eine Abenteuergruppe eingebrochen. Er konnte keine fremden Leichen entdecken, und die Kultisten hätten sicher die ein oder andere Stadtwache niedergemacht. Gutterrut war der Verzweiflung nahe. Was sollte er denn jetzt machen? Dann sah er die Türen, die mit Schwertern blockiert waren. Er konnte dumpfe Schläge hören, als von innen versucht wurde, die Türe aufzubrechen. Es gab Überlebende! Sicher nur unwichtige Söldner, aber vielleicht eine Möglichkeit, Tarkilar aus den Katakomben zu lotsen.
Schnell flatterte Gutterrut zu seinem „Meister“ zurück. Er überlegte kurz, wie er Tarkilar aus seiner Starre reißen sollte, aber dann fiel es ihm ein. Mit ein wenig Konzentration verwandelte er sich wieder in einen Wolf und wurde sichtbar.

»Tarkilar! Wach auf!«, bellte er. Als Tarkilar nicht reagierte, tapste Gutterrut-Wolf langsam auf ihn zu. Innerlich eine Grimasse ziehend, schlabberte er ihm über die Schnauze. Tarkilar schlug die Augen auf.

»W-w-wolf? Bist zurück, Wolf? Zurück?«

»Ja, ich bin zurück, Tarkilar. Ich habe eine Botschaft von Malar.« Die Augen des Wolfsmannes wuchsen fast aus ihren Höhlen.

»Malar? Malarmalarmalar.«

»Ja, Malar. Er gibt dir eine Möglichkeit, dich zu beweisen. Folge mir.« Tarkilar sprang in den Stand. Gutterrut-Wolf drehte sich um und ging die Höhlen hinaus, ohne sich umzudrehen. Das Scheppern der Ketten sagte ihm, dass Tarkilar folgte.

Es dauerte nicht lange, und sie hatten alle Überlebenden zusammen. Es waren acht. Sie kauerten in einer Ecke des Raumes, immer noch oder wieder gefesselt, ihre Blicke angsterfüllt. Gutterrut-Wolf wandte sich an Tarkilar.

»Das hast du gut gemacht. Du weißt, was diese Gefangenen bedeuten?«

»Sie... sie... sind sie gefangen?«

Gutterrut-Wolf rollte mit den Augen. »Ja, sie sind gefangen. Aber sie bedeuten auch, dass die Abenteurer zurück kommen.«

»Sie kommen zurück. Zurück. Und Tarkilar wird sie strafen. Strafenstrafen. Für Malar. Oh ja. Malarmalarmalar.«

»Das wirst du. Später. Du weißt also, was die Gefangenen bedeuten. Aber weißt du auch, was sie sind?«

»Tarkilar weiß es.« Zähflüssiger Geifer rann die gelben Reißzähne entlang, als er sprach. »Sie sind Opfer.«
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 02. Juni 2005, 23:07:35
 Ein neuer Kettenbrecher

Dirim stand noch etwas unsicher auf den Beinen, als Jenya mit einem Besucher in den Altarraum kam. Er war ein Elf – seiner bronzenen Haut nach wohl ein Waldelf aus dem Tethirwald -, der die Versammlung mit abschätzigem und missbilligendem Blick musterte. Ein Bogen aus schwerem Holz lag ebenso in seiner Hand wie ein großes Krummschwert auf seinem Rücken, und er trug einen großen Käfig mit sich. Der Käfig war verdeckt.

»Meine Freunde, das ist Thamior Amasticia, was in der Elfensprache Starflower bedeutet. Er ist Annastriannas Vater.« Die Kettenbrecher, allen voran Helion, sahen etwas geschockt drein. Jenya trat zur Tür zurück. »Ich lasse euch besser allein.«

»Wer von euch ist Annas Halbbruder?«, fragte Thamior, sobald Jenya weg war.

»Ich«, sagte Helion.

Thamior trat zu ihm hin. »Erzählt es mir.«

Und so erzählte Helion erneut, wie die Kettenbrecher, noch namenlos, gegen den Sklavenhändler Kazmojen zu Felde zogen. Wie sie schon glaubten, gewonnen zu haben, und wie Kazmojen Anna aufgespießt hatte. Die Worte kamen stockend über seine Lippen.

»Habt ihr versucht, sie wiederzubeleben?«

»Es ging nicht. Sie wollte nicht zurück«, log Helion. Es war wohl besser, wenn Thamior glaubte, dass Anna im Jenseits glücklich war.

»Danke für euren Bericht. Standet ihr Anna nahe?«

»Schon, ja.«

»Dann nehmt.« Thamior überreichte Helion den Käfig und zog die Decke herunter. Im Käfig saß ein großer Falke. »Er gehörte ihr. Gebt auf ihn acht.« Mit diesen Worten wandte sich der Elf um und schritt hinaus.

»Ich hatte mir schon gedacht«, sagte Dirim grinsend, »dass dieser Elf einen Vogel hat.« Damit brachte er selbst Boras dazu, aufzustöhnen.

Helion sah sich den Falken an. »Nimbral wird sich freuen.«

-

Helion schickte seine Katze, die der ganzen Entwicklung neutral gegenüberstand, zum Mäusejagen und begab sich dann in den kleinen Wald am Rande des Kratersees. Der Erdboden hier war tief und schlammig von der kürzlichen Überflutung. Shensen Tesseril saß auf einem Baum und schnitzte.

»Hallo, Shensen.«

»Ich freue mich euch zu sehen«, gab die Dunkelelfe zurück. »Kann ich etwas für euch tun?«

»In der Tat. Könnt ihr vielleicht auf den Falken achtgeben? Ich weiß nicht, wo ich ihn sonst hin schaffen soll.«

Shensen glitt geschmeidig vom Baum. Sie öffnete den Käfig, und der Falke stieg auf ihren Arm. Shensen zog den Arm heraus und begann, den Falken zu streicheln. »Ein schönes Tier. Hat es einen Namen?«

»Nicht, dass ich wüsste.« Helion streckte vorsichtig die Hand aus.

»Nur zu, er wird euch nichts antun.« Vorsichtig streichelte der Magier über das glatte Federkleid, von dem die Wassertropfen nur zu abzuprallen schienen. Ganz anders als bei Nimbrals Fell. Der Kater tänzelte vorsichtig durch den Schlamm und sah dabei nicht wirklich glücklich aus. Vor Helion ließ er zwei Mäuse fallen; Helion gab ihm die größere, womit wieder alles in Ordnung war. Die andere Maus gab er Shensen, die gleich den Falken fütterte.

»Ich gebe auf ihn acht.«

»Danke.«

»Wenn ihr sonst etwas braucht...«

Helion lächelte. »So wie die Dinge liegen«, sagte er, «könnte es nicht schaden, wenn ihr für uns betet.«

-

Die Helmkirche verwies die Kettenbrecher an eine Witwe, bei der Thamior ein kleines Zimmer gemietet hatte. Die Witwe verwies sie an eine nahegelegene Wirtsstube, in der selbiger Elf gerade ein karges Frühstück verschlang.

»Ihr schon wieder«, begrüßte er sie.

»Hört zu, wir haben da etwas zu erledigen.« Helion führte das Wort. »Wir suchen unsere Eltern, also auch die Frau, mit der ihr Anna zeugtet. Meine Mutter.«

»Eine verständliche Suche.«

»Es war auch Annas Suche. Wir dachten nur, vielleicht wolltet ihr euch ebenfalls anschließen? Vielleicht wollt ihr ebenfalls wissen, was aus Lyanna Dambrodal wurde?«

»Vielleicht. Vielleicht möchte ich auch einfach Annas Suche zu Ende führen.«

»Wie auch immer. Jedenfalls könnte es sein, dass eine Gruppe namens Käfigmacher hinter dem Verschwinden unserer Eltern steckt. Diese Gruppe bedroht indirekt auch jetzt die Stadt.«

»Wie meint ihr das?«

»Seht ihr den Regen?«

»Natürlich.«

»Die Stadt droht zu überfluten. Und die Mittel, dies zu verhindern, wurden von ein paar Verbrechern entwendet, die nun drohen, das Wasser noch weiter ansteigen zu lassen. Wir versuchen, diese wichtigen Zauberstäbe zurückzuholen und damit die Stadt zu retten.«

»Und was hat das mit Annas Suche zu tun? Wenn es regnet, dann ist es natürlich, dass es zu Überflutung kommt.«

»Aber ist es auch natürlich, diese Situation zu verstärken?«, schaltete sich Thargad in das Gespräch ein.

Thamior seufzte. Diese Nervensägen würden wahrscheinlich ohnehin so lange reden, bis er mitkäme. »Also gut«, sagte er. »Wir sehen uns in einer Stunde am Nordtor.« Dann stand er auf und ging.

»Ich mag es nicht, wenn er das macht«, sagte Boras mürrisch.

-

Die Kettenbrecher gingen zum Helmtempel, um sich ein paar Heiltränke zu besorgen. Dabei fiel ihnen auf, dass ihr neuer und ungestümer Freund ebenfalls diesen Weg eingeschlagen hatte. Dennoch konnten sie kaum an seinen Fersen bleiben; er legte ein ähnliches Tempo vor wie Boras, wenn der nicht auf Dirim warten musste. Bei Ruphus Laro bekamen sie ein paar Heiltränke – gegen eine angemessene Spende, natürlich. Währenddessen setzte sich Helion vor den Tempel und wartete. Nimbral setzte sich neben ihn – schließlich war es dort trocken – und wartete mit.

Thamior hatte zunächst versucht, Jenya zu sprechen, doch die Hohespriesterin hatte sich zur Ruhe begeben. Die Erschöpfung nach einer durchwachten Nacht und der Wiederbelebung forderte ihren Tribut. Also suchte Thamior den Ort auf, an dem er bislang in Cauldron die meiste Zeit verbracht hatte: Annas Grab. Er entzündete eine Fackel und stieg in die Katakomben hinab, vorbei an Alkoven und Abzweigungen, zu seiner Tochter. Dort versank er eine Weile in Gedanken.

Als Thamior den Tempel wieder verließ, warteten die Kettenbrecher schon. Er versuchte, an ihnen vorbei zu gehen, aber Helion hielt ihn auf.

»Hör zu, wir gehen jetzt da runter und retten die Stadt. Entweder du kommst mit uns, um das Andenken an Anna zu erhalten, oder nicht. Aber wir gehen.«

Der Elf sagte nichts, nickte aber.

»Endlich. Na dann, los geht’s.«

-

Immer noch floss ein kleiner Bach die Höhle entlang, um sich über die Klippe hinweg in den grün leuchtenden See zu stürzen. Trotzdem war das Wasser seit gestern einige Meter zurück gegangen. Und noch mehr hatte sich verändert.

»Seht mal«, sagte Thargad und deutete nach unten.

»Da liegt wer«, erkannte auch Boras.

»Schwimmt auf dem Bauch wäre wohl richtiger. Ich frage mich, wer das ist?«

»Das ist ein Wasseroger«, sagte Thamiol mit Schärfe in der Stimme. »Und er ist tot.«

»Hm«, sagte Helion. »Na ja. Wollen wir ewig hier rumstehen? Boras, geh zur Winde und lass uns runter. Wir holen dich dann nach.«

-

Unten, am gegenüberliegenden Windenhaus, stand Tarkilar still wie eine Statue. Die verweste und schmutzige Statue eines ziemlich verrückten Bildhauers, aber immerhin. Gerade lauschte er dem Gesang des Mooses, als ihn eine Stimme aufschrak.

»Mach dich bereit«, flüsterte Gutterut kichernd. »Sie kommen.«
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 02. Juni 2005, 23:16:28
 Leider hat Osric keinen ständigen Sitz in unserer Gruppe bekommen - sechs Spieler sind vor allem mir dann doch zu viel -, aber vielleicht kann er trotzdem mal schreiben, wie es ihm gefallen hat und vor allem, wie eng an der Realität die SH denn ist :)

Tarkilar habe ich im Übrigen durch Opferungen verstärkt. Laut dem Book of Vile Darkness hätte er entweder "Divine Favor" auf Stufe 20 oder "Divine Power" bekommen. Beides war zu heftig, also habe ich ihm stattdessen drei Actionpunkte gegeben, von denen ich keinen nutzen konnte. Typisch. :)
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Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 05. Juni 2005, 17:48:06
 Tarkilars letztes Gefecht

»Habt ihr etwas gehört?«, fragte Helion. Die Gondel bewegte sich ruckend abwärts, und die Kettenbrecher hatten sich möglichst weit von dem offenen Ausstieg entfernt postiert. »Das klang wie Zauberei.«

»Gehen wir kein Risiko ein«, schlug Thargad vor und zog seine Schwerter. Thamior machte seinen Bogen bereit, während Helion eine magische Rüstung beschwor.

»Schon wieder«, sagte Helion. Die Gondel war ein noch paar Meter über dem Boden. Thamior ging zum Ausstieg und sah in das kniehohe Wasser herab. Dann sprang er. Er landete gekonnt und machte sich gleich daran, das Windenhaus in weitem Abstand zu umrunden.

»Solonor steh mir bei«, entfuhr es ihm.

Hinter dem Torhaus wartete eine ausgemergelte Gestalt von Boras’ Größe. Totes Fell spannte sich über trockener, brauner Haut, an vielen Stellen aufgeplatzt. Zähe, verfaulte Muskeln waren darunter zu sehen, die sich entgegen ihrer Natur immer noch spannten. Ein fein gearbeitetes Kettenhemd war mit der Haut verwachsen. Die Kreatur hatte eine wuchtige Stachelkette in seine Handgelenke gerammt, durch Fleisch und Knochen fest verbunden. Ein hündischer Schädel grinste irr, Sabber tropfte zwischen gelben, wuchtigen Zähnen hervor. In der Brust steckte ein silbernes Symbol von Malar, zwischen den Rippen ragten zwei Zauberstäbe hervor. Tote Augen voller Hunger. Tarkilar.

Thamior trat einen Schritt zurück. Schrecken und Erkenntnis mischten sich in seinem Geiste. Er kannte diese Kreaturen – Huecuvas, widernatürliche Schatten ihres früheren Selbst. Er wusste nicht viel, aber an eines konnte er sich deutlich erinnern.

»Silber! Benutzt Silber!«, rief er aus, als Tarkilar auch schon herankam. Die Kette schwang in großem Bogen und rammte sich in Thamiors Schulter. Der Elf wurde zur Seite geschleudert, sein linker Arm wurde taub. Nur mit Mühe hielt er den Bogen fest. Er schmeckte Blut.

»Solonor, steh mir bei«, wiederholte Thamior, inbrünstiger.

Thargad sah Tarkilar und vernahm Thamiors Ruf. Er hatte kein Silber. Seine Schwerter wären sinnlos, denn selbst der beste Streich kratzte Untote kaum. Er entschloss sich, Helion zu bewachen. Dieser wiederum feuerte gerade silberne Geschosse auf Tarkilar, die ihn jedoch nicht sonderlich kümmerten.

»Ich habe Silber«, sagte Dirim grimmig. In seiner Hand hielt er die Axt, die Triel bei sich gehabt hatte. Tarkilar schien die Axt zu erkennen, denn er schlug wild nach dem Zwerg, als er angriff. Aber Dirims Schlag war sehr viel präziser. Die Axt biss tief in Tarkilars Haut und schnitt durch totes Fleisch. Tarkilar kreischte.

Thamior feuerte zwei Pfeile auf das Monster ab, doch die Spitzen konnten dessen Haut kaum durchdringen. So hatte das keinen Sinn. Und der Zwerg war auch nicht gerade ein Muskelprotz.

»Kannst du nicht härter zuschlagen?«, rief er hinüber.

»Kann er nicht«, sagte Helion, »aber ich weiß, wer.« Wie auf Kommando drehten sich die Kettenbrecher um und sahen zum Abhang hinauf, zur anderen Windenstation. Wie auf Kommando riefen sie.

-

Boras fand die ganze Kurbelei ziemlich langweilig. Außerdem fand er es ziemlich gemein, als Letzter runter zu dürfen. Schließlich lauerten dort unten Gefahren. Aber seine Axt reichte nicht bis ans Ufer, wenn er nicht selbst am Ufer stand. Wer weiß, welchen Kampf er hier oben wieder verpasste. Und jetzt musste er noch warten, bis die seine Gefährten die Gondel wieder hochgefahren hatten. Langweilig, eben.

Er trat an die Klippe und kratzte sich im Schritt. Was machten die denn da unten? Sah fast aus, als... Boras sah genauer hin. Es sah aus, als würde da unten gekämpft! Gerade blitzten drei Kugeln durch die Luft – das war Helion. Und jetzt sah es fast so aus, als sähen sie alle zu ihm hoch. Boras beugte sich weiter vor.

»Boras! Komm runter!«

Sie brauchten seine Hilfe! Boras machte sich bereit, vom Abhang zu springen, als sein Blick auf die Führungsseile der Gondel fiel. So etwas wie Inspiration, eine Art Geistesblitz ging ihm durch den Kopf, und Boras zuckte ob des ungewohnten Gefühls zusammen. Dann grinste er und löste den Gürtel von seiner Hüfte.

-

Helion feuerte wieder ein paar Geschosse ab. Fleischfetzen rissen aus Tarkilars Haut, aber der schien sich nicht darum zu kümmern. Thargad beugte sich über eine Phiole und fächerte ihr Luft zu.

»Nun brenn schon«, flüsterte der Schurke.

Währenddessen wehrte Dirim mühsam Tarkilars wilde Hiebe ab. Der untote Priester schlug mit brachialer Gewalt auf den Zwerg ein. Thamior umkreiste die beiden, auf der Suche nach einer Gelegenheit.

»Malarmalarmalar«, brabbelte Tarkilar.

»Bring sie um! Bring sie alle um!«, kreischte eine schrille Stimme aus dem Nichts. Tarkilar sah ebenso auf wie Dirim, aber niemand sah etwas.

»Malarmalarmalar.«

»Ein sehr einseitiges Gespräch«, grummelte Dirim. »Typisch Tiergottheiten.«

Thargad erhob sich zufrieden. Das Alchemistenfeuer blubberte in der Phiole, eine kleine grüne Flamme tanzte an der Spitze. Er nahm kurz Maß, dann warf er. Die Phiole zerplatzte auf Tarkilars Brust; gleich züngelte grünes Feuer an ihm empor. Tarkilars Schädel fuhr zum Schurken herum.

In diesem Moment ertönte ein lauter Schrei, eine Mischung aus Übermut, Freude und Angriffsgeheul (und vielleicht ein wenig Höhenangst). Boras hatte seinen Gürtel um das Führungsseil geschlungen und kam zum Strand herabgesaust. Kurz vor der Gondel ließ der Barbar den Gürtel los und landete kniend im Wasser. Er sah auf, und seine Augen fixierten Tarkilar. Dann rannte er los, während er nach seiner Axt griff.

»Nimm die hier!«, rief Dirim und schwenkte die silberne Waffe. Er zwinkerte Tarkilar kurz zu, dann warf er die Axt in die Luft.

»Nein!«, krächzte Tarkilar. Er wirbelte herum und schmetterte seine Kette gegen Boras’ Brust. Der Barbar taumelte zur Seite, fiel beinahe, fing sich dann wieder, und streckte die Hand aus. Die Silberaxt landete in seinem Griff. Boras spie aus, seine Augen umwölkten sich.

»Ich bin dran.« Die Axt brach durch Tarkilars Körper wie ein Bolzen durch Ton. Muskeln, Sehnen, Fleisch wurden abgerissen, Tarkilar nach hinten geworfen.

»Hab dich«, sagte Thamior. Er packte Tarkilar und versuchte, dessen Arme hin-ter dem Rücken zu verschränken, aber der Priester sprengte seinen Griff und stieß ihn zurück. Mit zwei Handgriffen war Tarkilar auf das Windenhaus geklettert. Dort zerrte er den Stab der Wasserkontrolle aus seinem Fleisch. Die Oberfläche des Sees begann, sich zu heben.

»Er will uns ertränken«, entfuhr er Dirim.

»Wasser bekämpft man am Besten mit Feuer«, sagte Helion verschmitzt. »Incendere

Ein silberner Feuerstrahl raste aus Helions Fingern. Er traf Tarkilars Brust und vermischte sich dort mit den grünen Flammen des Alchimistenfeuers. Tarkilar begann zu kichern, dann zu lachen, während er wild umhertaumelte. Die Flammen fraßen sich durch sein untotes Fleisch, und immer noch lachte er. Selbst, als sein Körper endgültig leblos vom Dach stürzte, hallte sein Lachen durch die große Höhle. Der Körper sog einmal geräuschvoll Luft ein, dann war es still.
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: -=Loki=- am 05. Juni 2005, 23:31:48
 Könnt ihr nicht öfter spielen? So jeden Tag. :)
Und am Besten schreibst du dann auch noch jeden Tag sofort den Bericht.

Wie du siehst, gefällt mir das super. Ich kanns kaum abwarten den nächsten Teil zu lesen.
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 06. Juni 2005, 07:41:39
 Zwei Episoden haben wir ja noch, bevor wir am Status Quo sind :)
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Sheijtan am 06. Juni 2005, 16:19:26
 Welche Stufe haben sie denn bereits erreicht?
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Kylearan am 06. Juni 2005, 16:21:31
Zitat von: "Sheijtan"
Welche Stufe haben sie denn bereits erreicht?
Hmm, Helion ist jetzt Stufe 6, genau wie Dirim (der läuft aber mit einer Negativen Stufe herum, wegen der Wiederbelebung). Alle anderen sind Stufe 5.

Kylearan
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Gast_Berandor am 06. Juni 2005, 17:25:05
 Mit anderen Worten: Sie fallen noch wie die Fliegen :)
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Kylearan am 06. Juni 2005, 18:06:43
 Ist Helion dann der Herr der Fliegen? ;-)

Kylearan
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 12. Juni 2005, 18:41:53
 Entwässerung
Nachdem sie Tarkilars Leiche durchsucht hatten – Boras zog ihm sogar Rüstung und Waffe ab -, machten sich die Kettenbrecher daran, die Durchsuchung der Ruinen zu vollenden. Thamior fand eine schwache Spur, der sie folgten, bis sie an die Räume kamen, in denen sie die bewusstlosen Wachen zurück gelassen hatten. Die Schwerter, mit denen die Türen blockiert waren, lagen achtlos in der Ecke, verbogen.

»Wir haben die Gefangenen vergessen«, sagte Thargad. »Bei Ilmater, sind wir dämlich!«

»Schaut mich nicht so an«, sagte Dirim, »ich war tot.«

Thargad öffnete  die Türe in den Schlafraum – und erstarrte. Vor ihm breitete sich ein Schlachtfeld aus. Der Boden war von Blut bedeckt – so viel Blut, dass es unter der Kruste immer noch flüssig war. Acht Wachleute waren an die Bettpfosten gefesselt und auf verschiedenste Arten gefoltert worden. Ihnen waren die Gedärme herausgerissen, der Brustkorb aufgesperrt, das Gesicht zerbissen worden. Mehr als einer hatte Blase und Darm entleert, als er den Tod kommen sah. Das Chaos und der Gestank in diesem Raum waren unerträglich.

Thargad schloss die Tür und taumelte zurück. Seine Stiefel hinterließen rote Ab-drücke. Helion übergab sich. Dirim dankte  Tyr, dass er tot gewesen war und somit  keine Schuld trug. Selbst Boras musste die Augen schließen. Das waren acht Tote, die schwer auf den Kettenbrechern lasteten.

Die Erkundung führte die Gruppe in die nördlichen Höhlen. Thamior schlich voraus, seine Elfensinne immer auf das Kommende gerichtet. Die Höhlen schienen verlassen, aber man wusste ja nie. Trotzdem sah er das Unheil nicht kommen, bis eine Glyphe vor seinen Augen in der Luft stand und in einem grellen Blitz explodierte. Thamior kniff die Augen zusammen, aber zu spät. Er war blind.

»Sollen wir dich hier zurücklassen?«, fragte Helion besorgt.

»Nein. Ich bin sicherer, wenn ich mitgehe.« Dem gab es nichts entgegen zu setzen.
Die Kettenbrecher fanden die Überreste von menschlichen und arachniden Zombies sowie das zerstörte Gerippe eines riesigen Skorpions. Scheinbar waren sie alle von Tarkilar zerschmettert worden. Sie fanden außerdem Tarkilars Unterschlupf, eine große von einer Explosion verwüstete Höhle. Dort stießen sie auf einen großen Sack, in dem der Wolfsmensch alle Schätze gesammelt hatte, die er aus den Höhlen bergen konnte. Auch die letzten Zauberstäbe waren darunter. Tarkilar hatte die Arbeit der Kettenbrecher für sie getan.

»Na dann«, sagte Helion, als er die Stäbe verstaute. »Kehren wir nach oben zu-rück.«

-

Am Stadttor mussten sie wohl oder über ihren Zoll entrichten, auch wenn Helion darauf bestand, dass die Helmkirche für die Zauberstäbe aufkam. Jenya schickte einen Boten mit dem Geld zum Tor, der die Helden sogleich zum Tempel begleitete. Immer noch regnete es, aber als die Kettenbrecher die Stufen zum Helmtempel erklommen, durchbrach ein erster Sonnenstrahl den schwarzen Himmel, gleichsam die Hoffnung, die in die Stadt zurückkehrte.

Ohne viel Gerede machten sich die Helmpriester daran, das Wasser zurückzudrängen. Es wurden Schichten eingeteilt, die rund um die Uhr gegen Überflutungen vorgingen. Der Glaube Helms erfuhr einen großen Schub, und kurzzeitig lief die Kirche den Tempeln von Azuth und Gond den Rang ab. Nur langsam verbreitete sich der Anteil der Kettenbrecher.

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Jenya kümmerte sich auch um Thamiors Erblindung. Als sie den Heilzauber gewirkt hatte, der dem Elfen das Augenllicht wiedergab, hielt er sie zurück.
»Ich möchte Euch noch etwas fragen.« Jenya setzte sich wieder und gebot ihm, fortzufahren. »Ich möchte wissen, was bei der Wiederbelebung meiner Tochter geschah. Helion sagte mir, es sei fehlgeschlagen – Anna wollte nicht zurückkommen?«

Jenya zögerte, unsicher, was sie erzählen sollte. Dann rang sie sich zu einer Entscheidung durch. »Die Erweckung schlug nicht fehl. Wir haben gar keine versucht.« Thamior wollte etwas sagen, doch sie hob die Hand. »Es hatte keinen Sinn. Eure Tochter hatte keinen Schutzgott, sie war eine Ungläubige. Es war ihr Schicksal, in Kelemvors Reich bestraft zu werden, für Generation um Generation, bis ihre Schuld beglichen.«

Danach schwiegen beide für eine lange Zeit. Aus der Ferne drang der Kirchenchor in die Kammer. Schließlich sprach der Elf: »Wie kann ich sie retten?«

Jenya schüttelte den Kopf. »Nur sie selbst hat sich retten können, als sie noch lebte. Ihre Zukunft liegt nicht mehr in der Hand eines Sterblichen. Um ihre Strafe zu beenden, bedarf es dem Einspruch eines Gottes.«

»Ich verstehe.«

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Bis zum Flutfest waren es noch ein paar Tage. Dirim verbrachte diese mit Ent-rümpelungsarbeiten. Er hatte einen Brief erhalten, in dem er befördert und zum Vorsteher des leerstehenden Tempels der Dreifaltigkeit ernannt wurde. Der Tempel war überwuchert, und ein paar Schädlinge hatten sich in ihm eingenistet, aber ansonsten war er in halbwegs vernünftigem Zustand. Die anderen Kettenbrecher zogen auf Dirims Einladung hin ebenfalls in den Tempel; es gab genügend freie Räume, um sie alle aufzunehmen. Selbst Dirims Pony bekam einen Stellplatz im Stall.
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Thamior hingegen verließ Cauldron für eine Weile. Er verschwand tief im Wald, bis er auf eine Lichtung stieß, die ihm passend schien. Dort ließ er sich nieder. Den folgenden Tag verbrachte er mit Gebeten und Ritualen, die Solonor Thelandira gewidmet waren. Darin bat er um einen Weg, die Strafe seiner Tochter beenden zu können. Als die Sonne am nächsten Morgen aufging, hatte Thamior das Gefühl – nein, er schien zu wissen -, dass Solonor ihn erhört hatte. Er begab sich in Trance, und nachdem er sich erholt hatte, kehrte der Elf nach Cauldron zurück.

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»Da seid ihr ja.« Arlynn lächelte fröhlich. »Ich habe euch vermisst.«

»Ich war unterwegs«, sagte Thargad und setzte sich.

»Habt ihr neue Abenteuer erlebt? Erzählt sie mir!« Arlynn sah Thargad mit großen, dunklen Augen an, hingerissen und hinreißend zugleich.

»Also, es gab da diese ehemalige Angehörige der Stadtwache...« Thargad berichtete ihr von dem Erlebten, und Arlynn hörte gespannt zu. Hin und wieder unterbrach sie ihn mit Nachfragen oder einem Ausdruck von Erschrecken. Als er geendet hatte, schien sie voller Bewunderung.

»Und was habt ihr erlebt?«

»Ach, im Vergleich erlebe ich nichts«, sagte sie schüchtern. »Unsere Köchin ist zum dritten Mal schwanger geworden, und ein Bursche wurde erwischt, wie er Weinflaschen stehlen wollte.«

»Und mit Lord Aslaxin ist alles in Ordnung?«

»Von ihm habe ich nichts gehört. Aber einige aus seinem Haushalt behaupten, ich hätte versucht, ihn zu verführen, und dann seinen Sohn, bis er mich rauswerfen musste.«

»Das ist ja...«

«...nicht so schlimm«, unterbrach sie ihn. »Es ist Gerede, und die Bediensteten der Dame Knowlern halten zu mir. Es geht schon.« Arlynn musste gähnen. »Es ist spät. Bringt ihr mich nach Hause?«

»Natürlich.«

Vor dem Eingang zu Ophellia Knowlerns Anwesen blieben sie noch einmal stehen.

»Es war ein netter Abend«, sagte Arlynn.

»Das fand ich auch.«

Für einen Atemzug herrschte Stille.

»Sagt mal«, fragte Arlynn dann, »wollt ihr mich vielleicht zum Flutfest begleiten?«

»Das würde ich gerne.«

»Danke.« Dann beugte sie sich vor und gab Thargad einen Kuss auf die Wange, bevor sie blitzschnell im Hof des Anwesens verschwand.

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Auch Thargad hatte einen Brief erhalten. Dieser war von seinem Mentor geschrieben, dem Anführer einer kleinen Gruppe von Freiheitskämpfern. Berion, so hieß er, hatte vor Jahren eine enge Freundin in bestem Wissen fortgeschickt, nur um sie als Assassinin zurückkehren zu sehen. Bei einem persönlichen Gespräch hatte sie Berion, der bis zuletzt gehofft hatte, sie retten zu können, ermordet. Nur Berions Pflichtbewusstsein und sein Traum von einer freien Welt hatten ihn aus dem Nachleben zurückkehren lassen. Sein Brief klang düster, von Vorahnungen erfüllt, voller Angst, mit Thargad dasselbe zu erleben.

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»Da haben wir ja unsere Helden«, freute sich Severen Nalavant. Er stand aus seinem Sessel auf und begrüßte die Kettenbrecher mit einer überschwänglichen Umarmung. Terseon Skellerang und Tenebris Valanthru sahen mit eiserner Miene zu. »Setzt euch doch, setzt euch.«

Die Kettenbrecher hatten heute, einen Tag vor dem Flutfest, dass traditionell am Tag der Hochernte abgehalten wurde, den Ruf zu einer Audienz vernommen. Während die Bürger Cauldrons ihre Straßen mit Girlanden und Laternen schmückten und Zelte errichteten, während Barden, Händler, Reisende und Taschendiebe in die Stadt strömten, hatten sie sich also im Stadthaus eingefunden.

»Erst einmal möchte ich euch erneut danken«, hob der Stadtherr an. »Ihr habt Cauldron erneut einen großen Dienst erwiesen. Ohne euch wäre das Flutfest wohl ins... na ja, ins Wasser gefallen.«

»Im wahrsten Sinne«, sagte Dirim. »Ich verstehe nicht, warum ihr keine Vor-kehrungen getroffen habt.«

»Nun ja«, sagte Severen betroffen »diesen Fehler müssen wir uns wohl ankreiden lassen.« Er sah zum Fenster heraus. Immer noch regnete es leicht, aber dank der Zauberstäbe waren die Regenfälle keine Gefahr mehr. »Aber ihr müsst verstehen, seit über zehn Jahren gab es keine Fluten mehr.«

»Wie dem auch sei«, sagte Helion. »Was können wir für Euch tun?«

»Ihr?« Der Stadtherr legte eine Hand aufs Herz, als wäre er verletzt. »Aber ich bitte euch. Wir müssen Euch einen Dienst erweisen! Ist es immer noch so, dass ihr Bürger Cauldrons werden wollt? Bedenkt, dass ihr dann Steuern zahlen müsst.«

»Es wäre uns dennoch eine Ehre.«

»Nun denn. Tenebris?«

Der hochgewachsene Fürst Valanthru trat vor und überreichte Helion eine Schriftrolle. »Dies ist der Eid, den ihr schwören müsst.«
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»Wir werden die Verleihung der Bürgerehre morgen bei der Eröffnung des Festes vornehmen«, fügte der Stadtherr hinzu. »Ist das nicht wundervoll?«

Helion las die Schriftrolle. Er runzelte die Stirn.

»Stimmt etwas nicht? Tenebris, habt ihr ihm die rechte Rolle gegeben? Den echten Eid?« Severan zwinkerte Helion zu. »Habt Ihr bemerkt? Ich bin doch ein Schelm!«

»Äh... das seid ihr wohl. Nun, ich frage mich tatsächlich, ob dies der normale Eid ist.«

»Natürlich ist er das.« Die Augen des Goldelfen blitzten in ebendieser Farbe. »Habt ihr ein Problem damit?«

»Vielleicht.« Helion begegnete Valanthrus Blick.

»Nun, überlegt es euch doch einfach, ja?« Severen Nalavant tätschelte Helions Hand. »Sagt mir einfach morgen vor der Zeremonie Bescheid.«

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Als die Kettenbrecher in den Helmtempel kamen, erwartete sie eine ärgerliche Nachricht. Die Sturmklingen hatten – im Auftrag des Stadtherren natürlich – die Katakomben unterhalb Keygan Ghelves Schlosserei betreten und jede noch lauernde Gefahr beseitigt. Dann hatten sie das Tor ins Unterreich blockiert, den Aufzug in die Malachitfeste zerstört, und schließlich mit Zauberstäben und Schriftrollen dafür gesorgt, dass diese Zugänge und auch der Weg nach Jzadirune verschüttet wurden. Nun war auch klar, warum sie beim Verlassen des Stadthauses (von Thargad beobachtet) so siegessicher gegrinst hatten.

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»Was haltet ihr von diesem Eid?«

Jenya las den Zettel. »Er wurde verändert.«

»Seid ihr sicher?«

»Natürlich. Man hat zuvor nicht auf den Stadtherren geschworen, sondern auf die Stadt.«

»Wann war der letzte Schwur?«, fragte Helion.

»Etwa vor einem halben Jahr, würde ich sagen.«

»Also ist die Änderung sehr frisch. Vielleicht sogar nur für uns. Und jetzt?«

»Diesen Eid schwöre ich nicht«, sagte Thargad bestimmt. »Ich kann ihn nicht halten.«

»Mein Eid an Tyr geht vor«, gab Dirim zu bedenken. »Im Zweifel kann ich diesen Eid missachten.«

»Aber würde Tyr wollen, dass du einen Eid schwörst, den du nicht einhalten willst?«, fragte Jenya. Dirim schwieg zur Antwort.

»Ich schwöre das auch nicht«, sagte Boras bestimmt. Thamior stimmte ihm zu.

»Ich will nur Bürger werden«, sagte Helion. »Zur Not schwöre ich auch das.«

Jenya sah ihn an. »Auch euch würde ich raten, nicht zu locker mit diesem Eid umzugehen. Schließlich wird ganz Cauldron hören, was ihr schwört. Wenn ihr diesen Schwur leichtfertig brecht, habt ihr viele Zeugen, die diese Untreue bezeugen können.«

»Das stimmt«, sagte Boras. »All die Leute.«

»Der ganze Druck«, sagte Thargad.

»Die Erwartungshaltung«, fügte Thamior hinzu.

»Wenn da etwas schiefgeht«, meinte Dirim.

Die Kettenbrecher begannen zu lächeln.

»Ich glaube«, sagte Helion zufrieden, »wir haben eine Idee...«

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Als sie den Tempel verlassen wollten, rief Jenya Helion noch einmal zu sich.

»Seid vorsichtig«, mahnte sie. »Ihr geht einen gefährlichen Weg.« Dann nahm sie ein kleines Büchlein hervor. »Ich habe dies bei Sarcems Sachen gefunden. Es ist nicht seine Schrift, und eine erste Übersetzung ergab, dass es wohl für Euch ist.«

Helion nahm das Büchlein in die Hand. Sein Inhalt war in Thorass gehalten. Die Schrift schien ihm bekannt, aber erst eine Übersetzung gab ihm Gewissheit: Das Buch enthielt ein paar Notizen und Zauber von Horas Lutharia, dem Safir. Die Notizen erwähnten seinen Namen und deuteten darauf hin, dass in den Schätzen – und ihren Nachkommen? – magische Kräfte schlummerten, die durch einen Zauber kurzzeitig erweckt werden konnten. Dieser Zauber war ebenso enthalten wie eine letzte Notiz:

»Azuth hat mir die Augen geöffnet! Beinahe hätte ich einen großen Fehler ge-macht, ich Idiot! Zum Glück sind mir die Unregelmäßigkeiten aufgefallen. Ich werde sie zur Rede stellen, sobald wir zurück sind. Vielleicht habe ich mich ge-täuscht... ich hoffe es.«

»Ich habe nur die erste Seite entziffert«, sagte Jenya. »Ich hoffe, es hilft euch weiter.

»Das wird es ganz bestimmt«, sagte Helion und versuchte, nicht zu sehr auf das flammende Auge zu starren, das auf der Brust von Jenyas Rüstung eingebrannt war. Ihr drittes Auge.

»Wir sehen uns morgen beim Flutfest?«, fragte Helion zum Abschied.

»Oh, glaubt mir«, sagte Jenya, »Euren Auftritt würde ich um nichts in der Welt verpassen.«
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 12. Juni 2005, 18:48:47
 Und wir sehen uns nächste Woche beim Flutfest :D
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 15. Juni 2005, 23:47:18
 Da ich am Wochenende evtl. keine Zeit habe, kriegt ihr das jetzt schon :)
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 16. Juni 2005, 00:16:00
 Das Flutfest
Am Morgen der Hochernte war der Himmel zum ersten Mal seit Monaten nicht voller Regenwolken. Es war kühl, aber noch nicht unangenehm, und die ganze Stadt fieberte dem Flutfest entgegen. Gähnende Schankwirte stachen Fässer an, Zelte wurden geöffnet, Bänke von Pfützen befreit. Die ersten Barden bevölkerten die Straßen, und die Stadtwachen marschierten mürrisch durch die Straßen, weil sie Dienst schieben mussten. Wehe dem Dieb, der diesen übellaunigen Kerlen unter die Augen kam.

Severen Nalavant empfing die Kettenbrecher am Stadthaus.

»Habt ihr euch entschieden?«

»Wir werden den Eid ablegen«, sagte Helion.

»Wunderbar!«, rief der Stadtherr. »Kommt, es ist fast soweit.«

Gemeinsam traten die Kettenbrecher, der Stadtherr und seine Berater Skellerang und Valanthru auf den Balkon. Der weite Platz vor dem Stadthaus war voller Menschen, die ihren Auftritt mit Jubel begleiteten. Auf einer kleinen Bühne, auf der bald der Bardenwettstreit stattfinden sollte, saßen die Adeligen und sahen zu ihnen hinauf. Helion winkte zu den drei anwesenden Sturmklingen herunter (Corah Lathenmire befand sich nahe der Bühne unter dem Volk). Selbst auf diese Entfernung sah man die Dolche, die Annah Taskerhills Blick verschoss.

»Eine tolle Aussicht«, sagte Helion.

In der Mitte des Platzes stand die große Statue Surabar Zaubermeißels, dem Gründer Cauldrons, Redgorges und Kingfisher Hollows (zwei nahegelegene Städte). Am Rande des Platzes erhob sich außerdem das noch verhüllte aber dennoch imposante Gerüst, das die Gondkirche für das Flutfest erbaut hatte.

»Meine lieben Mitbürger«, begannn Severan Nalavant seine Rede, »heute begehen wir zum fünften Mal unter meiner Herrschaft das Flutfest. Und beinahe wäre dieses fünfte Mal im allerwahrsten Sinne untergegangen, doch stand uns zur rechten Zeit eine Handvoll Helden zur Seite. Wieder einmal haben uns die Kettenbrecher gerettet, und wieder einmal stehen wir tief in ihrer Schuld.«

Er wandte sich an die Kettenbrecher. »Deshalb ist es mir eine Ehre zu verkünden, dass diese Helden einen Wunsch geäußert haben. Einen Wunsch, der ihre Verbundenheit mit unserer großartigen Stadt demonstriert. Sie wünschen sich, Bürger unserer Stadt zu werden. Angesichts ihrer Verdienste kann ich nicht umhin, diesem Wunsch mit Freuden zu entsprechen. Unsere Helden werden nun den Eid auf die Stadt ablegen.«

Als Erster trat Dirim vor. Er nahm Eid hervor und wandte sich an das Volk. »Ich gelobe im Angesicht Tyrs, dass ich all mein Wohl dem Wohle Cauldrons unterordnen, dass ich mein Streben nach ihrem Wunsch und mein Gut ihrer Verfügung unterstelle. Die Stadt soll mein Herz einnehmen, und keine Liebe der Welt mag mit ihr konkurrieren. Das gelobe ich, das schwöre ich, so wahr mir Tyr helfe.«

Großer Applaus und Jubel brandete auf, und Severan Nalavant klatschte begeistert in die Hände. »Wundervoll! Wundervoll!« Er wischte sich eine Träne aus dem Auge.

Helion hatte Tenebris Valanthru im Auge behalten. Die Miene des Elfenfürsten war versteinert und verriet keine Regung, aber er wirkte dennoch wütend. Seine goldenen Augen brannten wie kleine Sonnen, als nun ein Kettenbrecher nach dem anderen Dirims Eid wiederholten. Boras schwor auf Uthgar, Thargad auf Ilmater, Thamior auf Solonor Thelandira und Helion auf Azuth. Jedes Mal jubelten die Leute.

Schließlich gebot Severen Nallavant den Kettenbrechern, zu knien. Dann breitete er seine Arme über sie aus. »Ihr kamt als Fremde, nun erhebt euch als Freunde. Willkommen in Cauldron!« Wieder jubelten die Leute. Nur unter den Sturmklingen blieb es still, wenn auch Corah Lathenmire verstohlen applaudierte.

Der Stadtherr bat erneut um Ruhe. »Trotzdem ist es mir sehr unangenehm, stets auf die Hilfe von Fremden vertrauen zu müssen. Angesichts der Unsicherheiten, die sich in Cauldron zu sammeln scheinen, habe ich beschlossen, darauf zu reagieren. Mein Freund Tenebris, unser Fürst Valanthru, hat bereits begonnen, die Stadtwache weiter aufzustocken. Zu diesem Zweck werden in den nächsten Tagen Söldner von außerhalb nach Cauldron stoßen, um dem Recht zu seinem... ähm... Recht zu verhelfen. Des Weiteren hat Hauptmann Skellerang um die Bildung einer magischen Gefahrenabwehr gebeten, und ich habe diese Bitte gewährt. Was auch immer geschehen mag, liebe Mitbürger, Cauldron wird sicher sein!«

Bei diesen Worten hatte sich Valanthrus Miene aufgehellt, und er lächelte be-scheiden, als sein Name fiel. Terseon Skellerang hingegen errötete ein wenig bei seiner Erwähnung.

»Eine Magische Gefahrenabwehr?«, fragte Thargad leise. »Bin ich der Einzige, für den das gefährlich klingt?«

»Und diese Söldner«, fügte Dirim hinzu.

»Später«, sagte Helion bestimmt.

Schließlich eröffnete Severen Nalavant das Flutfest, und die Kettenbrecher zer-streuten sich, um den Tag zu genießen.

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Arlynn trug ein Kleid aus grünem Stoff, das ihre Augen betonte. Ihre schwarzen Haare standen wie immer strubbelig ab, ihre Wangen waren leicht gerötet.

»Ich habe etwas für Euch«, sagte Thargad nach einer kurzen Begrüßung. Er überreichte ihr eine kleine Schatulle, in der eine silberne Kette lag. Arlynns Wangen röteten sich noch mehr.

»Habt vielen Dank. Ich werde sie gleich umlegen.« Danach reichte sie Thargad ebenfalls ein kleines Kästchen. »Für euch.«

Im Kästchen befand sich eine silberne Brosche in Form einer Handfessel, deren Ketten gebrochen waren. Auch Thargad bedankte sich und steckte die Brosche an seine Brust.

»Was möchtest du dir ansehen?«, fragte er.

»Den Bardenwettstreit und das Gondgerüst«, sagte Arlynn. »Dann können wir ja weitersehen.«

»Also los.«

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Der Bardenwettstreit war in vollem Gange, als sie den großen Platz erreichten. Sie sahen die Brüder Velistin, Halbingsturner und Publikumslieblinge; Brultag Runenhauer, einen Halbork, der von alten Schlachten berichtete; Melianor Silberzunge, einen halbelfischen Historiker, der seine Geschichten mit der Trommel unterstützte; die Eisenwaage, ein Quartett von Kobolden, die zur Musik eines Elfen tanzten und turnten; und zwei verschiedene Puppenspieler.

Schließlich aber schaffte es das Thanduurquartett ins Finale. Die vier Zwerge spielten eine weitere Zwergische Heldenoper. Die zweite Finalteilnehmerin war Annah Taskerhill, die ebenfalls viel Unterstützung aus dem Publikum erhalten hatte. Sie wollte als Gegenstück zu den Zwergen ein elfisches Liebeslied singen, aber als sie den Mund öffnete, kam nur ein Krächzen heraus. Vor einem unruhigen Publikum begann sie noch einmal, aber wieder kam kein Ton von ihren Lippen. Den Preis, eine Platinnadel in Form einer Welle, bekamen daraufhin die Zwerge überreicht, während Gerüchte über eine Vergiftung die Runde machten.
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Helion stand etwas unschlüssig vor dem Ausrichter des Zauberwettstreits. Vortimax Weer und Skie Aldersun hatten ihre Teilnahme schon erklärt, und einige wohlmeinende Stimmen aus dem Publikum versuchten, ihn ebenfalls zu überreden. Aber erst als Helion erfuhr, dass der Sieger eine unverrückbare Rute gewinnen würde, war er mit dabei.

Der Wettstreit bestand aus drei Runden. In der ersten Runde mussten die Teilnehmer ein magisches Phänomen ihrer Wahl erläutern. Dabei schnitt Helion nicht sehr gut ab. Die Leistung eines jeden Teilnehmers wurde durch Publikumsapplaus bewertet, und vom Schiedsrichter – einem Kleriker von Azuth – in Perlen umgesetzt. Vortimax Weer erhielt hier ebenso die meisten Perlen wie im zweiten Teil, bei dem man einen Zaubertrick möglichst ausgefallen interpretieren musste.

Schließlich ging es zur letzten Prüfung. Auf einem Podest standen drei verschlossene Aquarien, in denen eine Flaschenpost schwamm.

»Das Ziel der Herausforderer ist es, den Brief zu erlangen, ohne ihn nass werden zu lassen«, erklärte der Priester. »Wenn zwei Teilnehmer gleichzeitig fertig werden, entscheidet die Zahl der Perlen über den Sieg. Ansonsten gewinnt der Schnellste. Möge Azuth mit euch sein. Los!«

Vortimax Weer begann, indem er die Stirn in Falten legte und nachdachte. Langsam ging er um das Aquarium herum. Skie Aldersun begann, ein Monster herbei zu zaubern. Helion untersuchte den Deckel, aber er war dicht. Schon begann Vortimax Weer, das Wasser im Aquarium abzusenken, während Skies beschworener Oktopus die Flasche öffnete und den Brief durchnässte. Skie fluchte.

Helion schüttelte den Kopf. »Das ist mir zu doof«, sagte er und nahm einen Stein vom Boden auf. Dann zerschlug er das Aquarium. Wasser ergoss sich über ihn, aber er fischte die Flaschenpost aus den Trümmern und zog den Brief heraus. Vortimax Weer sah ihn funkelnd an, während Skie über die Lösung lachte. Der Azuth-Kleriker nickte lächelnd.

»Nicht immer ist Magie der beste Weg, um ein Problem zu lösen. Der weise Magier tut wohl daran, sich dessen zu erinnern. Herzlichen Glückwunsch, Helion Dambrodal. Ihr habt gewonnen.«
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»Kommt, Freunde, versucht euch beim Bärenringen des Verrückten Ernst!«

Die Stimme war selbst über dem Lärm einer amüsierten und betrunkenen Menge zu hören. Boras drängte sich durch das Gewühl. Der „Verrückte Ernst“ war ein Mann mittleren Alters und starken Hinkens. Er hatte drei Schwarzbären verschiedener Größe an einen Pflock gebunden, und in einem Kastenwagen hockte  ein gewaltiger Braunbär. Zwei Magier mit freundlichem Blick standen nahe bei. Gerade hatte Ernst den kleinsten Bären wieder angebunden und gratulierte einem etwa achtjährigen Jungen.

»Gut gemacht, Kleiner. Hier hast du einen Lutscher. Nein, wasch dir zuerst das Fell von den Händen.« Er bemerkte Boras. »He, du da! Willst du es nicht mal versuchen?«

»Erzähl mir erst mal mehr.«

»Aber bitte. Du zahlst einen Paxar und trittst gegen meine Bären an, oder besser einen der Bären deiner Wahl.«

»Und was kann man gewinnen?«

»Gewinnen? Ehre! Und vielleicht auch eine Kleinigkeit aus meinen Taschen, je nachdem. He, Kleiner!«, rief Ernst einem Jungen zu, der sich dem Wagen näherte, «Lass das Mannweib in Ruhe! Die ist auch so schon mürrisch genug.«

»Ist das nicht gefährlich?«

»Was? Ein Kerl wie du hat Angst vor der Gefahr?« Ernst lachte. »Aber keine Sorge, ich hab den Bären die Krallen entfernt.«

»Aber nicht das Gebiss«, fügte einer der Magier hinzu.

»Wohl wahr. Also, wie sieht’s aus? Such dir einen aus und versuchs. Wenn du den Bären auf den Boden zwingst, hast du gewonnen, wenn er dich runterbringt, verloren.«

»Ich machs«, sagte Boras.

»Na also. Gut, hör zu. Der kleine Teddy ist für Kinder, also fällt der weg. Grummler ist für Jugendliche und Elfen. Mahler da vorne ist schon ein ziemliches Biest. Und das Mannweib ist nur für Mutige und Verrückte. Wer solls sein?«

»Das Mannweib.«

Ernie schüttelte den Kopf. »Wenn du meinst. Na dann, holen wir sie mal aus dem Kasten raus.«

Mannweib war ein wirklich riesiger Bär. Als sie sich auf ihre Hinterpfoten stellte, überragte sie Boras spielend. Trotzdem versuchte der Barbar es mit einigen Griffen, während ihn der Braunbär mit krallenlosen Tatzen aus dem Gleichgewicht zu bringen suchte. Es war ein ungleicher Kampf, und bald lag Boras unter einer halben Tonne Felll begraben und fühlte heißen Atem an seiner Kehle. Erst nach ein paar Augenblicken gab Ernst das Kommando zum Aufhören, und Mannweib ließ sich zurück in den Wagen führen.

»Schade, schade. Vielleicht gelingt es dir im nächsten Jahr.«

Boras antwortete lachend: »Ich komme wieder.«
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Thamior stand vor einem behelfsmäßig aussehenden Aufbau inmitten einer Schar von Schaulustigen.

»Was gibt es denn hier?«

»Messerwerfen«, verriet ihm eine Dame. »Zwei Leute stellen sich an den Holz-wänden gegenüber, dann zieht man einen Umriss aus Kreide um sie herum. Sie werfen mit Dolchen aufeinander mit dem Ziel, den Umriss zu treffen. Wer ausweicht oder daneben wirft, hat verloren.«

»Aber es ist doch nicht schwer, einen Kreidekreis zu treffen.«

»Vielleicht«, gab die Dame zurück. «Aber nach jedem Wurf muss man ein Schnapsglas trinken. Da wird das Zielen schnell zur Kunst. Und wenn wir Glück haben, wird sogar einer der Teilnehmer getroffen.«

»Ich verstehe.« Thamior entfernte sich von der Frau und ging auf einen Tisch zu. Der Mann daran war augenscheinlich der Aufseher dieses Spiels.

»Ich möchte teilnehmen«, sagte Thamior.

»Nur zu, Freund Elf. Ihr könnt gegen den Wachmann Skylar Krewis antreten, wenn ihr wollt. Er hat fünf Königinnen als Einsatz hinterlegt.«

»Ich biete zehn.« Thamior wandte sich um und sah Todd Vanderboren, der ihn mit feindseligem Blick anstarrte. »Diesem Kettenbrecher werde ich zeigen, wie  man Dolche wirft.«

Thamior senkte den Kopf zum Gruß. »Ich nehme an.«

Kurz darauf standen sich die beiden sechs Meter entfernt gegenüber. Beide hatten ihren Oberkörper freilegen müssen, dann hatte man ihnen jeweils einen Dolch gereicht. Thamior wog die Waffe in seiner Hand und warf sie spielerisch in den Kreidekreis um Todd herum. Dann wurde ihm doch etwas mulmig, als ihm klar wurde, dass er für die Sturmklinge auf dem Präsentierteller lag. Todd könnte einen gezielten Wurf anbringen und er, Thamior, dürfte nicht einmal ausweichen. Dann landete Todds Dolch zitternd im Holz neben seinem Ohr.

»Meine Herren, der Schnaps.« Beide bekamen ein Schnapsglas gereicht und leerten es in einem Zug. Dann begann alles von vorne.

Thamior war bei seinem dritten Schnaps angelangt. Trotzdem hatte er den Kreidekreis getroffen. Er spürte den Alkohol in seinem Blut, aber auch Todd hatte ein leicht gerötetes Gesicht. Was Thamior aber mehr beschäftigte war die Tatsache, dass er in den Augen seines Gegenüber einen dunklen Zug bemerkt hatte, der mit jedem Schluck stärker wurde. Bald würde Todd wohl nicht mehr auf den Kreidekreis zielen, und für einen Moment hatte Thamior mit dem Gedanken gespielt, absichtlich vorbei zu werfen. Aber er würde sich nicht davonstehlen.

Jetzt kniff Todd die Augen zusammen und fixierte Thamior. Er leckte sich die Lippen, dann hob er den Dolch zum Wurf. Die Waffe schnellte durch die  Luft und rammte sich ins Holz. Ein Raunen der Enttäuschung erklang; Todd hatte verfehlt und dabei nicht einmal den Elfen verletzt.

Thamior steckte die Goldmünzen ein, die er gewonnen hatte, und verneigte sich vor Todd. »Danke für die Lektion.«
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Dirim nahm an einem Redewettstreit teil. Sechs Redner bekamen jeweils einen Zeitraum des Lebens zugelost und mussten diesen mit geschliffener Rede und spitzer Zunge zur besten Zeit erklären.  Dirim hatte die Kindheit gezogen – er war nur froh, nicht den Tod loben zu müssen – und sein größter Widersacher, Melianor Silberzunge, die Jugend. Dirim zog alle Register, aber der Elf hielt seinen Argumenten stand. Bald stand beiden Kontrahenten der Schweiß auf der Stirn, und die Eieruhr, die das Ende des Wettstreits signalisierte, leerte sich zusehends.

»...und zudem wird man in der Jugend wie ein Erwachsener behandelt, aber darf dennoch weiter kindisch sein«, schloss Mellianor eine weitere Argumentation.

Dirim leckte sich die Lippen. Er hatte höchstens ein paar Augenblicke, um dem noch etwas zu entgegnen, und er spürte, dass der Elf knapp die Oberhand hatte. In seiner Verzweiflung griff er zu einem Trick.

»Aber einem Jugendlichen bleibt die Mutterbrust versperrt, während man als Kind noch daran nuckeln darf.« Das Kichern des Publikums angesichts dieser Zote kam genau in dem Moment, indem die Sanduhr leer gelaufen war. Melianor sah missbilligend zu Dirim herüber, und auch der Zwerg selbst schämte sich ein wenig, wie tief er in die Schublade gegriffen hatte. Aber die folgende Abstimmung gab ihm recht, denn er gewann den Wettstreit und damit einen Beutel voller Doppelgoldmünzen, offiziell Sterne genannt.
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Das Gerüst des Gondtempels war ein beeindruckendes Werk. Bretter und Gebälk ragten aus einem künstlichen Wassertank, der den Aufprall stürzender Teilnehmer abfedern sollte. Thargad und Arlynn kamen gerade dazu, als Thamior den letzten Sprung zu kurz ansetzte und ins Wasser fiel. An der Aufstiegsrampe stand ein durchnässter Zacharias Aslaxin, der sich gerade mit Corah Lathenmire stritt.

»Du gehst nicht noch mal da rauf«, sagte Corah gerade. Zachary schien nicht richtig zuzuhören.

»Das war ganz schön knapp«, sagte Thargad zu Thamior, der aus dem mit Aalen und Krebsen gefüllten Becken kletterte. »Was gibt’s denn hier zu gewinnen?«

Thamior legte den Kopf zur Seite und schüttelte sich Wasser aus den Elfenohren. »Den goldenen Stab da oben auf dem Podest«, antwortete er. »Und einen Kuss von Annah Taskerhill.«

»Ach ja?« Thargads Augen zuckten. Er wandte sich an Arlynn: »Hättest du was dagegen, wenn ich..?«

»Aber nein!«, rief sie aus. »Ich fänds toll!«

»Na dann...«

Thargad bezahlte den Eintritt und sah, wie der Gondpriester eine große Sanduhr umdrehte. Eine Minute hatte er nur Zeit, er müsste sich beeilen. Schnell kraxelte er die glitschige Rampe empor, die Thamior zuvor mit seinen Spinnenschuhen erklommen hatte. Schon stand er vor den Pendeln, die den schmalen Weg blockierten. Er tänzelte um zwei dieser Pendel herum, aber das dritte traf ihn direkt an der Schulter. Er fiel, hörte Arlynn aufschreien, und packte im Sturz den Sims, auf dem er gerade noch gestanden hatte. Das Volk applaudierte, als er sich wieder hochzog. Vorsichtig balancierte er über das nächste Stück und stand schon vor der letzten Prüfung: einem weiten und hohen Sprung an ein Podest, auf dem der besagte Goldstab ruhte. Thargad leckte sich die Lippen.

»Du schaffst es!«, rief Arlynn. Thargad nahm zwei Schritte Anlauf und sprang los. Er bekam das Podest gerade so zu fassen und baumelte für einen Moment, dann zog er sich hoch und griff den Stab. Das Publikum jubelte. Annah Taskerhill lächelte das falscheste Lächeln des letzten Jahrzehnts, als sie Thargad einen kurzen Kuss aufdrückte. Arlynn hingegen schien ehrlich begeistert.
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Viel zu schnell wurde es Abend, und es wurde Zeit für das große Rennen. Arlynn musste nach Hause zurückkehren, um für die Rückkehr der Dame Knowlern bereit zu sein. Thargad begleitete sie.

»Es war ein schöner Tag«, sagte Arlynn, als sie vor dem Tor standen.

»Mir hat es auch gefallen«, antwortete Thargad.

Arlynn schwieg. Thargad sagte nichts.

Dann küssten sie sich kurz, ein erstes Versprechen. Arlynn verschwand durch das Tor, nicht ohne sich noch einmal umzudrehen. Thargad sah ihr noch einen Moment nach, bevor er sich auf den Heimweg machte.

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Das Große Rennen führte die Teilnehmer einmal um die Stadt herum, dann zum See hinaus, und schließlich im Wasser entlang des Ufers bis zu einem mit Luft gefüllten Ball, der nahe des Pavillons schwamm. Corah Lathenmire, Thamior und Boras waren nur drei unter einem guten Dutzend Teilnehmern.

Gerade, als der Stadtherr das Rennen starten wollte, erschien ein großer Vogel über dem See.

»Seht doch nur!«, rief eine Stimme, und alle wandten sich zum Krater hin, wo der Vogel den Ball in seine Klauen nahm und über das Wasser trug. Erst in der Mitte des Sees fiel der Ball aus seinem Griff und kamm schwimmend zur Ruhe.

»Ich schwimme trotzdem«, sagte Elias, der elfische Mönch und zweifache Vorjahressieger. Seine ärgste Konkurrentin, die Halborkin Thuda, Rausschmeißerin in der Scheuen Fee, nickte zustimmend. Auch Corah Lathenmire und die beiden Kettenbrecher blieben dabei. Der Stadtherr gab den Startbefehl.

Zunächst liefen die Konkurrenten gleichauf die Obsidianalle entlang, um den Zuschauern Zeit zu geben, zum See herunter zu kommen. Dann, kaum dass sie den Startpunkt wieder erreicht hatten, ging das Rennen wirklich los.

Thamior hatte gleich einen kleinen Vorsprung, doch auch Boras hielt sich gut. Corah fiel gleich ein gutes Stück zurück, deutlich langsamer als die anderen vier. Schnell ging es durch enge Gassen, von Menschen gesäumt, und schon war der See in Sicht. Thamior und Boras kamen als Erste ans Wasser und begannen zu schwimmen. Kurz darauf sprangen auch Thuda und Elias in den See und nahmen die Verfolgung auf. Schnell wurde klar, dass diese Beiden wesentlich bessere Schwimmer waren. Corah hingegen war abgeschlagen, gab aber nicht auf. Die anderen Vier waren in etwa auf gleicher Höhe und hatten die Hälfte der Schwimmstrecke zurückgelegt, als sie sich vom Ufer abstieß.

Boras war ein wenig mulmig zumute. Er hatte nur einen Langdolch dabei, und angeblich hauste im Wasser ja ein Monster. Verstohlen blickte er nach unten - und sah einen Schatten. Im selben Augenblick zogen Thuda und Elias an ihm vorbei.

»Thamior«, rief Boras. Der Elf, ebenfalls chancenlos gegen die beiden Schwimmkünstler, sah zu dem Barbaren zurück. »Ich habe da was gesehen.«

Thamior starrte an Boras vorbei. Hinter dem Barbaren war eine Dreiecksflosse aus dem Wasser gekommen und schwamm direkt auf Corah zu. Die Flosse hatte die Größe von Boras’ Doppelaxt. Dem Elfen wurde mulmig. Zwischen ihm und dem Ufer befand sich nun ein gut sechs Schritt großer Hai.

»Vorsicht!«, rief Thamior. Corah sah auf und erschrak. Am Ufer erklangen Schreie, die nur teilweise damit zu tun hatten, dass Elias Thuda im Schlussprint geschlagen hatte. Der Hai machte einen kurzen Bogen, um dann wieder in Richtung Corah zu schwimmen.

»Hilfe!«, rief Corah und begann, rückwärts zu paddeln. Boras zückte seinen Dolch und schwamm zu ihr hin, gefolgt von Thamior.

»Wir müssen ihr helfen«, drängte Zacharias Aslaxin am Ufer. Annah nickte und nahm ihre Harfe ab.

»Was kümmert es dich?«, fragte Todd kühl. Annah stockte, dann sah sie weg. Zacharias machte einen Schritt aufs Wasser zu, und sie packte seinen Arm. Zacharias erstarrte.

Boras befand sich nun zwischen Corah und dem Hai. Wasser tretend sah er zu, wie der gewaltige Schädel, der den Barbaren ganz verschlucken konnte, durch das Wasser schnitt – immer in Richtung der jungen Frau. Der Hai passierte Boras, ohne ihn zu beachten. Boras stieß mit seinem Dolch zu. Der Stoß ritzte die Haut des Hais, und ein dünnes Rinnsal Blut quoll aus der Wunde hervor. Blitzschnell fuhr der Hai herum. Mehrere Reihen von Zähnen bohrten sich in Boras’ Arm und drohten, ihn abzureißen. Die Wunde brannte fürchterlich, unheilig.

Thamior stieß dem Hai einen Finger ins Auge, und sofort klappten die Kiefer wieder auf und ließen Boras los.

»Zum Ufer!«, rief Thamior, und Boras nickte. Nur weg von dem Hai.

»Das kannst du nicht ernst meinen«, sagte Zacharias. »Wir müssen ihr helfen.« Annah sah zu Todd, der kühl mit den Achseln zuckte. Dann sah sie zu Corah.

»Gut«, sagte sie. »Gehen wir.«

Corah erreichte keuchend das Ufer. Sie blieb im flachen Wasser liegen. Bald gesellten sich Boras und Thamior zu ihr, außer Reichweite des Hais, der noch einige Augenblicke versuchte, Corah zu erreichen, bevor er sich in Luft auflöste. Ein beschworenes Tier. Schnell kehrten auch Thuda und Elias ans Ufer zurück.

»Alles in Ordnung?«, fragte Helion besorgt. Boras sah auf seinen blutenden Arm. Die Wundränder waren schwarz geworden. Dennoch nickte er.

»Es geht schon.«
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-

»Herr Thargad?«

Thargad sah zu dem Jungen herunter, der das Abzeichen des städtischen Botendienstes trug.

»Ich habe eine Nachricht für Euch.«

Thargad bedankte sich und nahm den Brief entgegen. Er gab dem Jungen ein kleines Trinkgeld, dann zog er sich in einen Hauseingang zurück, bevor er die Schriftrolle ausbreitete. Sie war nicht unterschrieben:

»Thargad, es betrübt mich, diesen Brief zu schreiben, aber ein persönliches Gespräch ist zu riskant. Eure Sache, und sogar euer Leben ist in Gefahr!

»Arlynn gehört zum Letzten Lachen. Sie ist eine Mörderin und spioniert Euch aus. Ihr wahrer Name ist Jil.«
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Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Kylearan am 16. Juni 2005, 09:20:59
 Böser Teaser am Schluss, B. Böse!

Was mich richtig fuchst, warenn die Spellcraft-Proben beim Magierwettbewerb. Gewürftelte 5, gewürfelte 3. Und so kam besonders beim Zaubertrick trotz Spell Thematics, was die Zauber u.a. besonders aussehen lässt, nichts Sinnvolles heraus. (Trotz gemaxten Spellcraft-Skills auf +18 bei Stufe 6.) Grmpf.

Kylearan
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Gast_Berandor am 16. Juni 2005, 10:14:05
 Du hattest sogar ziemlich gute Skillboni; Skie war schlechter und Vortimax etwa gleich (obwohl beide hochstufiger sind).

Aber für die Spell Thematics hätte ich dir einen Bonus geben müssen - habe ich auch gepennt. Na ja, Vorti hätte trotzdem mehr Perlen gehabt und gewonnen hast du ja trotzdem.
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: shaz´narahd am 16. Juni 2005, 12:14:39
 ...und ich ärger mich schwarz, daß ich das nächste mal wieder nicht dabei sein kann *grumpf*.

Super Story, macht tierisch Spaß alles nochmal so nachlesen zu können.

shaz
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Kylearan am 16. Juni 2005, 12:16:52
Zitat von: "Gast_Berandor"
Du hattest sogar ziemlich gute Skillboni; Skie war schlechter und Vortimax etwa gleich (obwohl beide hochstufiger sind).

Aber für die Spell Thematics hätte ich dir einen Bonus geben müssen - habe ich auch gepennt. Na ja, Vorti hätte trotzdem mehr Perlen gehabt und gewonnen hast du ja trotzdem.
Jaja, zwei Action Points habe ich noch verbraten - das habe ich eben vergessen. Aber die Aktion hat schon Spaß gemacht!

Kylearan
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Hedian am 05. Juli 2005, 19:17:12
 Wann spielt ihr denn wieder? Ich will weiterlesen! :rolleyes:  
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Kylearan am 07. Juli 2005, 17:16:26
Zitat von: "Hedian"
Wann spielt ihr denn wieder? Ich will weiterlesen! :rolleyes:
*Druck auf B aufbauend*

Wir haben am Sonntag gespielt, und Berandor hat diese Woche Urlaub. Und weilt noch daheim.

Kylearan
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 15. Juli 2005, 13:57:19
 Tja, der Druck war umsonst, ich habe lange über der Ceramic-DM-Story geschwitzt und noch so ein paar Sachen in Gang setzen müssen.

Dafür habe ich meine Zeit am Meer genutzt, also geht es bald weiter.

Bald?

Jetzt! :D
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 15. Juli 2005, 14:02:52
 Obst stand im Weg

Thargad sah sich um, aber der Botenjunge war schon weg. Während seine Gedanken rasten, trugen ihn seine Füße automatisch zum See, zu den anderen Kettenbrechern.

Dort standen Cauldroniten um die Schwimmer herum und gafften. Dirim legte Boras gleich die Hand auf, aber die Wunde, wo der Hai ihn gebissen hatte, schloss sich nicht. Schwarzer Eiter verkrustete das offene Fleisch.

»Das sehe ich mir später an«, sagte Dirim und wandte sich zu den Sturmklingen. Corah Lathenmire blutete zwar auch, aber sie hatte anderes im Kopf.

»Spinnt ihr?«, fragte sie Annah Taskerhill. »Hättet ihr mich einfach abkratzen lassen?«

»Wir wollten gerade-«, begann Zacharias Aslaxin II.

»Du!«, fuhr Corah ihn an. Ihr Mund öffnete und schloss sich ein paar Mal, dann gab sie ihm eine Ohrfeige und stürmte an Dirim vorbei und  davon. Zacharias hielt sich die Wange und sah ihr verdutzt hinterher; Annahs Blick war beschämt. Todd Vanderboren betrachtete ruhig seine Fingernägel.

»War irgendwas?«, erkundigte sich Thargad bei Helion. Er hatte sich gerade durch die  Menge gekämpft.

»Kann man wohl sagen«, gab der Magier zurück.

Plötzlich schoss ein Armbrustbolzen an Thargads Kopf vorbei und ins Wasser. Die Blicke der Kettenbrecher zuckten hoch. Etwa hundert Schritt entfernt von ihnen machte sich gerade eine dunkle Gestalt von einem Hausdach davon.

»Dort!«, rief Boras und rannte los. Thargad und Helion rannten hinterher. Dirim sah zu Thamior, der sich um die beiden letzten Schwimmer kümmerte, und dann an seinem plattengepanzerten tonnenförmigen Zwergenkörper hinab.

»Ich bleibe bei dem Elfen«, sagte er. Fast klang es so, als meinte er es auch.

-

Der Assassine sprengte aus der Tür des Hauses, gerade als die Kettenbrecher um die Ecke bogen.

»Da ist er!«, rief Boras. Der Attentäter sah sich geschockt um und rannte los. Schnell bog er um eine Ecke, den Barbaren direkt hinter sich. Thargad blieb ebenfalls dran, während Helion merklich zurückfiel. Der Assassine rannte durch einen Torbogen, gerade als dort eine Schlägerei ausbrach. Boras konnte nicht mehr ausweichen. Er trat gegen die Wand, auf die Schulter eines der Streithähne, und setzte über den Tumult hinweg. Erschrocken sahen die  Streithähne ihm nach, als Thargad und Helion auch schon vorbeipreschten.

Wieder ging es um eine Ecke  in eine noch engere Gasse. Der Attentäter zerrte im Vorbeilaufen einen Obststand in den Weg. Der Verkäufer sah mit starrem Blick dem axtschwingenden Barbaren entgegen, der genau auf seinen Stand zuraste. Boras machte einen Satz. Der Baldachin des Obstkarrens  zerriss unter dem Gewicht des Barbaren, dann war er drüber hinweg und ließ einen ungläubigen Verkäufer zurück. Thargad rannte an dem Karren vorbei, aber Helion prallte davor.

Er fluchte, dann konzentrierte er sich. »Expeditio!« Von seinem Zauber beschleunigt, machte er sich auf die Suche nach den anderen.

Boras biss die Zähne zusammen. Er war schneller als sein Ziel, aber ständig schienen ihm Leute im Weg zu sein, und er konnte die Schnelligkeit nicht ausspielen. In einer parallelen Gasse sah er Thargad auf gleicher Höhe. Helion war irgendwo hinter ihm. Und der Attentäter vor ihm bog gerade in die Lavaallee ein. Endlich wurde die Straße etwas breiter. Boras grinste. Jetzt würde er ihn kriegen. Er bog um die Ecke und sah den Scherenschleifer vor sich, mit  seinem langen Stand voller Messer, genau in seinem Weg.

»Och nö«, sagte Boras.

Thargad sah, wie Boras in einem weiten Sprung über den Scherenschleifer flog. Ein langes Messer ritzte Boras’ Hose auf, aber ansonsten blieb er unverletzt. Thargad ignorierte die  Schmerzen in seinem Brustkorb und spornte sich noch einmal an, und tatsächlich kam er wieder ein paar Schritte an den Attentäter heran. Der Mann sah sich gehetzt um, und Thargad sah die Maske des Letzten Lachens auf seinem Gesicht.

Helion folgte den Spuren der Verfolgungsjagd, vorbei an erschrockenen Obsthändlern und Scherenschleifern. Er hetzte durch die Gassen auf der Suche nach einer Abkürzung, die ihn wieder ins Spiel bringen würde. Leider achtete er für einen Moment nicht auf seine Umgebung, bis er das verräterische Rauschen von entflammendem Benzin hörte. Er sah nach vorne, genau in die geweiteten Augen des Feuerschluckers, der gerade einen Schwall von Flammen in Helions Richtung blies. Mit von Magie beschleunigten Reflexen und von Zauberei verliehener Schnellkraft spannte Helion die Zehenspitzen an und stieß sich ab. Wie in Zeitlupe schwebte er in die  Höhe, spürte die  Hitze des Feuers, sah die Verblüffung im Gesicht des Feuerschluckers, war über sie hinweg, landete in vollem Lauf und rannte weiter.

Endlich war auch Boras wieder ein wenig herangekommen. Gleichauf mit Thargad konnte er schon den Schweiß des Verfolgten riechen, hörte seine schnellen Atemzüge. Gleich würden sie ihn haben.

»Haltet den Dieb!« Aus einer Seitenstraße kam eine dunkel gekleidete Gestalt geschossen, ein paar Wachen und einen Markthändler im Schlepptau. Der Assassine rannte direkt auf die Gruppe zu und durch sie durch. Thargad wand sich ebenfalls durch die  Menge, aber Boras prallte genau gegen einen der Wachleute. Beinahe wäre er gestolpert, aber mit  ein paar weiten Schritten fing er sich ab und rannte weiter. Der Wachmann hatte nicht so viel Glück und ging zu Boden, von wo aus er dem Barbaren hinterher sah, dann dem von ihm verfolgten Dieb, und schließlich mit der flachen Hand frustriert auf den Boden schlug.

Thargad war fast gleichauf. Er merkte, dass der Assassine ein Ziel hatte, beinahe angelangt war, aber er musste nur die Hand ausstrecken und könnte ihn packen. Wenn er dabei nicht über einen Pflasterstein stolperte. Hinter sich hörte er Boras schnaufen, als sich der Barbar wieder herankämpfte. Vor sich sah er einen Obststand auftauchen. Eine Gelegenheit. Mit einem schnellen Schritt rammte er den Assassinen, und gemeinsam prallten sie auf den Obststand. Äpfel, Birnen und Lychees aus Chult – weder rund noch oval, sondern kugelförmig – explodierten in alle Richtungen. Thargad taumelte, hielt sich aber auf den Beinen. Der Attentäter trat auf eine Banane, rutschte weg, stolperte, fiel aber nicht. Dann lag der Stand hinter ihnen, mit Ausnahme der Trauben und Kirschen in Thargads Haaren und Gesicht. Thargad freute sich schon, die klebrige Masse abzuwaschen.

Der Assassine bremste abrupt ab und rannte in ein Haus hinein, und Thargad grinste ob der Analogie. Es war das örtliche Badehaus. Dann fluchte er, als er auf dem glatten und nassen Boden beinahe ausgerutscht wäre, wenn Boras ihn nicht aufgefangen und stabilisiert hätte.

»Hast du dir was zu essen mitgebracht?«, fragte der Barbar mit funkelndem Blick.

Helion hatte die Verfolger gerade eingeholt, als sie in das Badehaus rasten. Nach kurzer Überlegung rannte er um das Haus herum und in den Hintereingang hinein. Kessel standen auf offenen Feuern, und zwei Badefrauen verbrachten  ihre Pause mit calishitischem Tabak. Durch eine weitere Tür, und Helion sah den Badesaal entlang. Etwa auf halbem Weg führten breite Stufen nach oben, und dahinter spurteten Assassine, Boras und Thargad an verwunderten Badegästen vorbei. Eine dicke Frau lief nichts ahnend dem Attentäter direkt in den Weg. Er wich aus, lief dann aber direkt auf einen großen Badezuber zu, der in den Boden eingelassen war. Die Frau kreischte, der Assassine stieß sich vom Rand des Zubers ab und landete gerade so auf der anderen Seite. Mit den Armen rudernd lief er weiter, fluchende Kettenbrecher im Schlepptau.

Helion machte sich in Richtung des Assassinen auf. Dieser sah ihn und bog im selben Moment auf die breite Treppe  ab. Mit großen Schritten folgten ihm die Kettenbrecher, zwei Stockwerke hoch, dann durch eine Tür, über einen Balkon aufs Dach. Dort rannte der Assassine geradewegs auf einen weiten Abgrund zwischen dem Badehaus und dem Nachbargrundstück zu, sah sich noch einmal um, und spie eine Zauberformel aus.

»Volta!« Seine Schritte wurden länger, zu Hüpfern, kleinen Sprüngen, als seien seine Fußsohlen elastisch, immer weitere Sätze, je näher der Abgrund kam.

Helion kniff die Augen zusammen. »So nicht«, sagte er. »So nicht.« Und dann: »Dispensat!«

Mit einem dumpfen Hall holte die Schwerkraft den Assassinen wieder ein, und aus seinen Hüpfern wurden Schritte. Er sah sich ängstlich um, machte noch einen Schritt, dann sprang er trotz des fehlenden Zaubers. Er sprang zu  kurz.

Die Kettenbrecher hielten schwer atmend am Rand des Daches an und sahen herab. Der Assassine lag auf dem Boden, benommen. Boras machte sich auf den Weg, um ihn zu stellen. Helion griff sich eine heil gebliebene Traube aus Thargads Haar.

»Keine Bewegung!«, rief er kauend herab. »Oder du bist tot.«

Und der Assassine bewegte sich nicht, bis Boras ihm die Axt an die Kehle hielt und Thargad und Helion vom Dach gekommen waren.

»Und jetzt kommst du erst Mal mit«, sagte Thargad, und sie zogen den benommenen Attentäter hoch.
 
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 17. Juli 2005, 13:14:03
 Das Torm-Zimmer

Der Tempel der Dreifaltigkeit war von einer efeubewachsenen Mauer umgeben. Durch die schwere Doppeltür, an den Kriegerstatuen vorbei, gelangte man in einen kleinen Park mit Bäumen und Kräutern, in dem sich drei Gebäude erhoben: ein Pferdestall, eine kleine Kirche mit einem Schlafsaal für nicht vorhandenes Personal, und ein Wohngebäude, deren Zimmer unterirdisch angelegt waren. Dirim hatte sein Lager im Quartier des ehemaligen Priesters aufgeschlagen, während die übrigen Kettenbrecher die Wohnräume unter der Erde bewohnten. Thargad schlief im Ilmater-Zimmer, Helion hatte das arkane Zimmer beansprucht, Boras das Tyrzimmer und für Thamior war das Tormzimmer übrig geblieben. In Abwesenheit des Elfen – er war außerhalb der Stadt – brachte man den Gefangenen dorthin.

Das Tormzimmer war einfach, aber nicht so schmucklos wie die Ilmaterkammer. Ein massiver Obelisk aus Malachit stand im Raum, voller Schwertkerben, und dort band man den Assassinen an. Dann holte Thargad aus der Schwefelquelle nahe des Eingangs heißes Wasser und wusch ihm die Schminke vom Gesicht. Darunter verbarg sich ein junger Mann mit rotem Haar und Sommersprossen.

»Dann mal raus mit der Sprache«, sagte Helion. »Wer bist du, und warum wolltest du Thargad töten?«

»Mein Name ist Kellen, und ich bin Assassine im Dienste des Letzten Lachens. Ich frage nicht nach den Gründen für meinen Auftrag. Ich weiß nur, dass der Hofnarr mich schickte, ihn«, er deutete mit dem Kinn zu Thargad, «umzubringen.«

»Und warum schickt der Hofnarr keinen richtigen Assassinen, der weiß, was er tut?« Kellen starrte ihn nur böse an.

»Sag uns alles, was du weißt, dann lassen wir dich vielleicht gehen«, sagte Boras. »Ansonsten tuts weh.«

Kellen schüttelte den Kopf. »Ihr habt nicht den Ruf, euer Wort zu halten. Ihr tötet mich so oder so.«

»Aber die Art des Todes ist unsicher«, gab Helion zurück.

Thargad nahm den Brief hervor, der von Arlynns Verrat sprach. »Kennst du diese Schrift?«

Ein Moment des Erkennens flackerte durch Kellens Gesicht. »Vielleicht.«

»Wem gehört sie?«

»Lasst mich gehen, und ich sage es euch.«

»Sag es uns, und wir lassen dich gehen«, stieg Helion auf den Handel ein. Er nahm den Rapier, den sie  Kellen abgenommen hatten, in die Hand. Wie seine Bolzen war die Klinge mit einer trägen Flüssigkeit bestrichen – eine Flüssigkeit, die Kellen in einer Phiole bei sich gehabt hatte. »Oder wir schauen mal, was dieses Gift bei dir verursacht.« Kellens Augen weiteten sich, aber er presste die Lippen fest zusammen.

»Was weißt du über Jil?«, fragte Thargad. Wieder keine Antwort.

»Also gut«, sagte Helion schließlich. Wir lassen dir etwas Zeit zu überlegen. Wenn wir wiederkommen, wirst du reden - oder sterben.«

Draußen reckte sich Helion. »Ich gehe mal hoch und rede mit Dirim. Vielleicht kann ich ihn überreden, den Kerl nicht umzubringen.«

Kaum war er fort, sahen sich Thargad und Boras an. Dann gingen sie zurück.

»Schon wieder da?«, fragte Kellen. »Ich hatte noch keine Zeit zum Nachdenken.«

»Kein Problem«, sagte Thargad. »Ich habe dir eine Denkhilfe mitgebracht.« Er nahm eine Fackel aus seiner Halterung und hielt sie dicht vor Kellens Gesicht. »Wem gehört die Handschrift?«

»Das wagst du nicht«, sagte Kellen. Thargad ging um ihn herum, auf die Rückseite des Obelisken, wo die Hände des Assassinen zusammengebunden waren. Dann presste er das brennende Ende der Fackeln auf die Handflächen. Kellen schrie, kreischte fast. Thargad nahm die  Fackeln weg.

»Es ist die Handschrift des Hofnarren!«, rief er. »Velior Thazo hat den Brief geschrieben!«

Thargad schluckte kurz. Dann fragte er: »Was weißt du über Jil?«

In diesem Moment kam Helion zurück.

»Helion!«, rief Kellen. »Ilmater sei dank! Sie haben mich gefoltert!«

»Es hat gewirkt«, sagte Boras nüchtern.

»Tu die Fackel weg«, sagte Helion zu Thargad. Dieser gehorchte zögernd. Dann wandte sich Helion an Kellen. Sein Mund hatte sich zu einer düsteren Karikatur eines Lächelns verzogen. »Magisches Feuer ist so viel heißer.«

»Aber-«

»Glaub ja nicht, dass ich dich beschützen werde. Du bist ein Mörder, und auch wenn du ein unfähiger Mörder bist, wolltest du doch meinen Freund umbringen. Du verdienst keine Gnade. Wie viele hast du schon umgebracht?«

»Einen«, antwortete Kellen sofort.

»Das stimmt vielleicht sogar, unfähig wie du bist. Also beantworte unsere Fragen, und vielleicht verschone ich dich.«

»Ist das guter Wachmann, böser Wachmann?«, erkundigte Boras sich bei Thargad. »Irgendwie dachte ich, das geht anders.«

»Also«, sagte Helion. »Was war die letzte Frage?«

»Was weißt du über Jil?«, kam Thargad ihm zu Hilfe.

»Jil ist unsere beste Assassinin«, sagte Kellen schnell. »Fast so gut wie der Hofnarr selbst. Aber er kann sie nicht leiden, weil sie nicht aus Bosheit oder Gier handelt, sondern nur des Nervenkitzels wegen. Sie  ist keine von uns.«

»Geht doch. Wo finden wir den Hofnarren?«

»Im sicheren Haus.«

»Wo ist das?«

»Das... kann ich euch nicht sagen. Das wäre mein Tod.«

»Soll ich dir mal was lustiges erzählen?«, fragte Boras. »Das ist es auch, wenn du die Klappe hältst. Also sing, Vögelchen.«

Kellen schluckte. »Nein. Aber ich schlage euch ein Geschäft vor.«

»Was denn nun?«

»Gebt mir die Möglichkeit, aus der Stadt raus zu kommen. Gebt mir eine Waffe, um lebend die nächste Siedlung zu erreichen. Ich verschwinde aus Tethyr.«

»Und das Letzte Lachen?«

»Ich gehörte ursprünglich ohnehin den Rotaugen an, bis das Letzte Lachen uns ausgerottet hat. Soll der Hofnarr sich doch die Krätze holen. Ich will leben.«

»Also gut«, sagte Helion. »Dann erzähl mal.«

»So nicht. Holt euren Tyrpriester. Er soll bei Tyr schwören, dass er mich laufen lässt.«

»Das schwört der nicht«, sagte Helion. Wir müssen dich sowieso an ihm vorbeischleusen.«

»Du willst auf sein Geschäft eingehen?«, fragte Thargad fassungslos.

»Warum nicht? Was nützt uns sein Tod? Nichts. Aber seine Informationen können uns helfen. Und so unfähig wie der sich angestellt hat, wird er keinen mehr umbringen, der nicht ohnehin in ein paar Tagen an Altersschwäche gestorben wäre.«

»Ohne mich.« Thargad drehte sich um und verließ das Zimmer.

»Dann ohne ihn«, sagte Helion. »Und ohne Dirim. Also, was willst du dann?«

Kellen überlegte kurz. »Holt mir einen anderen Priester, dem ich glauben kann. Helm, oder Lathander. Oder meinetwegen Azuth.«

Jenya würde den Assassinen in der Pfeife rauchen. Kristof Jurgensen würde alles ausplappern. In der Azuthkirche kannte man niemanden. »Würde es auch Terseon Skellerang tun?«, fragte Boras.

»Der Hauptmann der Stadtwache?« Kellen dachte nach. »Ich denke schon.«

»Kriegen wir ihn dazu, mitzuspielen?«, fragte Helion. Boras wusste es nicht. »Pass auf«, sagte der Magier schließlich. »Wir schaffen dich zum Nordtor, geben dir eine Waffe, und du sagst uns, was du weißt.«

Kellens Augen leuchteten. »Oder?«

»Oder wir lassen dich so frei und erzählen überall, wie sehr du uns geholfen hast.«

»Alles klar. Ich bin dabei.«

»Braver Junge.« Boras tätschelte ihm den Kopf. Danach klebten seine Finger ein wenig – Traubensaft.

-

Die Stadt war trotz der späten Stunde noch sehr lebendig. Aus den meisten Kneipen drang Musik und Gelächter, und Betrunkene wankten an Boras, Helion und Kellen vorbei auf dem Weg nach Hause oder an den Straßenrand, um sich zu übergeben. Kellen war noch gefesselt und unbewaffnet, was aber unter seinem langen Mantel nicht zu sehen war. Das Nordtor war schon geschlossen, als sie dort ankamen. Ein Wachmann kam aus seiner Stube hervor, ein zweiter blieb drin.

»Kann ich euch helfen? Oh, guten Abend! Ihr seid doch die Kettenbrecher, oder?«

»Das stimmt«, sagte Helion. »Unser Freund wollte heute noch nach Hause, hat aber die Zeit vertrödelt. Könnt ihr das Tor noch einmal öffnen?«

Der Wachmann sah Kellen an, wie er dort ohne Waffen und Gepäck stand. Wer wusste schon, was Abenteurer planten.  Und die Kettenbrecher waren heute erst vom Stadtherren gelobt worden und es hieß, der Hauptmann sei mit einem dieser Kerle gut befreundet. Er entschloss sich also, nichts zu sagen, und am Besten hatte er auch gar nichts gesehen. Stattdessen ging er in das Windenhaus und betätigte den Hebel, der das Tor im Boden versinken ließ.

»Wir würden uns gerne von unserem Freund verabschieden«, sagte Helion, und der Wachmann nickte verständnisvoll und zog sich zu seinem Kollegen zurück.

»Also?«, wandte sich Helion an Kellen und durchschnitt die Fesseln. Mit schmerzverzerrtem Gesicht rieb sich der Assassine die Handgelenke, wobei ihm die verbrannten Handflächen wohl mehr Probleme bereiteten. Boras steckte ihm den Rapier in den Gürtel – von Gift gereinigt.

»Das sichere Haus ist in den Ruinen der Messingtrompete«, sagte Kellen. »Aber geht dort nur hin, wenn ihr vorbereitet seid. Oder sterbt – ist mir eigentlich egal.«

»Gute Reise«, sagte Helion, und klopfte ihm auf die Schultern.

»Ihr seht mich niemals wieder«, versprach der Attentäter. Dann ging er zum Tor hinaus, dass sich kurz danach wieder schloss. Helion und Boras wandten sich in Richtung Tempel, und der Wachmann wieder seinem Kaffee zu. Niemand hatte den Schatten gesehen, der ebenfalls die Stadt verlassen hatte.
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 21. Juli 2005, 07:40:06
 Zwischenspiel: Der Assassine

Kellen verfluchte sich selbst. Er war so froh gewesen, am Leben bleiben zu können, dass er überhaupt nicht nachgedacht hatte. Er hatte um eine Waffe gebeten, aber keine Verpflegung dabei, und was noch schlimmer war um diese Zeit, keine Decke. Die Nächte wurden kalt. Er hatte nicht einmal eine Fackel, und dankte Selune, dass sie heute klar und deutlich schien, und er dankte Shar, dass sie es zuließ.

In ihm stritten Müdigkeit und Furcht um den weiteren Weg. Er wollte weg von dieser Stadt, weg vom Hofnarren, der vielleicht schon auf seiner Spur war. Und er wollte schlafen. Er würde die  schlängelnde Abfahrt noch ein wenig heruntersteigen, um dann kurz vor dem Fuß des erloschenen Vulkans einen Unterschlupf zu suchen, in dem er bleiben konnte. Und dann morgen versuchen, sich nach Kingfischer Hollow durchzuschlagen, und sich dort unter eine Karawane mischen. Vielleicht würde er es schaffen.

Der verräterische Knall einer abgefeuerten Armbrust drang durch die Nacht, und neben Kellen spritzte Geröll auf. Er wandte sich um und zog seinen Rapier. Die Waffe lag schmerzhaft und unsicher in seiner verbrannten Hand. Kellen kniff die Augen zusammen, aber er sah nichts.

»Hallo? Wer ist da?«

Dann trat eine Gestalt aus dem Dunkel und hob eine Armbrust. Der nächste Bolzen pfiff auf Kellen zu und verfehlte ihn knapp. Die Gestalt ließ die Armbrust fallen. Ihre Augen leuchteten in dem Weiß der Dunkelsicht, aber die Gestalt sah weder wie ein Halbork noch wie ein Zwerg aus. Kellen stürmte vor. Er würde nicht kampflos sterben.

-

Der Schatten steckte seine Zwillingswaffen wieder ein. Der Assassine war kein Gegner gewesen, schon gar nicht in seinem Zustand. Trotzdem war er nicht zufrieden. Es war kein gerechter Kampf gewesen, aber ein Kampf. Unsauber. Er hätte den Assassinen meucheln sollen. Ihn meucheln wollen.

Jetzt war es zu spät. Zu spät es zu ändern, zu spät sich Gedanken zu machen. Der Schatten packte sich die Leiche des Assassinen und schleppte sie von der Straße. Mit seiner Dunkelsicht sah er den schmalen Pfad vor sich, und danach den niedrigen Lavaschlot. In der Höhle, mit dem grünen Licht der Algen im See, brauchte er die Dunkelsicht nicht. Er warf die Leiche den Abhang hinab und lauschte auf das Platschen, als der Assassine in den See fiel. Dann ging er in das Windenhaus und machte sich ein behelfsmäßiges Bett aus zwei Stühlen. Er würde bis zum Morgen schlafen, und sich dann unter die ankommenden Händler mischen. Und dann würde der Schatten nach Cauldron zurückkehren. Zurück ins Licht.

TO BE CONTINUED
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Berandor am 21. Juli 2005, 07:40:55
 So, das wars von "Flutzeit".

Weiter geht es mit "Zenith der Nacht" am Montag und Mittwoch.
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Kylearan am 21. Juli 2005, 09:23:53
Zitat von: "Berandor"
So, das wars von "Flutzeit".

Weiter geht es mit "Zenith der Nacht" am Montag und Mittwoch.
*Verneig*

Da bin ich mal gespannt - immerhin bist du jetzt weiter als wir mit Spielen. ;-)

Kylearan
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Gast_Berandor am 21. Juli 2005, 09:37:24
Zitat von: "Kylearan"
Zitat von: "Berandor"
So, das wars von "Flutzeit".

Weiter geht es mit "Zenith der Nacht" am Montag und Mittwoch.
*Verneig*

Da bin ich mal gespannt - immerhin bist du jetzt weiter als wir mit Spielen. ;-)

Kylearan
Wieso? Da war doch noch ein Kampf...

Und ich kann schon mal etwas Besonderes ankündigen für nicht-Spieler- oder-SL-Kommentare.

Nicht nur bekommt ihr von mir wieder einen Beitrag in einem Thema eurer Wahl (mindestens so lang wie der Kommentar), sondern es gibt eine Gastrolle in der Story Hour zu gewinnen! Einer von euch kann im nächsten Abenteuer als NSC oder in einem Zwischenspiel erscheinen, also kommentiert!

Ich werde dann einen besonders gelungenen, diskussionswürdigen oder schmeichelhaft-schleimigen Kommentar auswählen. :D

Wenn das ankommt, vielleicht für die nächsten Abenteuer auch wieder.
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Osric am 21. Juli 2005, 09:49:30
 
Ich fang schon mal an zu überlegen.

Nein ehrlich jetzt, ich wollte deine SH ja sowieso mal kommentieren und allen anderen einen Eindruck davon vermitteln, wie es ist mit dem Erfinder des weisen Rates zu spielen.
Leider hab ich Moment wenig Zeit, werde also kaum einen Gewinnerbeitrag verfassen können.
Nur soviel: Es hat riesig Spaß gemacht. Auch wenn ich Sonntag morgens noch nicht voll Einsatzfähig bin.

P.S: Was mach mich Sorgen, Alek Tercival kommt doch auch bestimmt so noch mal vor.  
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Gast_Berandor am 21. Juli 2005, 09:56:27
Zitat von: "Osric"
Ich fang schon mal an zu überlegen.

Nein ehrlich jetzt, ich wollte deine SH ja sowieso mal kommentieren und allen anderen einen Eindruck davon vermitteln, wie es ist mit dem Erfinder des weisen Rates zu spielen.
Leider hab ich Moment wenig Zeit, werde also kaum einen Gewinnerbeitrag verfassen können.
Nur soviel: Es hat riesig Spaß gemacht. Auch wenn ich Sonntag morgens noch nicht voll Einsatzfähig bin.

P.S: Was mach mich Sorgen, Alek Tercival kommt doch auch bestimmt so noch mal vor.
aber Osric? :)

Schön, was von dir zu lesen.
Titel: Stadt in Ketten 2: Flutzeit
Beitrag von: Kylearan am 21. Juli 2005, 10:09:10
Zitat von: "Gast_Berandor"
Wieso? Da war doch noch ein Kampf...
 
Türkei-Urlaub -> Hitze -> Hirn weggebrannt -> Probleme bei der Erfassung von Spielereignissen in mein Gedächtnis -> jaja, hast ja Recht.

Kylearan