6. Serberon
Am nächsten Morgen besorgte Thamios zusammen mit Serberon vier Pferde, während Miritas und Suuhl sich darum kümmerten die Ausrüstung zu komplettieren. Thamios wählte sorgfältig. Er achtete auf das Fell der Tiere. „Es muss leicht glänzend sein. Dann ist es gut gepflegt“, erklärte er Serberon. „Wenn der Halter gut ist, lässt er das Pferd ab und an im Staub baden und setzt es im Sommer für einige Stunden dem Regen aus.“ Der Elf untersuchte die Hufe nach Fäule und überprüfte die Anzahl und den Zustand der Zähne. Dann wählte er vier sembianische Schecken mit denen er durchschnittlich zufrieden war. Serberon sprach während dieser Zeremonie kein Wort, wie es seine Art war. Schliesslich brachen sie auf, ehe die Sonne den Zenit erreichte.
Sie befolgten den Rat des Stadtsprechers und ritten den Hexenpfad entlang, ein Weg abseits des Weges des Morgengrauens. Dort tief im Hexenwald sollten sie Jorrs Hütte finden. Angeblich würde niemand den Hexenwald besser kennen, als er. Der Pfad war wenig mehr als eine Schneise, die offenbar von Holzfällern geschlagen wurde. Das Sonnenlicht vermochte es schwerlich durch das dichte Blätterdach zu dringen. Selbst die üblichen Waldgeräusche mieden die Ohren der vier Reisenden. Keiner sprach während des Ritts und jeder hing seinen Gedanken nach. Serberon ritt an zweiter Stelle hinter Thamios und überliess es dem Elfen die Augen offen zu halten, wenngleich er trotzdem ein Auge auf das dichte Unterholz entbehrte. Er traute Thamios nicht ganz. Seine Vergangenheit verschwieg er und er schien der einzige, dessen Motive dem Erdgenasi verborgen blieben. Von Miritas musste er nicht viel wissen, denn der Glaube des Klerikers schien das einzige, was ihn trieb, wenngleich sie augenblichlich alle vier in Schwierigkeiten steckten, die der Tiefling zu verantworten hatten.
Ja, der Tiefling. Suuhl war zwar kein offenes Buch, doch er sein Verhalten war zumindest leicht einzuschätzen. Die Gedanken Serberons kehrten zu jenem Tag zurück, als er ihn kennengelernt hatte. Er selbst war in thayanischer Sklaverei aufgewachsen, bis er einem Händler aus Fernberg auffiel, der bei seinem Herrn zu Gast war. Dem Händler mit dem Namen Ovigas der Graue war der Erdgenasi gleich aufgefallen. Obgleich Serberon lediglich für harte Arbeit eingesetzt wurde, war Ovigas von dessen Muskelspiel und den geschmeidigen Bewegungen fasziniert. Nach harten Verhandlungen kaufte Ovigas den Erdgenasi, um ihn in der Arena in Fernberg einzusetzen.
Und dort lernte der Erdgenasi zu kämpfen. Schmerzhaft wurde ihm beigebracht, stillzustehen und abzuwarten, bis sich der Gegner bewegte, denn so könne er sich zuerst auf dessen Bewegungen einstellen. Es hatte ihn viele blaue Flecken gekostet, ehe er lernte einen Schwertangriff immer zwischen dem Griff und der Mitte des gegnerischen Schwertes abzublocken.
Schlussendlich war er für seinen ersten Kampf bereit gewesen, einen Echsenmenschen, der mit zwei Streitkolben kämpfte und seine Schuppen schwarz färbte. Es hatte nur wenige Sekunden gedauert, ehe Serberon seinen ersten Gegner erschlug, ihn mit gespaltenem Haupt in den Staub schickte und den Jubel der Zuschauer erntete. Doch der bedeutete ihm nichts. Neidisch betrachtete er vor jedem Kampf das Puplikum. Sie konnten nach dem Schauspiel gehen, wohin immer sie wollten, konnten sich entscheiden die nächste Taverne aufzusuchen, oder vielleicht auf dem Markt einen happen essen. Er konnte das nicht. Nach jedem Kampf war entweder Training angesagt, oder er wurde zurück in die feuchte zwei mal zwei Meter grosse Zelle geschickt, wo er auf den Tag wartete, dass ihm ein ebenbürdiger Gegner den Tot brachte.
Viele Duelle und Siege später sollte er gegen einen Tiefling antreten, der auf den Namen Suuhl hörte. Offenbar war er noch nicht lange unter den Kämpfern, denn Serberon hatte noch nie etwas von ihm gehört. Als er in die Arena trat, jubelte ihm das Puplikum zu. Der Tiefling stand dort, die Waffen in der Scheide. Serberon wartete auf seinen Angriff, doch der kam nicht. Statt dessen schimmerte urplötzlich die Luft vor ihnen und der Tiefling warf sich in das Schimmern und verschwand. Der Erdgenasi zögerte nicht lange. Vielleicht war es Instinkt oder womöglich Schicksal, dass er sich entschloss unter den empörten Rufen des Puplikums es seinem Gegner gleich zu tun.
Einen orientierungslosen Augenblick später fand er sich auf einer Lichtung wieder. Hier war der Tiefling und ein alter, gebeugter Halbling mit buschigen Brauen und wulstigen Lippen. Er betrachtete Serberon alarmiert, als dieser durch das magische Portal trat und hob einen kleinen Stab.
„Wartet Tabis“, sagte Suuhl und hielt den Arm des Alten nach unten. Dann ging er auf Serberon zu. „Zeit Fernberg hinter dir zu lassen, oder Erdgenasi?“
„Ja“
„Dann würde es dich sicherlich nicht stören, die blutige Axt wegzustecken.“
Schweigend senkte Serberon seine Waffe.
Der Tiefling nickte und verneigte sich vor dem alten Halbling.
„Habt Dank, Tabis. Ihr werdet immer in meinen Träumen seib. Doch jetzt ist es Zeit für mich, Fernberg hinter mir zu lassen.“
„Deine Träume interessieren mich nicht, Suuhl. Sieh zu dass du mir die versprochene Summe zukommen lässt“, grunzte der Alte und verschwand von der Lichtung.
Später war Serberon schweigend mit Suuhl gegangen und nur kurze Zeit später hatten sie sich Miritas und Thamios angeschlossen. Der Erdgenasi hatte sich nie bei Suuhl bedankt und er wusste, dass der Tiefling nichts dergleichen von ihm erwartete.
Der Erdgenasi wurde aus seinen Erinnerungen gerissen, als Thamios ein Zeichen gab und anhielt. Sie hatten eine kleine Lichtung erreicht, auf der eine baufällige Hütte an einem kleinen Teich stand. Rauch entstieg dem Steinkamin und zeigte, dass der Ort bewohnt war. Thamios stieg vom Pferd und näherte sich vorsichtig der Hütte. Als die drei Hunde unter der Veranda hervorschossen, war der Mondelf nicht überrascht. Er kniete sich hin, sagte etwas auf elfisch und murmelte beruhigend. Die Tiere, welche zuvor noch das Bedürfnis hatten, den Fremden zu zerreissen, setzten sich plötzlich auf den Boden und betrachteten den Elfen, als wäre dieser ihr bester Freund. Suuhl ritt an Serberons Seite. „Gleiches gesellt sich eben gern zu Gleichem.“
Serberon schwieg.
Die Türe zur Hütte öffnete sich und ein bärtiger, schlanker Waldarbeiter trat ins dämmrige Sonnenlicht. Sein Alter war schwer einzuschätzen. Seine Haut schien beinahe ledrig, doch der Blick war aufmerksam. „Bekomme derzeit nicht viel Besuch“, eröffnete er in kehligem Ton. „Wer seid ihr?“
Miritas stieg vom Pferd und trat vor. Er stelle sich und seine Freunde kurz vor, was ihm ein kurzes Nicken einbrachte. „Wir kommen aus Drellins Fähre. Hauptmann Soranna hat uns beauftragt, den Goblinüberfällen auf den Grund zu gehen. Zudem sagte man uns, dass ihr den Wald besser kennen würdet, als sonst wer.“
„Goblins! Dreckige Bastarde.“
Der Waldmann spuckte aus. „Die gute alte Soranna. Wie gehts der grimmigen Amazone?“
„Sie sorgt sich um ihre Stadt“, sagte Miritas lächelnd.
„Schön dumm.“ Der Waidmann holte eine Pfeife hervor und zündete sie an. „Gut, gut. Wie kann euch der alte Jorr helfen?“
„Wisst ihr wo wir die Goblins finden können?“
„Habe Worgreiter gesehen. Sind in der Nähe des Weges des Morgengrauens.“
„Vermutet ihr dort auch ihr Lager?“
„Sie leben im Wyrmrauchgebirge. Scheint sie haben ne grosse Kriegsmeute heruntergeschickt, die jetzt im Hexenwald ihr Unwesen treibt. Könnte sein, dass sie die alte Waldstrasse herunterkamen, oder vielleicht sind sie an der Schädelschlucht.“ Jorr nickte. „Ich tippe auf die Schädelschlucht.“
„Habt ihr schon einmal etwas von Burg Vraath gehört?“
„Seh ich aus wie ein Idiot?“, grunzte Jorr. „Natürlich. Geht nach Westen bis zur grossen Strasse. Dann folgt ihr nach Norden. Könnt sie nicht verfehlen.“
„Habt Dank, Jorr. Wir werden euch nicht weiter belästigen.“
„Habt ihr etwas fleisch übrig?“,
„Fleisch?“ Miritas sah etwas irritiert aus.
„Ja Fleisch. Bist du schwerhörig, Totenanbeter?“ Jorr blies eine Rauchwolke aus. „Die Köter haben Hunger und an dem Elf ist ja nicht viel dran.“