3. Pharast, 4708 AZ
Wir verließen die Fischerei, um die gefundenen Schätze zur Stadtgarde zu bringen. Doch als wir diesen unheilvollen Ort hinter uns gelassen hatten und auf die Strassen hinaustraten, hatte ich sofort gespürt, dass etwas ganz schreckliches passiert sein musste. Es roch nach Feuer, Alarmglocken wurden geschlagen, wir sahen Häuser in Flammen stehen, ganze Geschwader der Schwarzen Kompanie flogen über unsere Köpfen hinweg und ein stark verwundeter Pferdegreif stürzte sogar nahe von uns in den Tod. Die Menge war aufgebracht und überall krakeelte es. In meinem Kopf dröhnte es, dennoch konnten wir die Stimme eines königlichen Herolds ganz deutlich vernehmen:
„Hört, hört ihr Leute von Korvosa! Der König ist tot! Lang lebe die Königin!“
Was war das? Auf der anderen Seite vor einer kleinen Taverne stand ein wild gewordener Haufen und brüllte: „Hängt die Hurenkönigin! Ja, die Thronräuberin muss sterben!“ Das Volk war aufgebracht, ich konnte meine Gedanken nicht ordnen und Daro, der die Schätze bei sich trug, jammerte dauernd, er müsse nach Hause zu seinem Vormund. Als ob es nichts Bedeutenderes zu denken gab!
Plünderer waren schon auf Beutezug und durchwühlten die abgebrannten Häuser. Doch die Gierschlunde wurden bereits von Höllenrittern verfolgt. Männer und Frauen, bewaffnet mit Tischbeinen und abgebrochenen Flaschen, randalierten gehörig und beschimpften die Aristokraten. Am Boden, im Dreck lag ein Jüngling. Offensichtlich ein Adelsmann. Über ihn war schützend ein Halbelf gebeugt. Und die aufgebrachte Menge wollte den jungen Aristokraten „haben“.
Als Daro sich dann auf den Weg zu seinem Vormund machte, konnten Mercutio und ich nicht anders, wir mussten uns in die Nähe der beiden Pechvögel wagen. Vielleicht war es bald notwendig ihnen zu Hilfe zu kommen. Ich schätze, es waren bald vier Dutzend von diesem Anarchistenpack. Verstanden, was sie eigentlich wollten, habe ich kaum. Falschspieler? Freundchen?
Der Teufler meinte es gut, und um die aufgebrachte Menge zu vertreiben, bemühte er sich, allerdings vergebens, einen Dämon zu beschwören. Auch mein Ablenkungsmanöver schlug fehl ich wollte die Aufmerksamkeit aller auf mich ziehen. Mercutio wurde dann jedoch von der tobenden Menge ins Visier genommen ziemlich. Dem Halbelf hingegen gelang es die Männer und Frauen zum Feiern und Saufen, statt zu Prügeln und Pöbeln zu überreden. Sie zogen endlich weiter. Das fremde Spitzohr heilte den verletzen Mercutio, so wie den Aristokraten.
Ich wusste von Ileosas schlechtem Ruf. Mir war eben bekannt, dass Ileosa angeblich auch Frauen liebte, wie sie eigentlich nur König Eodred lieben sollte. Doch mich störte das herzlich wenig, wenn sie dabei ihre Aufgaben als Regentin gut und gerecht erfüllte, warum nicht? Und natürlich von dem Fluch des Roten Throns: bevor ein Nachkomme, ein rechtmäßiger Erbe gezeugt werden kann, stirbt der Monarch, der Herrscher Korvosas einfach. Oder so ähnlich hiess es.
Ob der Teuler auch so dachte? Das hätte mich sehr interessiert. Und der Halbelf? Er schloss sich uns in dieser Nacht des Chaos und der Anarchie vorerst an. Ich wusste nicht genau was ich davon halten sollte.
Unsere eigenen Betten in dieser Nacht zu erreichen war absolut fraglich, denn in der verwüsteten Stadt würden wir uns nur noch mehr Gefahr aussetzen. Also beschloss ich, dass wir drei, Mercutio muckte nicht einmal auf, die Nacht in Zellaras Haus verbringen würden.
Aber welch trauriges Bild bot sich uns dort. Dicke Staubwolken bedeckten den Boden und die Möbel waren allesamt ruiniert. Das konnte nicht sein! War alles bei unserem ersten Besuch eine Illusion gewesen? Oder jetzt? Plötzlich erschien uns eine geisterhafte Gestalt bläulichem Licht. Und es war Zellara die zu uns sprach:
„ Lamm hat mir das Leben genommen, doch ich kann nicht eher ruhen, die Schicksalskarten wieder in meinem Besitz sind und Rache geübt wurde.“ Ich wollte sie ihr augenblicklich zurückgeben, doch Zellara lehnte ab. Stattdessen erteilte sie uns die Aufgabe Korvosa vor dem Untergang zu bewahren. Dann löste sie sich in Luft auf.
Der Halbelf verstand gar nichts mehr. Er tat mir fast ein wenig leid, aber nur ein wenig! Und wir berichteten ihm, der sich übrigens Cael nannte. Wir erzählten ihm von unseren bisherigen Erlebnissen und den Ereignissen die uns zusammengebracht hatten.
Meine Freude über Zellaras Geschenk war unbeschreiblich. Noch in dieser unruhigen Nacht legte ich die Karten für uns.
Sie deuteten auf die neue, politische Situation in der Stadt hin. Mercutio und ich stritten uns erneut. Ich sagte ihm, dass ich hinter der Königin stehen würde, doch befürchte, dass alles ganz anders kommen würde. Ich hatte Angst um sie und wähnte Ileosa in größter Gefahr. Der Teufler lachte über diesen „Humbug“ mit den Karten, und wollte damit nichts zu schaffen haben. Ließ jedoch dabei nicht seine politische Einstellung durchschimmern. Er lediglich der Meinung, dass Ileosa den Thron rechtmäßig von ihrem toten Gemahl geerbt hatte.
Cael hielt es nicht mehr im Haus aus. Er musste nach draußen auf die Straßen. „Um den anderen helfen zu helfen“, sagte er. Er wollte sich in Richtung Schloss begeben. Und das Beste war, dass der Chel ihm folgen wollte. Er wollte mit „eigenen Augen sehen“, wie Cael half. Mercutio ist mir wirklich ein Gräuel! Ich versuchte den Halbelf aufzuhalten und warnte ihn, dass überall gepanzerte Soldaten das Volk wegtrieben. Doch er wollte nicht hören.
Alleine bleibe ich im verwüsteten Haus zurück.
Meine Gedanken kreisten immer wieder um Mercutio. Fast glaubte ich, dass er so etwas wie Hass gegen mich empfand. Aber warum? Alle seine Äußerungen über mich oder über mein Verhalten waren so niederschmetternd, dass ich nur Wut empfinden konnte. Wenn ich an den Auftrag Zellaras dachte, erschien es mir sehr viel besser, wenn wir uns einigermaßen vertragen könnten. Wie sollte das weitergehen? Was war Cael für einer? Konnte ich ihm vertrauen?
Als sie wenige Stunden später zurückkamen und mir von ihren Erlebnissen berichteten, fühlte ich mich nur bestätigt und hatte kein Mitleid mit den beiden Narren.
Am nächsten Morgen schien alles ruhig und wir konnten es wagen, Daro in Alt Korvosa bei seinem Vormund aufzusuchen. Keiner war zu sehen, eine eigenartige Stimmung umfing uns. Die Luft roch noch immer nach Feuer und der blaue Himmel war hinter einem geisterhaften grauen Wolkenschleier verborgen.
Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich eine Gestalt in zerrissenen schwarzen Roben vor uns auf. Die Kapuze weit über das wirre graue Haar gezogen, schlürfte sie unheimlich auf uns zu. Es war ein alter Mann, der mit seinen krallenartigen Fingern nach Caels Gesicht griff. Er faselte etwas von den schrecklichen Dingen, die er in seinen Träumen gesehen habe. Darunter eben auch Cael. Das Gesicht des Alten war eingefallen, verfaultes Fleisch und fürchterlich braune Zähne ließen mich zurückweichen. Es war schaurig! Er spie:
„Das Auge des Groetus linst aus dem Knochengarten auf diese Stadt!“ und anderen Schwachsinn von der dunklen Stunde die Korvos bevorstünde. Dann griff er Cael an! Ich konnte diesen wahnsinnigen Propheten zu Fall bringen und Mercutio gab ihm mit einem Säurepfeil den Rest.
Unverhofft umringten uns Grauröcke die just in diesem Moment aufgetaucht waren. Die Gardisten beschuldigten uns des Mordes und nahmen uns gefangen. Wir wurden in ein stinkendes Loch geworfen, zu ein paar wahren Verbrechern. Der Gestank war unerträglich. Das einzige, was ich hier als gut beschreiben konnte war, dass sich Daro unter den Gefangenen befand.
In aller Kürze erzählte er uns von seiner Festnahme: man hatte ihn in einer Straßensperre aufgehalten und natürlich die Schätze von Lamm bei ihm gefunden. Diebesgut. Unter Folter hatte man ihm dann alles über seine „Mittäter“ entlockt. Daro hatte ihnen die Wahrheit gesagt und Mercutio und mir erzählt.
Als sich ein Mitgefangener an Daro vergreifen wollte, verlor ich die Beherrschung und es entstand eine wilde Rauferei zwischen diesem Schweinehund und mir. Unser Rufen nach den Wärtern wurde nicht erhört. Cael heilte die Bedürftigen und sprach den teilweise zu Unrecht eingekerkerten Mut zu.
Mein Körper zitterte und ich kämpfte damit meinen Mageninhalt bei mir zu behalten. Dann kam der Aufruf für Daro und Mercutio. Mehrere Gardisten holten sie heraus. Was geschah mit ihnen? Kurze Zeit später holten sie auch mich.
Immer noch zitterten mir die Beine. Ich wurde zu den beiden anderen in einen Verhörraum mit vier Schemeln gebracht. Mich kaum noch auf Füßen halten könnend sank ich erleichtert auf einen der Holzschemel. Dann trat eine junge, müde wirkende Frau in blutroter Rüstung aus den Schatten und begrüßte uns. Wir waren vor Feldmarschall Cressida Kroft höchstpersönlich geführt worden.
Daros Geschichte war überprüft worden. Bis auf die Brosche konnten wir die Schätze, die man bei dem Jungen gefunden hatte, behalten. Während uns frisches Wasser und Brot gereicht wurde, bat uns Kroft an in die Dienste der Garde zu treten. Korvosa war in Gefahr sich selbst in Stücke zu reißen und es sei wichtig für Ordnung in der Stadt zu sorgen, hatte sie gesagt. Kroft erzählte uns von einem Deserteur namens Verik Vancaskerkin, der sich mit seinen Männern in einem Schlachthaus am Nordtor versteckte. Er sollte lebend in die Zitadelle gebracht werden, um dort befragt werden zu können. Sie beschrieb uns Vancaskerkins Aussehen und verfasste für Daros Vormund Hadrak ein Schreiben über die Mitgliedschaft seines Zöglings in Korvosas Garde, so wie für uns Urkunden die uns als Agenten ausweisen sollten.
Unser erster Auftrag bei der Stadtgarde. Ich wusste noch nicht so ganz, was ich davon halten sollte.
Bevor wir uns auf den Weg zum Nordtor machten, tauschten wir unsere Schätze bei den Priestern Abadars gegen Heiltränke und sonstige nützlichen Gegenstände ein. Die Stadt bot einen schrecklichen Anblick. Betrübt besuchten wir verwüstete Geschäfte und passierten ruinierte Häuser.
Der Regen prasselte auf das Schild, auf dem eine fette, lachende Kuh zu sehen war, das über dem Eingang des alten Schlachthauses hing. Daro hielt nach Eingängen und Fluchtwegen Ausschau und schlich sich um das Gebäude. In einem Schaufenster neben dem Eingang lag rotes Fleisch auf einer schwarzen Marmorplatte und ich nahm mir vor eine Kundin zu mimen. Doch als Einer herauskam, bläffte er uns nur an, sie verkaufen nichts, sie verteilen alles an die Armen und wir sollten verschwinden.
Fast eine Stunde haben wir gewartet, weil der liebe kleine Daro in der Nachbarschaft Lampenöl besorgen musste, um das Quietschen der Scharniere zu vermeiden. Das war schon richtig, fast lautlos denn. Auch die anderen Türen, und davon gab es nicht wenige, bereitete der Kleine entsprechend vor. So war es für uns ein Leichtes die verschiedenen Räume zu durchsuchen, ohne viel Lärm zu machen.
Überall klebte der metallische Geruch von Blut. Es gab einen Raum mit Wasserbecken, eines siedend heiß und dampfend, das andere eiskalt. Und da war ein Raum mit einer Konstruktion von verschiedensten Haken zum Lagern des getöteten Viehs. In dem Raum den Wasserbecken waren zwei Männer in Kettenhemden beschäftigt gewesen. Sie sprachen sich mit Parns und Karallo an. Auf meine Frage nach Vancaskerkin, ließ Parns sofort sein Werkzeug fallen und schlug mit einem Fleischhammer auf mich ein. Mein Schal versagte seinen Dienst und Cael forderte Parns mit magischen Worten auf, noch mal genau nachzudenken. Selten habe ich einen so stumpfsinnigen Gesichtsausdruck gesehen. Das ganze Fragespiel sollte jedoch noch spannender werden, denn Mercutio feuerte magische Geschosse ab und Daro kletterte geschickt auf die Eisenkonstruktion um erfolgreich mit der Armbrust anzugreifen. Mein Sturmangriff mit dem Schal war genial und lockte den zweiten namens Karallo an, der sich nun auch verpflichtet fühlte einzugreifen. Er wollte sich einfach nicht ergeben, obwohl das unser Vorschlag war. Sich einfach niederzuknien und sich zu ergeben. Aber nein. Dieser Mistkerl setzte Cael heftig zu.
Nach längerem Gefecht gelang es uns die beiden zu fesseln und an die Eisenstangen zu hängen. Wie dumm von mir einen bewusstlos zu schlagen. Cael half ihm wieder ins Diesseits und wir konnten unsere Fragen stellen, um sie anschließend beide zu knebeln.
Nach dem Schweinestall mit den beiden fetten Sauen und Futtertrögen, öffneten wir die nächste Türe. Vom Korridor aus führte eine Treppe nach oben wo ich einen menschlichen Schatten auf dem Treppenabsatz erkennen konnte. Schon flog ein Pfeil auf mich zu. Mein Versuch dem Schützen so schnell wie möglich zu folgen und ihn zu Fall zu bringen, schlug leider fehl.
Er verschwand im Nebenraum und verschloss die Tür. Die Beschreibung von Kroft passte haargenau. Es handelte sich um den Anführer der Deserteure: Vancaskerkin. Als auch Daro oben angelangt war, öffneten wir die Tür. Vancaskerkin schoss einen weiteren Pfeil, doch dieses Mal riss ihm mein Schal eine tiefe Wunde ins Fleisch. Cael betrat den Raum und spendete Segen für unser Vorhaben der Festnahme. Unser Armbrustschütze übertraf sich selbst, so gut trafen seine Pfeile. Mercutio ließ endlich wieder seine magischen Geschosse auf den Deserteur zischen und Vancaskerkin sackte bewusstlos zusammen.
Auch ihn fesselten ihn. Nachdem Cael ihn geheilt hatte schlug er seine Augen auf und gestand er ein: “Ihr habt gewonnen!“
Auf dem Schreibtisch der Kammer stellten wir einen silbernen Dolch sicher, dann durchsuchten wir den Rest des Schlachthauses. Allerdings konnten wir keine weiteren Beweise oder Deserteure mehr finden.
Erschöpft kehrten wir schließlich mit unseren Gefangenen in die finstere Zitadelle Volshyenek zurück und sanken dankbar auf die harten Pritschen der Kaserne, um uns von den Strapazen der vergangenen Tage zu erholen.[/i]