Dungeons & Dragons: Das Leben der Maren K.Wie alles begannEs war ein sonniger Herbsttag im Fjordland. Der Wind rauschte leise in den buntgefärbten Blättern der Bäume und über die Berge zogen weiße, flockige Wolken. In der Hauptstadt herrschte reges Treiben. In den unzähligen Gassen und auf den Märkten redeten und feilschten die Menschen miteinander, und auf der Tribüne vor dem Königshaus stand der Herold und verkündete die neuesten Urteile.
In einem der vielen Häuser, die sich in der Nähe des Königshauses befanden, saß Maren Eriksson und band sich gerade die langen dunkelbraunen Haare zu einem strengen Zopf zusammen. Das musste sein, wenn sie trainierte, denn nichts war nervender als verschwitzte Strähnen im Gesicht kleben zu haben, während man kämpfte. Eben war sie noch im Tempel gewesen und hatte ihr Mittagsgebet gesprochen. Nun lag die lange Klerikerrobe über der Stuhllehne, stattdessen trug Maren eine beschlagene Rüstung, das mit dem Emblem ihres Gottes, Luth, versehen war. Ob Frederic sie wohl heute wieder herausfordern würde? Bestimmt, das tat er jeden Tag. In der Tat wurde er ihr langsam lästig, denn sie machte ihn immer wieder aufs Neue fertig. Doch Frederic schien nicht zu begreifen, dass sie einfach zu stark für ihn war. Oder er wollte es nicht glauben. Maren seufzte. Seit er auch in ihrer Ordensklasse war, hatte sie ihn täglich am Hals. Seit ganzen drei Monaten. Leider musste sie die Herausforderungen von ihm jedes Mal annehmen, da er von ihr lernen sollte. Ausgerechnet von ihr, der eigenbrötlerischsten Klerikerin im ganzen Orden. Diesen Ruf hatte sie sich selbst erarbeitet, mit ihrer kurz angebundenen Art. Sie galt als forsch und seltsam, doch sie gehörte zu den besten Klerikern im Tempel. Über diese Darstellung ihrer selbst musste sie grinsen. Sie konnte auch ganz umgänglich sein, nur wussten das die wenigsten.
Maren griff gerade nach ihrem Schwert, als die Hörner erschallten.
Eine Einberufung aller Kriegeroberhäupte der Stadt? Das kam selten vor. Sie steckte das Schwert ihn die Scheide, ging nach draußen und marschierte los. Doch kaum hatte sie ein paar Schritte gemacht, trat jemand von hinten neben sie. Es war Ulric, der erste Paladin des Königs. Sie war schon auf einigen Missionen mit ihm gewesen, und er war ein recht angenehmer Gefährte.
„Sei gegrüßt.“
Sie nickte ihm zu. „Du bist auf dem Weg zum Palast, nehme ich an.“
„Ja.“ Er sah sie von der Seite her an. „Und du?“
„Eigentlich muss ich zum Übungsplatz...“ Sie verzog das Gesicht. „Ein Kerl namens Frederic macht mir da allerdings das Leben schwer – der typische Möchtegernkrieger.“
„Mein Beileid,“ sagte Ulric. „So etwas kenne ich zur Genüge.“ Er wusste, wovon er sprach. Er musste schließlich wie sie neue Kämpfer ausbilden – nur trainierte er Paladinanwärter, keine Kleriker.
„Nun gut.“ Sie blieb an einer Seitengasse stehen. „Ich muss hier entlang. Wir sehen uns später. Möge Luth mit dir sein.“
„Und mit dir,“ erwiderte er freundlich. Dann trennten sie sich. Nachdenklich machte Maren sich auf dem Übungsplatz warm. Später kämpfte sie nicht sehr konzentriert, und Frederic gelang es diesmal fast, sie zu schlagen. Ihre Gedanken schweiften immer wieder ab; was konnte so bedeutend sein, dass es einer spontanen Vollversammlung der Oberhäupter bedurfte?
* * * * * * *
Am nächsten Morgen wachte Maren auf, weil jemand an ihre Tür hämmerte. Wer konnte das sein? Sie stand für Klerikerverhältnisse schon früh genug auf; wer schaffte es da noch, sie zu unterbieten?
„Einen Moment bitte!“ rief sie; und es hörte auf zu klopfen. Schnell zog Maren sich ihre Robe über, band sich den Zopf neu zusammen (diesmal nur locker) und öffnete die Tür.
„Guten Morgen!“ Ein ihr wohlbekannter, schwarzhaariger Paladin verbeugte sich leicht vor ihr.
Verwundert fragte sie: „Was führt dich so früh zu mir?“
Ulric sah sie einen Moment an, bevor er zu sprechen begann: „Ich bin hier, um dich zur Versammlung zu holen.“
„Zur Versammlung? Um diese Urzeit? Bei Luth, wer ist auf diese Idee gekommen?“
„Ich.“ Er grinste leicht. „Es wird dich interessieren, glaub mir. Auch wenn wir alle schon etwas müde aussehen.“
Maren kniff die Augen zusammen. „Habt ihr etwa die Nacht durchberaten?“
„Ja.“
„Das musst du mir genauer erklären – was erwartet mich im Palast?“
„Bist du denn soweit fertig? Ich erkläre es dir auf dem Weg.“
„Ich bin bereit.“ Sie schloss die Tür hinter sich. „Also, was gibt es?“
Ulric stützte die Hand auf seinen Schwertknauf, während er neben ihr herlief. „Gestern haben wir exotischen Besuch bekommen. Hohe Gäste aus Albenmark.“
Maren runzelte die Stirn.
„Was wollen denn die
Elfen von uns?“ Das edle, magische Hochvolk der Elfen lebte in Albenmark – und nur wenige Menschen hatten es bisher gesehen, weil es hinter den für Menschen erreichbaren Grenzen lag. Jenseits der Menschenwelt.
„Verstärkung. Ganz schlicht und einfach Verstärkung. Im Kampf.“
„Wie könnten
wir ihnen denn helfen? Sie sind doch tausendmal geschickter, stärker und weiser als wir,“ meinte Maren ungläubig. Wenn es etwas außer ihrem Gott gab, dass sie bewunderte – die Elfen waren es.
„Anscheinend hängt es von uns ab, ob sie gewinnen. Emerelle hat zwei Botschafter und einen kleinen Trupp Schwertkämpfer geschickt, die uns die derzeitige Situation in Albenmark erklärt haben.“
„Die da wäre?“
„Die Trolle haben eine Offensive gegen die Elfen gestartet – sie wollen ihr Land zurück. Es handelt sich hierbei um ein besonderes Stück Land – einen Vulkan. Die Elfen haben ihn vor langer Zeit erobert, und...heute ist dort eine strategisch wichtige Hochburg Albenmarks. Dummerweise scheint der Vulkan für die Trolle ein heiliger Ort gewesen zu sein.“
„...und nun wird die Festung belagert.“
„Noch nicht, aber bald. Emerelle braucht alle Krieger, die sie bekommen kann, um gegen die Übermacht der Trolle anzukommen. Ein Elf kommt auf ungefähr zwanzig Trolle, was an sich gar nicht das größte Problem ist, da die Elfen locker gegen diese ankommen. Es geht um die Zeitspanne, die ein Elf braucht, um erwachsen und kampffähig zu werden – es dauert nämlich über hundert Jahre, bis er diesen Zustand erreicht hat. Ein Troll hingegen braucht nur fünf Jahrzehnte, und dann ist er ein vollwertiger, muskelbepackter Krieger.“
„Das mag sein,“ erwiderte Maren. „Doch wir können nichts gegen diese Trolle ausrichten. Allein schon der Anblick dieser Kreaturen wird unsere Leute davonlaufen lassen, von einem ausgeglichenen Kampf ganz zu schweigen.“
„Aber-“ Ulric wollte etwas einwerfen, doch Maren ließ ihn nicht zu Wort kommen.
„Ganz abgesehen davon – wie viele Männer könnten wir überhaupt zur Verfügung stellen? Dreihundert? Vierhundert?“
„Fünfhundert.“
„Meinetwegen auch fünfhundert. Aber auch diese fünfhundert werden Emerelle nicht viel helfen können.“
„Wenn sie von jedem Volk fünfhundert kriegen könnte, wäre es gesichert. Wir Menschen werden nicht die einzigen sein, die sie um Hilfe bittet.“
„Achja? Welche Völker gibt es denn noch außer uns?“
„In Albenmark gibt es vieles, woran wir nicht glauben.“
„Dann wird sie die bestimmt schon rekrutiert haben – und wir sind die Letzten, die sie fragt.“
„Selbst wenn – es ist mehr als ein Abenteuer, das uns dort erwartet. Es ist ehrenhaft, und wenn wir zurückkehren, werden wir die Helden unseres Volkes sein.“ Ulric sprach aus vollem Herzen, man konnte spüren, wie ernst es ihm war. „Und mit dem Segen von Luth,“ fuhr er fort, „wird uns nichts geschehen, das versichere ich dir.“
Ja, Luth würde zweifelsohne über sie wachen. Er gab ihr die Macht, zu heilen, er gab Ulric die Fähigkeit, das Böse zu spüren, ohne es zu sehen – es gab soviele Dinge, die ihr Gott ihnen gab. Doch sie hatte schon die mächtigsten Gotteskrieger fallen sehen. Auch wenn sie dann in Luths Hallen zusammen mit allen anderen Ehrenwürdigen speisten, Maren war sich nicht sicher, ob sie ihre Zeit hier auf Erden so leicht aufs Spiel setzen wollte, ganz zu schweigen von den Leben ihrer Männer.
Ulric legte ihr die Hand auf die Schulter.
„Komm mit mir – denn ich soll mir meine besten Krieger suchen, die ich habe.“ Ohne eine Spur Verlegenheit sah er sie geradeheraus an – die direkt Art war typisch für ihn. Und eigentlich auch für die meisten anderen Paladine. Trotzdem: Sie fühlte sich zwar geschmeichelt, aber der Unwille in ihr war stärker:
„Ich weiß nicht, ob ich einer solchen Mission wirklich zusagen kann, wenn ich nicht bis zum letzten Winkel meines Herzens davon überzeugt bin.“
„Zweifle nicht. Ich glaube: Es ist unser Schicksal, in den Kampf gegen die Trolle zu ziehen – und zu siegen.“
„Ja...“ Eben das klang nicht sehr überzeugt, doch sie hatte keine Zeit mehr, mehr zu sagen, denn mittlerweile hatten sie den Eingang zur Königshalle erreicht. Die Wachen ließen sie ein, und Alphaldas begrüßte sie.
„Sei willkommen, Maren Klerikerin.“
„Euer Exzellenz.“ Sie verneigte sich vor ihm. „Ulric berichtete mir schon von den Geschehnissen, doch, wenn ihr es erlaubt – ich weiß nicht, womit ich euch genau dienen kann.“
Maren ließ gerne Vorsicht walten, was Gespräche mit dem König anging. Bei den Elfen hatte er eine hohe Redekunst erlernt, und so war es immer besser, erst nach Anweisungen zu fragen, als sich selbstbewusst vor ihm zu postieren und zu sagen: Hier bin ich, es kann losgehen.
„Ihr werdet mit Ulric und seinen Männern nach Albenmark ziehen.“
Marens Vermutung wurde hiermit bestätigt. Sie hatte wahrscheinlich keine andere Wahl gehabt, als in den Krieg zu ziehen...
„Ja, mein Herr.“
„Zusammen mit den fünfhundert Soldaten und unserem Besuch werdet ihr eine Reise durch den Albenstern unternehmen, um nach Albenmark zu gelangen.“
Eine Reise durch den Albenstern? Davon erzählte man sich in den Legenden, doch kaum einer hatte so etwas je miterlebt.
Nun, zumindest kann ich mich nicht über Langeweile während dieses Auftrags beklagen, dachte Maren sich.
„Übermorgen abend werdet ihr aufbrechen. Bis dahin ist es eure Aufgabe, eure Krieger zu sammeln, sie aufzuklären und vorzubereiten.“
„Verzeihung, aber...diesem Befehl kann ich nicht folgen, denn ich habe keine Bevollmächtigung, die Kleriker Luths zu rekrutieren, mein König,“ erwähnte sie vorsichtig. Alphaldas warf ihr nur einen undeutbaren Blick zu, dann sagte er: „Natürlich. Ihr sollt Ulric dabei helfen, seine Männer zu unterweisen – sofern er es euch denn aufträgt – und, und das hat die höhere Priorität – werdet ihr euch von einem der elfischen Schwertmeister unterrichten lassen, damit ihr wisst, was auf euch zukommt und wie ihr euch zu verhalten habt. Ihr sollt als gutes Beispiel vorausgehen – für die Krieger, die euch folgen werden.“
Maren lagen diverse Bemerkungen auf der Zunge, doch sie hielt sich zurück. Stattdessen nickte sie lediglich.
Wie soll ich als gutes Beispiel vorangehen, wenn ich nicht an einen Sieg glaube? Was ist mit den Soldaten? Kriegen sie keine Kampfeinweisung? Wenn es Leute in dieser Gruppe sind, die Ausbildung benötigen, dann sie, nicht ich.„Und nun geh mit Ulric zum Übungplatz, er wird dich zu den Schwertmeistern bringen. Du bist hiermit von allen anderen Aktivitäten deines Ordens freisgestellt. Geh!“
„Sehr wohl.“ Erneut verneigte Maren sich, dann zog sie sich zusammen mit Ulric zurück.
Schweigend liefen sie zum Übungsplatz, obwohl es doch so viel zu sagen gab. Doch keiner wollte derjenige sein, der den anderen bedrängte. Also wandten sie sich schweigend den ihnen zugeteilten Schwertmeistern zu.
* * * * * * *
Erschöpft fiel Maren auf ihr Bett. Das war ein verdammt harter Tag gewesen. Logisch, ein Schwertkampf mit einem Elfen war nicht nur anstrengend für einen Menschen, er ging auch in fast allen Fällen schlecht für ihn aus. So auch bei ihr.
„Mein Name ist Galdor.“ Der Elf machte eine leichte Bewegung mit dem Kopf. „Bist du bereit?“
Maren, die erst einmal seinen Anblick verarbeiten musste, sagte nur schwach: „Ja.“
Alles an ihm war...ungewohnt. Seine teuer erscheinende, filigran gearbeitete Kleidung, seine Statur, seine spitzen Ohren, seine feinen Gesichtszüge, das lange, schimmernde Haar...Ihm gegenüber fühlte Maren sich klein, sehr hässlich und sehr, sehr unterlegen.
Das war ihr eine Nummer zu groß...aber jetzt gab es kein Zurück. Sie schluckte und umfasste den
Griff ihres Schwertes fester.
„Dann greif mich an.“
Hatte sie überhaupt eine Chance gegen ihn?
Ja, du hast, sagte sie sich in Gedanken. Zeig ihm nicht, wie verunsichert bist, indem du zögerst. Zeig ihm, was du draufhast – nur darauf kommt es an.
Sie fixierte den Elfen. Er rechnete wahrscheinlich mit einem Schlag gegen die Brust oder einen Arm, denn sie stand in der entsprechenden Angriffsposition. Das würde sie anders machen.
Maren tänzelte ein paar Schritte zur Seite, dann rannte sie in einem ungleichmäßigen Zick-Zack-Lauf auf ihn zu, hob das Schwert, den Blick abwechselnd auf den rechten, dann auf den linken Arm gerichtet, als ob das schon ihr Manöver wäre – und schlug nach seinem Bein.
Die Klinge sauste auf die Lederschiene zu, die es bedeckte, doch in letzter Sekunde schob sich eine glänzende Klinge zwischen sie und das Bein.
Galdor, der Elf, stand einen Moment unbeweglich da, dann entwaffnete er sie mit einer unglaublich schnellen Bewegung.
„Das war nicht schlecht,“ meinte er dann. „Du bist schnell und kämpfst mit Köpfchen. Einem ebenfalls klugen Krieger gelingt es nur schlecht, deinen Hieb abzuwehren.“
Maren lächelte.
„Doch bedenke: Du hast es hier mit einfach denkenden Trollen und anderen tumben Wesen zu tun. Sie hätten keine Zeit darauf verwettet, eine Defensivhaltung einzunehmen, sondern hätten dir einfach den Kopf abgeschlagen, so ungeschützt, wie du ihn vor meine Klinge gehalten hast.“
Einen Moment sann Maren dem Gesagten nach. „Ich verstehe.“ Sie nahm ihm ihr Schwert aus der Hand. „Ganz abgesehen davon, dass ihr zweifellos meinen Schlag hättet abwehren können,“ meinte sie mürrisch.
„Richtig. Aber deswegen bin ich ja hier – um dich die erweiterte Kampfkunst zu lehren, soweit es in der kurzen Zeit möglich ist.“
Maren antwortete nicht. Sie fragte sich mal wieder, was sie hier eigentlich tat und warum um Himmels Willen sie lernte, gegen einen Elfen zu kämpfen, wenn sie doch gegen Trolle antreten musste...PS.: Ich hoffe, es hat euch nicht zu sehr gelangweilt, das Ganze wird noch spannender, muss bloß erstmal hinterherkommen mit schreiben. Und erinnern - das war die erste DnD-Runde mit diesem Charakter, und die war...Anfang 2009