Erster Unmut
Boras leerte seinen Humpen mit einem genüsslichen Schnaufen. Er klopfte Dirim auf die Schulter.
»Danke für die Einladung.«
»Einladung?«
»Fürs Essen und so.«
»Aber..«
»Boras hat schon recht«, sagte Helion. »Wir haben alle kräftig in die Stadtkasse einzahlen müssen, und du kriegst noch Geld raus. Da kannst du ruhig was springen lassen.«
»Das waren gerademal zweihundert Goldmünzen«, warf Dirim ein.
»Macht einen Unterschied von achttausend, wenn ich meine Steuern draufrechne.«
Der Zwerg hob abwehrend die Hände. »Also gut, ich zahle.«
»Scheid ihr die Kettenbrescher?« Ein offensichtlich betrunkener Mann stand an ihrem Tisch.
»Was können wir für Euch tun?« fragte Dirim.
»Eusch ausch der Schtadt verpissen!«
Boras erhob sich.
»Ja los, schlag misch. Haut misch ruhig eins runter. Isch kann misch schowischo nisch wehren.«
Boras setzte sich wieder und machte eine wegwerfende Geste.
»Was habt ihr gegen uns?«, fragte Helion.
»Pfft! Dasch isch die dümmste Frage überhaupt! In Cauldron war allesch ruhisch, bis ihr kamt. Ihr Fünf«, er spie das Wort aus, «scheid schuld. Weisch doch jeder, dasch die Tschal Unglück bringt.«
»Nun hört mal«, begann Thargad, aber Helion gebot ihm, zu schweigen.
»Lass ihn reden«, sagte der Magier.
»Vorher haben die Wache und die Schturmklingen allesch im Griff gehabt. Und jetsch? Nix isch mit Ruhe, und die Schteuern sin auch erhöht. Ihr Scheid schuld!« Dann wankte der Mann und stolperte zur Tür hinaus. Im Schankraum herrschte Stille.
»Bitte verzeiht, Herren.« Der Wirt war an den Tisch gekommen. »Der alte Silas hat Probleme mit seinem Geschäft, und Maavu, der ihm helfen wollte, ist verschwunden. Natürlich gehen die Speisen des Abends aufs Haus. Dürfte ich Euch noch eine Flasche meines besten Weines bringen?«
»Das ist nicht nötig«, sagte Helion.
»Beides nicht«, fügte Dirim hinzu und legte die Zeche auf den Tisch.
-
Am nächsten Tag bereiteten sich die Kettenbrecher auf den abendlichen Empfang vor. Thamior erstand noch einen sehr feinen Umhang, der ihn mehr Gold kostete als der Rest seiner Ausrüstung (mit Ausnahme des Bogens) zusammen.
Thargad traf sich mit Meerthan, von dem er zwei Unsichtbarkeitstränke erhielt. Er hatte vor, den Gerüchten um Arlynn nachzugehen. Die Tatsache, dass Meerthan ihm die Tränke kostenlos zur Verfügung stellte, ließ seinen Ärger über Vortimax’ Wucherpreise nur noch größer werden.
Schließlich aber machte man sich für den Abend fertig. Boras beschloss, zu Hause zu bleiben, alle anderen kleideten sich sauber und schick, ohne auf Schmuck oder ähnlichen Zierrat zu achten, und dann marschierte man zum Höchsten Sonnenstrahl.
Der Club glich von außen einem efeubedeckten Kreuz aus weißem Marmor. Aus der Mitte des Kreuzes entsprang ein hoher Turm, der über die Stadtmauern ragte. Ein kleines Vestibül zwischen zwei Armen des Kreuzes beherbergte den Eingang, eine schmucklose Eisentüre mit den Lettern „D.H.S. – nur für Mitglieder“.
Helion zog an einer Klingelschnur, und schnell öffnete sich die Türe. Dahinter erschien ein gepflegter Mann in Livree.
»Ja bitte?«
»Wir sind eingeladen,« sagte Helion und überreichte dem Mann die Karte von Celeste.
»Oh. Die Herren Kettenbrecher. Natürlich.« Er öffnete die Türe ganz und ließ sie in einen kleinen Vorraum, indem nur eine Garderobe und ein teuer aussehender Schreibtisch standen.
»Sie können hier ihre Waffen ab- und den Schmuck anlegen«, sagte der Diener.
»Schmuck?«, fragte Thamior verwirrt.
»Oh.« Der Diener blieb ausdrucklos. »Nun, die Herren sind gewiss höchst ansprechend gewandet, und man hört ja so vieles aus Saradush, aber dieses haus ist leider nicht ganz auf der Höhe der letzten Mode.« Er sah Helion an. »Ein paar Ohrringe aus Jade oder Smaragd würden euch ganz herovrragend stehen. Und wenn ich mir bei Euch eine kleine Bemerkung erlauben dürfte-«
»Dürft ihr nicht«, sagte Thamior schroff. Der Diener stutzte.
»Nun denn. Ich kann Euch jedenfalls einen hervorragenden und sehr günstigen Gnomen empfehlen, der die Herren sicher mit passenden Stücken ausstatten kann.«
»Wir sind nicht interessiert«, sagte Helion. »Und jetzt lass uns rein.«
Der Diener lächelte, froh darüber, seine Macht endlich demonstrieren zu dürfen.
»Ich fürchte, das ist nicht möglich.«
»Wir sind von Celeste eingeladen. Sie will uns sehen.«
»Nun, ich habe von der Herrin eindeutige Anweisungen.«
»Sie wird sicher sauer sein, wenn du uns nicht reinlässt.«
»Ich lasse es darauf ankommen. Der Ruf des Höchsten Sonnenstrahl steht auf dem Spiel, und ich werde ihn nicht riskieren.«
»Wir werden ja sehen, wer morgen deinen Posten inne hat«, sagte Thamior drohend.
»Wie Ihr meint, Herr.«
Die Kettenbrecher gingen, nachdem sie dem Pförtner aufgetragen hatten, Celeste von ihrer Anwesenheit zu berichten.
»Ich denke, wir gehen wohl am Besten wieder zum Tempel«, sagte Helion. »Heute erreichen wir ohnehin nichts mehr.«
»Ich komme nach«, sagte Thargad, und trennnte sich von ihnen. Die anderen sahen ihm kurz nach, dann gingen sie weiter.