Wäre es nicht sinnvoller darauf zu pochen, dass eben die Prinzipien im Detail verstanden werden und die reine Rechenfähigkeit ohne Hilfsmittel in den Hintergrund treten sollte?
Gegen Ende zu ja, allerdings zeigt die Erfahrung, dass das eine mit dem anderen zusammenhängt. Bei besagtem Schüler ist es ja nun auch nicht so, dass er den Hauptsatz der Integralrechnung wirklich verstanden hätte. Er hat lediglich den Mechanimus zur Integration von Polynomfunktionen automatisiert (schwerer wirds auf der FOS nicht). Zur Umsetzung aber muss er die Grundrechenarten ebenfalls beherrschen, und da haperts gewaltig.
Analog beim Differenzieren gebrochen rationaler Funktionen. Er weiss durchaus, wie das geht, da er aber die grundlegenden Rechengesetze nicht beherrscht, fasst er ständig falsch zusammen. Am Ende steht wieder die 5, nicht weil er den aktuellen Stoff nicht beherrscht, sondern weil er den Stoff nicht beherrscht, der in der 4./5. klasse vermittelt wurde.
Das Problem also ist, dass es für die Bewertung seiner Leistung letztlich keine Rolle spielt, woran er scheitert. Wenn er überall wegen Rechenfehlern Punktabzug erleidet, hat er am Ende auch eine Fünf.
und noch problematischer wird es, wenn die Schüler den Taschenrechner nicht beherrschen. ich habs schon mehrere Male getestet, indem ich ihnen die Aufgabe 1/(1+1) einmal ohne, einmal mit Taschenrechner hab lösen lassen (ich schreibs als Bruch an die Tafel, also ohne die Klammern). Fast alle Schüler unabhängig vom Leistungsstand sind in der Lage, im Kopf das richtige Ergebnis zu ermitteln, was ja auch nicht wirklich schwer ist. Ebenfalls unabhängig vom Leistungsstand berechnen die meisten Schüler den Bruch aber mit dem Ergebnis 2, weil sie es ohne die Klammern in den Taschenrechner eingeben. Die leistungsschwächeren Schüler merken aber leider nicht, dass das Ergebnis völlig unrealistisch ist und rechnen einfach weiter.
Dazu kommt noch folgendes: Wir durften früher keine Taschenrechner nutzen, dafür war aber gewährleistet, dass bei den Aufgaben Ergebnisse mit maximal 2 Nachkommastellen rauskamen. Das hatte den Vorteil, dass es viel leichter war, Probe zu rechnen und zu erkennen, wenn man einen Fehler gemacht hatte. Die heutigen Schulbücher (zumindest die in meiner Region gebräuchlichen) setzen aber schon ab der Einführung von Dezimalbrüchen die Benutzung des Taschenrechners voraus und geben sich daher keinerlei Mühe, die Aufgaben entsprechend zu stellen. Mal abgesehen von der hohen Fehlerquote bei den oft zur Hilfe angegebenen Lösungen heisst das, dass es den Schülern kaum möglich ist, ein Gefühl für die Richtigkeit einer Lösung zu ermitteln. Was wiederum dazu beiträgt, dass sie mit falsch mit dem Taschenrechner ermittelten Ergebnissen einfach weiterrechnen, weil sie sich blind darauf verlassen, dass das schon stimmen wird.
Ich stimme dir insoweit zu, als das Ziel der Mathematik natürlich nicht allleine sein sollte, den Schülern das Rechnen beizubringen. Es geht vielmehr um die Entwicklung einer Denkdisziplin beim Lösen von Problemen, die auch in anderen Bereichen natürlich hilfreich sein kann. Das Rechnen, das in den ersten 6 Schuljahren vermittelt wird, stellt aber das Handwerkszeug der Mathematik dar (man könnte es auch als das Vokabular und die Grammatik der "Sprache" Mathematik bezeichnen. Und Schüler die das nicht beherrschen, weil ihre Lehrer keinen Wert darauf legten, bekommen in der Oberstufe die Quittung dafür, weil sie sich, anstatt sich aufs eigentliche Problem konzentrieren zu können, mit den Problemen rumschlagen, die man eigentlich mit reiner Technik lösen könnte.
Ich hab natürlich überspitzt formuliert, aber ich sehe es halt auch aufgrund meiner Erfahrungen in der Schülernachhilfe sehr skeptisch, wenn die Schüler schon zu früh lernen, sich auf den Taschenrechner zu verlassen. Ich sag ja zu Sprachschülern auch nicht, dass sie keine Vokabeln lernen müssen, da es ja Wörterbücher (oder Leo.org) gäbe.
Und das Problem erstreckt sich nicht nur auf die Schüler, die ich in der Nachhilfe zu Gesicht bekomme, die wären ja nicht da, wenn sie gut in Mathe wären. Eine meiner Lieblingsanekdoten aus der Uni ist die über einen meiner Infoprofs, der seine Einführungsvorlesung prinzipiell mit der Frage startet, ob die Studenten denn alle glaubten, rechnen zu können. Klar, dass dann alle Studenten nicken, die meisten davon hatten ja schließlich gute Noten in Mathe. Und dann schreibt der Prof einfach folgende Aufgabe an die Tafel.
1------1 (alternativ auch: 2/2/2/2/2)
Und im Hörsaal machen sich plötzlich 300 Studenten gaaaaaaanz klein, um blos nicht zur Antwort aufgefordert zu werden.