Sorry, aber ein Update reicht immer noch nicht. Also bitte:
Aufräumarbeiten»Also, wir gehen da jetzt rein und machen sauber«, sagte Dirim zu dem guten Dutzend Tagelöhner, die er aufgegabelt hatten. »Und dass mir keiner mit Rückenschmerzen kommt.«
Dirim, Boras und die Tagelöhner standen vor den geschlossenen Türen des Tempels der Dreifaltigkeit. Die hohen Mauern gaben keinen Blick auf den Tempelgrund frei, und der ehemals so allgegenwärtige Klang der Barakmordin im Übungskampf fehlte in der städtischen Geräuschkulisse.
Zuerst hatten sich Dirim und Boras nach langem Zögern Friedensbänder anlegen lassen: sowohl die Waffen wurden mit einer Schleife befestigt, als auch zwei Finger jeder Hand eines Zauberwirkers. So musste man erst die Schleife lösen, bevor man Schaden anrichtete. Bevor einer der beiden sich weitere Gedanken machen konnte, kam schon ein Bote, der Boras zu einem Gespräch zu Gendry Lathenmire bat. Und Dirim war dann, als er sich allein in Cauldron fand, in Richtung des Lathanderschreins losmarschiert. Schließlich hatten sich beide dann – Dirim mit eben jenen Handlangern im Schlepptau – beim Tyrtempel eingefunden.
»Na dann«, sagte Dirim. »Machen wir die Türe auf. Boras, würdest du?«
Der Barbar senkte die Schulter und nahm Anlauf.
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Das Anwesen der Lathenmires war ein vergleichsweise bescheidenes Herrenhaus aus grauem Malachit. Über den Eingang ragte ein Erker hinaus, dessen vergitterte Fenster den Blick auf eine Bibliothek freigaben. Boras wurde von einem Diener ungeachtet des Barbaren martialischen Auftretens begrüßt und durch das angemnehm ausgestattete Haus geführt. Die Lathenmires setzten ihren begrenzten Reichtum sehr viel zielsicherer ein als die meisten besser betuchten Familien der Stadt. Ein erdiger und zugleich exotischer Duft lag in der Luft.
»Riecht gut«, sagte Boras.
»Sir Gendrys Frau züchtet Blumen«, antwortete der Diener.
Im Hause Lathenmire gab es nur einen Adeligen: Sir Gendry Lathenmire war ein Held des Interregnums, der im Kampf für Tethyr seine Hand verlor und einen Titel gewann. Dieser Titel würde mit ihm sterben. Allerdings hatte Gendrys Tochter Corah vorgehabt, Zacharias Aslaxin den Zweiten zu ehelichen, womit sie und ihre Nachkommen ebenfalls von Siamorphes Segen profitiert hätten.
Der Diener brachte Boras in den ersten Stock, in eben jene Bibliothek über der Straße. Gendry Lathenmire saß aufrecht in einem hohen Sessel und bot Boras einen selbigen an. Der Barbar blieb stehen.
»Glückwunsch«, sagte Boras.
»Wie bitte?« Gendrys Stimme war rauh, kernig. Es war gut vorstellbar, dass er und Terseon Skellerang sich gut verstanden hatten.
»Zur Hochzeit«, sagte Boras. »Ist die nicht heute?«
»Ihr wart lange weg«, sagte Lathenmire. Er rieb sich den Stumpf seiner linken Hand. »Corah sitzt in ihrem Zimmer und heult, und nicht aus Glück. Zacharias ist tot.«
»Tot?«
»Und als wäre das nicht genug, verbietet dieser alte Miesfink, der sein Vater sein will, ihn wiederzubeleben. Jetzt liegt die Leiche des Verlobten meiner Tochter irgendwo im Finger und wartet darauf, dass die Schutzzauber ablaufen oder das Herz dieses Golems sich in Fleisch verwandelt. Hm. Ich weiß, was eher passieren wird.«
»Tut mir leid.«
»Darum habe ich Euch nicht kommen lassen. Ihr wart ein Freund von Terseon Skellerang. Er traute Euch. Und Ihr mögt Valanthru nicht. Das reicht mir. Ich werde Euch auch trauen. Wir haben ein Problem.«
»Dachte ich mir.«
»Terseon sollte wiederbelebt werden. Darum wollte er, dass ich seine Leiche bekomme; ich habe alles vorbereitet. Seit drei Monaten haben wir alles geplant: Erst hat Terseon hier dem Alkohol abgeschworen – er hat sich nur noch damit besprenkelt, um nicht aufzufallen. Und dann wollte er im Verborgenen bleiben, bis er benötigt würde. Und gerade als die Gefahr, dass ich in den Ring steigen und ihn erschlagen muss, abgewendet wurde...«
»Kommt Valanthru«, schloss Boras.
»Valanthru.« Gendry Lathenmire rieb sich wieder über den Armstumpf.
»Nun ja«, fuhr er fort. »Die Sache ist die: In zehn Tagen wird Terseons Leiche verbrannt werden. Das darf nicht geschehen. Ihr gehört zu den Kettenbrechern. Ihr seid tüchtig. Holt Terseon da raus. Und wenn ihr Zacharias mitbringt, hole ich ihn auch zurück, egal was dieser Hohlkopf sagt.«
»Wir werden es versuchen«, sagte Boras.
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Der Tempelgrund war leer. Gras wuchs hoch, und in der von Dirim aufgesperrten Kirche hatte sich Staub gebildet.
»Sieht verlassen aus«, sagte Pecarri vom Eingangstor her.
Dirim sah auf. Am Tor standen Pecarri und Thamior, schwer beladen.
»Ihr seid schon zurück?«
»Es ging schneller, als wir dachten«, sagte der Kobold.
»Hallo, Dirim!«, sagte Annastriana.
»Anna?« Dirim starrte auf den Bogen. Auch Boras kam vorsichtig näher.
»Wo ist denn Thargad?«, fragte Boras.
»Hat’s nicht geschafft«, sagte Pecarri.
»Ich sehe schon, wir haben viel zu reden«, meinte Dirim.
»Jetzt nicht«, sagte Thamior und hob die Hand. Er betrachtete das Gras zu ihren Füßen. »Jemand ist kürzlich erst hiergewesen. Die Spuren führen in den Keller.«
Die Kettenbrecher zogen ihre Waffen.
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»Hallo? Krystof?«
Dirim hatte den kleinen Turm betreten und stand im Schrein. An der Wand hingen Sonnenscheiben und Bilder von Sonnenaufgängen, auf dem Altar ein Weihrauchgefäß und ein Kelch. Das Erdgeschoss war der Schrein; der erste Stock das Gemach des ansässigen Priesters, und genau den rief Dirim gerade.
»Krystof!«
Endlich hörte man ein Rumoren.
»Ich komm ja«, klang eine müde und nicht ganz nüchterne Stimme die Stufen herab. Ihr folgte Krystof Jurgensen in einer orangeroten Robe, die schon bessere Tage gesehen hatte. Der junge Priester erstarrte, als er Dirim sah.
»Meister Gratur!«
Er lief die letzten Stufen herunter und fiel Dirim in die Arme.
»Ihr seid zurück«, schluchzte er. »Jetzt wird alles gut.« Urplötzlich hellte sich sein Gesicht auf. »Darauf müssen wir einen trinken!«
»Du hast genug getrunken«, sagte Dirim. »Tyr verpasse dir einen klaren Kopf.«
Der Zauber tat seine Wirkung und vertrieb das Gift aus Krystofs Blut.
»Au«, sagte der und rieb seinen Kopf.
»Du hast keinen Kater«, sagte Dirim, »und kriegst nichts, um den angeblichen Schmerz zu lindern.«
Krystof war enttäuscht, aber dann grinste er. »Es tut gut, euch wiederzusehen. Was ist mit Eurem Auge?«
»Ein Segen Tyrs«, sagte Dirim schnell. »Und was ist mit Euch?«
»Was soll mit mir sein? Seht ihr das nicht? Die verdammte Azuthkirche ist los!« Krystof spuckte auf den Boden. »Sie haben mir das Sonnenlicht genommen!«
Der Lathandertempel war so errichtet, dass bei Sonnenaufgang das Sonnenlich in einem Spiegel gesammelt und in den Schrein gelenkt wurde. Die Sonne ging jedoch genau über dem Azuthtempel auf, oder nachdem der Finger nun seine riesigen Ausmaße erreicht hatte, hinter dem Tempel.
»Diese verfluchten Zauberer«, sagte Krystof.
»Mach dir deswegen mal keine Sorgen«, sagte Dirim. »Das kriegen wir wieder hin. Morgen früh sehe ich mir an, wo man das Loch in die Kirche brennen müsste, damit die Sonne durchscheint. Und zur Not reißen wir das Ding eben ein.«
»Könnt ihr das?«, fragte Krystof.
»Aber nur mit Eurer Hilfe. Und dazu dürft ihr nicht mehr trinken.«
»Aber...«
»Keine Widerrede.«
»Also gut. Keinen Tropfen mehr, bis das Morgenlicht wieder im Schrein erstrahlt.«
»Gut. Ihr solltet vor die Leute treten und zu ihnen predigen«, meinte Dirim.
»Das... das mache ich!« Krystof zog an seiner Robe, bis sie halbwegs glatt saß, und trat vor die Tür.
»Endlich ist er weg«, sagte Dirim. Er begann, nach der Geheimtür zu suchen, von der in der Vision die Rede gewesen war.
Als Krystof gut zwanzig Minuten später wiederkam, hatte er nichts gefunden.
»Wie wars?«, fragte Dirim.
»Ich hab sie ganz schön gegen die Langfinger aufgehetzt«, sagte Krystof. Er lächelte böse.
»Schön. Und was ist sonst so passiert, während wir weg waren?«
»Außer dass die Azuthkirche mir die Sonne nahm?« Es klang, als könne gar nichts anderes passiert sein.
»Abgesehen davon.«
»Na ja... Zacharias der Zweite wurde getötet, als die Sturmklingen unter der Stadt angegriffen wurden. Die Sturmklingen haben sich aufgelöst.«
»Wer hat sie angegriffen?«
»Keine Ahnung. Aber angeblich wollten sie ein Koboldlager auflösen.«
»Und sonst?«
»Der Tyrtempel wurde aufgegeben.«
»Was?!«, entfuhr es Dirim. »Wann wolltest du mir das denn erzählen?«
»Die Azuthkirche hat mir die Sonne genommen«, meckerte Krystof.
»Ja, schon gut. Was ist passiert?«
»Keine Ahnung. Die Barakmordin sind abgereist, und der Tempel ist verschlossen.«
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Die Tagelöhner hatten sich in die Kirche zurückgezogen. Dirim betrat den Wohntrakt des Tempels und ging langsam die Treppe in den Keller hinunter, wo sich die großen Zimmer befanden. Die heiße Quelle, die den Wohnbereich vom Treppenhaus trennte, reflektierte das dauerhafte Licht des Versammlungsraumes nebenan. Dirim hörte Stimmen, die sich unterhielten, aber das Wasser und der Schall machten die Worte unverständlich. Hinter Dirim ging Boras, dahinter Helion und schließlich Thamior.
Dirim hob Treueschwur zur Schlag. Er holte tief Luft, dann stürzte er durch den Raum mit der Quelle, direkt in den Versammlungsraum.
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Als Silberquell den Geistern anheim fiel, wurde es den Bewohnern Cauldrons schnell zu gefährlich, einen offenen Handelsweg zur Geisterstadt zu haben. Also schickte man eine Einheit Stadtwachen los, um die Brücke, die sich über die Silberschlucht spannte, abzureißen. Sie arbeiteten sechs Tage, dann hatten sie alles vorbereitet, und mit ein paar letzten gezielten Axthieben stürzte die Holzbrücke in die tiefe Schlucht.
Genau vor dieser Schlucht standen nun Helion und Thamior mit drei Pferden. Gute zehn Schritt waren zu überwinden, eine Distanz, die keines der Pferde sicher springen konnte.
»Kannst du die Tiere beruhigen, während ich sie rüberbringe?«, fragte Helion.
Thamior, der trotz seiner Naturverbundenheit kein wirklicher Tierexperte war, bejahte zögerlich. Da die Pferde allerdings sehr groß waren, konnte Helion nur ein Pferd und den Elfen, oder zwei Pferde durch sein Dimensionstor schicken. Und er hatte nur zwei dieser Zauber zur Verfügung, wenn sie heute noch nach Cauldron wollten.
»Zuerst mich und ein Pferd«, sagte Thamior. »Dann kann ich das Tier drüben in Schach halten. Nach dem Sprung sind sie sicher aufgeregter als vorher.«
Also stiegen beide ab. Helion legte einen Flugzauber auf sich, und Thamior schnallte die Schatzwaffen und die wichtigsten Ausrüstungsgegenstände von den Pferden ab. Dann beschwor Helion ein Dimensionstor und sprang mit Thamior und seinem Pferd auf die andere Seite der Schlucht.
Thamior ließ sofort die Gegenstände fallen und griff nach den Zügeln des sich aufbäumenden Pferdes. Noch während er beruhigend auf das Tier einsprach, flog Helion
über die Schlucht zurück. Als Thamior ihm ein Zeichen gab, beschwor er das zweite Tor und nahm die beiden anderen Pferde mit. Kaum waren sie drüben, da wurde auch das erste Tier wieder unruhig. Thamior musste sich gegen die Zügel stemmen, damit ihm die Pferde nicht durchgingen, aber schließlich hatten sie es geschafft. Sie luden die Gegenstände wieder auf und ritten weiter zum Stadttor.
»Wie kommt Thargad da rüber, wenn er nachkommt?«
»Springen«, vermutete Helion.
Auf dem Weg nach Cauldron berichtete Thamior Anna alles, was seit ihrem Tod geschehen war, und er behielt nichts zurück. Helion warf immer wieder Einzelheiten ein oder beschrieb seine Sichtweise der Dinge, und so vergingen die Stunden wie im Flug, bis im Licht des Nachmittags endlich die hohen Mauern Cauldrons erschienen. Die beiden waren so schnell wie möglich gereist, und wieder einmal dankten sie Shensen für die bergerfahrenen Ponys.
Die Halborkwachen, die das kaum genutzte Tor öffneten, staunten nicht schlecht, als ihnen der weiße Bogen des Elfen einen spitzzüngigen Kommentar entgegen schleuderte, aber man wusste ja, was Elfen für komische Kerle waren, mit oder ohne Bogen. Thamior war aber sehr zuvorkommend, als die Halborks seinen Köcher mit einem Friedensband versehen wollten – bei Annastriana musste er schließlich keine Pfeile auflegen, um welche abfeuern zu können. Pecarri war schon etwas grummliger, als man zur Vorsicht seine Hand binden wollte. Wenigstens nahm ihm niemand die Keule weg, die er als Gehstock nutzte.
Dann aber waren die beiden in den Straßen Cauldrons unterwegs, und nach einem misstrauischen und ehrfürchtigen Blick zum Finger machten sie sich schnellstens auf den Weg zum Tempel der Dreifaltigkeit. Hoffentlich hatte noch niemand versucht, die zahlenmäßige Unterlegenheit der Kettenbrecher auszunutzen.
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»Also ist es wahr! Ihr seid zurück!«
Dirim stand mit erhobenem Schwert im Raum. Ihm gegenüber saßen die Barakmordin um Beregard von Tyr herum und starrten ihn an.
»Ihr... ihr seid abgereist«, sagte Dirim schwach. Hinter ihm kamen die übrigen Kettenbrecher ins Zimmer.
»Nur ein Täuschungsmanöver«, sagte Beregard. »Niemand wollte auf uns hören, da dachten wir, aus dem Verborgenen könnten wir besser zuschlagen, wenn die Zeit kommt. Aber jetzt seid ihr ja zurück.«
»Ich habe auch dem Tempel einen Brief geschrieben und um Verstärkung gebeten«, sagte Dirim.
»Der Tempel.« Beregard zwirbelte sich den Schnurrbart. »Die Barakmordin haben uns ausgestoßen. Jedenfalls haben sie das angedroht, wenn wir nicht abreisen.«
»Ihr seid trotzdem geblieben«, stellte Dirim fest.
Er wollte Treueschwur wieder in die Scheide stecken, aber Beregard hob den Arm.
»Nicht so schnell. Wir können das Schwert noch brauchen.«
Er ging in die Knie. Die früheren Barakmordin folgten seinem Beispiel.
»Wir haben die Gefahr gesehen, die auf dieser Stadt liegt, und wir wollen ihr entgegen gehen. Dazu unterstellen wir uns Eurem Befehl, Dirim Gratur, Richtschwert von Tyr, und schwören Euch die Treue. Durch Feuer und Eis, Säure und Gift, Versuchung und Betrug soll unser Eid nicht zu lösen sein, bis ihr uns daraus befreit. Nennt das Ziel, und unser Arm wird folgen. Möge unser Pfad gerecht sein, mögen wir alles Leid ertragen, das uns trifft, und mögen wir uns unserer Pflicht als würdig erweisen.«
Beregard küsste Treueschwur, und die übrigen Krieger taten es ihm nach.
»Ich will auch eine Armee«, flüsterte Boras zu Helion.
Helion dachte an die Kobolde der Stadt. »Ich habe schon eine.«
Spoiler (Anzeigen)
Dirims Spieler hat das Talent "Anführen" genommen. Beregard ist sein Gefolgsmann.
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Dirim befahl den Tagelöhnern, erst einmal nach Hause zu gehen, aber am nächsten Tag wiederzukommen und an die Arbeit zu gehen. Einige von ihnen schienen sehr eifrig, und einer bat Dirim sogar, ob er dauerhaft bleiben dürfe. Dirim bat sich Bedenkzeit aus; er hatte den Mann nicht einmal arbeiten sehen.
Die Kettenbrecher bezogen dann gleich das Tyrzimmer und das arkane Zimmer, in denen Dirim während der Vision Geheimtüren entdeckt hatte. Und auch jetzt konnte er mit Wahrem Blick jenen magischen Schimmer in Form einer Tür wahrnehmen. Aber keinen Öffnungsmechanismus.
Schließlich hatte Helion eine Idee. »In manchen Tempeln werden Räume dadurch gesichert, dass nur höhere Priester sie mit ihrer Macht öffnen können. Kanalisiere doch einmal Tyrs Macht gegen die Tür.«
Dirim konnte, wie die meisten Priester, die Macht seines Gottes direkt kanalisieren, anstatt sie in Zauber zu leiten. Meistens wurde diese Fähigkeit benutzt, um Untote zu schädigen, aber man konnte noch viele andere Dinge damit tun. Speziell darauf ausgelegte Türen öffnen zum Beispiel.
Dirim konzentrierte sich und spürte, wie positive Energie in ihm aufwallte. Mit einer simplen Geste ließ er sie gegen das Bildnis Tyrs branden, hinter der sich die Geheimtür verbarg. Die Tür versenkte sich daraufhin im Boden. Dahinter ein kurzer Gang, der in einem T endete. Der rechte Gang führte hinter das arkane Zimmer. Der linke endete in einer kleinen Waffenkammer. Eine Rüstung aus rotem Leder hing an einem Haken, einfache Bolzen und Pfeile sowie normale Schwerter lagen bereit. Außerdem waren die Regale voll mit minderen und einigen mächtigeren magischen Gegenständen. Es war Zahltag!
Neben der Rüstkammer fanden die Kettenbrecher noch ein Labor, das ebenfalls als Heilzimmer herhalten konnte, und einen Beschwörungsraum. In der Mitte dieses Zimmers waren Runen eingelassen, die eine Vielzahl von übereinander liegenden Symbolen beinhalteten, und in der Mitte davon wiederum ein großer, durchsichtiger Stein sowie Aufhängungen für sechs weitere Steine, die jedoch fehlten. Die Vorrichtung war magisch, aber ohne die fehlenden Steine war sie nicht zu gebrauchen. Dirim legte zur Probe seinen Schatzring in die Vorrichtung. Er passte, aber sie war nicht dafür gedacht, also zog er den Ring, dessen Stein sich magisch mit der Lebenskraft seiner Mutter verband, wieder an.
In dem Ritualraum fanden sie außerdem eine Schriftrolle mit einem entsprechenden, in diesem Raum zu wirkenden Ritual, dass eine Person wieder zum Leben erwecken konnte, selbst wenn sein Körper zerstört war – einer der mächtigsten Zaubersprüche überhaupt.
»Wir müssen Terseon nicht retten«, sagte Dirim. »Wir lassen ihn verbrennen, und dann holen wir ihn zurück. Damit wird niemand rechnen.«
Ein weiterer Raum war den drei Göttern gewidmet. Als Dirim ihn betrat, fühlte er sich gestärkt, aber keiner der anderen Kettenbrecher hatte dasselbe Erlebnis. Schließlich gab es noch einen Vorratsraum, der seltsamerweise neben Trockennahrung noch Hand- und Fußfesseln für zwei mittelgroße Personen enthielt und, wie Thamior bemerkte, eine Geheimtür hatte. Der Elf fand auch den Öffnungsmechanismus.
Die Tür öffnete sich in einen kleinen, dunklen Raum. Nur ein paar abgenagte Knochen und eine schmutzige Raststatt waren zu sehen, sowie einige Kratzspuren an der Wand. Helion erkannte den Raum: Es war das Zimmer, in dem ihm der Anführer der Kobolde, Thrakis, eine Geheimtür gezeigt hatte und befahl, sie aufzumachen. Und in der Vision hatte der Wolf darüber geredet, dass erst die Tür geöffnet und dann die Steine gefunden werden mussten. Die Kobolde wollten also eindeutig an die Ritualschriftrolle gelangen. Helion wurde etwas schwindelig. Nicht auszudenken, wenn Thrakis die ganzen magischen Schätze bekommen hätte, die sie gerade gefunden hatten.
Auf Helions Bitte schlossen die Kettenbrecher die Tür wieder, ohne dass der Kobold sich erklärte. Dann gingen sie daran, die neuen Gegenstände zu identifizieren.
Die Rüstung war einem Feuergott geweiht und konnte neben ihrer normalen Schutzwirkung entflammen, wobei sie dem Gegner schaden und dem Träger Schutz bieten würde. Aus der Menge weiterer Gegenstände identifizierte Helion die Schatzwaffen sowie einen dunkelroten Zauberstecken des Feuers. Vier unbewegliche Stäbe waren klar erkennbar, ebenso ein Bündel Schriftrollen mit arkanen Zaubern. Ein Amulett schützte vor Gift, ein weiterer Stab öffnete eine Taschendimension, in der man sich erholen konnte. Ein etwas schiefer Hut diente der Verkleidung, eine Brosche schützte vor magischen Geschossen. Eine Perle war in der Lage, einen einfachen Zauber zurückzuholen, eine weitere wirkte mit etwas stärkerer Magie, aber auf dieselbe Art. Ein tragbares Loch erklärte sich von selbst: Warf man es gegen eine Oberfläche, bildete es eine kleine Höhle, in der man Dinge und sogar Wesen aufbewahren konnte. Nahm man es wieder ab, konnte man es wie ein Tuch auf Taschengröße falten. Ausprobieren führte dazu, dass ein paar Armreifen als solche für Bogenschützen, ein weiteres als Geschicklichkeitsarmbänder erkannt wurden. Die letzten Armreifen, die aus geflochtenen Ranken bestanden, hatten eine eigentümliche Wirkung. Zog man sie an, so breiteten sich die Ranken über den ganzen Körper aus und bildeten eine zweite Rüstung. Boras beanspruchte diese Armreifen sofort und gab Thamior sogar sein Amulett ab, das ähnlich wirkte, aber nicht so effektiv war. Dirim erhielt einen Schildschmuck, der mit Symbolen der Tapferkeit und des Schutzes verziert war.
Blieben noch mehrere unbekannte Tränke, vier unbekannte Ringe, und ein kleines Glöckchen, deren Wirkung unbekannt blieb. Hinzu kamen die Gegenstände, deren Wirkung man erahnt hatte.
Dirim bat darum, sowohl
Seelenblick als auch
Schuldspruch führen zu dürfen. Da Thamior keine magische Nahkampfwaffe hatte, lieh Dirim ihm sogar
Treueschwur. Da hatte niemand mehr Einwände. Dirim befestigte den Schildschmuck an der glatt polierten Oberfläche des Schildes und führte sein neues Langschwert probeweise durch die Luft. Es war schwerer, aber auf eine gute Art. Boras hatte eine Träne im Auge, als er
Schlachtenwut beiseite legte. Aber
Blutrache rief nach ihm. Es war die Waffe seines Vaters. Bedächtig hielt er sie in den Händen. Er konnte das getrocknete Blut der Feinde an der Klinge sehen, die er in Zukunft erschlagen würde. Vielleicht sogar Finsters Blut. Sehr gut.
Während die Kettenbrecher unten mit ihren neuen Reichtümern hantierten, kümmerten sich über dem Erdboden die Tagelöhner darum, dass der Tempel wieder vorzeigbar wurde. Am dritten Tag ihres Erscheinens würden die Kettenbrecher erst einmal dem Lathandertempel einen Besuch abstatten und die Waffe suchen, von der Krystof in der Vision gesprochen hatte, und dann mal sehen, wie es Jenya ging, der Hohepriesterin des Helmtempels.
»Hoffentlich hat sie ihre Augen noch«, sagte Boras. »Das war echt unheimlich. Und außerdem bin ich da gestorben.«