Ken, Elaine und Lyzolda saßen im Cockpit beieinander und besprachen die Lage. Der Gambler und die Companion wollten Deep Jail One nochmals anfliegen und herausfinden, ob tatsächlich das Feuer eröffnet würde. Lyzolda war der Meinung, die Sache sei zu riskant. Der Plan musste also mit den anderen besprochen werden, doch die waren merkwürdigerweise nicht an Bord. Elaines Shuttle war sogar verschwunden.
„Ta ma de!“ fluchte Elaine wütend und funkte ihr Shuttle an. Scheinbar hatten sich Miho und Jonathan auf den Weg gemacht, um einige Besorgungen zu erledigen. Wobei irgendwie klar war, dass es sich dabei eher um Ärger handeln würde.
„Stellt mein Shuttle ab und raus da! Ihr seid ja wahnsinnig, ihr Bendans!“ schrie Elaine ins Mikrofon hinein.
„Ai, schon gut.“, kam es kleinlaut von Miho zurück.
Elaine peilte ihren Signalgeber an und atmete auf. „Puh, sie haben mein Shuttle in der Stadt abgestellt. Lyzolda, kommst du mit? Ich will es holen, aber ich traue den Leuten hier nicht so ganz.“ Die sehnige Ex-Soldatin nickte kurz, dann machten sie sich auf den Weg.
Nach dreißig Minuten Fußmarsch hatten die beiden Frauen eine verlassene Seitengasse erreicht. Doch hier stand kein Shuttle. Jemand hatte den Signalgeber ausgebaut und in die Ecke geworfen. Elaine war wütend und enttäuscht zugleich. „Ich bringe die beiden um.“, knirschte sie und nahm dann Kontakt mit Ken auf, um ihm die Situation zu erklären.
Der hatte inzwischen herausgefunden, dass Alistair beim letzten Aufenthalt die falschen Medikamente gekauft hatte. Anstatt ein Mittel gegen Darmkrankheit, hatte er sich ein Abführmittel besorgt. Das erklärte nun Alistair rege Darmtätigkeit der letzten Wochen.
Der Captain kam auch gerade rechtzeitig zurück, so dass ihm Ken kurz die Sache schildern konnte. „Alistair, ich muss kurz Elaine und Lyz abholen. Bin gleich wieder zurück. Nimm bloß keine von diesen kleinen blauen Pillen mehr.“
Ken nahm das andere Shuttle, das noch leicht beschädigt war, und startete. Nach zwei Minuten hatte er sein Ziel erreicht und setzte sanft auf. Die beiden Frauen stiegen ein, dann sollte es zurück zum Schiff gehen, doch Elaine bemerkte zwei Straßen weiter etwas, was ihre Aufmerksamkeit erregte. „Sai weng shi ma!” rief die junge Companion erfreut aus. „Das ist doch mein Shuttle!“
Tatsächlich. Diebe hatten die Firefly Barkasse nur wenige Straßen weiter geschleppt. Aus der Luft betrachtet einfach zu entdecken, zu Fuß allerdings unmöglich.
„Ihr hättet direkt mit dem Shuttle fliegen sollen.“, sagte Ken, flog einen kleinen Umweg und schwebte dann knapp über dem Boden wieder ein Stück zurück. „Wir gehen zu Fuß, um die Leute nicht aufzuschrecken.“
Die drei verließen das Shuttle und gingen leise mit gezogenen Faustfeuerwaffen vor. Sie schlichen sich in den Rücken von drei jugendlichen Dieben. Ken spannte den Hahn einer seiner Waffen hörbar und der linke Gauner zuckte zusammen. „Rookie, ich glaube deine Ratsche ist kaputt.“
Ken spannte nun auch seine andere Waffe und der junge Mann rechts Außen fuhr zusammen. „Dan, du hast recht, das Geräusch ist nicht mehr normal.“
Als nun auch Elaine und Lyzolda ihre Waffen hörbar bereit machten, begriffen die Diebe, was sich hinter ihnen abspielte. Langsam und mit erhobenen Händen drehten sie sich um. „Qiuqing! Qiuqing!“ bettelten sie. „Die beiden an Bord des Shuttles haben das Ding einfach offen stehen gelassen. Wir konnten einfach so hineinmarschieren.“
Elaine schnaubte angesäuert. Sie wusste, das weder Miho noch Jonathan so dumm waren. Die Companion ahnte jedoch, dass sich die beiden damit vielleicht an ihr rächen wollten. Miho, weil Elaine ihr mehrmals über den Mund gefahren war und Jonatahn, weil sie und Ken den Verlust seiner geliebten Winchester einfach so abgetan hatten.
In dem Moment knackte der Funkempfänger in Kens Ohr: „Hier Alistair, Leute, könnt ihr in zehn Sekunden zurück sein?“
Ken war verdutzt. „Äh, nein. Warum?“
„Gai si! Ein Notfall. Tut mir leid, aber ich bin bald zurück!“ gab Alistair Heinlein zurück. Dann erhob sich außerhalb von Flashlight die Wind Drake und stieg ins Weltall auf.
„Was ...?“ krächzte Elaine verdutzt und sah dem Schiff hinterher. „Aber ...?“
„Was soll denn das?“ stieß Ken verwirrt hervor, während Lyzolda nur die Stirn runzelte.
*****
Lyzolda, Ken und Elaine waren mit den beiden Shuttles zu Teddy Miller geflogen, der einzigen Person auf Angel Moon, der sie halbwegs vertrauen konnten.
„Ich verstehe nicht, warum Alistair so schnell weg musste.“, sagte Elaine in die Runde und alle zuckten mit den Schultern.
„Vielleicht hat es was mit der Wave zu schaffen, die er vor kurzem bekommen hat.“, erklärte Miller und schenkte sich einen Reisschnaps ein.
„Eine Wave?“
„Ja. Sie kam von Hera. Ziemlich weit weg und das System ist zu den Border Moons derzeit abgewandt. Deswegen war es kein Live-Stream. Ich bin hier für die Sendeanlage zuständig. Die Leute bekommen eher selten eine Wave, da fällt mir so was auf.“
„Könnten sie uns die Wave vielleicht vorspielen?“ fragte Elaine mit einem zuckersüßen Lächeln, das kaum einer ignorieren konnte.
Sie suchten Millers Büro auf und der Mann rief die Wave ab. Auf dem Bildschirm erschien eine ältere Frau, im Hintergrund war ein einfaches Farmzimmer zu erkennen. Die Frau hatte Tränen in den Augen und schien verzweifelt als sie anfing zu sprechen: „Alistair, sie haben Jackie entführt. Du musst sofort nach Hause kommen!“ Das war alles.
„Hera, der Brotkorb des Sonnensystems.“, murmelte Ken. „Alistair ist für mindestens zwei Wochen unterwegs – falls er überhaupt wiederkommt.“
„Er kommt sicherlich zurück. Alistair ist nicht die Art von Mann, die einen hängen lässt.“
„Na gut, aber was machen wir in der Zwischenzeit?“
„Wir haben zwei Shuttles. Wir könnten einen Kurierservice aufziehen.“, schlug Lyzolda vor, doch die beiden anderen lehnten ab.
„Vielleicht sollten wir da weitermachen, wo wir aufgehört haben?“ fragte Elaine.
Ken dachte darüber nach, dann war er einverstanden. „Besser, als hier während dem warten zu verrotten. Falls es klappt, dürften wir als Helden zurückkehren. Jedenfalls bei den meisten.“, fügte er nach einem Seitenblick auf Miller hinzu.
*****
Sie hatten Elaine Shuttle für den Flug ausgewählt. Es war frisch überholt worden und bestens eingerichtet. Lyzolda hatte die Kennung des Shuttles überarbeitet und dazu die Brandenburg als Vorlage genommen. Als die Mannschaft der Wind Drake nun Deep Jail One erneut anflog, tönte die bekannte Warnung aus den Lautsprechern. Doch diesmal ignorierten sie den Text und sandten ihre gefälschte Kennung aus. Tatsächlich brach die Warnung ab.
„Klappt doch.“, sagte Lyzolda zufrieden und begann zu scannen. „Hier draußen gibt es nicht. Nur ein Videosignal. Wohl ein Sportkanal aus dem Cortex, der bis hierhin abstrahlt.“
Ken überprüfte die Scans ebenfalls. „Stimmt.“
Als sie nur noch eine halbe Stunde von Deep Jail One entfernt waren, ertönte eine neue Meldung aus den Lautsprechern: „Sie dringen in das Hoheitsgebiet der Allianz ein. Bestätigen Sie Ihre Kennung mittels dem Kennschlüssel. Sie haben zehn Sekunden Zeit, ansonsten sehen wir uns gezwungen das Feuer zu eröffnen. Ende der Transmission.“
Die drei Raumfahrer sahen sich kurz an, dann tippte Lyzolda wahllos eine Ziffernfolge in den Bordcomputer und ließ das gleiche Programm drüberlaufen, wie für die gefälschte Kennung. „Vielleicht klappt das.“
Tatsächlich schien der gefälschte Kennschlüssel akzeptiert zu werden und das Shuttle hielt weiterhin den Kurs. „Leute, ich will ja keine Panik machen.“, sagte Elaine. „Aber langsam geht uns die Luft aus. Ich hoffe wir können bald landen.“
Ken warf einen Blick aus dem Fenster und betrachtete die lebensfeindliche graue Kugel, der sie sich näherten. „Laut den Scannern keine nennenswerten Signaturen. Keine Atemluft. Moment, doch, es gibt eine starke Energiesignatur. Vielleicht ein Reaktor oder ähnliches.“
Lyzolda flog die Position der Signatur an und schon bald befanden sie sich vor einer gigantischen Felsklippe. Am Rand stand ein großer Reaktor, einige hundert Meter tiefer waren Landeschächte in den Fels gearbeitet worden.
„Was erzählen wir denen eigentlich, wer wir sind?“ fragte Lyzolda.
„Eine Patrouille der Brandenburg oder so.“, schlug Elaine vor.
„Aber wir haben keine Uniformen.“
„Kein Problem. Ich habe einige Uniformen hinten im Schrank. Einige meiner Kunden stehen auf Rollenspiele. Die Teile sind allerdings etwas körperbetont geschnitten – und haben Klettverschlüsse.“
„Besser als nichts.“
Gekonnt flog Lyzolda einen der Schächte an, tauchte ein und folgte dem Verlauf. „Sieht aus, als ob die Anlage unterirdisch ist.“ Nach zwei Minuten erreichten sie ein großes Metallschott, das ein weiterfliegen verhinderte. „Hier ist erst einmal Schluss.“
„Gai si! Und nun?“ Ken war ratlos, doch Lyzolda übertrug einfach einen der gefälschten Codes. Tatsächlich flammte kurz darauf der kleine Monitor auf und ein junger Mann in antiquierter Allianzuniform war zu sehen.
„Ni hau, Commander Feng Liao. Willkommen auf Deep Jail One. Wir haben geglaubt vergessen worden zu sein.”
„Nein, keinesfalls. Wir hatten an anderer Stelle zu tun.“, antwortete Elaine. „Major Elaine Harrison. Ich bin einer Inspektion wegen hier. Öffnen sie das Schott, Commander Liao.“
Der junge Mann schien leicht überfordert und zog ein Handbuch zu Rate. „Verzeihen sie bitte, aber ich bin neu auf dem Posten und habe keinerlei Erfahrung mit dem System. So wie es aussieht, muss ein Kennschlüssel gesendet werden.“
Kaum hatte Liao die Worte ausgesprochen, schickte Lyzolda erneut ihren Kennschlüssel aus, doch diesmal blieb der Erfolg aus.
Elaine räusperte sich kurz, dann sprach sie weiter: „Commander Liao, senden sie doch bitte ihren Kennschlüssel. Wir hatten beim Anflug kleinere Probleme und ich befürchte, dass unsere Sendeanlage beschädigt ist.“
Liao blickte kurz verdutzt drein, dann befolgte er die Anweisung. Tatsächlich schob sich das Metallschott auf. Das Shuttle flog vor, die Schleuse schloss sich hinter ihnen und endlich konnten die Wind Drake-Besatzung neue Atemluft schöpfen.
Liao und zwei seiner Leute begrüßten Elaine, Ken und Lyzolda zackig. Ihre Uniformen saßen schlecht und allgemein schien die Moral in den letzten Jahren gelitten zu haben. Die Männer waren von Elaines Auftritt jedenfalls eingeschüchtert und glaubten ihr fraglos die abstruse Geschichte.
„Folgen sie mir bitte.“, sagte der Commander und führte seine Gäste einen langen Gang entlang. Er öffnete ein weiteres Schott und fünf schwer bewaffnete Leute in Browncoats standen vor der Mannschaft der Wind Drake.
„Willkommen in Dungeon City.“, sagte der Vorderste von ihnen. „Mein Name ist Bill Custer ... und sie sind meine Gefangenen.“
*****
Wie sich herausstellte, hatte es vor einigen Jahren eine friedliche Revolte gegeben, nach der eine neue Gemeinschaft gegründet wurde. Die Custers hatten seit dem die Macht in Dungeon City und Bill übernahm nach dem Tod seines Großvaters die Position des Chefs. Da die Allianz schon lange überfällig war hatten die Einwohner gehofft, sie wären vergessen worden und könnten hier in Frieden ein neues Leben beginnen.
Glücklicherweise ließ sich Custer davon überzeugen, dass Elaine, Ken und Lyzolda doch keine Agenten der Allianz waren, sondern versucht hatten General William Custer zu retten. Stolz zeigte ihnen der junge Mann die unterirdische Anlage.
„Wir haben alles, was wir zum Leben brauchen. Dank der Energie durch den Reaktor, können wir das Nötigste herstellen. Wir haben sogar einen kleinen Fernsehsender, um die Leute zu unterhalten.“
„Hat die Allianz nicht versucht den Mond zu terraformen?“ fragte Ken neugierig.
„Ja, sie hat damit begonnen. Doch wir haben die beiden Terraformer abgeschaltet. Sollen alle Deep Jail One für einen toten Mond halten, um so besser. Niemand wird unser Geheimnis je erfahren.“, sagte Bill glücklich. „Nur so kann man den Frieden in einer perfekten Gesellschaft bewahren.“
„Shiny, jedem das Seine. Aber was ist denn mit uns?“
„Sie kommen hier nicht mehr weg. Ihr Shuttle haben wir entladen und anschließend zerstört.“, erklärte Bill grinsend. „So viel wie nötig, so wenig wie möglich.“
„So was habe ich mir gedacht.“, flüsterte Lyzolda Elaine zu. „Ich spüre es in meinen Knochen, hier stinkt es noch an anderen Ecken.“
Lyzolda sollte mit ihrer Einschätzung recht behalten. Bill, in seine Macht verliebt, hatte sich zum König auserkoren und sämtliche technischen Errungenschaften weitgehend ausgeklammert. Entsetzt fand Lyzolda heraus, dass der Reaktor des Höhlensystems bei einem Erdbeben Schaden genommen hatte und die Strahlung langsam aber sicher den Tod der Menschen bedeutete.
Elaine und Ken versuchten den Leuten weitgehend zu helfen, doch zogen sie sich damit Bills Zorn zu. Allerdings sahen seine Schwester Mary und seine im Sterben liegende Mutter Peach die Sache etwas anders.
„Bill hat die Terraformer nur abgeschaltet.“, erklärte Mary Ken bei einem geheimen Treffen. „Es gibt zwei große Anlagen. Dort befindet sich auch noch Technik. Einer der Former ist nur wenige Tage von hier entfernt.“
„Wenn wir die Anlage reaktivieren, würde sie wenigstens versuchen die Umwelt entsprechend zu beeinflussen. Außerdem bieten Anlagen dieser Größe genug isolierten Wohnraum, um von der Strahlung hier wegzukommen.“, erklärte Lyzolda, mit einem panischen Blick auf ihren Strahlungsmesser.
„Und wie sollen wir da hin?“ fragte Ken nach.
*****
Ken und Lyzolda waren mit einem umgebauten Jeep unterwegs, während Elaine die Stellung halten sollte. Die beiden Draufgänger wollten zum Terraformer vordringen und die dortigen Maschinen nutzen, um den Menschen von Dungeon City zu helfen. Um das erreichen, bauten sie ihr Gefährt für diese äußerst gefährliche Mission um.
Kaum waren ihre beiden Freunde weg, hörte Elaine, wie hinter ihr zwei Karabiner durchgeladen wurden. „Was ...?“ fragte sie fassungslos und drehte sich langsam um. Bill Custer und zwei seiner Leute grinsten sie an.
„Nun, ihr Leute mögt ja meine Schwester und meine Mutter überzeugt haben, sich auf eure Seite zu stellen, aber ich sehe die Sache ganz anders. Vor allem habe ich keine Lust, dass sich hier etwas ändert.“
Kurz darauf befand sich Elaine in einer kleinen Seitenhöhle und wurde an die Wand gekettet. „Um ihre Freunde kümmern wir uns noch. Ich bin sicherlich vor ihnen beim Terraformer. Immerhin kenne ich die alten Wartungsschächte mit den Schienensystemen.“; posaunte der junge Custer aus und grinste dabei hämisch. „Wir werden den beiden einen heißen Empfang bereiten. Jungs, wir gehen.“
Elaine wartete zur Sicherheit noch einige Minuten, dann entwandt sie sich der Handfesseln. So schnell bekam kein Mann eine ausgebildete Companion mit Handschellen festgemacht. Grimmig suchte sie nach ihren Sachen, die Custer achtlos in die nächste Ecke befördert hatte. Zum Glück war noch alles da.
„Ken, hier ist Elaine. Es gibt da ein Problem.“
„Gai si, ein Problem?“
“Ai, Bill Custer will die Mission scheitern lassen. Er plant einen Hinterhalt. Es gibt wohl eine unterirdische Verbindung, die er dazu benutzen kann.“
„Ta ma de, Elaine! Aber wir machen weiter. Wir müssen die Leute retten, auch wenn wir dabei sterben. Ein Gauner wie Bill Custer darf nicht obsiegen und den Namen seines Großvaters dermaßen in den Dreck ziehen.“
„Shiny, genau das wollte ich höre.“, gab Elaine zurück. „Ich werde von hier aus sehen, was ich machen kann.“
„Shiny.“
*****
Elaine hatte sich zum Haus der Custers geschlichen. Bill war schon unterwegs und als die junge Companion den beiden Custer-Frauen die Situation erklärte, waren diese entsetzt.
„Das kann doch nicht wahr sein!“, rief Mary fassungslos aus. „Das hätte ich von meinem Bruder niemals erwartet. Wir müssen ihn aufhalten. Er ist sicherlich schon unterwegs.“
„Gibt es Leute, die uns unterstützen können?“
Mary nickte. „Ja, einige alte Freunde meines Großvaters.“
Elaine lächelte. „Ai, genau das, was ich brauche.“
*****
Gai si, dachte Elaine, während sie mit dem unterirdischen Zug Richtung Terraformer rasten. Mary hätte mir ja sagen können, das sie ‚alt’ wörtlich meint. Immerhin hatten sich zehn Veteranen freiwillig gemeldet und die Krücken gegen Waffen ausgetauscht.
Sie erreichten den Terraformer fast gleichzeitig mit Ken und Lyzolda. Elaine nahm erneut Funkkontakt auf: „Wir sind da. Suchen den Weg. Bis dann.“
„Ai.“
‚Weg suchen’ war die richtige Bezeichnung. Immerhin kannte sich niemand in der Anlage aus, die wie eine Kleinstadt konzipiert war. Die Männer waren sogar ziemlich erstaunt, dass alles so gut in Schuss war und in den unzähligen Quartieren und verschachtelten Bauten Technik und Nahrungsmittel lagerten.
„Bill hat uns immer gesagt, es gäbe nichts hier draußen, die Allianz hätte alles mitgenommen, wir müssten selbst für uns Sorgen und auf uns achten.“, meinte einer der Männer fassungslos.
„Dieser Bendan hat gelogen, um sich selbst Vorteile zu verschaffen. Durch das abschalten der Terraformer wurde zwar verhindert, dass eine lebensfreundliche Atmosphäre gebildet wird, aber diese Anlage hier ist in sich geschlossen und mit Schleusen versehen, damit in einem Notfall ein Überleben gewährleistet ist – auf viele Jahre hinaus.“
In diesem Augenblick wurde unter ihnen ein jammernder Schrei laut und Elaine zuckte nervös zusammen. Sie aktivierte das Funkgerät: „Ken, ich habe gerade den gedämpften Schrei einer Frau gehört.“
„Ta ma de! Das war Lyz. Sie ist hier oben durch einen kaputten Gullydeckel gebrochen und in die Kanalisation gefallen. Scheinbar funktioniert das System irgendwie noch, auch wenn ich die Technik nicht erklären kann. Jedenfalls ist sie mit der starken Strömung mitgerissen worden und wird uns nicht mehr weiterhelfen können.“
„Ich verstehe, dann ziehen wir die Sache eben alleine durch.“
„Genau. Ich stehe vor einer Schleuse zu einem Flughangar und gehe jetzt rein. Hier bekomme ich am einfachsten Zugang. Jemand hat wohl vergessen, die Tore richtig zu schließen.“
„Sieht nach Absicht aus, Ken.“
„Ich weiß, also beeil dich!“
*****
Elaine hatte mit ihren Leuten den Hangar betreten und sich zu Ken in die Deckung begeben. „Ich glaube, da versteckt sich jemand in den Fliegern. Und das da hinten, dass sieht nach unserem Shuttle aus.“, erklärte Ken angesäuert. „So viel dazu, dass der liebe Bill keinen Zugriff auf moderne Technik hat. Der Kerl ist ein verdammter Lügner. Ta ma de! Und seine Leute lässt er leiden.“
„Wie gehen wir jetzt vor, Ken?“
„Du wartest hier, ich gucke da hinten bei der Maschine nach dem Rechten. Sieht so aus, als wäre die Abdeckung vor kurzem unsauber drübergezogen worden.“
„Viel Glück.“, flüsterte Elaine und lugte vorsichtig ins Innere des Hangars.
Ken atmete tief durch, dann lief er geduckt an der Seite der Halle entlang, bis er an dem Flieger ankam. Scheinbar hatte ihn niemand bemerk. Der Gambler hörte leise Stimmen aus dem Flugzeug und fühlte sich bestätigt. Es war ein Hinterhalt. Ken schlich sich nach vorne und warf einen Blick auf das kleine Geschütz des Fliegers. Da, eine kleine Bewegung, jemand saß am Abzug.
Elaine versuchte in diesem Augenblick ebenfalls, ihre Position zu verändern, um ein besseres Schussfeld zu haben. Die junge Companion spurtete los, stieß dabei aber gegen ein am Boden liegendes Werkzeug, das scheppernd über den Boden schlitterte. Das Geschütz des Fliegers ruckte augenblicklich los und fraß sich eine Spur über den Boden auf Elaine zu.
Ken zögerte keinen Augenblick und rammte seine Pistole in die Mechanik des Geschützes, doch leider hatte er nur mäßigen Erfolg. Elaine erkannte die Gefahr und ließ von ihrem ursprünglich Plan ab. Stattdessen lief sie in gerade Linie vom Kugelhagel weg, doch es war klar: Weit würde Elaine kaum kommen.
Just in diesem Augenblick hörte das Geschütz auf Kugeln zu spucken. Die Munition war offensichtlich leer - und Ken hatte die Nase voll. Er klopfte gegen den Flieger: „Leute, ihr habt zehn Sekunden Zeit, um euch zu ergeben. Wir haben hier draußen erfahrene Soldaten, Sprengstoff und Waffen. Ihr habt keine Chance. Also macht keine Dummheiten und ergebt euch! Das Spiel ist aus!“
Nach Ablauf der Frist öffnete sich der Flieger und ein paar junge Männer kamen heraus. Sie warfen ihre Waffen zu Boden. „Wir ergeben uns. Bill ist noch im Flieger, wir haben ihm eins übergezogen. Er weiß einfach nicht, wann das Spiel aus ist.“
„Shiny.“, sagte Ken und grinste.
*****
Sie hatten die Bevölkerung in die entlegene Terraform-Station evakuiert und den Sträflingskomplex erst einmal abgeschaltet. Eine Evakuierung vom Planeten war derzeit kaum möglich und es mangelte auch an Medikamenten, um die Erkrankungen ordentlich zu behandeln. Doch Ken, Elaine und Lyzolda versprachen Hilfe zu holen – ohne die Allianz dabei aufmerksam zu machen.
Sie erneuerten die Energiezellen des Shuttles und verabschiedeten sich von den dankbaren Bürgern. Dann ging es zurück nach Angel Moon, wo Jonathan irgendwo wartete und sicherlich für Ärger gesorgt hatte.
*****
Tatsächlich hatte der smarte Pilot mit dem gewinnenden Lächeln und einer Vorliebe für Raumschiffe und Waffen, erst einmal ruhig und überlegt gehandelt. Nach dem er sich von Alistair verabschiedete, hatte sich Jonathan seinen Stetson erst einmal tief in die Stirn gezogen und war schnurstracks in den Saloon marschiert.
Jonathan sah die beiden Kerle gemeinsam am Tisch sitzen, die ihn zusammengeschlagen und dann erst mit Klebstoff und dann mit Isolierkügelchen bedeckt hatten. Er atmete tief durch und trat an den Tisch.
„Ni hau. Ich denke, ihr kennt mich noch.“, sagte er grinsend. Die beiden Männer erstarrten. „Keine Angst, ich sehe ein, dass ich über die Stränge geschlagen bin und wollte mich Entschuldigen. Meine schlechten Erfahrungen sollten meine Objektivität nicht trüben. Und hey, ihr habt Recht, der Krieg ist schon lange vorbei. Kann ich euch eins ausgeben?“
Die beiden Kerle grinsten breit. „Gerne. Und Mann, tut uns auch leid. Ist dumm gelaufen.“
„Ach, das kann doch mal passieren. Gibt es eine Chance, meine Sachen zurück zu bekommen?“
„Klar. Außer das Gewehr. Das haben wir verkauft. Alles andere liegt hinter dem Tresen.“
Jonathan schluckte einen Fluch hinunter und zügelte seine Wut. „Ach, bin ich ja auch selber Schuld. Aber vielleicht kann ich die Waffe ja zurück kaufen.“
„Na ja, probieren kannst du es, dürfte aber schwer sein. Wir haben die Waffe an Doug Sidious verkauft. Der sammelt Waffen und gibt so was nicht schnell wieder her. Er sammelt allgemein gerne Dinge.“
„Wo finde ich diesen Mister Sidious denn?“
„Entweder in seinem Büro in der Stadt oder oben in der Diamantenmiene. Da ist er tagsüber meistens.“
Jonathan unterdrückte ein Lachen. Als ob es auf Angel Moon wirklich so etwas wie Tag und Nacht gäbe. Der erfahrene Pilot gab noch eine Lokalrunde, schnappte sich seine Sachen und verließ den Saloon. Er stapfte den beschwerlichen Weg zur Miene hoch und wandte sich dann an das kleine Büro dort. Zwei Männer stoppten ihn jedoch.
„Mister Sidious mag keine Besucher. Und erst recht keine neugierigen Fremden.“
„Ich bin kein neugieriger Fremder, sondern will geschäftlich mit Mister Sidious reden.“
„Oh, das ist etwas anderes.“
Wenige Minuten später stand Jonathan vor Doug Sidious, einem ausgemergeltem Kerl in edlem schwarzem Anzug. Sidious wirkte gereizt, als Jonathan eintrat.
„Mister Sidious, sie haben eine Winchester erstanden, die aus meinem Besitz stammt. Die Waffe wurde mir gestohlen und ich hätte sie gerne wieder.“
„So eine teure Waffe können sie doch gar nicht bezahlen, Mann. Und was habe ich damit zu schaffen, wenn ihnen so ein Schätzchen geklaut wird? Das geht mich nichts an.“
„Das ist mein Eigentum und das will ich zurück, egal wie.“
Doug Sidious zuckte zusammen, als hätte er einen kleinen elektrischen Schlag bekommen. „Sie wollen das Ding wohl unter allen Umständen, eh? Ich schätze sie mal so ein, dass wir entweder ins Geschäft kommen oder sie mir zusetzen, eh?“ fragte der Mienenbesitzer grinsend.
Jonathan grinste zurück.
„Ich verstehe. Haben sie ein Raumschiff?“
„Nein, leider nicht.“
„Dann kommen wir nicht ins Geschäft und da ich meine Sicherheit mag, werden sie halt sterben.“ Kaum hatte Sidious die letzten Worte ausgesprochen, öffneten sich zwei Türen und bewaffnete Männer stürmten das Büro.
„Auf den Sheriff brauchen sie nicht zu hoffen, bei meinem Einfluss macht hier jeder was ich will – oder er wir aufgeknüpft. Yeah, genau das ist es. Werft den Kerl ins Gefängnis und holt mir den Judge. Ich will eine offizielle Anklage wegen ... hm ... Diebstahl.“
Jonathan tobte und fluchte, doch es half ihm nichts.
[Fortsetzung folgt]