Neid? Es kann/sollte doch jeder lesen was er will. Ich habe bis vor ein paar Jahren eigentlich ausschließlich Fantasy-Literatur gelesen und hatte davon dann einfach irgendwann die Nase voll und kann mich auch nach wie vor nicht so richtig dafür begeistern. Das ganze Genre ist mir im Lauf der Zeit immer fremder geworden und inzwischen dient es nur noch als Kulisse für meine gewollt seichten RPG-Runden.
Aber: "Schnnee" ist so ziemlich das beste, was ich seit langem gelesen habe. Die Handlung spielt in der ostanatolischen Grenzstadt Kars, also in der tiefsten Provinz, die der aus Istanbul stammende Dichter Ka nach langen Jahren des Exils in Deutschland endlich wieder besucht um für die säkularistische Zeitung "Republik" einen Artikel über die anstehenden Kommunalwahlen, sowie über eine Reihe von Selbstmorden unter jungen Mädchen in der Stadt zu schreiben. Kurz nachdem Ka - der schon lange keine Gedichte mehr geschrieben hat - in Kars ankommt, wird die Stadt durch heftige Schneefälle von der Außenwelt isoliert und in diesem Mikrokosmos treffen die wichtigen politischen Kräfte der Türkei aufeinander: Säkularisten, Kemalisten, Geheimdienst, kurdische Nationalisten, Islamisten und noch einige mehr.
Politische Romane finde ich in der Regel sehr schwierig, weil oft der Autor einfach eine bestimmte Position hat und diese dann dem Leser als Wahrheit zu verkaufen versucht. Das ist bei "Schnee" nicht der Fall, keine der beschriebenen Fraktionen wird idealisiert, es wird aber auch keine verteufelt, und das ist eigentlich spannende an dem Roman. Ob man es zugeben will oder nicht, der ach so aufgeklärte Westen lächelt nur zu gerne über scheinbar rückständige Länder wie die Türkei, in denen z.B. Religion einen viel höheren Stellenwert einnimmt als bei uns. Dass das aber nicht zwingend etwas mit Rückständigkeit zu tun hat zeigt dieser Roman auf beeindruckende Art und Weise und schafft es so auch noch den aufgeklärtesten Europäer zumindest zeitweise von seinem hohen Ross herunterzuholen und ihm zu zeigen, dass längst nicht alles so einfach ist, wie wir hier uns das gerne machen würden. Insofern würde ich "Schnee" wirklich jedem zur Lektüre empfehlen, mir fällt kein Roman ein, der meinen Horizont mehr erweitert hätte. All die Preise, die Pamuk gewonnen hat sind also IMO mehr als gerechtfertigt, der Mann wird einen Platz neben den ganz großen der Literaturgeschichte finden.