Zunächst zur grundsätzlichen Unterstützung von CRP durch Regeln. Hier gibt es ja viele Leute, die für sich durchaus in Anspruch nehmen, CRP zu betreiben, die dennoch keine Mechanik für "soziale Begegnungen" möchten. Die Argumente gehen dann oft in die Richtung, dass man das auch ohne Würfelwurf spielen könne oder dass Würfeln das CRP einengte. Zu guter Letzt gibt es oft die Befürchtung, dass man Spielern keine Handlungsweisen diktieren möchte, wenn sie z.B. einen Streit verlieren. Auf diese Argumente wird noch einzugehen sein.
Rollenspiel beinhaltet, dass man in eine fremde Rolle schlüpft, und dass man ein Spiel spielt. Ein Spiel wiederum definiert sich durch Regeln; im Falle von D&D gibt es mit dem SL auch einen Schiedsrichter, der die endgültige Auslegung der Regeln bestimmt, aber das muss nicht so sein. Wenn nun aber die Auslegung der Rolle keinen Regeln unterworfen ist, dann ist die Voraussetzung des Spiels nicht mehr gegeben. Außerdem gibt es keinen wirklichen Unterschied mehr zwischen Rollenspiel und Monopoly (wo ich mich in die Rolle eines Bankiers versetze), Risiko (wo ich ein Land bzw. deren Führer verkörpere) oder Junta (wo ich einen Minister oder gar El Presidente spiele) – das Ausspielen ist völlig frei und ungeregelt.
Wie ich in dem Theorie-Beitrag über Belohnungen dargelegt habe, entstehen persönliche Glücksgefühle durch das verdiente Überwinden von Herausforderungen. Außerdem werden belohnte Verhaltensweisen in der Folge häufiger gezeigt. Wenn man also CRP in seiner Runde haben möchte, sollte man entsprechende Herausforderungen anbieten und die Spieler dafür belohnen.
Belohnte man nicht, würde das allenfalls die Spieler zu CRP verleiten, die von sich aus Spaß daran haben, und selbst dann gerät das CRP mangels anderer Belohnungen in den Hintergrund zu anderen, "besser belohnten" Tätigkeiten, bei D&D z.B. der taktische Kampf.
Böte man keine Herausforderungen für CRP, dann wäre jede rollenspielerische Auseinandersetzung ohne Spannung und damit beliebig, es gäbe nämlich keine Gefahr zu scheitern und keine Konsequenz daraus. Das CRP gliche dann mehr einer Gruppenmasturbation, bei dem jeder die Tiefe der Gefühle seiner Spielfigur auslotete und alle einander dazu beglückwünschen, wie nahe sie an die Münze gespritzt haben. Selbst eine Belohnung verlöre in diesem Falle ihren Reiz, da sie an keine wirklichen Erfolge gekoppelt wäre.
Bis hierhin können mir hoffentlich alle folgen, trotz der Frühlings-Erwachen-Analogie. Um noch einmal zu wiederholen:
wir brauchen Herausforderungen und Belohnungen für das CRP, um dieses zu fördern und spannend, spaßig sowie spielrelevant zu gestalten. Auch die Befürworter eines ungeregelten CRP werden wahrscheinlich nicht leugnen, dass sie soziale Herausforderungen in ihren Spielen haben: Einladungen bei Hofe, Einschüchterung der Stadtwache, Austricksen des Stubenmädchens, Verführung der Bardame, Feilschen mit dem Händler, usw.
Hier nun also der erste Stoß: Diese benötigten Herausforderungen und Belohnungen *müssen* durch Regeln gestützt sein, um gerade nicht beliebig oder abschreckend zu wirken. Ich will hier nicht einmal mit der Keule kommen, dass auch der schüchterne Stotterer den Barden spielen können muss. Nein, ich bleibe viel abstrakter. Regeln haben nämlich einen entscheidenden Vorteil, der dazu führt, dass man sie in Spielen generell anwendet: Sie schaffen klare Verhältnisse.
Regeln ermöglichen eine objektive Entscheidung über Erfolg und Misserfolg, und in der Regel (ha!) lassen sie auch ein Urteil über Erfolgswahrscheinlichkeiten zu. Damit kann der Spieler also absehen, ob eine Aktion herausfordernd war, und gleichzeitig hängt die Belohnung nicht von einem subjektiven Urteil ab, sondern ist, wenn sie kommt, "verdient" – selbst wenn dieses Verdienst aus einem zufällig guten Würfelwurf besteht.
Auch der Spielleiter sollte über entsprechende Regeln froh sein, da sie ihm ermöglichen, eine willkürliche Entscheidung durch konkrete Anhaltspunkte zu untermauern und zu begründen. Entsprechende Regeln ermöglichen nun, in einer Kampagne wichtige Entscheidungen von CRP abhängig zu machen und nicht davon, ob ein bestimmter Gegner im Kampf besiegt wird. Können die SC die Wachen davon überzeugen, gegen den Fürsten zu marschieren? Erlaubt der König den SC, Excalibur auszuleihen, um damit Smaug zu erschlagen? Verliebt sich Arwen in Faramir und lässt Streicher stehen? Gänzlich ohne Regeln ist und bleibt diese Entscheidung willkürlich und völlig in der Hand des Spielleiters; durch das Vorhandensein entsprechender Regeln aber wird die Möglichkeit einer solchen Entscheidung den Spielern offenbar und auch die Möglichkeit, zu scheitern.
Spoiler (Anzeigen)
Ich kann in meiner augenblicklichen Kampagne an hundert oder mehr Gelegenheiten denken, in denen eigentlich durch soziale Herausforderungen zu handhabende Situationen mehr oder weniger per SL-Willkür entschieden wurden.
Die SC hatten einen Assassinen gefangen genommen und verhörten ihn. Redet der? Oder hält er still? Wie entscheide ich das? Die SC haben ihn mit einer Fackel verbrannt. Hält der das aus? Denkt der sich was aus und belügt die Spieler?
Ein Spieler wollte ein paar Infos von einem bestimmten NSC zu einem ganz bestimmten Thema. Gather Information klappt da nicht, der NSC weiß das aber. Hilft der denen? Hier war mein Anhaltspunkt eine vage Vorstellung des NSC und ob er die Ziele der SC teilt oder nicht. Das war eine Bauchentscheidung, die ja oder nein hätte lauten können. Meistens entscheide ich dann für ja. was aber wiederum bedeutet, dass die SC oft Informationen mehr oder weniger geschenkt bekommen, wenn sie fragen.
Ein NSC war dem Alkohol verfallen und ein SC versuchte, den wieder auf die halbwegs gerade Bahn zu lenken. Er redete ihm gut zu und machte ihm ein schlechtes Gewissen, um ihm ein Versprechen abzuringen. Ob es klappte oder nicht, und ob der NSC trotzdem rückfällig wurde, habe ich ad hoc entschieden.
Die SC waren Ankläger/Verteidiger/Richter bei einem fiktiven Gerichtsprozess. Wie wertet man da Argumente und kommt zu einem Urteil, das nicht einfach nur der eigenen Sympathie für eine Lösung entstammt?
Ich habe vor dem Spoiler angesprochen, warum einige SL m.E. vor CRP-Regeln zurückscheuen. Die Einführung solcher Regeln beschneidet nämlich die Macht des Spielleiters ganz gewaltig. Man ist nicht mehr der uneingeschränkte Herr über die Spielwelt abseits des Kampfes, sondern die Spieler können diese gezielt beeinflussen – und zwar in beide Richtungen. Ohne solche Regeln ist es die Gnade des Spielleiters, den Spielern ihren Willen zu gewähren, weil sie sich genug angestrengt haben, oder eben nicht. Mit solchen Regeln gibt es plötzlich eine Instanz abseits des SL, die solche Dinge mitbestimmt. Ich halte das nicht für eine schlechte Sache, aber der "Meister" ist ja noch nicht ausgestorben.
Bis hierhin sollte zunächst einmal klar geworden sein, dass Regeln für CRP hilfreich und vernünftig sind. Nun will ich zunächst auf die obigen Argumente eingehen, bevor ich auf das zweite Zitat von oben zurück komme. Hier also noch einmal die drei von mir formulierten Argumente und eine Entgegnung.
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Man kann auch ohne Würfeln CRP betreiben. Dieses Argument hat zwei Ausprägungen. Die erste Ausprägung besagt, dass man als Rollenspieler "gut genug" sei, um sich nicht mit einem Würfel behelfen zu müssen. In dieser Ausprägung ist das Argument nicht besonders glücklich, da das eine mit dem anderen nichts zu tun hat. Es steckt jedoch die Befürchtung darin, dass das "gute CRP" keinen Ausschlag in der Regelmechanik fände, dass man sich also quasi den Wolf spielt, nur um dann einen unmodifizierten Wurf auf Diplomatie abzulegen.
Hierzu sei gesagt, dass es fraglich ist, ob eine grandiose Rede von einem schüchternen Bauern mit Diplomacy +3 wirklich "gutes Rollenspiel" darstellt, oder ob man nicht den Werten des Charakters entsprechend spielen sollte und dann nur per Wurf testet, ob dieser Charakter nun zufällig über oder unter dem Durchschnitt erfolgreich ist. Zweitens ist es fraglich, ob diese grandiose Rede nicht eine derartige Ausnahme darstellt, dass sie auch eine Sonderregelung verdient hätte. Auch, wenn jetzt alle Charakterrollenspieler aufschreien, dass solche Situationen in ihren Runden an der Tagesordnung seien, wage ich das zu bezweifeln, denn zu einer solchen Rede gehört a) ein guter Schreiber und b) ein guter Darsteller sowie c) das Ganze in einem guten Improvisator. Was nicht schlimm ist und dem Spaß am Spieltisch nicht abträglich. Aber so viele Shakespeare-Oliviers gibt es gar nicht, wie die Erzählungen vom Spieltisch oft suggerieren.
Die zweite Ausprägung des Arguments verdient eine ernstere Beschäftigung. Sie besagt, dass man zwar für Kämpfe usw. eine Simulationsmechanik braucht, da man am Spieltisch eben nicht die Schwerter und Zauberbücher auspacken kann, aber das Rollenspiel als verbale Handlung keiner solchen Hilfsmittel bedarf. Das ist ein oberflächlich sehr gutes Argument.
Ein Problem mit diesem Argument ist, dass die Regelmechaniken und ihre eingebauten Belohnungsstrukturen ohne CRP-Beteiligung eben dieses Moment des Spiels benachteiligen, wie ich bereits oben dargelegt habe. Das Argument hat jedoch noch zwei weitere Schwachstellen.
Die erste Schwachstelle betrifft das Verständnis von CRP als rein erzählerischer Akt. Allerdings beinhaltet das soziale Verhalten eines Charakters nicht nur seine Vorlieben und Wünsche, sondern auch seine Gesten und Bewegungen, die genaue Wortwahl usw. Und i.A. sind wir nicht in der Lage, in diesen Dingen zu sehr von uns selbst zu abstrahieren. Es ist also gar nicht so einfach, selbst in der verbalen Beschreibung wirklich "charaktergenau" zu agieren.
Zweitens ist gibt es ein Missverhältnis in der Handhabung von Aktionen im Spiel. Es gibt nicht nur deshalb Kampfregeln, weil wir den Kampf nicht am Spieltisch ausfechten können, sondern auch aus Abstraktionsgründen. Durch die Regeln können wir eine Figur spielen, die eben besser (oder schlechter) kämpft als wir es könnten. Ebenso sollten unsere Charaktere für wirkliches CRP nicht einfach nur ein Abbild unserer Selbst sein, wenn es um soziale Situationen geht – das wäre langweilig, weil dann ja alle Figuren einander glichen. Insgesamt ist dieses Argument also nicht so stark, wie es sich zunächst anhört.
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CRP wird durch eine Regelmechanik eingeengt. In gewisser Weise trifft das natürlich zu, weil die Effekte des CRP durch Regeln bestimmt werden. Aber ansonsten findet keine wirkliche Einengung statt. Es gibt natürlich eine Festlegung darauf, was möglich ist, gewissermaßen die Signalwirkung der Mechanik. Aber diese dient nicht der Einengung, sondern der Ermöglichung von zielgerichtetem CRP. Hat jemand bei D&D mal versucht, die Klaue des gegnerischen Monsters so von dem eigenen Schild abprallen zu lassen, dass es das zweite Monster unabsichtlich verletzt? Wahrscheinlich nicht – weil es keine Regeln dafür gibt. Ich nehme an, es gab auch nicht zu viele, die im Kampf an Kronleuchtern geschwungen haben, obwohl dies eine durchaus bekannte Aktion aus Abenteuerfilmen ist. Aber es gab keine Regeln dafür. So ist die Signalwirkung gemeint. Wie das Beispiel D&D aber auch zeigt, können schlechte Regelungen zwar auf eine Möglichkeit aufmerksam machen, aber gleichzeitig abschrecken. Das hat aber nicht mit dem Vorhandensein der Regeln generell zu tun, sondern mit der jeweiligen Mechanik selbst.
Ein weiterer Fehlschluss ist, dass entsprechende Regeln sehr eng gefasst sein müssen. Vielmehr wäre selbst die Tatsache, dass in einem sozialen Konflikt der Rest der Gruppe durch einfache Mehrzahl den Sieger wählt, eine Regelmechanik (die jedoch noch einige Schwächen aufweisen würde). Hier gilt natürlich die übliche Spannbreite zwischen abstrakten Systemen, die nicht jede Handlung einzeln abdecken, und sehr dezidierten Regeln. Die Signalwirkung der Mechanik ist hier immer im Vergleich zum Rest des Systems zu sehen – nicht jedes Rollenspiel benötigt Regeln, um am Kronleuchter zu baumeln, aber da D&D ähnliche Aktionen mit daraus folgendem mechanischen Vorteil (Entwaffnen, Waffe zerschmettern, Zu Fall bringen) durch explizite Manöver handhabt, wird die Spannbreite von Optionen mehr oder weniger automatisch auf das beschriebene eingeengt.
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Soziale Regeln nehmen Spielern die Freiheit, ihre Charaktere nach ihren Wünschen auszuspielen. Das stimmt. Wenn man ein festes, unabänderliches und diktatorisches Bild von seinem Charakter im Kopf hat und gänzlich unflexibel ist, dann stimmt dieses Argument. Ansonsten nicht.
Regeln fürs CRP sind in aller Regel keine Geistesbeeinflussung, sondern eine Gelegenheit für Erfolgs- und Misserfolgserlebnisse. Wenn ein Kämpfer entwaffnet wird oder ein Magier beim Zaubern unterbrochen, wertet man das ja auch nicht als unzulässigen Eingriff in die Freiheit des Rollenspiels. Wenn ein Vampir den Schurken beherrscht oder der Barde von Drachenfurcht betroffen ist, passiert das auch nicht. Aber wenn der Krieger den Händler nicht runterhandeln kann, wenn der Sukkubus den Magier verführt oder wenn der König lieber dem Baron als dem Paladin Gehör schenkt, dann schon?
Bei D&D 3.0 halte ich die Fertigkeiten Bluff, Intimidate und vor allem Diplomacy für hauptverantwortlich für diese Fehlschlüsse. Regeln fürs CRP müssen nicht so aussehen. In Burning Wheel z.B. bedeutet die Niederlage in einem Wortgefecht nicht einmal, dass man den Standpunkt des anderen annimmt, sondern nur, dass man für den Moment die schlechteren Argumente hatte. Man gibt zähneknirschend nach – oder eskaliert das Ganze.
Gleichzeitig muss man m.E. gerade mit NSC, welche die SC anlügen, sehr vorsichtig sein. Aber z.B. der Missmut, den ein Spieler spürt, weil sein Barbar von dem Hauptmann eingeschüchtert wurde, ist ja sehr wohl auch der Missmut, der durch diese Fertigkeit im Charakter entstehen soll.
Überhaupt sind gerade die Charakterrollenspieler oft erschreckend unwillig, den von ihnen avisierten Charakter anzupassen oder Situationen als Chancen zu begreifen. Wie reagiert denn der Paladin darauf, dass der Baron ihn ausmanövriert? Was tut der Magier, als er neben einer Dämonin aufwacht? Das sind Gelegenheiten zum Rollenspiel, die nicht so schnell wiederkommen.[/list]
Halten wir also fest, dass CRP Herausforderungen und Belohnungen braucht und diese gleichzeitig durch Regeln unterstützt sein müssen. Warum können diese Regeln dann nicht informeller Natur sein bzw. so ablaufen, wie Prospero das oben beschrieb?
Mein Problem mit Prosperos Schilderung ist der "angepasste Schwierigkeitsgrad", und das trifft sehr genau, worauf ich hinaus möchte. Neben dem Unwillen, Macht einzubüßen, ist der zweitgrößte Grund für SLs, CRP-Regeln für unnötig zu halten, nämlich eine fehlerhafte Selbsteinschätzung. Diese SLs halten sich nämlich für fähig, das Rollenspiel ihrer Spieler objektiv einschätzen zu können und je nach Güteklasse die Schwierigkeit der Probe anzupassen – was auch beinhaltet, dass abgeschätzt wird, ob die betreffende Aktion den zu betreffenden NSC leicht oder schwer überzeugen kann.
Das Problem dabei ist, dass ein solches Urteil ohne handfeste Kriterien nicht einmal ansatzweise objektiv sein wird. Man glaubt das vielleicht, aber es stimmt nicht. Das haben leider viele Studien zu diesem Thema ergeben. Es hilft, wenn man einen Beobachtungsbogen hat, mit dem man auf bestimmte Dinge achtet, auch wenn es nicht perfekt ist. In vielen Fällen hat man allerdings wenig Möglichkeiten, das Urteil weiter zu objektivieren. In einem Rollenspiel gibt es diese Möglichkeiten: durch Regelmechaniken.