Erste Eindrücke vom SpieltischNach einem kurzen Anspielen der SIFRPG-Regeln vorgestern abend in einem Trocken-Testlauf kann ich zumindest einige Pluspunkte vermelden. Im Prinzip habe ich auf dem Reißbrett einige Charaktere und zwei generische Spielsituationen erstellt, in denen komplexere Regelmechanismen Anwendung finden, und das Ganze auf Testspieler losgelassen, die AGOT d20 nicht kennen.
Vorbemerkung: Was ich hierbei außer Beachtung lasse, da ich es nicht getestet habe, sind die Hausmanagement-Regeln und die Massenkampfregeln. Meine Spieler fanden das Konzept interessant, fühlten sich aber zu sehr an ein Aufbaustrategiespiel erinnert ("Spielen wir hier
Total War oder P&P?"), da ein Haus effektiv wie ein komplexes Regelkonstrukt, ähnlich einem Charakter, mit eigenen Werten aufgezogen ist, das von den Spielern gemanaged wird.
(Zahle Geld vom Charakter an das Haus, dadurch steigt der Wealth-Level des Hauses, und für eine bestimmte Anzahl Punkte wird dann in Xd6+Y Monaten eine neue Einheit - wähle Typ und Moral aus Liste - oder ein Gebäude fertig, und bestimmte Einheiten und Features brauchen bestimmte Terrain Features oder Gebäude. Das klingt wie ein Strategiespiel, und das fühlt such auch so an.
)
Das Charaktererstellungssystem gestaltet sich erwartungsgemäß recht einfach und handlich, aber nicht so einfach, wie es hätte sein können. Da sehe ich mein Urteil, das System habe sich etwas unschlüssig zwischen zwei Stühlen platziert, bestätigt. Immerhin gibt es auf der Green-Ronin-Homepage inzwischen einen
korrekten Charakterbogen.
Kampfsystem: Die Schwachstellen wurden schon zu Genüge anderswo diskutiert. Mir ist ein Pluspunkt aufgefallen. Bei SIFRPG haben die Spieler große Kontrolle über den Ausgang des Kampfes. Sind die spärlichen und schnell schwindenden Lebenspunkte weg, ist man besiegt, und der Gegner darf entscheiden, was das bedeutet (Tod, Verstümmelung, Bewußtlosigkeit, Gefangennahme, Demütigung, Gnade etc.). Der Ausgang wird also vom reinen Würfelwurf, der nur zur Bestimmung des Siegers dient, an einen der Spieler (bzw. NSC) übertragen. Haken an der Sache ist, daß Charaktertod im Kampf von manchen Spielern mit Sicherheit durchweg dem SL angelastet wird. Vorteil ist stimmiges Spiel. Lebenspunkte sind nach dem Kampf praktisch sofort wieder regeneriert. Sie dienen nur zu Ermittlung des Siegers (wer auf Null ist, hat verloren). Um zu vermeiden, besiegt zu werden, kann man sich den eingesteckten Schaden "wegkaufen", indem man Injury oder Wounds in Kauf nimmt, die Abzüge geben, nur sehr langsam verschwinden und häßliche Langzeit-Konsequenzen haben können (zum Beispiel den Tod, weil sich die Schwertwunde infiziert), oder indem man Destiny-Points opfert, um den Ausgang zu verändern (Destiny-Points regenerieren sich normalerweise nicht; jeder Charakter hat ein paar davon, und was weg ist, ist weg!). Dadurch besitzen die Spieler auch eine gewisse Kontrolle darüber, wieviel sie bereit sind zu riskieren, um den Kampf zu gewinnen (auch wenn dieses Risiko allein auch nicht immer das Fell rettet).
Insgesamt belohnt das System Pokerspieler am Tisch, die wissen, wann sie mitgehen müssen, und wann es klüger ist, auszusteigen. Das tödliche Kampfsystem istsomit nicht ganz so tödlich, aber es gibt viel Kontrolle über den Ausgang an Spieler und SL weiter.
Intrigensystem: Funktioniert, wie schon von anderer Seite erklärt, fast genauso wie das Kampfsystem. Wer verliert, ist gefrustet. Je nach Temperament und Zielsetzung des Siegers kann man den Unterlegenen handlungsunfähig machen (im übertragenen Sinne), ihn zur Aufgabe zwingen, ihn zu etwas bringen, was er nicht will (schwierig bei Spielern, die so etwas nicht gern haben), oder ihn zum Ausrasten bringen, so daß er etwas Dummes tut (zum Beispiel einen Kampf beginnen, was abhängig vom Ziel der Aggression auch dumm für den Sieger der Intrige sein kann...). Hier wird das Pokerspiel um die Komponente erweitert, daß die Zielsetzung stark in den Mittelpunkt rückt - zwei Teilnehmer einer Intrige können durchaus völlig verschiedene Ziele haben, und auch völlig verschiedene Vorstellungen davon, was der andere will, und eine Fehleinschätzung kann nachteilig sein, da man leichter überrumpelt wird.
Beide Systeme funktionieren auf ihre Weise gut, sind aber gewöhnungsbedürftig, setzen hohes Vertrauen der Spieler in den Spielleiter, sowie verantwortungsvollen (im Hinblick auf die Geschichte) Umgang mit dem eigenen Charakter voraus, und machen am Anfang viel Nachblättern erforderlich. Zudem sind die jeweiligen Auswirkungen der Würfe fast gänzlich den Spielern bzw. dem Spielleiter überlassen.
Mit den richtigen Leuten durchaus fein, und ein System, welches die dargestellte Welt sehr stimmig einfängt, allerdings kann ich mich mit dem aufbaustrategischem Regelpart für Häuser, Ressourcen und Schlachten noch nicht so ganz anfreunden, der leider einen recht zentralen Teil einnimmt. Hier hat mir das abstraktere Ressourcen- und Haussystem in AGOTd20 besser gefallen.
Und einen weiteren Minuspunkt kann ich bestätigen: Wer der Meinung ist, die 4E-Bücher hätten welliges Papier und verschmierende Tinte, der wird bei SIFRPG feststellen, daß es immer noch eine Steigerung gibt...