3. Charaktergetriebenes Rollenspiel – Am SpieltischGenug der langen Vorreden, die Charaktere sind erschaffen, sie haben Ziele und Motivationen, weltanschauliche Überzeugungen, Verbindungen untereinander und Angewohnheiten, Marotten oder Prinzipien, die sie in Schwierigkeiten bringen können. Der SL weiß, was seine Spieler erwarten, sowohl das das große Ganze angeht als auch die Details auf dem Weg dahin. Wie setzt man alle das nun am Spieltisch um?
Im Grunde präsentiert der Spielleiter eine Anfangsszene, mit der das Abenteuer beginnt. Er wirft die Charaktere in eine Situation hinein und lässt von da ab die Spieler selbst handeln. Dabei sollte man direkt mit einem Konflikt starten – fordert eure Spieler heraus, sie wollen sich nicht ins Gasthaus setzen und von vergangenen Abenteuern erzählen – sie wollen welche erleben! Ich habe ganz unten in diesem Beitrag in einem Spoiler Tristan und Efret vollständig ausgearbeitet (was den Hintergrund betrifft) und ihnen noch einen dritten Charakter zur Seite gestellt, einen wahnsinnigen Landstreicher namens Dorgin. Zum Start der Kampagne könnte der Spielleiter nun etwa folgende Szene präsentieren:
Du Dorgin bist gerade in der Stadt Grünfels angekommen und hast – vergeblich wie immer – versucht Kontakt zum örtlichen Fürsten aufzunehmen. Langsam gewöhnst du dich daran, dass man dir kein Gehör schenkt. Trotzdem muss die Botschaft vom Nahen des Flüsterers verbreitet werden. Also hast du dir auf dem Marktplatz eine Obstkiste geborgt, sie erklommen und zu den Menschen gesprochen, die auf dem Markt unterwegs waren.
Tristan und Efret kommen zufällig gerade des Wegs und hören dir – neben einer Gruppe von Bürgern – bei deinen Ausführungen zu. Das ertönt plötzlich ein lauter Ruf von der Seite, das Trampeln von Soldatenstiefeln: Eine Gruppe von Stadtwachen treibt das Publikum auseinander und bahnt sich einen Weg zu deiner „Rednerbühne“. Der Hauptmann, ein schlecht rasierter, übellauniger Lulatsch mit einer krummen Nase, grunzt dich an, du sollst schleunigst von der Kiste runterkommen und mit deinen Reden aufhören. Bedrohlich fuchtelt er mit seiner Hellebarde herum, während eine andere Wache dir einen Stoß versetzt…
Ab hier sind nun die Spieler gefragt. Dorgin wird möglicherweise darauf bestehen, dass die Botschaft verbreitet werden muss (er ist verrückt, schon vergessen?). Efret sieht den Landstreicher (der übrigens einige sehr geheimnisvolle Tätowierungen hat, die Efrets Aufmerksamkeit erregen), und begreift, dass dieser der Hinweis ist, nach dem er so lange gesucht hat. Davon abgesehen ist der Zauberer ein überaus hilfsbereiter Abenteurer und findet die Behandlung des Predigers durch die Wachen nicht in Ordnung. Tristan schließlich hegt ohnehin eine gewisse Abscheu für die verkommenen Zivilisationsmenschen mit ihren vom Schnaps aufgequollenen Gesichtern und für die Feigheit, mit der sie ihre Macht missbrauchen, um einen armen Landstreicher zu tyrannisieren.
Wie sich die Szene entwickelt, bleibt den Spielern überlassen. Man könnte versuchen, mit den Wachen zu reden (was schwierig ist, weil diese auf Ärger aus sind) oder sie zu bestechen. Man könnte die Bande auch einfach verdreschen und den Landstreicher auf diese sehr direkte Art vor ihnen retten (offensichtlich nicht der weiseste Plan). Die Entscheidung liegt bei den Spielern, sie müssen nur in jedem Fall die Konsequenzen tragen.
Die meisten Spieler, würden an dieser Stelle wohl zunächst versuchen, ruhig und vernünftig mit den Wachen zu reden, wobei sie aber herausfinden werden, dass diese sich nicht dafür interessieren, was die SC zu sagen haben – so lange, bis diese mit ein paar Münzen klimpern. Efret könnte z.B. versuchen die Wachen zu bestechen.
Genau an dieser Stelle setzt dann der Hebel des charaktergetriebenen Rollenspiels an: Tristan verabscheut die Wachen und sieht absolut nicht ein, wieso man diese für ihr niederträchtiges Verhalten auch noch belohnen sollte. Er schiebt Efret zur Seite, baut sich drohend vor dem Hauptmann auf und poltert:
“Lasst den Mann laufen, Bursche, oder ihr bekommt es mit mir zu tun!“
Das riecht nach Ärger. Die Wachen sind zahlenmäßig überlegen, gut bewaffnet, aggressiv und haben noch dazu das Gesetz auf ihrer Seite. Eine derartige Provokation wird für die Gruppe mit Sicherheit unschöne Folgen haben.
Tristan schadet also bewusst sich und seinen Freunden und zeigt ein schönes Beispiel für konsequentes Ausspielen des eigenen Charakters auf Kosten aller anderen – richtig? Falsch. Denn genau dieses Verhalten erwarten auch Efrets und Dorgins Spieler. Diese kennen nämlich Tristans Verachtung für Zivilisationsbewohner und haben schon nach den ersten Sätzen des Spielleiters damit gerechnet, dass der Barbar mit den Wachen aneinander geraten könnte.
Wenn die Spieler mit diesem Spielstil erst vertraut sind, dann werden sie selbst den Hebel ansetzen, um dafür zu sorgen, dass in der Geschichte Konflikte und damit Dramatik und Spannung entstehen: Während nämlich Efrets
Spieler sehr wohl um Tristans Voreingenommenheit weiß, so ist der
Charakter darüber in dieser Szene noch nicht im Bilde. Er könnte also z.B. auf den Barbaren einreden:
“Nun lasst gut sein, Tristan, legt euch nicht mit der Stadtwache an, sie tun hier nur ihre Pflicht.“
Damit macht er es natürlich nur schlimmer, weil Tristan nun eine Tirade darüber loslässt, dass diese Schwächlinge sich hinter ihrer Pflicht verstecken, damit sie ungestört ihre eigene Erbärmlichkeit kompensieren können, verdammte Stadtbewohner, Feiglinge und Weichflöten, alle miteinander. Efrets Spieler trägt also sogar noch bewusst zur Eskalation des Konflikts bei.
Möglicherweise mischt sich dann auch noch Dorgin ein und feuert den Barbaren an:
„Mach sie fertig Großer, ich seh’ schon, du bist was Besonderes, da ist was in deinen Augen, lass dich nicht unterkriegen, mach die Mistkerle fertig!“
Solches Verhalten bringt mich als Spielleiter in aller Regel dazu, die Hände über dem Kopf zusammen zu schlagen und leise in mein Abenteuermodul zu weinen – zumindest, wenn ich ein solches habe. Wenn ich z.B. in D&D ein Kaufabenteuer leite, versuche ich meinen Spielern auch die größtmögliche Freiheit zu lassen. Verhalten wie das in der oben beschriebenen Szene führt aber – wenn man es konsequent durchzieht – dazu, dass die Gruppe eingesperrt wird oder aus der Stadt fliehen muss, und dann stehe ich als Spielleiter schön blöd da, habe viel Zeit in die Vorbereitung meines Abenteuers investiert und darf zusehen, wie meine Spieler diese Mühen zunichte machen. Aus diesem Grund haben wir beim Spielen von Kaufabenteuern – oder „klassischen“ selbst entworfenen plotgetriebenen Abenteuern - in der Gruppe einen Konsens, der besagt, dass die Spieler sich kooperativ verhalten. Sie wissen, dass der Spielleiter nur dieses eine Abenteuer hat, und wenn der Spielabend ein Erfolg werden soll, sollte man nicht zwanghaft versuchen eine harmlose Begegnung mit der Wache gezielt zur Eskalation zu treiben.
Wenn dieser Konsens überhaupt nicht greift, sehe ich als Spielleiter die Ultima Ratio darin, den Spielern mitzuteilen, dass sie gerade dabei sind, das vorbereitete Abenteuer zu sabotieren und die Vorbereitungsarbeit des SL zunichte zu machen. Das kann man dann dem SL dann natürlich unter dem Motto "Railroading" oder "den Plot durchdrücken" als schlechten Stil ankreiden, auf der anderen Seite ist auch nicht die feine Art, wenn sich ein Spieler auf einem Charakterspiel-Egotrip befindet und meint, er müsse seine Figur so konsequent durchziehen, dass am Ende völliges Chaos daraus entsteht, was dann im Endeffekt keinem Spaß macht (außer vielleicht dem Chaoten, der zufrieden auf das Massaker blickt, dass er beim Abenteuerplot angerichtet hat).
Im Grunde geht es also um die Erwartung, die alle Beteiligten an das Spiel haben, und beim charaktergetriebenen Rollenspiel lautet der Konsens nunmal, dass die Story aus den Charakteren wächst, dass diese Charaktere bestimmte Eigenheiten haben, die zu Konflikten führen können, sollen und werden, und dass sich das Spiel genau um diese Konflikte drehen wird. Wenn ein Spieler also wie im obigen Beispiel der von Tristan dem Barbaren eine Szene auf eine Eskalation zutreibt, dann ist das gut für die Geschichte. Es ist in erster Linie vielleicht den Zielen der SC nicht zuträglich, sorgt aber für Spannung und Dramatik. Da aber jeder der Helden an seinen eigenen Zielen arbeitet, ist es wichtig, dass solche Aktionen wie die Tristans nicht die Erfüllung dieser Ziele verhindern - und an dieser Stelle kommt dann der Spielleiter mit seinen Aufgaben ins Spiel.
Wenn der Spielleiter sieht, dass sich die Spieler selbst in Schwierigkeiten bringen, ist dies nicht der Zeitpunkt, an dem er die Stirn in Falten legen sollte - genau diese Art von Konflikten ist es doch, die wir erreichen wollten. Der Spielleiter muss nun seinerseits dafür sorgen, dass die Aktionen der SC Konsequenzen haben. Wenn Tristan sich und seine Kameraden in Schwierigkeiten bringen will, dann soll er Schwierigkeiten bekommen! Diese Schwierigkeiten sollten aber keine Strafe für "falsches" Verhalten sein. Sie sind nur eine
Komplikation auf dem Weg zu den Zielen der Charaktere:
Irgendwann platzt Tristan der Kragen, er ballt die Hand zur Faust und schlägt nach dem Hauptmann der Stadtwache. Efret verdreht die Augen und der verrückte Dorgin tanzt freudig erregt auf seiner Kiste herum. Die Wachen finden diese Angelegenheit aber alles andere als lustig. "Du wagst es?!" keucht der Hauptmann und kurz darauf beginnen die Soldaten über Tristan herzufallen. Obwohl er sich wehrt, ist er durch die Übermacht ist er bald überwältigt. Zusammen mit Dorgin und Efret wird er abgeführt und in eine düstere feuchte Zelle geworfen.
Während Dorgin beständig von der Ankunft des Flüsterers schwadroniert, tigert der Barbar in seiner Zelle auf und ab und Efret liegt völlig enerviert auf seiner Pritsche und starrt die Zellendecke an. Da hört man plötzlich Schritte vom Gang her und wenig später erscheint ein Mann in kostbaren Gewändern vor Efrets Zellentür. "Seid ihr der Zauberer, von dem ich hörte? Ich bin Mordekai, Fürst von Grünfels und Herrscher dieser Stadt. Obwohl ihr euch auf dem Marktplatz wie Strauchdiebe verhalten habt, könnt ihr euch glücklich schätzen, denn ich habe möglicherweise Arbeit für euch... und eure merkwürdigen Freunde."
Tristans Ausraster hat der Gruppe also nicht nur geschadet. Zwar haben sie einige Stunden im Kerker verbracht - und werden nun von dem Fürsten zu irgendeiner Aufgabe zwangsverpflichtet - aber immerhin sind sie so zu diesem Fürsten vorgedrungen. Ob der Fürst nun zum Beispiel Dorgin Gehör schenkt ist fraglich. Hier steht also die nächste Herausforderung aus, wenn Dorgin das Ohr des Adligen gewinnen will (er könnte nun natürlich einen Wurf auf seine Fähigkeit "Prophezeien" durchführen, um dem Fürsten vorherzusagen, dass die schwangere Stute in seinem Stall in einer Woche ein Fohlen zur Welt bringen wird, das nachts darauf beim Glockenschlag um zwölf Uhr verenden wird).
Die Geschichte entwickelt sich also durch die Handlungen der Charakere, der Spielleiter muss hauptsächlich interpretierend eingreifen und durch Beschreibung der Schauplätze und Spielen der NSC dafür sorgen, dass der Rahmen für die Spieleraktionen gegeben bleibt. Hierbei ist eine Menge Improvisation gefragt (möglicherweise gemischt mit einer fundierten Kenntnis der Spielwelt, wenn diese vor Spielbeginn schon ausgearbeitet ist). All das ist nun noch lange kein Hexenwerk. Es ist nicht der Stein der Weisen und mit Sicherheit in etwa das, was viele schon jetzt tun. Der Spielstil beruht auf Konsens, jeder weiß was von ihm erwartet wird, alle sind motiviert und halten sich daran. An dieser Stelle ruft jemand: "Dafür brauche ich keine Regeln, das geht auch so."
Diese Behauptung soll nicht in diesem Artikel diskutiert werden, hier beschränke ich mich darauf Mechanismen vorzustellen, die in anderen Systemen zum Einsatz kommen, um etwas aufzubauen, was ich als mechanische Triebfeder zwischen Charakter und Regelwerk bezeichnen würde. In Spirit of the Century sind dies die Aspekte (Charakterseite), die gekoppelt sind and Schicksalspunkte (Regelwerk). In Burning Wheel hat man hingegen die BITs (Beliefs, Instincts & Traits = Charakterseite) und die Artha-Mechanismen (Regelwerk).
Da Spirit of the Century das einfachere System hat (und ja grundsätzlich ein sehr leichtgewichtiges Regelwerk mitbringt), möchte ich damit beginnen: Ein Aspekt ist hier alles, was den Charakter irgendwie
beschreibt. Das Regelwerk selbst deiniert dies so, dass Fertigkeiten und Stunts das repräsentieren, was ein Charakter
kann. Aspekte beschreiben hingegen, wer der Charakter
ist. Nach dieser Terminologie hätte Tristan zum Beispiel einen Aspekt namnes "Stolzer Wilder". In der oben beschriebenen Szene hätte Tristans Spieler nun diesen Aspekt
erzwingen können, d.h. er stimmt zu, dass sein Charakter Komplikationen auf Grund seines Aspektes "Stolzer Wilder" erfährt. Dieses Erzwingen kann dabei entweder vom Spieler selbst ausgelöst werden ("He Meister, ich bin doch ein 'Stolzer Wilder', kann ich mir einen Schicksalspunkt verdienen, wenn ich die Wachen provoziere?") oder vom Spielleiter ("Hör mal, dein Charakter in seiner Rolle als 'Stolzer Wilder' findet diesen Hauptmann sowas von daneben, da musst du eigentlich was unternehmen."). Im zweiten Fall muss der Spieler sich der SL-Weisung fügen,
es sei denn, er bezahlt einen Schicksalspunkt, um den Aspekt diesmal nicht ausspielen zu müssen. Will sich der Spieler vor diesen Komplikationen drücken, muss er also einen Schicksalspunkt bezahlen, nimmt er die Schwierigkeiten in Kauf, bekommt er einen solchen Punkt. Diesen Punkt kann Tristan nun bei einer anderen Gelegenheit in einen Regelvorteil umwandeln. Dafür sieht Spirit of the Century mehrere Varianten vor, wobei die zwei wichtigsten darin bestehen, einen Aspekt
anzurufen, um dadurch einen Bonus auf einen Wurf zu bekommen. Tristan hätte z.B. in SotC möglicherweise einen weiteren Aspekt namens "Lebensschuld gegenüber Efret". Wenn nun zum Beispiel eine Situation entsteht, in der Tristan seinen Kameraden vor Schaden beschützen will (etwa in einem Kampf), dann könnte sein Spieler darauf hinweisen, dass er gerade im Sinne seines Aspektes handelt und deswegen einen Bonus auf einen relevanten Wurf beanspruchen möchte. Um diesen Bonus zu erhalten, muss Tristan aber den Schicksalspunkt ausgeben, den er zuvor dafür bekommen hat, dass er sich selbst das Leben schwer gemacht hat, indem er einen seiner Aspekte zu seinem eigenen Nachteil ins Spiel gebracht hat. So entsteht eine doppelte Rückkopplung zwischen Regeln und Charakter - wie eiin Ping-Pong-Ball gehen die Schicksalspunkte bei Spirit of the Century hin und her und halten beide Ebenen des Spiels zusammen.
Diese Regeln sind tatsächlich so generisch, dass man sie ohne großen Aufwand auch auf andere Systeme - z.B. D&D übertragen könnte. Hier gibt es ja schon die Action Points, die jedoch nach anderen Regeln vergeben werden als bei SotC. Das System an dieser Stelle zu ändern, ist kein großer Aufwand. Die Rückkopplung ist hier einfach und elegant, extrem schnell ins System implementiert und funktioniert schon recht gut, wenn es darum geht die Spieler auf Regelebene für Charakterspiel zu belohnen.
Am anderen Ende der Komplexitätsskala kann man zweifellos das System von Burning Wheel sehen: Dieses ist im Gegensatz zu SotC ein ziemlich regellastiges Rollenspiel und hat detaillierte Mechaniken für alle möglichen Situationen - so auch die Rückkopplung zwischen Figur und Regelwerk. Was in SotC die Aspekte sind, nennt man in Burning Wheel Beliefs (Glaubenssätze), Instincts (Marotten, Angewohnheiten, Prinzipien) und Traits (Charaktereigenschaften, innerlich wie äußerlich). Während die Traits ein wenig außen vor sind, so sind die Beliefs und Instincts eines Charakters das, was ihn im Spiel antreibt: Sie sind sein persönlicher Motor. Beliefs kann man als Ziele und Motivationen verstehen. Sie formulieren, was der Charakter will (und was er zu tun gedenkt, um dies zu erreichen. Instincts sind hingegen meist Sätze, die mit "Immer", "Niemals" oder "Wenn... dann" beginnen, und auf Eigenheiten des Charakters hinweisen, die diesen in Schwierigkeiten bringen können.
Dabei verfolgt Burning Wheel zunächst einen ähnlichen Ansatz wie SotC: Bringt man sich selbst über seine Beliefs oder Instincts in die Bredouille oder die Geschichte auf konstruktive Weise voran, so erhält dafür Artha-Punkte. Diese kann man wiederum benutzen, um Vorteile auf der Regelebene zu erhalten. Wo bei SotC diese Vorteile aber nur situationsbezogen sind - ein Bonus auf einen Würfelwurf, das Privileg Details an der vom Spielleiter beschriebenen Szene zu ändern - geht Burning Wheel einen Schritt weiter: Artha ist hier nämlich auch notwendig, um seinen Charakter über einen bestimmten Punkt hinaus zu entwickeln, wobei hiermit die regeltechnische Ebene gemeint ist: Ab einem gewissen Punkt können Fertigkeiten und Attribute nur weiter verbessert werden, indem man Artha investiert. Dieses erhält man nun aber, wenn man einerseits seinen Zielen nachgeht, und sich andererseits Komplikationen vor die eigenen Füße wirft. Der Trick dabei ist, dass so die Entwicklung der Figur im Sinne der Erzählung direkt an die Entwicklung im Sinne der Regeln gekoppelt wird: Kein Stufenanstieg ohne persönliche Weiterentwicklung des Charakters.
Was also beide Systeme im Grunde haben, ist ein Regelmechanismus zur Belohung von gutem Charakterspiel, was per se nichts Außergewöhnliches ist. Das Besondere ist, dass in beiden Regelwerken die Spieler selbst entscheiden wofür sie belohnt werden wollen. Der alte Vorwurf der Spielleiterwillkür bei der Belohnung von "gutem Rollenspiel" greift also hier nicht, weil eben die Spieler die Kriterien des Belohnungssystem mit ihren Charakteren selbst abstecken. Ich weiß, dass diese Aussage recht abstrakt klingt, und nach dem reinen Lesen der entsprechenden Regelwerke habe ich auch daran gezweifelt, dass dies funktioniert bzw. einen nennenswerten Effekt im Spiel hat. Meine Empfehlung ist deswegen, es einfach mal zu probieren - Spirit of the Century gibt es z.B. kostenlos im Internet in Form eines
SRD. Es ist sehr leicht zu verstehen und erfordert fast keine Einarbeitungszeit. Im Grunde reicht es auch, sich das System der Aspekte und Schicksalspunkte anzusehen, es auf D&D zu übertragen und damit zu experimentieren. Meiner Erfahrung nach ist hier die Theorie wirklich sehr grau, und bevor man sich eine Meinung dazu bildet, ob man solche Regeln braucht oder nicht, sollte man sie unbedingt in Aktion erlebt haben.
Damit ist diese Artikelserie auch schon fast am Ende angelangt. Der noch ausstehende vierte Teil ist als Fazit und Zusammenfassung geplant. Dieser wird dann hoffentlich morgen fertig werden.
Anhang: Die Beispiel-Charaktere in Form von Burning Wheel Beliefs und InstinctsSpoiler (Anzeigen)Tristan Eisenfaust
Glaubenssätze
1.) Ich muss durch die Wüste der Singenden Steine zu den Basaltsäulen des Westens reisen und die Ketten der Ewigkeit zerschlagen, um die Gunst meines Seelentiers zurück zu gewinnen.
2.) Meine Ehre ist so kostbar wie mein Leben. Ich gebe nicht leichtfertig ein Versprechen ab, aber wenn ich es tue, dann halte ich mich daran.
3.) Efret hat mir das Leben gerettet, ich stehe tief in seiner Schuld.
Instinkte
1.) Niemals einem Zauberer vertrauen
2.) Wenn ich beleidigt werde, schlage ich zu
3.) Nie das Haupt vor einem Mitglied der „Zivilisation“ beugen
Efret der Zauberer
Glaubenssätze
1.) Auf dem Kipfel des legendären Berges Kadath werde ich meine Seele mit der Essenz der Magie verschmelzen
2.) Der Platz eines Mannes in der Welt sollte sich nach seiner Weisheit richten, nicht nach seinem Reichtum oder seinen „guten Beziehungen“
3.) Der verrückte Landstreicher ist der Schlüssel. Ich muss die Tür finden, die er mir öffnen wird.
Instinkte
1.) Wenn jemand in Not ist, versuche ich zu helfen
2.) Immer höflich und ruhig bleiben
3.) Niemals mehr nehmen, als ich brauche
Dorgin der Landstreicher
Glaubenssätze
1.) Bald kommt der Flüsterer unter dem Berg. Die Könige der Goldenen Täler müssen sich vereinigen, um ihm zu widerstehen!
2.) Die Welt ist nicht real, doch wehe wenn der Schleier zerreißt!
3.) In Tristans Adern fließt das Blut der Verheißung. Ich muss ihn bis zum Tag der Wiederkunft vor den Häschern des Dunklen beschützen.
Instinkte
1.) Niemals flüstern
2.) Niemals Pferde berühren
3.) Wenn ich nicht weiter weiß, setze ich mich auf den Boden und schüttle den Kopf