Nebel
…Seine Gegner übertreffen ihn an Menge. Vier an der Zahl. Doch der Krieger lächelt nur in sich hinein, während er konzentriert auf den ersten Schlag wartet. Der Angreifer brüllt laut auf, bevor er zuschlägt. Sein Einschüchterungsversuch ist nicht mehr als eine überflüssige Warnung für den Helden und sein Angriff ungeübt. Die Parade wirft ihn zu Füßen des nächsten Angreifers. Er stolpert, stürzt, spürt den schweren Druck des Panzerstiefels auf seinem Rücken. Noch ehe die beiden Anderen angreifen können, holt der Krieger aus. Seine Waffe trifft den ersten hart, macht eine Schleife und erwischt den zweiten seitlich am Kiefer. Der Krieger wendet seinen Blick ab, dreht sich um. Er schmeißt seinen Stock in das Lagerfeuer. Der Held weiß jeden Kampf zu würdigen, doch das hier war keiner, sondern nur eine kleine Lektion für ein paar Frischlinge, bewaffnet mit Holzstöcken, welche sich nun ihre Blessuren reiben.
Weit war die Strecke die er hinter sich gelassen hatte, doch für seinen Geschmack konnte sie nie weit genug sein. Wie eine Zecke saß die Vergangenheit ihm im Nacken.
„Ich glaube immer mehr, dass es eine gute Idee war euch mitzunehmen. Andererseits brauche ich die da auch auf unsrer Reise. Ihr müsst Durst haben, Faust! Kommt her! Ein Krug Bier wird einem von eurem Schlag doch sicher nicht umhauen, oder?“
Sofort gewann er sein selbstsicheres Grinsen zurück. „Da müsstet ihr mir schon das ganze Fass anbieten, Zabo!“
„Ha, dann lasst es euch schmecken!“ Der alte Händler setzte sich neben den Krieger nieder und reichte ihm den Krug. „Es liegt nicht mehr viel vor uns. Hoffen wir, dass der Rest der Straße weiterhin so sicher bleibt.“
„Ich habe noch keine Straße betreten, die mir zu unsicher wäre.“ Mit einem Zug löschte ein Schwall billigen aber kühlen Bieres Fausts Durst.
„Ihr seid wirklich ein seltsamer Vogel, Faust. Allein euer Name. Ich habe mich gefragt, ob ihr euch jemals Gedanken über eure Zukunft gemacht habt. Versteht mich nicht falsch, aber ihr zieht von Ort zu Ort, als wärt ihr auf der Flucht. Und dennoch versucht ihr so viel Aufmerksamkeit zu erregen wie möglich und beleidigt in jeder Taverne jeden der einigermaßen wie ein Kämpfer aussieht um euch mit ihm zu duellieren – so ein Leben ist meist nicht von langer Dauer.“ Die Miene des Händlers wurde ernster.
„Das Leben der Menschen ist nie von Dauer. Sagt mir, wie schnell sind die letzten vierzig Jahre an euch vorbeigezogen?“
„Wie im Flug. Doch habe ich viel erreicht und ich habe in unserem Zielort ein Heim und eine Familie, die auf mich wartet. Wie schnell die Zeit auch verfliegen mag, so kann ich doch immer von den Erinnerungen zehren die ich habe. Manchmal gab es schlechte Zeiten, doch auch daran möchte ich mich stets erinnern. Und vor allem an die Menschen, die mir begegnet sind.“
Das ungleiche Augenpaar des gebräunten Kriegers schaute in die Augen des Händlers, mit einem Ausdruck, der das Streben seiner Jugend widerspiegelte.
„Und das ist es auch was von uns bleibt. Staub ist das Schicksal unserer Körper und auch ob unsere Seelen erlischen oder weiterleben ist fraglich. Doch die Erinnerung an uns, die bleibt. Doch ich will mehr als das! Ich will die Unsterblichkeit!“
Zabo spürte beinahe die Energie, die nun durch den gestählten Körper dieses jungen Mannes schoss.
„Ihr seid kein Elf und auch kein Drache. Ihr seid ein Mensch, Faust. Wenn ihr eure Art zu leben ändert, dann werdet ihr in vielen Jahren so aussehen wie ich. Ich stelle euch ein! Ihr bekommt sogar ein festes Gehalt. Ansonsten werde ich euch wohl noch überleben. Das ist nun einmal das Schicksal der Menschen. Viele Helden unseres Volkes haben großes erreicht und viel Macht erlangt, doch sie alle sind gestorben.“ Beinahe schon väterlich klang nun die Stimme des Händlers.
Faust sog langsam die Abendluft durch seine Nase ein.
„Doch ihre Namen sterben nie. Wenn sich Geschichte und Legende erst vermischt haben, dann bleibt der Name des Helden ewig. Und die Menschen schauen auf zu diesen Helden. Jeder von ihnen möchte einer dieser Helden sein, als Kind und auch danach, wenn auch nur jedes Mal für einen kurzen Augenblick, doch dann gehen sie wieder ihrem Handwerk nach.“ Wie ein König aus seinem Thron erhob sich Faust, in der Hand das seltsame Schwert seines Vaters, das er nun auf den Alten zeigte, als wolle er über ihn richten und die Augen dem Sternenhimmel zugewandt. „Ich werde nie als Handwerker in Erinnerung bleiben. Eines Tages werden Elfen davon erzählen, dass sie zu meiner Zeit gelebt haben und dass sie gesehen haben, wie ein so kurzatmiges Wesen, ein Mensch, Heldentaten vollbrachte, die eine ganze Generation von Elfenkriegern in den Schatten stellt. Und die Menschenkinder werden sich wünschen, sie seien wie er – der Faust.“
Jetzt erst, als er erneut in das zum Teil von dunklen Haaren verdeckte Gesicht des Kriegers sah, verstand Zabo, dass der junge Mann bereits verloren war und jemand wie er ihn nicht mehr von seinem Wahn hätte befreien können.
In einem Wald, viele Meilen entfernt beschloss zur gleichen Zeit eine Gruppe von Elfen Rast zu machen. Das Flüstern ihrer sanften und wohlklingenden Sprache fügte sich nahtlos in die abendliche Geräuschkulisse des Waldes.
„Noch zwei Tagesmärsche, dann werden wir sie eingeholt haben. Dann bekommen wir unsere Rache! Luna, ich möchte dass wir uns alle im Kreis versammeln. Wirst du Sehanine um ihren Segen bitten?“
Die junge Elfe war gerade dabei ihre Rüstung auszuziehen und schaute nun auf die weiße Scheibe, die sich langsam über den dunkler werdenden Himmel schob.
„Das werde ich, doch für unser Vorhaben scheint mir der Hass Shevarash´s eher von Vorteil zu sein. Die Herrin des Mondes wird über uns wachen, aber erst die Wut des schwarzen Bogens wird das Verderben über diese Brut von Vampiren bringen. Und natürlich müssen wir Corellon, unseren Erschaffer um Stärke bitten. Denn nicht die Götter, sondern wir schlagen diese Schlacht.“
Der Heerführer musterte sie.
„Habt ihr über unser Angebot nachgedacht? Werdet ihr uns helfen gegen die Menschen in den Krieg zu ziehen, nachdem die Blutsauger vernichtet und verbrannt sind?“
Lunas Blick wandte sich der Erde zu, so dass ein paar ihrer langen, blonden Strähnen in ihr Gesicht fielen. „Ich muss noch länger darüber nachdenken und den Herren Avandors um Rat bitten, ob ich diesen Pfad wirklich einschlagen soll. Gewährt mir diese Bedenkzeit, denn wenn dies nicht der Wille Corellons ist, so werde ich das Schwert in der Scheide ruhen lassen.“
„Ich will euch nicht drängen, doch wir könnten euer Schwert und eure Magie gut gebrauchen. Ich weiß, dass sich euer Hass vor allem gegen die lebenden Toten richtet, aber fragt euch selbst: Haben wir, die Elfen, die Erstgeborenen, nicht etwas Besseres verdient, als in Knechtschaft dieser bärtigen und groben Unholde zu leben? Ohne uns wären sie noch immer wie wilde Tiere. Wir haben dieser Laune der Götter unsere Kultur näher gebracht, weil wir Mitleid hatten und nun errichten sie ihre kurzlebigen Königreiche in all unseren Landen. Versteht mich nicht falsch, ich will sie ja nicht alle ausrotten, aber es sind einfach zu viele. Wenn wir sie so weitermachen lassen, dann wird bald kein Platz mehr in Faerun für unsere Rasse sein und wir werden die Sein, die ausgerottet wurden.“
Der Heerführer hatte sich in Rage geredet.
„Ihr braucht mir nicht erzählen, wie erbärmlich die Menschen sind. Ich musste selbst erfahren, dass das Mitleid, das auch ich Anfangs mit ihnen hatte, missbraucht wurde und sie wie eine Krankheit diese Welt überfluten. Die Frage ist nur, ob wir uns nicht schon mit dieser Krankheit infiziert haben, wenn wir es ihnen gleich tun und sie aus unseren Landen vertreiben, so wie sie es mit uns getan haben. Wie groß würde Corellons Enttäuschung sein, wenn er feststellen müsste, dass wir, sein erwähltes Volk, zu dem geworden sind, was wir selbst so hassen. Sind die Menschen Tiere, die man jagen muss, da sie sich sonst zu schnell vermehren und der Natur Schaden zufügen, oder sind sie nicht bloß eine Laune der Götter, sondern haben ein Schicksal zu erfüllen? Ich wage nicht diese Entscheidung zu treffen, denn nur Corellon besitzt die Weitsicht um diese Frage zu beantworten.“ Lunas Augen funkelten wie Edelsteine im Licht des Mondes.
Dieser Argumentation hatte der Hauptmann nichts mehr entgegenzusetzen. Doch er kannte bereits Lunas verwundbaren Punkt.
„Meint ihr, Corellon würde wollen, dass ihr so leidet, dass wir alle so leiden? Denkt einmal nach. Es war kein Zufall, dass der Vampir, der eure Familie so brutal vernichtet hat, zuvor ein Mensch war. Es sind so viele und sie eignen sich so gut als Wirte für das Böse. Ein elfischer Vampir hätte euch das sicher nicht angetan. Vor zwei Tagen erst ist Tyrael aufgebrochen um den Mörder seines Onkels zu finden. Einen Menschen, den der Alte zu einem Mann heranwachsen sah und wie seinen eigenen Neffen behandelte. Die Menschen geben sich gutmütig, doch ihr Hass und ihr Neid auf unsere Rasse ist zwar subtiler, aber genau so groß und andauernd wie der Hass und der Neid der Orks. Vergesst das nicht in euren Überlegungen. Doch nun sollten wir alle schlafen. Der Morgen bedeutet Arbeit für uns.“ So wandte sich der Führer wieder dem Rest des Lagers zu und ließ Luna in ihren Zweifeln allein.
Sie legte sich hin, nachdem das Gebet beendet war, wickelte sich in ihre Decke und dachte noch etwas über die Worte des Führers nach. Bald wurden ihre Augenlider schwerer. Sie sah noch wie langsam Nebel aufzog, doch die Anwesenheit der Wachposten und das wärmende Feuer versetzten sie bald in ihre Traum-ähnliche Meditation, die den Elfen ihre innere Ruhe gibt.
Am anderen Ende des Kontinents, während der Regen gegen die Fenster prallte, schlossen zwei düstere Gestalten ein Geschäft ab.
„Ich mag die Art wie ihr Aufträge annehmt, Darias. Keine bohrenden Fragen, keine Angst erwischt zu werden. Keine Skrupel. Sagt mir, wann habt ihr eure Seele dem Teufel verkauft und was war euer Gewinn dabei?“
Darias zwirbelte entspannt an seinem Schnurrbart. Er hatte schon lange keinen mehr getragen und musste sich erst an das Gefühl gewöhnen, dieses haarige Etwas im Gesicht zu tragen. „Nun, ich denke diesen Vertrag habe ich bereits im Leib meiner Mutter unterschrieben – oder aber sie hatte ihn bereits für mich unterschrieben. Das ist jedoch lange her. Ihr zahlt gut. Der Mann muss euch sehr verärgert haben. Wollt ihr darüber sprechen was er getan hat?“
„Nein. Schließlich will ich euch nicht noch zusätzlich für euer Schweigen bezahlen. Wenn ich reden will, dann gehe ich zu einem Priester. Den werde ich ohnehin aufsuchen, damit er mich von dieser Sünde freispricht. Soll ich euch gleich mit anmelden?“
Die dunklen Augen des Meuchelmörders schlossen sich zu einem Spalt.
„Nein, das ist nichts für mich. Und auch nichts für den Priester, denn so viel Zeit und Geduld hat er sicher nicht.“
Der Auftraggeber schüttelte den Kopf.
„Habt ihr denn gar keine Angst bestraft zu werden? Die Hölle wartet auf Menschen wie euch. Keinerlei bedenken?“
Darias verschränkte die Hände hinter seinem Kopf und stellte dabei fest, dass ihm Locken nicht gefielen.
„Die Hölle – nun, ich bin wirklich gespannt wie es dort ist. Doch noch bin ich hier und ich denke hier bleibe ich noch eine ganze Weile. Die Welt und ihre Bewohner waren nie gerecht zu mir. Ihr wollt nicht wissen was man mir alles angetan hat. Wenn ich nun der Welt zurückgebe, was sie mir gegeben hat, dann ist das nur eine Art Ausgleich. Und nun haben wir genug geredet!“ Er erhob sich. Der lange, schwere Mantel gefiel ihm. Er würde ihn wohl anbehalten. „Ich werde nun zur Tat schreiten. Geht ihr nur und trefft euch mit eurem Priester.“
Daraufhin verließ Darias das Gebäude. Sein Weg führte ihn in die dunkelsten Gassen der Stadt, dort hin wo man das Verbrechen förmlich riechen konnte. Eine gebückte Gestalt öffnete ihre Taschen um Ware feilzubieten. Doch heute wollte sich der Mann in dem Mantel nicht dem Rausch des Opiums hingeben. Stattdessen suchte er einen Giftmischer auf.
„Und es tötet absolut lautlos?“
„Ja. Das Opfer schläft ein und wacht nicht mehr auf.“
„Dennoch sind 30 Goldmünzen zu viel für diese Menge. Ich gebe euch die Hälfte.“
Der Händler schien beleidigt.
„Dann geht und mischt es euch doch selber! Allein die Materialien und Chemikalien haben mich 13 gekostet. 28, das ist mein letztes Wort.“
„Ich gebe euch 25 und werde euch empfehlen. Ihr wisst, welchen Wert das für euer Geschäft hat, wenn jemand wie ich euch empfiehlt.“
Darias sammelte 25 Goldstücke zusammen und gab sie dem Giftmischer. Er hätte ihn noch weiter runterhandeln können, doch 25 Goldstücke waren ein guter Preis für diese Menge und außerdem ertrug er den fauligen Atem des Mannes nicht mehr.
„Schön dass wir in´s Geschäft gekommen sind. Und denkt dran: Das ist nur um eurem kranken Pferd das Leid zu ersparen!“
Der Mann drehte sich um und biss noch einmal zum Test mit seinen grün angelaufenen, verbliebenen Zähnen auf eine Münze um deren Echtheit zu prüfen. Darias zog weiter und erreichte schließlich das Haus in dem sein Opfer wohl gerade friedlich schlief.
Es war bereits Nacht und Faust wachte am Lagerfeuer mit ein paar Halbstarken, als die ersten Nebelwolken aufkamen. Der Krieger hatte ihnen ein paar einfachere Übungen mit dem Schwert gezeigt, als einer plötzlich etwas bemerkte.
„Habt ihr den Schatten dort gerade gesehen?“
„Ich sehe nur Nebel.“
„Nein wirklich, da war irgendetwas!“
Faust schaute sich eine Weile skeptisch um. Dann sah auch er im Augenwinkel eine Bewegung.
„Nehmt eure Waffen, bildet einen Kreis und bleibt hinter mir! Du da!“ Er zeigte auf den Jüngsten der vier glattgesichtigen Jungs. „geh und wecke Zabo! Alle sollen sich einschließen oder unter den Wagen verstecken!“
Sofort rannte der Junge los. Doch Faust wurde immer unruhiger. Hatte er eben noch einen Schatten gesehen, wuchs nun seine Verunsicherung wegen des immer dichter werdenden Nebels. Schon bald konnte er die am Rande des Lagers stehenden Wagen nicht mehr sehen und er spürte die stille Angst der Jungs hinter ihm. Als Sabo kam, versteckte dieser sich sofort unter dem Wagen.
„Bleibt dort bis alles vorbei ist! Das muss ein Trick sein, vielleicht sogar ein fauler Zauber oder eine Illusion. Bleibt alle dicht am Wagen!“
Immer stiller wurde es um Faust und der Nebel wurde immer dichter, bis sein Sichtfeld schließlich komplett von Nebel verhüllt war und er nur noch ganz schwach das Feuer vor ihm sah. Als er sich erneut umdrehte um seinen Mitstreitern befehle zu geben, musste er mit entsetzen feststellen, dass sie weg waren. Auch auf seine Rufe folgten keine Antworten. Der Blick nach vorne war noch gespenstischer, denn nun schien auch das Feuer weg zu sein. Er lief umher, durch eine graue Masse, doch lief er nur ins Leere.
Dann plötzlich, als er einen weiteren Schritt nach vorne machte, trat sein Stiefel bis zum Knöchel in Wasser mit schlammigem Grund. Auch der nächste Schritt trat in den Sumpf und alle die folgten. Nun war er sich sicher. Dies musste eine Illusion sein. Er hatte von solchen Zaubern gelesen. Er begann sich zu konzentrieren, so wie er es etliche Male in der Meditation geübt hatte um seinen Geist frei zu machen. Doch die Scheinwelt blieb. Allein der Nebel schwand langsam.
Verzweifelt rief Faust nach den anderen und drohte seinen unsichtbaren Feinden, stets bereit sich verteidigen zu müssen. Doch nur der Nebel schien sich beeindruckt zu fühlen und verschwand nun so schnell wie er gekommen war. Und dann stand die Verzweiflung dem jungen Krieger vollends ins Gesicht geschrieben.
Er war nicht mehr dort wo die Wagen standen. Hier stand überhaupt nichts mehr, außer seinem Rucksack, der zuvor an den Wagen gelehnt lag. Und auch die Umgebung war eine andere. So weit sein Auge blicke war nur Sumpf zu sehen und nun fiel ihm auch der Klang der Umgebung auf. Frösche und andere, seltsame Stimmen der Nacht erfüllten das Moor mit leben. Wo, bei den neun Höllen, war er hier nur gelandet?
Darias schaute sich um und lauschte. Der Regen hatte etwas nachgelassen. Niemand war hier, der ihn hätte sehen können.
Er bückte sich und sein Rücken verkrampfte. Zwei scharfe Sporne schlitzten die Schultern seines Mantels auf und ein Paar gewaltiger Fledermausflügel entsprang seinem Rücken und entfaltete sich. Sofort hoben ihn die pechschwarzen Schwingen empor und er erreichte das Fenster seines Opfers.
Ein kurzer Blick und sein scharfes Gehör verrieten ihm, dass der Mann tief und fest schlief. Dieser Trottel war die 100 Goldmünzen Belohnung, die er bekommen würde, allemal wert. Lautlos öffnete er das Dachfenster einen Spalt. Perfekt! Die Luke befand sich genau über dem Kopf des Schlafenden. Er wollte einen Faden durch das Fenster hineinlassen, bis zum Mund des Opfers, und dann das Gift den Faden hinab in dessen Mund tröpfeln lassen. Doch nun drehte dieser Wurm sich auf den Bauch. Es nutzte nichts, er würde hineinklettern müssen, was er nun auch tat. Die Frau des Mannes, die neben ihm schlief, war recht ansehnlich für eine Menschenfrau. Vielleicht zu gut aussehend? Womöglich war sie der Grund, weshalb er den armen Dicken töten sollte. Egal.
Wie eine Katze kam das Halbblut auf dem Boden auf. Schnell und lautlos hatte er ein Fünftel seines wertvollen Giftes in die Weinflasche, die neben dem Bett stand, gefüllt, nachdem er den Korken entfernt hatte.
Auf der Flasche waren noch die klobigen Abdrücke seiner Hände zu sehen und sein Atem roch nach dem Wein. Sie hingegen schien sich nichts aus dem säuerlich riechenden Gesöff zu machen, weshalb er sich die Flasche zu nutzen machen konnte. Auf dem Teppich waren auch einige ältere Flecken, die ihm verrieten, dass der Dicke wohl jeden Abend ein paar Züge Wein trank um zu schlafen.
Er schloss die Flasche wieder und ging zur Tür. Er lauschte, schnüffelte, doch der Flur schien absolut Menschenleer zu sein. Er wollte es riskieren, noch ein paar Wertvolle Gegenstände aus dem Haus mitzunehmen. Er öffnete die Tür.
Zu seiner Überraschung kam ihm Nebel entgegen, der den ganzen Boden bedeckte. Verflucht! Dachte er, er hätte vorher nachsehen sollen, ob sich eine Falle an der Tür befand. Doch scheinbar gab es keinen Alarm. Alles blieb still. Nur der Nebel wurde immer dichter, rasend schnell. Er trat einen Schritt nach vorne. Der Boden des Flurs war nass – und weich! Er wollte zurück in das Zimmer, doch es war nicht mehr da! Sie mussten ihn entdeckt haben. Er hielt die Luft an, aus Angst vergiftet zu werden. Er sah nichts mehr.
Endlich verzog sich der Nebel und er atmete wieder ein, erschrak jedoch, als er sogleich das Quaken von Fröschen und anderem Getier vernahm und in eine Sumpflandschaft blickte. Sollte er die Hölle doch früher zu Gesicht bekommen als er dachte?