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Autor Thema: [Burning Wheel] Raising the Stakes - Regelüberlegung  (Gelesen 23700 mal)

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Tzelzix

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[Burning Wheel] Raising the Stakes - Regelüberlegung
« Antwort #30 am: 21. Februar 2010, 22:40:48 »
Naja, die von mir erwähnten Bücher oder auch Stephen King Thriller funktionieren nun mal nach dem Prinzip, dass man in dem Moment, wo was Fürchterliches bevorsteht, noch nicht weiss, was geschehen wird. Also man weiß jetzt nicht, was die möglichen Konsequenzen sein können. Das ist ja das Spannende, und deckt sich mit dem Teilsatz "the sense of a life being lived", der Tyrion so stört. Es geht um die Unmittelbarkeit der Erfahrung, wo man sich immer auf das, was jetzt momentan im Leben des Charakters geschieht, konzentriert.

Wenn man das jetzt ganz extrem sehen möchte: Dann lies lieber ein Buch. Folgt man strikt deiner Formulierung, dann müsste es dir eben gerade gut gefallen, dich von einem allwissenden Spielleiter unterhalten zu lassen, mit der hin und wieder eingestreuten Probe, die aber nur ein kleines bisschen Zufall hineinbringt, aber wohl am Rahmenprogramm recht wenig ändern wird. Der typische Stil, den man bei D&D ja pflegt, wenn man in ein "Dungeon" steigt.

Ich verstehe allerdings, was du sagen möchtest. Trotzdem bleib mir schleierhaft wie sich diese Konzentration auf den Augenblick überhaupt umsetzen lassen soll. Das geht doch praktisch nur in dem Moment, in dem du dich ingame unterhältst. Nur dann ist wirklich unklar, was passiert, nur dann kann wirklich etwas überraschen. In allen anderen Situationen erscheint mir in Rollenspiel generell keine solche "Immersion" möglich, weil viele Elemente am Spieltisch so nicht funktionieren, inklusive der einfach Würfelproben, die man häufig so ablegt und etlicher taktischer Entscheidungen, die man treffen muss, wenn man Regeln benutzt. Wie ich schon sagte, die vorher definierte Konsequenz dürfte so ziemlich der einzige Unterschied zu herkömmlichen Vorgehen sein, wenn es um deinen Immersionsbegriff geht und das ist etwas, das man klären kann (vorausgesetzt der GM fühlt sich sicher genug).
Never attribute to malice that which can be adequately explained by stupidity.

Windjammer

  • Mitglied
[Burning Wheel] Raising the Stakes - Regelüberlegung
« Antwort #31 am: 21. Februar 2010, 22:53:55 »
In allen anderen Situationen erscheint mir in Rollenspiel generell keine solche "Immersion" möglich, weil viele Elemente am Spieltisch so nicht funktionieren

Ja, und vor allem nicht, wenn man mit Miniaturen spielt. Das sage ich jetzt nur als paradoxen Nebeneinwurf - gerade als D&D-Spieler hab ich mich ja auf weitesten Strecken mit Mechanismen abgefunden, die der "Immersion" (in meinem Sinne) oft nicht gerade dienlich sind. Idealerweise würde ich die Kämpfe in D&D wie in einem Ego-Shooter erleben, mit der gleichen Hektik und den Problemen bei der Gruppenkoordination, wie man sie aus Multiplayer-Shootern kennt.*

Das andere Problem ist, dass die Kämpfe natürlich zu langsam simuliert werden. 50 Sekunden auf 50 Minuten, da fehlt das "Augenblickliche" des Erlebens.

* Weil es so gut herpasst - gerade das Inhaltsverzeichnis für den DSA-Dungeonband (!) gefunden. SUPER! Hervorhebungen von mir... hmm... sollte ich mir das Buch kaufen. ;)

Zitat
Zitat von Katakomben und Kavernen:
Vorwort 5

Dungeons am Spieltisch 6
- Die Atmosphäre 8
- Spiel zwischen Wänden 10

Was ist ein Dungeon? 14
- Stabilität 15
- Eingang und Lage 15
- Aufbau eines Dungeons - Vorschau 16
- Natürliche Höhlen 19
- Lebensraum 23
- Verlassene Anlagen 28
- Minen 30
- Künstliche Anlagen 41
- Magische Gewölbe 44

Dungeonelemente 48
- Klaustrophobie und Dunkelheit 48

- Von Stolperdraht und Schlangengrube - Fallem Am Spieltisch 51
- Labyrinthe und Irrgärten 76
- Rätsel als Spielement im Dungeon 80
- Natürliche Gefahren 85
- Zeit 89
- Weitere Elemente 91
- Schätze 93

Was lauert im Dunkeln - Vom Leben unter Tage 97
- Anpassung an die Dunkelheit 97
- Fauna und Flora 100
- Kulturschaffende Wesen unter Tage 109
- Die Begegnung im Dunkeln 116
- Helden unter Tage 120

Die aventurische Unterwelt 137
- Gewöhnliche Höhlen und Kavernen 137
- Beispielhafte Abenteuerschauplätze unter Tage 139
- Persönlichkeiten in tiefen Klüften 160
- Mysteria et Arcana 164
- Die Geheimnisse des aventurischen Untergrundes 164
- Kleinere Geheimnisse des aventurischen Untergrundes 176

Anhänge
- Kleine Übersicht der Dungeonerstellung 180
- 10-Minuten-Dungeon 181
- Der Griff in die Schatztruhe 186
- Meidnehinweise zur Vertiefung des Dungeon-Themas 187

Index 190
« Letzte Änderung: 21. Februar 2010, 23:02:13 von Windjammer »
A blind man may be very pitturesque; but it takes two eyes to see the picture. - Chesterton

Tyrion the Imp

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[Burning Wheel] Raising the Stakes - Regelüberlegung
« Antwort #32 am: 21. Februar 2010, 23:09:06 »
Was Spannung angeht, hast du übrigens Unrecht: Spannung funktioniert primär nicht über Ungewissheit, was kommt, sondern über Ungewissheit, ob/wann ein bestimmtes Ereignis eintritt. Bei Stephen King bspw. denkst du bei der dunklen Gasse nicht: "Oh je, was da wohl passiert?" sondern "Lauert da das menschenfressende Auto?" Du sagst auch nicht: "Ich würfel mal auf Angriff, mal sehen, was dann passiert", sondern "ich bin gespannt, ob ich treffe." Die Konsequenzen bei BW sind allenfalls größtenteils weitreichender, da es sich eben zumindest ansatzweise um Konfliktlösung (Conflict Resolution) handelt und nicht Aufgabenlösung (Task Resolution). Insofern weißt du gar nicht mehr oder weniger, sondern du kannst höchstens schlechter so tun, als wüsstest du weniger. BW macht es eben explizit.

Was den Rant gegen D&D angeht – das war hier gar keiner. Außer mit den Soziopathen. :)

Wormy: Natürlich ist es Autorenkontrolle eben genau da, wo es möglich ist: der Spieler wird zum alleinigen Autoren seines Charakters.

Zitat
Als Immersionsspieler spiele ich meinen Charakter, nicht die Story (die ich , so vorhanden, als Spieler gar nicht kenne), und schon gar nicht die Welt. Störend wirds dann nur, wenn tatsächlich jemand meint, die Autorenkontrolle übernehmen zu müssen, und ich ständig gegen meinen Charakter spielen muss, oder sogar vorgeschrieben bekomme, wie ich meinen Charakter spiele soll (dein Beispiel).

Siehste: da ist der Störenfried wieder. Da soll dem Spieler bloß nichts vorschreiben, wie der Charakter gespielt werden soll, denn die alleinige Entscheidungsinstanz ist der Spieler. Und da ist es völlig egal, was das für ein Charakter ist.

Wenn ich das richtig lese, dann will Windjammer einfach nur "freies Assoziieren". Warum dann da Regeln reinbringen? Warum Rollenspiele betreiben und nicht "Wir sitzen alle am Feuer und quatschen"?

Ich denke eben, dass wirkliche Immersion nicht möglich ist. Jetzt ist es ja nicht so, als würde BW grundsätzlich gegen Charakterspiel sein – es gibt ja sogar entsprechende Belohnungen für die Verkörperung des Charakters (Embodiment) und die lebhafte Darstellung eines Dilemmas (Moldbreaker) oder auch einfacher nur Humor ohne Charakterbruch.

Ich weiß nicht mal, ob BW nicht sogar an manchen Stellen immersiver sein kann als D&D (als BEISPIEL! weil das eben hier das D&D-Gate ist). Denn du legst ja mit Beliefs und Instinkten auch den Charakter fest, und dann fragt dich das Spiel: "Ach ja? Lord Lavendel fordert also alle Bärtigen zum Duell heraus? Auch den hier?"

Und auch bei den Gesprächen unter SC ist doch in D&D keine wirkliche Immersion möglich, sondern nur ein circle jerk. Was jetzt? Verhören wir den Gefangenen?" – Da darf man dann ein paar Minuten als Charakter reden und muss sich dann eben anschließen.

Aber das geht dann doch arg von Thema ab. Also bitte nicht zu sehr auswalzen. Vielmehr will ich das hier zitieren:

Zitat
Die Immersionsspieler, die ich kenne (und ich bin in so einer Gruppe großgeworden), waren eigentlich immer auch sehr konsequente Spieler, die oftmals sehenden Auges die für ihren SC falsche Entscheidung trafen, weil sie diesem Charakter entsprochen hätte. Feigheit (im Sinne von aus der Rolle fallen, weil das sonst dem Charakter schaden würde) finde ich meistens bei Spielern, bei denen es mit dem Charakterhintergrund eh nicht allzuweit her ist und die vor allem in Regeln und Werten denken.

Und DAS IST FEIGHEIT! Oh, du hast die "falsche" Entscheidung getroffen, weil sie "dem Charakter" entspricht. Sagt wer? Und wenn die Entscheidung dem Charakter entspricht, dann ist sie nicht falsch, wenn das Ziel charaktergetreues Spiel ist. Die Entscheidungsgewalt – also Autorenkontrolle – über den Charakter liegt immer noch beim Spieler alleine, da wird überhaupt nichts riskiert oder aufs Spiel gesetzt. Es gibt nicht die Gefahr, dass ein Spielercharakter sich anders verhält, als man will.

Das ist ganz genau, was ich schrieb. Das ist genau diese Rechtfertigung für bescheuertes Verhalten (nicht, dass es unbedingt bescheuertes Verhalten sein muss): So würde mein Charakter eben handeln.

Dieses Spiel führt dann dazu, dass der Spielleiter seine Welt kontrolliert und die Spieler die SCs, jeder nebeneinander her. Wenn die Spieler fragen, lässt der SL eben Änderungen zu, und der ansonsten einzige Moment, wo dieses Nebeneinander aufgelöst wird, ist der Kampf. Da riskiert man dann auch seinen SC. Weil Kampf nicht wirklich Teil des Weltempfindens ist, da darf man dann auch beeinflusst werden. Und wenn der NSC tot ist, na ja, dann hat man was verändert.

Ich meine, man kann nicht einmal mit Gewissheit sagen, wie man selbst in Situationen reagieren würde, denen man noch nicht ausgesetzt war – würde man in Abu Ghraib zum Folterer? Aber man kann sagen, wie man selbst oder ein fiktiver Charakter in einer Welt mit Monstern und Magie agieren würde, und zwar so sicher, dass jeglicher Bruch der Illusion als störend empfunden wird?

Ich habe auch mal an einem LARP-Con teilgenommen, und meine schönste Erinnerung besteht darin, dass ich mit anderen Spielern in einer Kneipe saß und wir als Charaktere einfach nur redeten und ein Bierchen tranken. Das war total immersiv. Aber dazu brauchten wir NULL Regeln, und es gab auch NULL Auswirkungen auf andere Charaktere. Insofern kann man das mit jedem einzelnen Rollenspielsystem auch machen – bzw. ohne jedes einzelne Rollenspielsystem.

Ich halte weiter daran fest, dass traditionelle Rollenspielerfahrungen Spieler eben einfach dahin sozialisiert haben, dieses Geschwurbele wertzuschätzen, weil traditionelle SLs ihnen nur diesen kreativen Freiraum ließen. Und so spielen dann alle friedlich nebeneinander her.
Gewinner des WM-Tippspiels 2010
»For it is the chief characteristic of the religion of science that it works«

Tyrion the Imp

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[Burning Wheel] Raising the Stakes - Regelüberlegung
« Antwort #33 am: 21. Februar 2010, 23:16:17 »
Und, Windjammer? Ist dein Charakter klaustrophob?

1) Wer bestimmt das?
2) Was hat das für Folgen?
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Tyrion the Imp

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[Burning Wheel] Raising the Stakes - Regelüberlegung
« Antwort #34 am: 21. Februar 2010, 23:18:38 »
Und bevor sich Wormy noch mal beschwert: Wer den Rant will, darf sich dann nicht wundern. :)
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Windjammer

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[Burning Wheel] Raising the Stakes - Regelüberlegung
« Antwort #35 am: 21. Februar 2010, 23:20:45 »
Ich halte weiter daran fest, dass traditionelle Rollenspielerfahrungen Spieler eben einfach dahin sozialisiert haben, dieses Geschwurbele wertzuschätzen, weil traditionelle SLs ihnen nur diesen kreativen Freiraum ließen. Und so spielen dann alle friedlich nebeneinander her.

Haha, zu lustig. Nur weil Du mit Wormy und mir zwei Alt-DSA'ler erwischt hast, kommt jetzt der Standard-DSA-Prügelschlag.  :D

Krass. Ich stimme Deinem Posting nur in einem einzigen Punkt zu: Immersionsspiel und Bier gehen gut zusammen.
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Tyrion the Imp

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[Burning Wheel] Raising the Stakes - Regelüberlegung
« Antwort #36 am: 21. Februar 2010, 23:22:39 »
DSA? Wo hab ich denn das gesagt? Oder ist Geschwurbele automatisch DSA?

Edit: Und wenn du nur nicht zustimmst, sind meine Argumente besser, ich habe also Recht :D
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Tzelzix

  • Administrator
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[Burning Wheel] Raising the Stakes - Regelüberlegung
« Antwort #37 am: 21. Februar 2010, 23:34:36 »
Ich halte weiter daran fest, dass traditionelle Rollenspielerfahrungen Spieler eben einfach dahin sozialisiert haben, dieses Geschwurbele wertzuschätzen, weil traditionelle SLs ihnen nur diesen kreativen Freiraum ließen. Und so spielen dann alle friedlich nebeneinander her.

Haha, zu lustig. Nur weil Du mit Wormy und mir zwei Alt-DSA'ler erwischt hast, kommt jetzt der Standard-DSA-Prügelschlag.  :D

Krass. Ich stimme Deinem Posting nur in einem einzigen Punkt zu: Immersionsspiel und Bier gehen gut zusammen.


Ich vermute mal, dass der wesentliche Unterschied in der Sichtweise darin besteht, ob und wie dieses "Nebeneinander" exstiert bzw. umgesetzt wird. Auch in deinem Beispiel, Windjammer, auch wenn die Spieler etwas handlungsbezogenes planen, existiert das im Prinzip nur nebenher, weil daraus keinerlei Veränderung resultiert. Der Spielleiter bekommt Input und kann seine Wunschhandlung daran anpassen, so er denn will und vielleicht noch ein paar neue Ideen daraus ziehen, aber auf der Ebene der Charaktere passiert rein gar nichts. Jedenfalls nicht "handfest", sondern eben nur auf dieser parallelen Ebene, die getrennt ist vom restlichen Geschehen des Spiels. Das wesentliche Element des "Riskierens" ist die kämpferische Auseinandersetzung, man riskiert aber rein gar nichts in Bezug auf seinen Charakter in der Interaktion mit SC oder NSC, gibt also von seiner exklusiven Autorenschaft an seinem eigenen Charakter nichts ab. Der Charakter kann sich nur genau dann verändern, wenn der Spieler dies für richtig hält, es gibt kein Mittel im Spiel, diese Entwicklung zu untermauern oder evtl. extern anzustoßen. Die Verbindung von Charakter und dem Rest des Spiels existiert klassisch nur in einigen Werten, die aber völlig unabhängig sind von der Essenz des Charakters. Diese ist in klassischen Rollenspielen stets die alleinige Domäne des Spielers und nur implizit überhaupt im Spiel enthalten. Viele Indy-Spiele machen das genau anders. Dort wird häufig die Essenz eines Charakters, damit auch Begründung für seine Existenz in einer Geschichte, in den Vordergrund gerückt und die Handlung darauf aufgebaut, wie diese Essenz sich im Angesicht von Herausforderungen verändert.

Vielleicht hilft das, hier ein wenig die Brücke zu schlagen. Soweit ich das nämlich sehe, ist Tyrions Rant als Extremposition eigentlich gar nicht so weit von dem entfernt, was vielleicht der Wunsch/ die Idealvorstellung des Immersionsspielers sein könnte, so man sich denn darauf einigen könnte, dass eine solide Untermauerung dieses Wunsches notwendig ist, um diesen besser oder überhaupt erst in das Spiel einzubinden und nicht neben dem Spiel existieren zu lassen.
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Tyrion the Imp

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[Burning Wheel] Raising the Stakes - Regelüberlegung
« Antwort #38 am: 21. Februar 2010, 23:45:47 »
Abgesehen davon, dass mir als Freud-Hasser es so vorkommt, als sei ich gerade das Id und Tzelzix das Über-Ich...

ich verstehe Windjammers Position so, dass er am liebsten nur seinen Charakterbogen, vielleicht nicht einmal das hätte, um sich tatsächlich völlig auf das Ausspielen konzentrieren zu können. Alle Zahnräder, die ganze Mechanik, soll im Hintergrund und möglichst unbemerkt ablaufen.

Indem BW jetzt viele Dinge expliziert, wird die Mechanik eben sichtbar, und man kann auch nicht mehr so tun, als höre man das Rattern einfach nicht.

Insofern würde ich BW zwar als Spiel bezeichnen, das Charakterspiel sehr wohl unterstützen kann, und sogar ermöglicht, durch Charakterspiel die Spielwelt zu beeinflussen (mit dem Risiko, dass die Spielwelt im Gegenzug das Charakterspiel beeinflusst) – aber keineswegs als Spiel, das eine solche Immersion fördert. Denn je weniger und je unauffälliger die Regeln, desto besser. Da ist eben wirklich Beieinandersitzen (Amber?) das Ultimum, und Spiele wie Cthulhu oder vielleicht auch Spirit of the Century (My Life with Master?) besser drauf abgestimmt... und D&D lässt da natürlich mehr Freiheiten.

Ich meine ja, dass dafür diese Freiheit bei D&D (BEISPIEL!) auch wirkungslos bleiben und verpuffen, weil sie wie Werbeblöcke eingebaut werden ("Und jetzt ein Gespräch in der Wirtschaft...") oder vielleicht auch als Zwischensequenzen funktionieren. Sie sind Puffer, Fluff im negativsten Sinne, Füllmaterial.

Das alles aus der Perspektive eines Rollenspiels und der Perspektive einer konfliktreichen Geschichte und der Perspektive kollaborativen UND geregelten Erzählens.
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Wormys_Queue

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[Burning Wheel] Raising the Stakes - Regelüberlegung
« Antwort #39 am: 22. Februar 2010, 00:06:23 »
Was macht der GM mit all seinem guten Willen, wenn die Spieler etwas tun, das alles kippt, was er sich vorher zurecht gelegt hat?

Run with it. Guter Wille äußert sich an der Stelle gerade dahin, den Spielern nichts aufzuzwingen, nur um irgendwelche selbstgesteckten Ziele zu erreichen.

Wormy: Natürlich ist es Autorenkontrolle eben genau da, wo es möglich ist: der Spieler wird zum alleinigen Autoren seines Charakters.

Stimm aber nicht. Schließlich bestimme ich nur, was ich tun möchte, ob ich das tun kann, darüber entscheiden unter anderem auch der SL und die Mitspieler, und ob ich erfolgreich bin, darüber entscheidet der Würfel (oder entsprechende Äquivalente). Ich bin also mitnichten der einzige Autor meines Charakters, wenn auch derjenige der sicher den größten Einfluss auf den Charakter hat.

Zitat
Siehste: da ist der Störenfried wieder. Da soll dem Spieler bloß nichts vorschreiben, wie der Charakter gespielt werden soll, denn die alleinige Entscheidungsinstanz ist der Spieler. Und da ist es völlig egal, was das für ein Charakter ist.

Richtig, da ist es auch völlig egal, ob ich den Charakter immersiv spiele oder nicht. MIR schreib NIEMAND vor, wie ich MEINEN Charakter zu spielen habe. ICH schreibe dafür auch NIEMAND ANDEREM vor, wie ER SEINEN oder SIE IHREN Charakter zu spielen hat.

Das heisst übrigens nicht, dass ich einfach egoistisch mein Ding durchziehe, was du ja im weiteren Verlauf zumindest allgemein unterstellst. Da kommt dann der berühmte Gute Wille von oben, da kommen Begriffe wie Gruppentauglichkeit oder allgemeiner der Gruppenvertrag ins Spiel. Und der SL, und die Mitspieler, und die Würfel...


Zitat
Und DAS IST FEIGHEIT! Oh, du hast die "falsche" Entscheidung getroffen, weil sie "dem Charakter" entspricht. Sagt wer? Und wenn die Entscheidung dem Charakter entspricht, dann ist sie nicht falsch, wenn das Ziel charaktergetreues Spiel ist. Die Entscheidungsgewalt – also Autorenkontrolle – über den Charakter liegt immer noch beim Spieler alleine, da wird überhaupt nichts riskiert oder aufs Spiel gesetzt. Es gibt nicht die Gefahr, dass ein Spielercharakter sich anders verhält, als man will.

Ich geh jetzt mal davon aus, dass du mir nicht absichtlich das Wort im Mund herumzudrehen versuchst, sondern mich nur falsch verstanden hast. Diese Gefahr gibt es nämlich sehr wohl, nämlich immer dann, wenn das Verhalten des Charakters suboptimal im Sinne des Gruppenerfolgs ist. Da entsteht sehr leicht ein zumindest unterschwelliger Gruppendruck, im Zweifelsfall gegen den Charakter zu spielen, wenn das für den Gruppenerfolg notwendig ist. Und ich rede hier nicht von irgendwelchen Verstößen gegen den Gruppenvertrag oder absichtlicher Sabotage des Gruppenerfolgs, sondern von irgendwelchen Kleinigkeiten, die in der Wichtigkeit einer Fertigkeits-oder anderen Probe äquivalent wären.

Und nun stell dir mal folgendes etwas schwerwiegenderes Beispiel vor: Mein Waldläufer, der nen besonderen Hass auf Goblins hat, gerät in ein Scharmützel mit einem menschlichen Magier und seinen drei Goblinminions. Da die drei kleinen mir kaum was anhaben können, wäre es taktisch in jedem Falle klüger zuerst den Magier auszuschalten. Wenn ich den Charakter aber charaktergetreu ausspielen wollte, müsste ich den Magier ignorieren und mich in blinder Wut zuerst um die drei Goblins kümmern. Welches ist denn jetzt die "feige" Lösung? Die, die dem Charakter gerecht wird oder die, die für den Gruppenerfolg die beste ist?

Was du anscheinend nicht verstehst, ist, dass es bei diesem Thema um mehrere Ebenen geht und dass eine auf der einen Ebene (z.B. der Charakterebene) folge"richtige" Entscheidung auf einer anderen (z.B. gruppentaktischen) Ebene eben die falsche Entscheidung sein kann. Und feige sind Immersionsspieler eigentlich nur dann, wenn sie mit der Immersion in genau dem Moment Schluss machen, wo es ihnen auf einer der verschiedenen Ebenen schaden würde.

Der Spielleiter bekommt Input und kann seine Wunschhandlung daran anpassen, so er denn will und vielleicht noch ein paar neue Ideen daraus ziehen, aber auf der Ebene der Charaktere passiert rein gar nichts.

Das ist übrigens eine ganz andere Art von D&D, als ich sie praktiziere. Die Art von D&D, die ich spiele hat eigentlich viel mehr mit dem gemein, weswegen Du/ihr zu Burning Wheels gegriffen habt. Jedenfalls hab ich schon mehr als einmal diesen Eindruck gehabt. Wahrscheinlich hab ich deswegen auch so geringen Bedarf an einem anderen System. Und stosse so oft in Diskussionen mit "normalen" D&D-Spielern zusammen.
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Wormy's Worlds

Tyrion the Imp

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[Burning Wheel] Raising the Stakes - Regelüberlegung
« Antwort #40 am: 22. Februar 2010, 00:31:44 »
Zitat
Stimm aber nicht. Schließlich bestimme ich nur, was ich tun möchte, ob ich das tun kann, darüber entscheiden unter anderem auch der SL und die Mitspieler, und ob ich erfolgreich bin, darüber entscheidet der Würfel (oder entsprechende Äquivalente). Ich bin also mitnichten der einzige Autor meines Charakters, wenn auch derjenige der sicher den größten Einfluss auf den Charakter hat.
(...)
Richtig, da ist es auch völlig egal, ob ich den Charakter immersiv spiele oder nicht. MIR schreib NIEMAND vor, wie ich MEINEN Charakter zu spielen habe. ICH schreibe dafür auch NIEMAND ANDEREM vor, wie ER SEINEN oder SIE IHREN Charakter zu spielen hat.

Hmm... wir reden hier wohl aneinander vorbei oder ich verstehe was nicht. Entweder gibst du die Kontrolle über deinen Spieler auf oder nicht. Ich nehme mal ein Beispiel mit BW-Bezug: in einem Rededuell gewinnt der Paladin gegen deinen Waldläufer (s.u.) und das Resultat ist, dass dein Waldläufer erst den Magier angreifen muss. Allerdings überlässt BW DIR die Entscheidung, wie du das spielen willst: Wird dein Waldläufer überzeugt? Macht er das Zähneknirschend? Versucht er, das zu umgehen, indem er einen Pfeil auf den Magier abschießt und sich dann den Goblins zuwendet – sozusagen "Wortlaut erfüllt"?

Ist das für dich Verlust von Autorenkontrolle – "Mein Charakter würde niemals zuerst den Magier angreifen!" – oder normales Resultat eines Rollenspiels mit Erhalt der Autorenkontrolle beim Ausspielen?

Zitat
Und nun stell dir mal folgendes etwas schwerwiegenderes Beispiel vor: Mein Waldläufer, der nen besonderen Hass auf Goblins hat, gerät in ein Scharmützel mit einem menschlichen Magier und seinen drei Goblinminions. Da die drei kleinen mir kaum was anhaben können, wäre es taktisch in jedem Falle klüger zuerst den Magier auszuschalten. Wenn ich den Charakter aber charaktergetreu ausspielen wollte, müsste ich den Magier ignorieren und mich in blinder Wut zuerst um die drei Goblins kümmern. Welches ist denn jetzt die "feige" Lösung? Die, die dem Charakter gerecht wird oder die, die für den Gruppenerfolg die beste ist?

Was du anscheinend nicht verstehst, ist, dass es bei diesem Thema um mehrere Ebenen geht und dass eine auf der einen Ebene (z.B. der Charakterebene) folge"richtige" Entscheidung auf einer anderen (z.B. gruppentaktischen) Ebene eben die falsche Entscheidung sein kann. Und feige sind Immersionsspieler eigentlich nur dann, wenn sie mit der Immersion in genau dem Moment Schluss machen, wo es ihnen auf einer der verschiedenen Ebenen schaden würde.

Überraschung: BEIDE Entscheidungen sind feige. Weil sie nichts riskieren. Die eine Entscheidung mag taktisch suboptimal sein, aber... na ja, ist sie wirklich charaktergetreu? Versuch mal das:

"Mein Waldläufer hasst Goblins, und im Kampf gegen drei Goblins und einen Magier greift er natürlich zuerst den Magier an. Als der dann tot ist, kann er sich nämlich genüsslich den Goblins zuwenden und sie langsam zu Tode foltern."

Und jetzt? Charaktergetreu gehandelt UND im Gruppeninteresse, anstatt für seinen eigenen Spaß den Erfolg der Gruppe zu gefährden.

ABER was ich eigentlich meine mit Feigheit hat auch damit nichts zu tun. Sondern Risiko und Mut würde folgendes bedeuten:

Der Paladin befiehlt, den Magier anzugreifen. Der Waldläufer verlangt, zuerst die Goblins zu töten. Du riskierst (!) jetzt, dass du entgegen deinem Willen den Magier angreifen musst – aber wenn du erfolgreich bist, greifen alle (!) zuerst die Goblins an. Der Paladin gewinnt den Test und du attackierst den Magier, während der Barbar die Goblins aufwischt – jetzt durfte dein Charakter nicht mal einen Goblin töten, und der Paladin hat sich da vielleicht eine kommende Meuterei eingebrockt. Oder du gewinnst, aber dafür kann der Magier fliehen, weil ihr euch erst seinen Bodyguards widmet – und so hat Charakterspiel sogar einen echten Effekt auf die Spielwelt. Und noch besser: du kannst gleich weitermachen – ist dein Waldläufer sauer, dass er keinen Goblin töten konnte? Oder sieht er ein, dass es taktisch besser war, und schneidet den Toten halt die Ohren ab oder so? Ist dein Charakter kleinlaut, weil der Magier entkam und der Paladin jetzt grummelt? Oder steht er zu seinem Plan und es ist ihm egal, dass der Magier entkam – Hauptsache die Goblins sind tot?

DAS ist Risiko und der Lohn (oder die Kosten) desselben. "Ich entscheide im Vakuum" ist feige und suggeriert zudem unterschiedliche Ebenen, als könne man Charakterziele und taktische Ziele nicht in Einklang bringen, wenn die Charakterziele denn so sehr im Vakuum passieren, wie sie das traditionell tun.

Und bei BW kann man auch ohne Test so vorgehen. Sagen wir, dein Waldläufer hat den Belief: "Alle Goblins müssen sterben, und ich werde sie töten." Und sogar den Instinkt: "Immer zuerst die Goblins angreifen." In der von dir geschilderten Situation kannst du jetzt
a) ausspielen, wie dein Waldläufer die taktische Situation erkennt – aber trotzdem Goblins angreift. Dafür bekäme er dann zwei Fate-Punkte – einen fürs Verfolgen des Beliefs und einen, falls er sich (und die Gruppe) durch die taktisch schlechte Entscheidung in Schwierigkeiten bringt,
b) ausspielen, wie dein Waldläufer die taktische Situation erkennt, mit sich ringt, und schließlich schweren Herzens den Magier attackiert. Dafür bekäme er einen Persona-Punkt (besser als Fate), weil er den festgesetzten Rahmen seiner Beliefs auf interessante Weise verlassen hat.

Und b) berücksichtigt einen weiteren Faktor dieses ach so treuen Charakterspiels: würde dein goblinhassender Waldläufer wirklich auf jeden Fall die Goblins angreifen, auch wenn er dadurch den Tod seiner Freunde riskiert? Oder würde er vielleicht die Zähne zusammenbeißen und doch den Magier angreifen, einfach damit der Magier kein "Auflösen" gegen den Schurken sprechen kann? Aber nein, im Hintergrund ist ja "Goblinhass" festgelegt, und damit ist klar, wie sich der Charakter immer und überall verhalten würde...
Gewinner des WM-Tippspiels 2010
»For it is the chief characteristic of the religion of science that it works«

Wormys_Queue

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[Burning Wheel] Raising the Stakes - Regelüberlegung
« Antwort #41 am: 22. Februar 2010, 00:56:27 »


Ich machs mal stückchenweise, weil ich nicht weiss, wie lange mein Gehirn noch einigermassen wach ist:

Hmm... wir reden hier wohl aneinander vorbei oder ich verstehe was nicht. Entweder gibst du die Kontrolle über deinen Spieler auf oder nicht. Ich nehme mal ein Beispiel mit BW-Bezug: in einem Rededuell gewinnt der Paladin gegen deinen Waldläufer (s.u.) und das Resultat ist, dass dein Waldläufer erst den Magier angreifen muss. Allerdings überlässt BW DIR die Entscheidung, wie du das spielen willst: Wird dein Waldläufer überzeugt? Macht er das Zähneknirschend? Versucht er, das zu umgehen, indem er einen Pfeil auf den Magier abschießt und sich dann den Goblins zuwendet – sozusagen "Wortlaut erfüllt"?

Ist das für dich Verlust von Autorenkontrolle – "Mein Charakter würde niemals zuerst den Magier angreifen!" – oder normales Resultat eines Rollenspiels mit Erhalt der Autorenkontrolle beim Ausspielen?

Hm, ich würde das in dem Zusammenhang als normales Resultat eines Rollenspiels mit teilweisem Verlust der Autorenkontrolle bezeichnen. Teilweise deswegen, weil es ja eine externe Quelle gibt, die meinen Charakter unmittelbar und von mir unabhängig in seinem Handeln direkt beeinflusst. Wobei ich persönlich es nicht als Verlust empfinden würde, weil so etwas einfach dazugehört (und ich sehe da ehrlich gesagt auch keinen prinzipiell Unterschied dazu, wie ich es in D&D handhaben würde, wo dann der Paladin wahrscheinlich ein alliierter SC wäre).
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Wormy's Worlds

Wormys_Queue

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[Burning Wheel] Raising the Stakes - Regelüberlegung
« Antwort #42 am: 22. Februar 2010, 01:22:32 »
Überraschung: BEIDE Entscheidungen sind feige. Weil sie nichts riskieren. Die eine Entscheidung mag taktisch suboptimal sein, aber... na ja, ist sie wirklich charaktergetreu? Versuch mal das:

"Mein Waldläufer hasst Goblins, und im Kampf gegen drei Goblins und einen Magier greift er natürlich zuerst den Magier an. Als der dann tot ist, kann er sich nämlich genüsslich den Goblins zuwenden und sie langsam zu Tode foltern."

Und jetzt? Charaktergetreu gehandelt UND im Gruppeninteresse, anstatt für seinen eigenen Spaß den Erfolg der Gruppe zu gefährden.

Das mein Beispiel nur funktioniert, wenn die von dir gezeichnete Option eben nicht charaktergetreu wäre (z.B. weil es dem Charakter an taktischer Intelligenz mangelt), sollte klar sein. Darüber hinaus riskiere ich in beiden Fällen etwas; in einem Fall den Gruppenerfolg, im anderen die Konsistenz des Charakters, beides Dinge, die für mich wesentlich grundlegender sind, als das was du im nachfolgenden, als Risiko betrachtest.

Zitat
Der Paladin befiehlt, den Magier anzugreifen. Der Waldläufer verlangt, zuerst die Goblins zu töten. Du riskierst (!) jetzt, dass du entgegen deinem Willen den Magier angreifen musst – aber wenn du erfolgreich bist, greifen alle (!) zuerst die Goblins an. Der Paladin gewinnt den Test und du attackierst den Magier, während der Barbar die Goblins aufwischt – jetzt durfte dein Charakter nicht mal einen Goblin töten, und der Paladin hat sich da vielleicht eine kommende Meuterei eingebrockt. Oder du gewinnst, aber dafür kann der Magier fliehen, weil ihr euch erst seinen Bodyguards widmet – und so hat Charakterspiel sogar einen echten Effekt auf die Spielwelt. Und noch besser: du kannst gleich weitermachen – ist dein Waldläufer sauer, dass er keinen Goblin töten konnte? Oder sieht er ein, dass es taktisch besser war, und schneidet den Toten halt die Ohren ab oder so? Ist dein Charakter kleinlaut, weil der Magier entkam und der Paladin jetzt grummelt? Oder steht er zu seinem Plan und es ist ihm egal, dass der Magier entkam – Hauptsache die Goblins sind tot?

Wo ist denn da ein Risiko? Das ist alles ganz hundsgewöhnliches Rollenspiel, wie ich es in jedem System ganz natürlich so betreiben würde. Da ist kein Risiko dabei, weil es mir vollkommen unwichtig ist, welche der verschiedenen Möglichkeiten sich denn nun am Ende am Spieltisch kristallisiert. Letzlich stellen sich all diese Fragen bei meinem ganz hundsgewöhnlichen (oder anscheinend nicht?) D&D auch ständig. Nur eben ohne Regelmechanismus.

Zitat
"Ich entscheide im Vakuum" ist feige und suggeriert zudem unterschiedliche Ebenen, als könne man Charakterziele und taktische Ziele nicht in Einklang bringen, wenn die Charakterziele denn so sehr im Vakuum passieren, wie sie das traditionell tun.

Meine Entscheidung findet ja nicht im Vakuum statt, sondern hat ganz konkrete und reale Auswirkungen auf die Spielwelt. Im übrigen sind die verschiedenen Ebenen keine Einbildung, sondern faktische Realität. Als SL kann ich für jeden beliebigen Charakter solche Szenarien entwerfen, bei denen sich Charakter- und taktische Ziele widersprechen. Es sei denn der Charakter besteht nur aus dem Wertegerüst, ist also gar keiner. Aber sobald du dich bei deinem Charakter auf bestimmte Eigenschaften festlegst, kann ich daraus Konflikte konstruieren.


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b) ausspielen, wie dein Waldläufer die taktische Situation erkennt, mit sich ringt, und schließlich schweren Herzens den Magier attackiert. Dafür bekäme er einen Persona-Punkt (besser als Fate), weil er den festgesetzten Rahmen seiner Beliefs auf interessante Weise verlassen hat.

Ach du große Güte. Ausreden, um dieses System zu meinen Gunsten für willkürliches Charakterspiel zu misbrauchen, schüttel ich mir aber im Sekundentakt aus dem Ärmel. Da ist überhaupt nix interessantes dran und letztlich hängt mein Verhalten nur noch davon ab, ob ich grad lieber nen Fate- oder nen Personapunkt haben möchte. Glaubwürdig darstellen kann ich eh beides.

Heisst nicht, das ich es so machen würde. Heisst nur, dass sich das System genauso leicht missbrauchen lässt wie das nicht vorhandene von D&D. Womit wir wieder beim guten Willen der Spieler angelangt wären.

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Und b) berücksichtigt einen weiteren Faktor dieses ach so treuen Charakterspiels: würde dein goblinhassender Waldläufer wirklich auf jeden Fall die Goblins angreifen, auch wenn er dadurch den Tod seiner Freunde riskiert? Oder würde er vielleicht die Zähne zusammenbeißen und doch den Magier angreifen, einfach damit der Magier kein "Auflösen" gegen den Schurken sprechen kann? Aber nein, im Hintergrund ist ja "Goblinhass" festgelegt, und damit ist klar, wie sich der Charakter immer und überall verhalten würde...

Das war ein bewusst auf den Kern reduziertes Beispiel. Wenn du dir nicht vorstellen kannst, das ein Charakter in der von mir angerissenen Situation auf die von mir beschriebene Weise reagieren würde, ohne dabei vorher noch bei Sun Tze nachzuschlagen, ob das auch clever wäre, ist das echt nicht mein Problem. Was du anscheinend übersiehst, ist, dass ich meinen Charakter ja nicht erst in dem Moment dieses Ereignisses zu entwickeln beginne (wenns nicht grade der Kampagnenstart ist). Außerdem scheinst du dir nicht vorstellen zu können, dass ich Charaktere spielen kann, die zu komplexem und trotzdem fehlerhaften Verhalten fähig sind. Spielt aber alles keine Rolle, wenn du mein Beispiel widerlegen willst, musst du mir schon BEWEISEN, dass es absolut keine Möglichkeit gibt, in der das von mir geschilderte Verhalten des SC die charaktergetreuste Darstellungsmöglichkeit wäre. Dass es unendlich viele andere Möglichkeiten der Charakteranlage gibt weiss ich selbst. Nur weiss ich zu Beginn der Kampagne typischerweise nicht, dass wir irgendwann auf einen Magier mit 3 Goblins treffen werden.
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Wormy's Worlds

Tyrion the Imp

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[Burning Wheel] Raising the Stakes - Regelüberlegung
« Antwort #43 am: 22. Februar 2010, 02:38:18 »


Ich machs mal stückchenweise, weil ich nicht weiss, wie lange mein Gehirn noch einigermassen wach ist:

Hmm... wir reden hier wohl aneinander vorbei oder ich verstehe was nicht. Entweder gibst du die Kontrolle über deinen Spieler auf oder nicht. Ich nehme mal ein Beispiel mit BW-Bezug: in einem Rededuell gewinnt der Paladin gegen deinen Waldläufer (s.u.) und das Resultat ist, dass dein Waldläufer erst den Magier angreifen muss. Allerdings überlässt BW DIR die Entscheidung, wie du das spielen willst: Wird dein Waldläufer überzeugt? Macht er das Zähneknirschend? Versucht er, das zu umgehen, indem er einen Pfeil auf den Magier abschießt und sich dann den Goblins zuwendet – sozusagen "Wortlaut erfüllt"?

Ist das für dich Verlust von Autorenkontrolle – "Mein Charakter würde niemals zuerst den Magier angreifen!" – oder normales Resultat eines Rollenspiels mit Erhalt der Autorenkontrolle beim Ausspielen?

Hm, ich würde das in dem Zusammenhang als normales Resultat eines Rollenspiels mit teilweisem Verlust der Autorenkontrolle bezeichnen. Teilweise deswegen, weil es ja eine externe Quelle gibt, die meinen Charakter unmittelbar und von mir unabhängig in seinem Handeln direkt beeinflusst. Wobei ich persönlich es nicht als Verlust empfinden würde, weil so etwas einfach dazugehört (und ich sehe da ehrlich gesagt auch keinen prinzipiell Unterschied dazu, wie ich es in D&D handhaben würde, wo dann der Paladin wahrscheinlich ein alliierter SC wäre).

Das mache ich jetzt noch nachts :)

Ich hatte BW gewählt, weil es da eben mechanische Zwänge gibt – der Spieler des Paladins kann den Waldläufer durch eine Probe dazu bringen, und bei D&D ist das m.W. nicht so direkt möglich.

Aber wenn du das nicht als Problem siehst, sehe ich zugegebenermaßen auch kein großes Problem. Dann bist du ja gemäßigter Immersionist :)
Gewinner des WM-Tippspiels 2010
»For it is the chief characteristic of the religion of science that it works«

Tzelzix

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[Burning Wheel] Raising the Stakes - Regelüberlegung
« Antwort #44 am: 22. Februar 2010, 08:13:54 »
Was macht der GM mit all seinem guten Willen, wenn die Spieler etwas tun, das alles kippt, was er sich vorher zurecht gelegt hat?

Run with it. Guter Wille äußert sich an der Stelle gerade dahin, den Spielern nichts aufzuzwingen, nur um irgendwelche selbstgesteckten Ziele zu erreichen.

Womit du aber unterstellst, dass immer ausreichend "guter Wille" vorhanden ist (und den Rest des Textes völlig ignorierst). Das mag deinem Ideal entsprechen und unter den Bedingungen deiner Gruppe so auch immer und gut funktionieren. Verallgemeinern würde ich das aber auf keinen Fall in der Form.

Darüber hinaus gibt es auch genug Menschen, die sich durch Regeln behindert fühlen, wenn diese nicht abdecken, was einem am Spiel interessiert. Im Nachhinein (in Bezug auf D&D) muss ich feststellen, dass mir persönlich das doch häufig so geht. Ich fokussiere auf die Dinge, die im Spiel behandelt werden und habe das Gefühl, das Regelkonstrukt auch benutzen zu müssen, wenn es schon in solcher Ausführlichkeit vorhanden ist. Wozu spiele ich sonst genau dieses Spiel? Darunter leiden dann andere Aspekte des Spiels und ich bin unzufrieden.

Weiterhin sagt mir meine persönliche Erfahrung, dass Konflikte zwischen Charakteren grundsätzlich am Tisch nicht funktionieren, wenn es dafür keine vorher vereinbarten Konfliktmechaniken gibt. In den D&D-Runden, in denen ich gespielt habe, hat sich am Tisch immer das "soziale Alphatier" oder der, der lauter reden konnte, durchgesetzt, weil der Gegenüber irgendwann nicht mehr widersprechen wollte oder der Ingame-Streit zu sehr eskaliert ist. Das einzige, was man auf diesem Weg an sozialer Aktion bewältigt bekommt ist gruppenkonformes Geplänkel. Eine starke Motivation, ein persönliches Ziel, das unter allen Umständen verfolgt wird, auch gegen die eigenen Mitspieler (bzw. deren Charaktere), kann man so kaum vernünftig abbilden. Die Immersion, die du porträtierst oder das, was ich daraus deutete, endet dann bei solchen Kleinigkeiten wie "Goblinhass" oder "hatte eine schwere Kindheit". Damit will ich nicht schmälern, dass man auch ohne jedes Hilfsmittel ganz wunderbar tiefgängige Charaktere spielen kann, die komplexe Entscheidungen in ihrem eigenen Wertesystem treffen, aber der Konflikt an der Grenze zu anderen Wertesystemen (auch der der anderen Charaktere / Spieler), scheidet dabei aus oben genannten Gründen meistens aus.

An der Stelle kommt man dann auch wieder zum "guten Willen" des Spielleiters, der nämlich genauso wie alle anderen Spielern bei Konflikten auf sozialer Ebene nur wenig Handhabe hat und daher vieles aus dem Bauch heraus entscheiden und einbinden muss. Nun ist der SL meistens distanzierter gegenüber den Standpunkten der meisten NSC als die Spieler gegenüber ihren SC, aber auch der SL hat seine Grenzen.
 
Der Spielleiter bekommt Input und kann seine Wunschhandlung daran anpassen, so er denn will und vielleicht noch ein paar neue Ideen daraus ziehen, aber auf der Ebene der Charaktere passiert rein gar nichts.

Das ist übrigens eine ganz andere Art von D&D, als ich sie praktiziere. Die Art von D&D, die ich spiele hat eigentlich viel mehr mit dem gemein, weswegen Du/ihr zu Burning Wheels gegriffen habt. Jedenfalls hab ich schon mehr als einmal diesen Eindruck gehabt. Wahrscheinlich hab ich deswegen auch so geringen Bedarf an einem anderen System. Und stosse so oft in Diskussionen mit "normalen" D&D-Spielern zusammen.

Ich kann mir nur sehr schwer vorstellen, dass ihr in eurer Runde zur Zufriedenheit und Unterhaltung aller auch tiefgängige soziale Konflikte ausschöpft ohne dabei hinterher einen sauren Beigeschmack produziert zu haben. Wenn das so ohne weiteres funktioniert, dann kannst du verdammt glücklich sein, dass ihr alle so kompatibel seid und offenbar implizit einen Modus gefunden habt, mit dem alle gut Leben können.

In einer idealen Welt mit idealen Menschen würden wir uns alle nur zusammen an einen Tisch setzen und die tollsten Sachen erzählen ohne jemals auch nur eine Regel oder einen Würfel zu benötigen. Spannung und Spaß sind jedenfalls eher nicht ein Produkt der Zufallselemente im Rollenspiel, auch wenn diese scheinbar einen "überraschenden" Spritzer oder eine Wendung bringen. Die Eingaben der anderen Spieler werden im Zweifelsfall immer interessanter sein (ideale Welt und so). Regeln sind also eigentlich immer Hilfsmittel, um ein Spiel am Laufen zu halten und allen etwas an die Hand zu geben, an dem sie sich festhalten können (und im Zweifelsfall einen Streitpunkt eindeutig zu entscheiden).

Gerade nach dem, was du beschreibst, wäre es also völlig egal, ob ihr D&D oder sonst irgendetwas spielt. Die konkreten Regeln, die im Hintergrund lauern, sind völlig egal.
Never attribute to malice that which can be adequately explained by stupidity.

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