Der Kleine MannAls die Kettenbrecher die Türe öffneten, hörten sie gleich das aufgeregte Rascheln sich nähernder Arachnidenbeine. Der Großteil des Raumes war von zähen und feucht glitzernden Spinnweben durchzogen; Wände, Decke und Boden waren von getrockneten Spinnweben bedeckt. Im hinteren Teil des Raumes öffnete sich ein Höhlensystem, und daraus krabbelten die runden, haarigen Formen hundsgroßer Spinnen. Ihre fleischigen Körper wurden jedoch schnell Opfer scharfer Klingen, und dann brannte Boras die frischen Seidenfäden mit seiner Fackel weg.
»Folgt mir.«
Knisternd und zischend brannten sie sich einen Weg in die Höhlen. Ausgetrocknete Überreste von Ratten, Fischen und menschenähnlichen Gestalten klebten an den Wänden. Bald trat Dirim in ein Gebiet noch frischer Spinnweben und blieb kleben.
»Igitt.« Langsam zerrte er seinen Stiefel frei. Die Helden kamen jetzt noch langsamer vorwärts. Jeder Schritt konnte erneut zur Stolperfalle werden.
Die Höhlen waren gut drei Schritt hoch und sehr weit; das Fackellicht reichte nicht bis in die hintersten Ecken. Aus dem Dunkel lösten sich hagere Gestalten mit einem Wasserbauch, gelblicher Haut und Kneifzangenmäulern. Die Wesen griffen, scheinbar unbehindert von jeglichen Spinnweben, an.
Alek trat gleich vor. Sein Stiefel sank tief in die frischen Spinnweben ein, und blieb kleben.
»Torms treulose Tomate!«, fluchte der Paladin und mühte sich, dem Feind zu begegnen. Die Kreaturen kamen heran schlugen mit ihren Krallen, kniffen mit ihren Zangen. Thargad bekam einen Kratzer an der Wange ab und spürte, wie die Wunde ungewöhnlich heftig brannte: Gift. Er schüttelte den Effekt ab und konterte den Angriff. Bei aller Zähigkeit waren die Kreaturen keine große Gefahr, und so lagen sie bald tot oder sterbend in den weißlich-matten Spinnweben.
-
Skaven hatte sich, als sich die Eindringlinge vor seiner Tür versammelt hatten, mittels einer Schriftrolle zu Gunilla zurückgezogen. Als er die Kampfgeräusche hörte, begann er, seine magischen Schutzvorkehrungen zu treffen. Sachte streichelte er über Gunillas Speerzähne. Die Harpunspinne zitterte. Skaven lächelte.
»Sie kommen.«
-
Die Höhle war nach einer schmaleren Stelle wieder breiter geworden. Spinnweben bedeckten alles; Fackellicht bedeckte nur einen kleinen Teil der Höhle.
»Hier geht es nicht weiter«, vermutete Thargad.
»Ganz recht!«, rief eine gehässige Stimme aus der Dunkelheit. »Hier ist für euch Endstation!« Eine geisterhafte Hand erschien bei Boras und schlug ihn. Kleine Wunden platzen in seiner Haut auf, der Barbar merkte es kaum. Dann kraxelte aus dem Nichts eine riesige Spinne heran. Knochige Stacheln bedeckten ihren Leib, und bösartig intelligente Augen musterten die Gruppe. Zwei dicke Knochen ragten wie Speere aus der Mundpartie, geiferüberströmt. Sie zuckten kurz, dann flogen sie aus dem Maul und geradewegs auf Boras zu. Ein Stachel bohrte sich in den Oberarm, ein andere in den Unterschenkel. Boras zog eine Grimasse und stemmte sich gegen die Spinne, die ihre Speere nun wieder einholte. Der Stachel im Oberschenkel löste sich und riss eine Handvoll Fleisch heraus, der Schultertreffer hielt jedoch.
»Ich komme!«, rief Alek, und trat prompt in eine Spinnwebenfalle. »Da soll mich doch-« Trotzdem stapfte der Paladin tapfer weiter auf die Spinne zu. Thargad war wesentlich flinker und hatte schon einen Hieb mit seinen Kurzschwertern angebracht, und nun machte sich auch Dirim auf den Weg, als aus dem Nichts eine weitere dieser hageren Kreaturen auftauchte. Blitzschnell hatte Helion einen magischen Schild bereit, aber die Kreatur durchschlug alle Schutzmaßnahmen und verletzte ihn schwer. Helion taumelte zurück.
»Dafür wirst du büßen!«, drohte Dirim.
»Wirklich?«, fragte Skaven amüsiert. »Du zuerst!
Imago Horribilis!«
Es wurde kalt um Dirim, und eine schattenhafte Gestalt wuchs vor ihm aus dem Boden. Die Augen des Zwerges weiteten sich. Ohne zu wissen, warum, hatte er eine gewaltige Angst vor dieser Gestalt. Er wusste, dieses Wesen konnte ihn mit einem Schlag töten. Schon spürte er die Klauen auf seiner Brust, fühlte, wie das Leben aus ihm wich, wie... Nein, das durfte nicht passieren. Dirim schrie auf und stieß seinen Schild in den Schatten. Die Gestalt zerstob vor seinen Augen.
»Da musst du schon besseres auffahren!«
»Gunilla wird dich strafen, Zwerg!«, schrie Skaven.
»Gunilla?«, fragte Thargad. »Kommt die noch?« Er stand mit Boras bei der Leiche der Harpunspinne, Kurzschwert noch im Auge und Axt in ihrem Schädel. Der Schrei aus Skavens Kehle war nicht länger der Schrei eines vernunftbegabten Wesens. Er hallte durch die Höhle, aber sein Ursprung war schnell durchschaut.
»Ich sehe dich«, sagte Thargad. Skaven klebte mit den Füßen an der Decke, fünf verschwommene Gestalten, ein Magier mit all seinen Schutzzaubern.
»Ich auch«, sagte Alek und zog seinen Bogen. »Wollen wir doch mal sehen.« Der erste Pfeil schlug in ein Spiegelbild und löste es auf. Gleich hatte auch Thargad seinen Bogen bereit. Boras sah etwas verlegen auf seine Axt.
»Jetzt haben wir dich«, lachte Dirim.
»Jungs?«, fragte Helion, der sich immer noch der Kreatur erwehrte. »Habt ihr nicht was vergessen? Mich?« Im selben Moment drang wieder eine Klaue durch den Schild und riss Helion die Seite auf. Der Magier stolperte zurück, außer Reichweite. Dirim stellte sich dazwischen, aber die Kreatur marschierte einfach an ihm vorbei. Angst stand in Helions Augen, Zuversicht in Dirims. Der Zwerg holte aus, um das Wesen zu erschlagen.
»
Arreste!«
Dirim erstarrte mitten in der Bewegung. Er kannte den Zauber, hatte ihn gerade erst gegen Triel gewandt. Das durfte nicht sein! Die Kreatur fuhr herum, Gier in den Augen. Dirim erkannte Intelligenz in diesen Augen, schwach aber umso hinterlistiger. Kiefer mahlten aneinander, Kneifzangen öffneten und schlossen sich begierig. Dann riss das Wesen ihm die Kehle heraus.
»Das reicht!« Boras schlug seine Axt in den Boden und holte zwei Tränke hervor. »Dafür stirbst du.« Er leerte den ersten Trank, und schon wuchs er zu neuer Größe. Alek zog sich zu Helion zurück, dem sich die Kreatur wieder zugewandt hatte, und verschoss derweil weiter Pfeile. Aber noch hatte niemand Skaven treffen können. Thargad spannte seine Armbrust ebenfalls ein ums andere Mal, nur um die Bolzen in die Höhlenwände zu jagen. Immer noch waren vier Spiegelbilder übrig.
Boras trank den zweiten Trank. Nichts passierte, nur ein listiger Zug schlich sich in den Blick des Barbaren. Dann nahm er Anlauf und sprang. Der Zaubertrank federte seine gewaltige Gestalt in die Höhe, drei Meter, vier Meter, geradewegs auf einen der vier Skavens zu, die an der Decke kauerten.
Auf den echten Skaven. Boras prallte gegen den Halbling und packte ihn fest. Für einen Moment hielt Skavens Zauber beide an der Decke, dann gab er nach, und sie stürzten zu Boden. Gleich hatte Boras den Halbling im Würgegriff. Skaven versuchte, einen Zauber zu sprechen, aber Boras zog den Griff kurz an und die Formel ging in einem Schmerzensschrei unter.
»Hab dich.«
Nachdem sich Thargad und Alek der Kreatur widmen konnten, war sie schnell besiegt. Helion schnaufte, hatte aber noch alle Gliedmaßen beisammen. Skaven hatte keine Chance, aus Boras’ Griff zu entkommen – was nicht heißt, dass er es nicht versuchte.
Schließlich wurde der Magier hingerichtet, und mit Dirims Leiche über den Schultern machten sich die geschundenen Helden daran, nach Cauldron zurückzukehren. In Skavens Zimmer und seinen Sachen fanden sie noch zwei weitere Zauberstäbe und sein Zauberbuch sowie einige Notizen. Dann betraten sie geschafft die Gondel. Thargad reparierte den Mechanismus, und Boras kurbelte die vier anderen nach oben, bevor sie den Barbaren nachholten. Schließlich standen sie alle an dem Abhang und blickten auf den grünlich schimmernden See hinab.
»Wir müssen wiederkommen«, sagte Thargad. »Wir haben nur drei Stäbe.«
»Morgen«, sagte Helion, und niemand widersprach.
-
Die Kettenbrecher kehrten nach Cauldron zurück und überbrachten der innerlich zerrissenen Jenya die Stäbe – ein Grund zur Freude – und Dirims Leiche – keiner. Es wurde vereinbart, dass am folgenden Morgen eine Wiederbelebung versucht werden sollte. Dirim besuchte den Lathandertempel, während Thargad sich mit den Silberstreitern austauschte.
Die Flut hatte einige Gebäude zum Einsturz gebracht, und der ein oder andere war bereits von Wassermassen oder stürzenden Bauten verletzt worden. Der Schupppen, den die Kettenbrecher gemietet hatten, trieb jetzt auf dem Kratersee. Die Bevölkerung war inzwischen besorgt über die Situation, und bald würden sich die unterirdischen Seen gefüllt haben – dann würde das Wasser noch schneller steigen.
Am nächsten Morgen war trotz strömenden Regens die Stimmung etwas besser geworden. Der Grund dafür und für die dunklen Ringe unter Jenyas Augen war derselbe: Jenya hatte mit zwei Klerikern aus ihrem Tempel die Nacht damit verbracht, die Zauberstäbe zu leeren. Der Wasserpegel in der Stadt war erst einmal gesunken, wenn auch weiterhin kleine Sturzfluten durch die Straßen stoben.
Trotz ihrer Müdigkeit ließ Jenya es sich nicht nehmen, die Wiederbelebung des Zwerges selbst durchzuführen. Das Zeichen Helms prangte stolz auf ihrem Plattenpanzer. Fast wie ein drittes Auge, durchfuhr es Thargad, aber dann wandte er sich dem Ritual zu.
-
Dirim stand auf einer luftigen Anhöhe. Wenn er hinabsah, konnte er kleine Figuren entdecken, Lebewesen, von dieser Warte so groß wie Ameisen. Er spürte eine Präsenz hinter sich, ein Hühne im Panzer. Einhändig. Geblendet.
»Es gibt da ein Kind?«»Einen Jungen«, sagte Dirim. »Ich bin für ihn verantwortlich.«
»Geh zurück, und finde ihn. Erst dann gehört dein Leben wieder dir.«»Das werde ich«, schwor Dirim.
-
Im Helmtempel zu Cauldron öffnete ein toter Zwerg die Augen.
Spoiler: Klicke, um den Beitrag zu lesen
Das war jetzt etwas weniger detalliert, aber so gut es ging. Ist ja nicht mehr viel Zeit. Wir spielen ab jetzt mit Zechis Wiederbelebungsregel, nur das die negative Stufe in diesem Fall nicht mit dem nächsten Stufenaufstieg bereinigt wird, sondern wenn Dirim den kleinen Jungen gefunden hat.