Spoiler (Anzeigen)Synecdoche, New York stammt aus der Feder von Charlie Kaufman, der mit Being John Malkovich bereits einen Mindfuck par excellence sowie mit Eternal Sunshine of the Spotless Mind und Adaptation zwei meiner Lieblingsfilme zu verzeichnen hat. Synecdoche, New York ist wohl sein schwierigstes Werk, und ein Film, bei dem man in der Kritik enorm Gefahr läuft, entweder zu schwafeln oder zu viel über sich selbst zu verraten.
Soviel vorab: Das Ding ist meisterhaft. Wer einen Film sehen will, der wirklich harte Fragen stellt, der keine einfachen Antworten gibt, einen Film über Liebe, Familie, Tod, Sex – das Leben eben –, oder einen Film, der den Zuschauer mit dem Abspann erst Mal sprachlos zurücklässt: hier ist er. Über Technik lässt sich hier nicht viel sagen. Es gibt wohl keinen einzigen Darsteller in Synecdoche, New York, der eine schlechte Leistung abliefert; vielmehr hat der tolle Hoffman in der Hauptrolle Probleme, sich von seinen Kollegen abzusetzen, beispielsweise von Tom Noonan als die Besetzung von Caden selbst.
Denn Caden gewinnt einen Regiepreis und damit nahezu unbegrenzte Gelder, um ein Traumprojekt zu realisieren. Und er entschließt sich, sein Leben als Theaterstück zu dramatisieren, und zwar so echt und ehrlich wie möglich. Also mietet er eine kleinstadtgroße Bühne und baut und castet darin halb New York, nicht zuletzt sich selbst. Seine zweite Ehefrau Claire (Michelle Williams, natürlich großartig) darf sich selbst spielen, wenn sie jetzt echte Szenen aus ihrem Eheleben mit einem Schauspieler nachstellt.
All das tut Caden, um sich selbst zu verstehen, um seine Angst vor dem Tod und auch seine Einsamkeit irgendwie zu begreifen und zu verarbeiten, und indem er das tut und all die Nebenfiguren ebenfalls besetzt, wird er zum Jedermann, zur Einsetzfigur der Menschheit.
Warum sind wir hier und was passiert, wenn wir sterben? Sind wir besonders? Oder nur ein kleines Licht wie alle anderen auch? Sind wir alle die Hauptrolle in unserer Geschichte – oder gibt es gar keine Geschichte? Kann ein brennendes Haus ein Zuhause sein?
Ich würde gerne etwas furchtbar kluges über Synecdoche, New York schreiben, aber ich kann nicht. Der Film hat mein Hirn durchpflügt und durchwalkt und beackert. Einen Tag später arbeitet es immer noch in mir.
Unsere Identität ist davon abhängig, wie andere uns sehen, weil wir uns selbst meistens nicht wirklich verstehen können. So sind es die Caden-Darsteller, die ihm selbst ein besseres Bild zu geben versprechen, oder sein Leben “umleben” und richten. Caden entschuldigt sich bei seiner Tochter dafür, sie für seinen schwulen Liebhaber im Stich gelassen zu haben, ohne dass er einen solchen gehabt hätte – aber seine Tochter kann ihm das trotzdem nicht vergeben. In ihren Augen ist er der Vater, der sie verließ, um mit Erik Analsex zu haben. Wie weit trifft diese Beschuldigung Cadens Selbstbild, auch wenn sie faktisch falsch ist?
Rollenspiel, der Einfluss fremder Einsichten, die Austauschbarkeit von Menschen sind das, was mich an Synecdoche, New York beeindruckt hat, auch weil mir die Todesängste Cadens (noch) fremd sind. Aber der Film enthält nicht nur diese Fragen.
Caden erlebt den glücklichsten Tag seines Lebens, gleich nach seinem Selbstmord, der aber so nicht im Drehbuch stand und darum nicht wirklich zählt. Ein Tag, dann verschwindet Caden ganz in seiner eigenen Rolle und wird jemand anderes, mit einer anderen Geschichte und einem fremden Drehbuch, geleitet von einem falschen Gott, der er selbst ist und doch wieder nicht. Es ist verstörend, und es ist trotzdem auch gut.
Synechdoche, New York – ich sage es unter großem Vorbehalt und im Bewusstsein dessen, was das Wort bedeutet – ist ein Meisterwerk des Films, einer der besten Filme unseres Jahrzehnts. Herausfordernd. Berührend.
Kino.