Was Spannung angeht, hast du übrigens Unrecht: Spannung funktioniert primär nicht über Ungewissheit, was kommt, sondern über Ungewissheit, ob/wann ein bestimmtes Ereignis eintritt. Bei Stephen King bspw. denkst du bei der dunklen Gasse nicht: "Oh je, was da wohl passiert?" sondern "Lauert da das menschenfressende Auto?" Du sagst auch nicht: "Ich würfel mal auf Angriff, mal sehen, was dann passiert", sondern "ich bin gespannt, ob ich treffe." Die Konsequenzen bei BW sind allenfalls größtenteils weitreichender, da es sich eben zumindest ansatzweise um Konfliktlösung (Conflict Resolution) handelt und nicht Aufgabenlösung (Task Resolution). Insofern weißt du gar nicht mehr oder weniger, sondern du kannst höchstens schlechter so tun, als wüsstest du weniger. BW macht es eben explizit.
Was den Rant gegen D&D angeht – das war hier gar keiner. Außer mit den Soziopathen.
Wormy: Natürlich ist es Autorenkontrolle eben genau da, wo es möglich ist: der Spieler wird zum alleinigen Autoren seines Charakters.
Als Immersionsspieler spiele ich meinen Charakter, nicht die Story (die ich , so vorhanden, als Spieler gar nicht kenne), und schon gar nicht die Welt. Störend wirds dann nur, wenn tatsächlich jemand meint, die Autorenkontrolle übernehmen zu müssen, und ich ständig gegen meinen Charakter spielen muss, oder sogar vorgeschrieben bekomme, wie ich meinen Charakter spiele soll (dein Beispiel).
Siehste: da ist der Störenfried wieder. Da soll dem Spieler bloß nichts vorschreiben, wie der Charakter gespielt werden soll, denn die alleinige Entscheidungsinstanz ist der Spieler. Und da ist es völlig egal, was das für ein Charakter ist.
Wenn ich das richtig lese, dann will Windjammer einfach nur "freies Assoziieren". Warum dann da Regeln reinbringen? Warum Rollenspiele betreiben und nicht "Wir sitzen alle am Feuer und quatschen"?
Ich denke eben, dass wirkliche Immersion nicht möglich ist. Jetzt ist es ja nicht so, als würde BW grundsätzlich gegen Charakterspiel sein – es gibt ja sogar entsprechende Belohnungen für die Verkörperung des Charakters (Embodiment) und die lebhafte Darstellung eines Dilemmas (Moldbreaker) oder auch einfacher nur Humor ohne Charakterbruch.
Ich weiß nicht mal, ob BW nicht sogar an manchen Stellen immersiver sein kann als D&D (als BEISPIEL! weil das eben hier das D&D-Gate ist). Denn du legst ja mit Beliefs und Instinkten auch den Charakter fest, und dann fragt dich das Spiel: "Ach ja? Lord Lavendel fordert also alle Bärtigen zum Duell heraus? Auch den hier?"
Und auch bei den Gesprächen unter SC ist doch in D&D keine wirkliche Immersion möglich, sondern nur ein circle jerk. Was jetzt? Verhören wir den Gefangenen?" – Da darf man dann ein paar Minuten als Charakter reden und muss sich dann eben anschließen.
Aber das geht dann doch arg von Thema ab. Also bitte nicht zu sehr auswalzen. Vielmehr will ich das hier zitieren:
Die Immersionsspieler, die ich kenne (und ich bin in so einer Gruppe großgeworden), waren eigentlich immer auch sehr konsequente Spieler, die oftmals sehenden Auges die für ihren SC falsche Entscheidung trafen, weil sie diesem Charakter entsprochen hätte. Feigheit (im Sinne von aus der Rolle fallen, weil das sonst dem Charakter schaden würde) finde ich meistens bei Spielern, bei denen es mit dem Charakterhintergrund eh nicht allzuweit her ist und die vor allem in Regeln und Werten denken.
Und DAS IST FEIGHEIT! Oh, du hast die "falsche" Entscheidung getroffen, weil sie "dem Charakter" entspricht. Sagt wer? Und wenn die Entscheidung dem Charakter entspricht,
dann ist sie nicht falsch, wenn das Ziel charaktergetreues Spiel ist. Die Entscheidungsgewalt – also Autorenkontrolle – über den Charakter liegt immer noch beim Spieler alleine, da wird überhaupt nichts riskiert oder aufs Spiel gesetzt. Es gibt nicht die Gefahr, dass ein Spielercharakter sich anders verhält, als man will.
Das ist ganz genau, was ich schrieb. Das ist genau diese Rechtfertigung für bescheuertes Verhalten (nicht, dass es unbedingt bescheuertes Verhalten sein muss): So würde mein Charakter eben handeln.
Dieses Spiel führt dann dazu, dass der Spielleiter seine Welt kontrolliert und die Spieler die SCs, jeder nebeneinander her. Wenn die Spieler fragen, lässt der SL eben Änderungen zu, und der ansonsten einzige Moment, wo dieses Nebeneinander aufgelöst wird, ist der Kampf. Da riskiert man dann auch seinen SC. Weil Kampf nicht wirklich Teil des Weltempfindens ist, da darf man dann auch beeinflusst werden. Und wenn der NSC tot ist, na ja, dann hat man was verändert.
Ich meine, man kann nicht einmal mit Gewissheit sagen, wie man selbst in Situationen reagieren würde, denen man noch nicht ausgesetzt war – würde man in Abu Ghraib zum Folterer? Aber man kann sagen, wie man selbst oder ein fiktiver Charakter in einer Welt mit Monstern und Magie agieren würde, und zwar so sicher, dass jeglicher Bruch der Illusion als störend empfunden wird?
Ich habe auch mal an einem LARP-Con teilgenommen, und meine schönste Erinnerung besteht darin, dass ich mit anderen Spielern in einer Kneipe saß und wir als Charaktere einfach nur redeten und ein Bierchen tranken. Das war total immersiv. Aber dazu brauchten wir NULL Regeln, und es gab auch NULL Auswirkungen auf andere Charaktere. Insofern kann man das mit jedem einzelnen Rollenspielsystem auch machen – bzw. ohne jedes einzelne Rollenspielsystem.
Ich halte weiter daran fest, dass traditionelle Rollenspielerfahrungen Spieler eben einfach dahin sozialisiert haben, dieses Geschwurbele wertzuschätzen, weil traditionelle SLs ihnen nur diesen kreativen Freiraum ließen. Und so spielen dann alle friedlich nebeneinander her.