• Drucken

Autor Thema: Unangebrachte Witze  (Gelesen 16539 mal)

Beschreibung:

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

Rogan

  • Contest 2010
Unangebrachte Witze
« Antwort #90 am: 02. September 2013, 15:16:53 »
Tigershark, danke für Deine Klarstellung.

Wer die Einzigartigkeit des Holocaust nicht anzweifelt, wird ja keine relativierenden Vergleiche anstellen. Nichts anderes hat Zechi als nachvollziehbaren Diskussionsrahmen gesetzt.

Natürlich folgt aus der Einzigartigkeit des Holocaust auch eine Einzigartigkeit der darangeknüpften Verantwortung. Ich beispielsweise empfinde diese Verantwortung überhaupt nicht als Belastung, da ich mir persönlich natürlich keine Schuld gebe. Ein Erbe ist nicht mehr oder weniger als ein Erbe, dafür kannst Du nix, aber Du kannst Dein deutsches Erbe auch nicht ausschlagen (außer Du bürgerst Dich aus) oder nur teilweise annehmen: Die Untaten der Nazis gehören zum Deutschsein dazu wie Schindler, Scholl und die Swing-Jugend.

Außerdem: Nazideutschland hat ohne Grund die meisten Nachbarländer mit Krieg überzogen, einige mit einem besonders brutalen Vernichtungskrieg. Die Alliierten haben unter großen Verlusten die Befreiung erreicht. Die Folgen des zweiten Welkrieges sind noch heute in sehr, sehr vielen Ländern zu sehen und zu spüren. Warum sollten wir diesen Ländern vorschreiben, wie sie Deutschland wahrzunehmen haben? Die Betroffenen haben ihr eigenes Recht, uns Deutsche zu sehen, wie sie wollen.

Gut, dass die Nazis immerhin die Schweiz und Schweden verschonten, aber ich kann mir gut vorstellen, dass Du, Raven, den Umgang mit der Nazizeit anders sehen würdest, wenn Du Pole aus Borów wärest. Dem entsprechend können Armenier, Lakota und Samen ihren Staaten ihre eigenen Vorhaltungen machen, dass sie gewaltsam unterdrückerisch behandelt wurden, das müssen nicht wir Nicht-Betroffenen tun, meine ich.
« Letzte Änderung: 02. September 2013, 15:20:18 von Rogan »
Neustart!

Utlin

  • Mitglied
Unangebrachte Witze
« Antwort #91 am: 02. September 2013, 15:40:49 »
Natürlich gab es schon seit der Antike Genozide und es gibt sie bis in die jüngste Vergangenheit. Natürlich muss sich niemand dafür schuldig bekennen oder auch nur fühlen, es sei denn er war Täter. Natürlich ist es auch erlaubt diese historisch korrekt miteinander zu vergleichen. Jedoch einen Vergleich zu führen, der in der Konsequenz das Ziel hat "Aufwertung durch Abwertung" , gilt es um jeden Preis zu verhindern. Der Genozid ist immer ein einzigartiges Verbrechen, auch Verbrechen der Verbrechen genannt und bedarf eines speziellen Vorsatzes (dolus specialis). Der Genozid der unter deutscher Verantwortung passierte, ist nun mal der Holocaust und ist auch innerhalb dieser Verbrechensgruppe einzigartig, sozusagen die Spitze der Absenz der Menschlichkeit. Er wurde quasi als Verwaltungsakt innerhalb der Wannenseekonferenz beschlossen und auch im Wesentlichen in einem Verwaltungsverfahren industriell umgesetzt. Das diese Tatsachen nicht relativiert werden, darum geht es.

Völker neigen nunmal gerne dazu ihre finsteren Geschichtsepochen  unter den Tepich zu kehren oder umzuschreiben. Übrigbleiben soll am liebsten nur das Positive. Das ist für das Individuum am bequemsten und für die Politik nützlich. Hieraus bildet sich dann schnell eine unheilsame Symbiose. Gerade der Holocaust verführt natürlich enorm zu dieser Vorgehensweise, v.a. da das urspüngliche Gedankengut bei weitem nicht aus der Welt ist. Die Einstellung, dass einen das ganze Thema "nervt", ist der erste Schritt zum wegsehen.

Edit:
Zur Klarstellung, auch der Vergleich anderer Genozide untereinander, mit dem obigen Ziel, verbietet sich von allein.

« Letzte Änderung: 02. September 2013, 16:29:15 von Utlin »
Mach es wie beim funken: denken, drücken, sprechen.

Tigershark

  • Mitglied
Unangebrachte Witze
« Antwort #92 am: 02. September 2013, 15:56:40 »
Zitat
Ich empfinde es aber als extrem störend, dass man solche Vergleiche nicht einmal anstellen kann, diese Übersensibilisierung im Themenbereich Holocaust ist einfach furchtbar. Ich empfinde einfach das Töten Unschuldiger Menschen als falsch, unabhängig davon, in welchem Kontext, darum hat - für mich persönlich - keines solcher enormen Vergehen (wie z. B. die Ausrottung der Indianer) mehr oder weniger Schrecken als ein anderes. Aber nur beim Holocaust und afaik nur in Deutschland gibt es Gesetze, die die Verleugnung unter Strafe stellen.
Erst entschuldigst du dich für deine etwas unglückliche Art zu argumentieren (was ich dir wirklich abnehme), und dann begehst du denselben Fehler erneut. Der Holokaust ist ein spezifisch deutsches Verbrechen und damit, ob du das willst oder nicht, auch Teil deiner Geschichte. Dazu gehört auch, dass die Erinnerung daran untrennbar Teil des historischen Erbes dieses Landes ist. Relativierung durch Gleichsetzung gehört nicht zu einem verantwortungsvollen Umgang mit dieser Geschichte.
Teil meiner Geschichte? Meine Geschichte beginnt irgendwann 1988 (@Xiam: du darfst selbst rechnen) beim Sex meiner Eltern - alles davor - ich wehre mich ehrlich gesagt, dafür Verantwortung, Schuld, Last oder Ähnliches zu tragen. Es ist nicht mein Werk und ich will nicht, dass mir das zugerechnet wird. Wenn ihr das für euch als ok empfindet, dass man das dem deutschen Volk von heute zuschreibt, dann sei es so. Mir ist das zuwider. Ich bin nur für das verantwortlich, was ich auch irgendwie beeinflussen kann und nicht für das vor oder nach meiner Zeit.
Mache ich es mir damit zu einfach?

Zudem frage ich mich wirklich, was du genau unter "verantwortungsvoller Umgang mit der Geschichte" verstehst. Für mich wäre ein verantwortungsvoller Umgang, wenn man versucht, solche oder ähnliche Dinge von Anfang an im Keim zu ersticken. Werfen wir jetzt mal einen Blick nach Syrien?
Ist mit Sicherheit unbeabsichtigt und unbedacht von dir gewesen, aber dein Post klingt leider so:

"Ich bin nicht rassistisch, aber..."
"Ich habe nichts gegen Ausländer, aber..."
"Ich bin kein Antisemit, aber..."
"Der Holocaust war schlimm, aber..."
Und als Krönung noch die berühmte BILD-Empörung: "Das wird man doch wohl noch sagen dürfen!"

Merkst du was?

Ich unterstelle dir kein neo-faschistisches Gedankengut, sondern einfach nur eine gewisse Naivität im Umgang mit der Thematik. Menschen, die solche Dinge wie das oben von mir zitierte äußern, zeigen damit in erster Linie, dass sie sich der Problematik des Umgangs mit der deutschen Geschichte gar nicht richtig bewusst sind und ihnen (noch) die Sensibilität für das Ausmaß dieses Verbrechens fehlt. Ich empfehle dir daher ganz dringend, dich mit der Thematik auseinander zu setzen, damit du dich nicht wieder in eine Ecke gestellt fühlst, in die du nicht gehörst.

Leider glaube ich, dass du diesen Rat (noch) nicht annehmen wirst, da du im Moment davon überzeugt bist, dass du zu einer Generation gehörst, die aufbegehren muss, alte Hüte abstreift und das Denken neu erfindet (oder zumindest in modernere Bahnen lenkt), anstatt sich von den "alten Säcken" sagen zu lassen, wie man mit gewissen Themen umgeht.
Ich weiß nicht genau, was ich darauf sagen soll. Ich denke, ich bin politisch im Moment in einer Denk- und Umdenkphase. (Aktuell würde ich mich politisch als mitte-rechts einordnen.)
Vielleicht begreife ich aber wirklich nicht vollständig, WARUM der Holocaust schlimmer sein muss als (nehmen wir einfach mal wieder) die Ausrottung der Indianer. Für mich gibt es hierbei kein "weniger schlimm".
Mir fehlt aber auch jegliche Verwandschaft (die alle anderen hier wahrscheinlich noch kennenlernten), die überhaupt noch im Nazi-Regime lebten oder starben. Meine Großeltern sind allesamt verstorben, bevor ich dieses Thema überhaupt anschneiden konnte. Mir fehlt komplett der Bezug dazu und für mich fühlt es sich eben so an, als wäre das gar nicht in "meinem" Deutschland passiert.
Du hast nicht wirklich erwartet, dass ich dir Recht gebe, oder?

Utlin

  • Mitglied
Unangebrachte Witze
« Antwort #93 am: 02. September 2013, 16:03:04 »
Zitat
Ich bin nur für das verantwortlich, was ich auch irgendwie beeinflussen kann und nicht für das vor oder nach meiner Zeit.
Mache ich es mir damit zu einfach?

Beinflussen kannst du nicht das Geschehene, aber das Relativieren und Vergessen in deinem Umfeld.

Zitat
Für mich wäre ein verantwortungsvoller Umgang, wenn man versucht, solche oder ähnliche Dinge von Anfang an im Keim zu ersticken.

Exakt, deshalb auch der Post von Zechi. Das hat auch nichts mit hysterisch zu tun, sondern mit beeinflussen in seinem Machtbereich.
« Letzte Änderung: 02. September 2013, 16:05:25 von Utlin »
Mach es wie beim funken: denken, drücken, sprechen.

Moira

  • Mitglied
Unangebrachte Witze
« Antwort #94 am: 02. September 2013, 16:13:07 »
Ich denke die ganze Diskussion um "was war schlimmer" erübrigt sich, wenn man sich einmal bewusst macht in welchem Umfang die Chemieindustrie in Zusammenarbeit mit Ärzten Menschenexperimente ausübte.
http://www.youtube.com/watch?v=2jBbz-X9YXA
"Nur die Lügen brauchen die Stütze der Staatsgewalt, die Wahrheit steht von ganz alleine aufrecht!" Carl Theodor Körner

Xiam

  • Mitglied
  • Mörder der 4E
Unangebrachte Witze
« Antwort #95 am: 02. September 2013, 16:36:40 »
Zitat
Für mich wäre ein verantwortungsvoller Umgang, wenn man versucht, solche oder ähnliche Dinge von Anfang an im Keim zu ersticken.

Exakt, deshalb auch der Post von Zechi. Das hat auch nichts mit hysterisch zu tun, sondern mit beeinflussen in seinem Machtbereich.
Zumal ich Zechis Post überhaupt nicht hysterisch finde.
1984 was not supposed to be an instruction manual.

Speren

  • Lektor
Unangebrachte Witze
« Antwort #96 am: 02. September 2013, 16:38:21 »
Um mal auf Halvars Ausgangsfrage einzugehen:

"Muss" man diesen Dialog für das deutsche Publikum so ändern?
Für mich persönlich müsste man es nicht, aber ich kann es nachvollziehen, warum man es tut. Denn die daraus resultierenden möglichen Diskussionen sind hier schon ca. 3 Seiten lang und werden noch moderat geführt. Das kann aber auch ganz anders aussehen, mit den üblichen Verdächtigen und ihren "Beiträgen".

Offensichtlich ist für mich auch, dass die US-Amerikaner darauf weniger sensibel reagieren als wir Deutschen. Ist auch vollkommen okay, es ist unsere Geschichte.

Ich könnte mir z. B. auch folgendes Gedankenspiel vorstellen:
Wäre TBBT eine deutsche Serie und würde ins amerikanische übersetzt und würde genau jener Witz über eine Dokumentation über Vietnam, 9/11, Sklaventum,... gehen, hätte manch amerikanischer Sender dies auch anders übersetzt.

Edit:
Wehe, mir wirft jetzt jemand vor, ich würde Vietnam, 9/11 oder Sklaventum mit dem Holocaust gleichsetzen. Dann bitte nochmal genau lesen!
« Letzte Änderung: 02. September 2013, 16:40:31 von Speren »
No one touches the faerie!

TheRaven

  • Mitglied
Unangebrachte Witze
« Antwort #97 am: 02. September 2013, 17:35:28 »
Nur um das klarzustellen, weil TheRaven offenbar nicht verstanden hat, worum es geht.
Doch, habe ich.

Zitat
Es geht allein um die hier gezogenen Vergleiche von Tigershark (z.B. die Ausrottung der Nord- und Südamerikanischen Bevölkerung, die unbestreitbar auch zu einem der schrecklichsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte gehört) im Zusammenhang mit dem Holocaust.
Sich mit einem Thema neutral auseinanderzusetzen und ihm die Mystik zu entziehen bedingt automatisch den Vergleich mit ähnlichen Vorkommnissen. Gerade die Argumentation "das ist etwas Einzigartiges" und "das Schrecklichste jemals" vertieft die Ehrfurcht, sowie Faszination und zementiert den Stellenwert ausserhalb der historischen Bedeutung. Ich frage mal absichtlich naiv: Was macht denn den Holocaust so einzigartig? Meiner Meinung nach ist Rwanda ein mindestens ebenso wichtiges Beispiel und Lehrstück der menschliche Natur. Interessanterweise aber nicht nur der Genozid selbst, sondern die Reaktion oder eher nicht-Reaktion der restlichen Welt im Vergleich zum Holocaust. Besonders ironisch finde ich hier, dass die Abneigung gegenüber Vergleichen im Prinzip aber genau diesen Relativierungseffekt anderer solcher Vorkommnisse zur Folge hat. Und hier nochmals für die Leute, welchen das zu subtil war: Indem man dem Holocaust diese Sonderstellung zuspricht relativiert man alle anderen Genozide. Aber gut, war halt in Afrika und nicht einem "zivilisierten" Land.
« Letzte Änderung: 02. September 2013, 18:06:55 von TheRaven »
Die Wissenschaft nötigt uns, den Glauben an einfache Kausalitäten aufzugeben.
- Friedrich

Hautlappen

  • Mitglied
Unangebrachte Witze
« Antwort #98 am: 02. September 2013, 20:42:44 »
Zitat
Sich mit einem Thema neutral auseinanderzusetzen und ihm die Mystik zu entziehen bedingt automatisch den Vergleich mit ähnlichen Vorkommnissen. Gerade die Argumentation "das ist etwas Einzigartiges" und "das Schrecklichste jemals" vertieft die Ehrfurcht, sowie Faszination und zementiert den Stellenwert ausserhalb der historischen Bedeutung.
Du hast es scheinbar immer noch nicht verstanden. Was du in dem von mir zitierten Beitrag geschrieben hast ist völlig richtig, das hat aber nichts mit Relativierungs- bzw. Verharmlosungseffekten zu tun sondern ist Folge schlechter Aufklärungsarbeit und Knoppscher Sensationsgier.
Ich kenne keine wissenschaftliche Arbeit die sich zB. mit dem Genozid in Ruanda oder Kambodscha beschäftigt, in der in jedem zweiten Absatz geschrieben wird der Holokaust seie doch viel schlimmer, weshalb man im Grunde diese genannten Genozide gar nicht erwähnen dürfte da sie eine Relativierung zur Folge hätten.
« Letzte Änderung: 02. September 2013, 20:53:52 von Hautlappen »
"I have no expression on my face" (Tuvok)

Moira

  • Mitglied
Unangebrachte Witze
« Antwort #99 am: 02. September 2013, 21:01:56 »
Ich kenne keine wissenschaftliche Arbeit die sich zB. mit dem Genozid in Ruanda oder Kambodscha beschäftigt, in der in jedem zweiten Absatz geschrieben wird der Holokaust seie doch viel schlimmer, weshalb man im Grunde diese genannten Genozide gar nicht erwähnen dürfte da sie eine Relativierung zur Folge hätten.

Holocaust ist immer schlimm, da gibt es für mich kein Schlimmer.
Ich habe die Dokumentationen auf Arte über beide Völkermorde gesehen, und finde sie auch schlimm, wie jeden Mord auch.
"Nur die Lügen brauchen die Stütze der Staatsgewalt, die Wahrheit steht von ganz alleine aufrecht!" Carl Theodor Körner

Hautlappen

  • Mitglied
Unangebrachte Witze
« Antwort #100 am: 02. September 2013, 21:06:15 »
Eben, nichts anderes schreibe ich. Deswegen ist die Empörung über eine angebliche ständige Betonung der deutschen Schuld heuchlerisch und eine Chimäre. Aufarbeitung findet nicht statt. Allerdings ist der Umkehrschluss, dass eine Desensibilisierung des Themas zur mehr Seriosität und Wissenschaftlichkeit führt schlicht falsch.
« Letzte Änderung: 02. September 2013, 21:09:19 von Hautlappen »
"I have no expression on my face" (Tuvok)

Moira

  • Mitglied
Unangebrachte Witze
« Antwort #101 am: 02. September 2013, 21:13:59 »
Ich denke, die Angst, dass es in den deutschen Genen liegt, ist einfach größer, weil, wie schrieb schon Tolstoi:
"Die Deutschen sind ein Volk auf das man von allen Seiten einprügeln kann"
Weiterhin verglich er die Deutschen mit einen leichtgläubigen und leicht zu beinflussenden Volk.
Ein anderer Schriftsteller (ich kann mir Namen leider schlecht merken) merkte an, der Deutsche sei gewissenhaft und bringt wunderbare Dinge hervor, aber er tut es ohne Liebe.
Also ein emotionsloses Volk lässt sich noch leichter lenken, und aufwiegeln.
"Nur die Lügen brauchen die Stütze der Staatsgewalt, die Wahrheit steht von ganz alleine aufrecht!" Carl Theodor Körner

Zechi

  • Globaler Moderator
Unangebrachte Witze
« Antwort #102 am: 03. September 2013, 07:32:53 »
Zitat
Es geht allein um die hier gezogenen Vergleiche von Tigershark (z.B. die Ausrottung der Nord- und Südamerikanischen Bevölkerung, die unbestreitbar auch zu einem der schrecklichsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte gehört) im Zusammenhang mit dem Holocaust.
Sich mit einem Thema neutral auseinanderzusetzen und ihm die Mystik zu entziehen bedingt automatisch den Vergleich mit ähnlichen Vorkommnissen. Gerade die Argumentation "das ist etwas Einzigartiges" und "das Schrecklichste jemals" vertieft die Ehrfurcht, sowie Faszination und zementiert den Stellenwert ausserhalb der historischen Bedeutung. Ich frage mal absichtlich naiv: Was macht denn den Holocaust so einzigartig? Meiner Meinung nach ist Rwanda ein mindestens ebenso wichtiges Beispiel und Lehrstück der menschliche Natur. Interessanterweise aber nicht nur der Genozid selbst, sondern die Reaktion oder eher nicht-Reaktion der restlichen Welt im Vergleich zum Holocaust. Besonders ironisch finde ich hier, dass die Abneigung gegenüber Vergleichen im Prinzip aber genau diesen Relativierungseffekt anderer solcher Vorkommnisse zur Folge hat. Und hier nochmals für die Leute, welchen das zu subtil war: Indem man dem Holocaust diese Sonderstellung zuspricht relativiert man alle anderen Genozide. Aber gut, war halt in Afrika und nicht einem "zivilisierten" Land.

Nochmal, Vergleiche an sich sind nicht falsch, denn ohne den Vergleich kann man auch nicht die Sonderstellung des Holocausts feststellen. Es geht auch nicht darum festzustellen, dass der Holocaust das "Schrecklichste jemals" war und natürlich ist jedes historische Ereignis mehr oder weniger "EInzigartig". Falls deine Frage bzgl. der Besonderheiten des Holocausts ernst gemeint war, so wirst du dazu massenweise Literatur finden. Die wesentlichen Punkte:

1. Vorherige Ankündigung der Staatsführung den Holocaust "durchführen" zu wollen.

2. Globaler Anspruch des Holocausts, nämlich alle als Juden eingestufte Menschen (und auch andere Gruppen) weltweit zu vernichten, egal ob Frau, Kind Alte, Säugling usw. Beschränkt wurde der Holocaust allein durch den de facto Machtbereich des Deutschen Reiches. Dagegen sind andere Genozide oder sonstige Massenmorde immer regional begrenzt und meist Teil eines internen Konfliktes.

3. Um den Holocaust durchzuführen war die Entfesselung eines Weltkriegs erforderlich, gewollt und geplant (der Krieg hat natürlich noch andere Gründe, aber ohne Krieg war der Holocaust so nicht möglich).

4. Organisation und Durchführung des Holocausts, Anwendung industrieller Mechaniken, Schaffung von Tötungsfabriken usw.

5. Die Durchführung des Holocausts genoss höchst Priorität und das zu einem Zeitpunkt, wo der Krieg de facto verloren oder zumindest kein "Endsieg" mehr möglich war. Mit dem Scheitern des Blitzkriegs gegen die Sowjetunion und dem Kriegseintritt der USA Ende 1941 war die Niederlage des Deutschen Reiches im Prinzip abzusehen. Ab 1942 wurde der Holocaust massiv forciert und ausgeweitet, um in dem vorhandenen Machtbereich alle "Juden" habhaft zu werden und zu vernichten und das obwohl die Durchführung massive Ressourcen beanspruchte, was jeglicher militärischer Logik widersprach.

Gruß Zechi
Planen ist alles, Pläne sind nichts.

TheRaven

  • Mitglied
Unangebrachte Witze
« Antwort #103 am: 03. September 2013, 11:00:51 »
1. Vorherige Ankündigung der Staatsführung den Holocaust "durchführen" zu wollen.
Ist das nicht eher ein Detail als eine wichtige historische Begebenheit? Es zeigt jedoch, dass der Holocaust als vorgeschobene Motivation für den Eroberungskrieg diente. Siehe nachfolgende Antworten.

2. Globaler Anspruch des Holocausts, nämlich alle als Juden eingestufte Menschen (und auch andere Gruppen) weltweit zu vernichten, egal ob Frau, Kind Alte, Säugling usw. Beschränkt wurde der Holocaust allein durch den de facto Machtbereich des Deutschen Reiches. Dagegen sind andere Genozide oder sonstige Massenmorde immer regional begrenzt und meist Teil eines internen Konfliktes.
Bei fast allen anderen Genoziden war die Zielpopulation auch primär regional konzentriert. Wenn man sich eine Population aussucht, welche das nicht ist, dann ist es eigentlich nur logisch, dass ein solches Vorhaben auch global durchgesetzt werden soll. Wenn die Tutsi auch eine grössere Population in Westafrika gehabt hätten, dann denke ich wäre durchaus auch der Versuch unternommen worden, sie dort zu erreichen.

3. Um den Holocaust durchzuführen war die Entfesselung eines Weltkriegs erforderlich, gewollt und geplant (der Krieg hat natürlich noch andere Gründe, aber ohne Krieg war der Holocaust so nicht möglich).
Das Ziel war nicht der Holocaust, sondern wie so oft schlicht ein Eroberungskrieg zur Ausweitung des Territoriums und der Macht. Dazu gehört wie immer auch die teilweise Vernichtung der Zielpopulation. Die Judenfrage war hier ursprünglich lediglich ein Vehikel für die Mobilisation und Motivation der eigenen Bevölkerung und eine Rationalisierungsmöglichkeit. Die Propaganda und Rationalisierung erreichte dann in Verlauf der Ereignisse eine ungeheure Eigendynamik, so dass dieser ursprüngliche Strohmann dann plötzlich nicht mehr aus Stroh war und sich der Fokus von der Eroberung auf die Vernichtung umlenkte. Du implizierst hier aber die Idee, dass der Krieg als Mittel zum Zweck der Vernichtung lanciert wurde. Ich glaube nicht, dass dies korrekt ist.

4. Organisation und Durchführung des Holocausts, Anwendung industrieller Mechaniken, Schaffung von Tötungsfabriken usw.
Stimmt, diese Tatsache ist unbestritten aber meiner Meinung nach eher eine Folge der Möglichkeiten und Kultur. Ein Genozid will immer so effizient, schnell und umfangreich durchgeführt werden wie irgend möglich. Wenn die Urheber ein hohe Industrialisierung besitzen ist es daher eigentlich nur logisch, dass der Völkermord auch entsprechend gut organisiert wird.

5. Die Durchführung des Holocausts genoss höchst Priorität und das zu einem Zeitpunkt, wo der Krieg de facto verloren oder zumindest kein "Endsieg" mehr möglich war. Mit dem Scheitern des Blitzkriegs gegen die Sowjetunion und dem Kriegseintritt der USA Ende 1941 war die Niederlage des Deutschen Reiches im Prinzip abzusehen. Ab 1942 wurde der Holocaust massiv forciert und ausgeweitet, um in dem vorhandenen Machtbereich alle "Juden" habhaft zu werden und zu vernichten und das obwohl die Durchführung massive Ressourcen beanspruchte, was jeglicher militärischer Logik widersprach.
Siehe die Antwort oben bezüglich "Eigendynamik".
Gute Antwort, danke. Meine Literaturkenntnisse in diesem Feld sind beschränkt aber mit dem mir zur Verfügung stehenden Wissen stehe ich einigen Aussagen kritisch gegenüber. Siehe Antworten oben. Für mich wäre der Holocaust weniger erschreckend, wenn es effektiv relevante, historische Gründe für den Genozid gegeben hätte. Hier scheint es aber lediglich Rassismus und generelle Ablehnung gewesen sein, die instrumentalisiert wurde um gewisse Ziele zu erreichen, welche es bedingen, dass man die eigene Bevölkerung hinter sich vereinen kann. Verstärkt wird dies dadurch, dass die Urheber mit der Zeit selber die Kontrolle über dieses Instrument verloren haben und es am Ende sogar ihre effektiven Ziele ersetzt hat. Das sind für mich die Alleinstellungsmerkmale dieser Tat. Bei allen anderen Genoziden (so weit ich das weiss), war effektiv die Vernichtung das primäre Ziel der Gewalt und nicht ursprünglich ein Instrument mit dem Ziel der Motivation und Mobilisation.

Das alles ändert logischerweise nichts am effektiven Resultat. Aber ich denke der öffentliche Diskurs und der Vergleich bezüglich Motivation und Gründen ist essentiell um entsprechende Lehren zu ziehen. Und zwar für die generelle Bevölkerung, nicht Akademiker und Spezialisten. Daher setze ich mich ein für die uneingeschränkte, transparente Behandlung der Thematik. Das führt unweigerlich dazu, dass auch Leute aus dem Loch gekrochen kommen, die Vorkommnisse leugnen oder verzerren aber es ist immer besser solche Meinungen zuzulassen und sie sauber zu entkräften/widerlegen anstatt sie zu unterdrücken. Bildung und Aufklärung statt Zensur. Das man damit einige Jahrzehnte warten muss/sollte, versteht sich von selbst. Eine solche Analyse bedingt den mehrheitlich emotionslosen Umgang mit der Thematik und das ist nicht sofort möglich.
« Letzte Änderung: 03. September 2013, 11:13:30 von TheRaven »
Die Wissenschaft nötigt uns, den Glauben an einfache Kausalitäten aufzugeben.
- Friedrich

Zechi

  • Globaler Moderator
Unangebrachte Witze
« Antwort #104 am: 03. September 2013, 13:50:35 »
3. Um den Holocaust durchzuführen war die Entfesselung eines Weltkriegs erforderlich, gewollt und geplant (der Krieg hat natürlich noch andere Gründe, aber ohne Krieg war der Holocaust so nicht möglich).
Das Ziel war nicht der Holocaust, sondern wie so oft schlicht ein Eroberungskrieg zur Ausweitung des Territoriums und der Macht. Dazu gehört wie immer auch die teilweise Vernichtung der Zielpopulation. Die Judenfrage war hier ursprünglich lediglich ein Vehikel für die Mobilisation und Motivation der eigenen Bevölkerung und eine Rationalisierungsmöglichkeit. Die Propaganda und Rationalisierung erreichte dann in Verlauf der Ereignisse eine ungeheure Eigendynamik, so dass dieser ursprüngliche Strohmann dann plötzlich nicht mehr aus Stroh war und sich der Fokus von der Eroberung auf die Vernichtung umlenkte. Du implizierst hier aber die Idee, dass der Krieg als Mittel zum Zweck der Vernichtung lanciert wurde. Ich glaube nicht, dass dies korrekt ist.

Ich will die Diskussion nicht in eine epische Länge ziehen, aber nochmal kurz zu diesem Punkt antworten. Die Ursachen für den zweiten Weltkrieg sind sicherlich vielfältig und natürlich war der Krieg auch ein Eroberungskrieg (Stichwort: Lebensraum im Osten), aber bereits im Vorfeld des Krieges hat das Regime die späteren Kriegsgegner als "Handlanger" der "Juden" bestimmt. Das gilt insbesondere für die Sowjetunion. Der Bolschewismus war nach Auffassung der Nazis letztlich eine jüdische Idee, genauso wie das sogenannte "Finanzjudentum". Hitler hat zudem mehrfach deutlich gemacht, dass wenn es zu einem Krieg kommt, er vor hat die Juden zu vernichten. Deutlich wird das z.B. in einer Rede Hitlers im Januar 1939:

Zitat
„Und eines möchte ich an diesem vielleicht nicht nur für uns Deutsche denkwürdigen Tag nun aussprechen. Ich bin in meinem Leben sehr oft Prophet gewesen und wurde meistens ausgelacht... Ich will heute wieder ein Prophet sein: Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa.“

Den Krieg wurde vom Nazi-Regime aus den unterschiedlichsten Interessen entfesselt, aber einer der Gründe war die zuvor angekündigte Vernichtung der "Juden" in Europa und letztlich weltweit. Somit war der Krieg auch ein Mittel zum Zweck, nämlich um möglichst vieler "Juden "habhaft zu werden und diese zu vernichten. Dieses Ziel genoss dann ab dem Zeitpunkt höchste Priorität, als abzusehen war, dass der Krieg nicht mehr zu "gewinnen" war und letztlich die Initiative auf die Allierten überging. Das belegt noch einmal, dass eines der maßgeblichen Kriegsziele des Regimes die Vernichtung der "Juden" in Europa war.
Planen ist alles, Pläne sind nichts.

  • Drucken