Über 20 Jahre lang hat sich praktisch niemand für Kernkraft interessiert, im Gegenteil, alle fanden das ganz prima oder zumindest nicht schlimm. Und nun wird man hysterisch wegen einem Ereignis höherer Macht in einem fernen Land. Ja, man kann daraus lernen, man kann deswegen seine Position überdenken, man kann einen neuen Weg einleiten aber überstürzt und kopflos (der steckt wohl in der Wand oder im Sand) gleich massenweise Abschaltungen fordern ist einfach nur panischer, uninformiert Reaktionismus.
Naja naja, wie Xiam schon schrieb ist Nuklearenergie mitnichten kein Thema gewesen, für das "sich praktisch niemand (...) interessiert" hätte. Im Gegenteil, gerade jüngst gibt es in Deutschland wieder
mehr Proteste gegen die Transporte. Ich will aber nicht ausschließen, dass es in deinem Kanton ausgesprochen wenig "Interesse" gab.
Im letzten Jahr gab es sogar eine reichlich heiße Diskussion zwischen Deutschen und Franzosen, als letztere erklärten, sie wollten die Sache noch ein bisschen ausbauen.
Davon ab: Also es ist keine 20 Jahre her, dass der "Ausstieg" beschlossen wurde. (In Anführungsstrichen, weil der totale Ausstieg ja nur so als Absichtserklärung da stand, die konkrete Abschaltung aber nur für ein-zwei Hände voll beschlossen wurde).
Was die aktuelle Diskussion angeht: Naja es ist eben ein Wechselspiel, wie so oft. In Japan gab es ein Unglück, welches eben genau das ist, ein schwer vorhersehbares Unglück mit einem Erdbeben der Stärke neun, welches auf ein Kraftwerk stieß, das auf Stärke 8,2 (?) ausgelegt war... shit happens Zumal neun auch 'n echter Kracher ist. Daraufhin haben imho die Medien die Ausstiegs-Debatte angeheizt, was dann wiederum dazu führt, dass "man" darüber diskutiert und das ganze spielt dann natürlich auch wieder zurück in die Medien.
Alternative Energie kostet momentan mehr und ich bin überzeugt, dass wenn erst diese erste Welle der irrationalen Angst und Panik verflogen ist, sinkt die Toleranz dies mit dem eigenen Geldbeutel mitzutragen wieder gegen Null ab.
Also den zweiten Nebensatz will ich gerne gelten lassen, für den ersten will ich wie Xiam relevante Belege.
Wenn ich einen X-beliebigen Strom-Vergleichs-Rechner im Internet anschmeiße, dann wirft der mir zuweilen (nicht immer) Öko-Strom als den billigsten raus. Außerdem habe ich persönliche Erfahrungen im Umfeld, die sagen 1. Ökostrom kostet mich ca. 0,5ct/kWh (ca. 0,6 Rappen) mehr und 2. ca. 1€ (1,28 chf) pro Monat mehr.
Will sagen: Mir drückt sich eher der Eindruck auf "Atomstom brauchts weil billig" ist eine Behauptung, die das Atomforum oder was weiß ich wer in die Welt gesetzt hat oder ein Relikt aus den angesprochenen 80ern, als noch sehr viel Forschung in die regenerativen Energien gesteckt werden mussten. Zudem sind diverse Anlagen viel effizienter als vor dreißig Jahren, wenn man mal die Photovoltaik anschaut haben wir Effizienzsteigerungen jenseits von Gut und Böse, ich muss wild raten (hab gerade keine Daten) aber ich meine mich zu erinnern, dass wir ~2000 von 3% und dieser Tage von 12%-20% Effizienz reden, das ist eine Verdopplung in fünf Jahren!
Wenn wir von Gaskraftwerken sprechen, dann liegen wir sogar bei bis zu 86% Effizienz (bei hochmodernen Anlagen, die die Abwärme auch noch als Fernwärme verwenden etc.). Insgesamt sind konventionelle Kraftwerke (also solche, die irgendwas verbrennen) mit ausgezeichneten Effizienzen ausgestattet gegenüber sowohl regenerativen als auch nukleraren Energieerzeugungsverfahren. (Chemische lasse ich mal ganz außen vor).
Ach so und nebenbei sind diverse Subventionen für Ökostrom zum 1. Jannuar diesen Jahres ausgelaufen, daran liegts also nicht, dass es _nicht_ teuer ist.
Es ist schlicht nicht möglich die Atomkraft in Europa kurzfristig oder gar mittelfristig abzuschaffen ohne dass daraus gravierende Folgen resultieren. Seien es Versorgungsengpässe, hohe Kosten oder erzwungene Sparmassnahmen. Atomgegner sollten ihre Chance nun richtig nutzen und lieber darauf pochen, dass realistische, glaubwürdige und bindende Beschlüsse gefasst werden und nicht wie Stammtischproleten argumentieren und weltfremde Forderungen stellen.
Ja und nein, ja man sollte diese Chance "richtig nuzten" und glaubwürdige, realistische, hastenichtgesehen Beschlüsse einfordern.
Dass der Ausstieg soooo furchtbar unrealistisch ist glaube ich allerdings nicht, insbesondere, wenn man mal nicht so europäisch denkt, ein nationaler Ausstieg ist imho fast ein Klacks, eben weil wir in Europa ein gut strukturiertes Verteilernetz haben und Engpässe, wie sie zuweilen in den vereinigten Staaten auftreten extrem unwahrscheinlich sind
(Edit: Ja ich weiß vor rund 2 Jahren oder so habt ihr in der Schweiz eine etwas andere Erfahrung gemacht, das ist aber auch echt blöd gelaufen damals; GAU laufen auch extrem blöd, da sind mir großflächige regionale Ausfälle irgendwie lieber, ich hab letztes Jahr auch mal eine Woche ohne Stom verbracht... funktioniert auch). Würde jetzt also ein europäischer Staat mal komplett aussteigen könnte er seine Engpässe problemlos mit ausländischem Strom decken. Dieser wäre ggf. Atomstrom, aber man hätte mal eben seinen Nuklear-Anteil im sog. Strom-Mix von 22% auf 3%-4% gesenkt.
Ich bin im Übrigen (zum Thema "realistische Forderungen" etc.) der Meinung man müsse Nuklear-Energie einfach Zug um Zug teurer machen. Das was man in der sozialen Marktwirtschaft gemeinhin "Regulierung" nennt. Man kann Steuern erheben, man kann Pflichtversicherungen einführen, man kann verlangen, dass eine Kapitaldeckung besteht um die Lagerung wenigstens so 1000-2000 Jahre zu finanzieren etc. Wenn man das schön langsam in Angriff nimmt und Nuklearenergie langsam teurer und unökonomischer macht hat die Energiewirtschaft jede Menge Zeit sich ebenso langsam umzustellen, da die Gewinnspannen zunehmend und vorhersehbar schrumpfen.
Und noch ein Wort zur Versicherung:
In einer der vielen Diskussionen dieser Tage habe ich erfahren, dass sich AKW wohl nicht versichern lassen, weils keine Versicherung macht bzw. die entsprechenden Versicherungen zu teuer wären. Das kann ich ja überhaupt nicht nachvollziehen, der potentielle Schaden mag wohl immens sein, aber vor der Laufzeitverlängerung gab es ja eine Prüfung und die hat soweit ich weiß ergeben, dass alles "100%ig sicher" sei. Bei 100% Sicherheit bleiben also 0% "Restrisiko" (herrliches Wort) und bei 0% Risiko dürfte die Versicherungsprämie auch gegen null gehen... naja zuzüglich dem Gewinn, den die Versicherung natürlich machen will.
So, warum ich ursprünglich auf "Antworten" geklickt habe:
Frank und Fefe haben meine technischen Fragen in knapp zwei Stunden alternativlos weitestgehend geklärt falls jemand wie ich auch das ein oder andere nicht verstanden hat, bietet sich das vielleicht an.