Epilog
Jenya kam ihnen fast entgegen gerannt.
»Helms Auge sei wachsam«, rief sie. »Ihr seid zurück.« Im Tempel selbst waren ein halbes Dutzend schwer gerüsteter Kleriker gerade dabei, sich auf eine Rettungsmission vorzubereiten. Jenya dankte ihnen und schickte sie fort. Zwei Akolythen nahmen Annas Leiche entgegen – mit blass werdender Mimik, als sie die furchtbare Wunde sahen -, und Jenya und Ruphus Laro kümmerten sich um die Wunden der Kettenbrecher.
Den vier Helden wurde eine geräumige Kammer zugewiesen. Sie erhielten einfache Roben, warmes Brot und heißen Wein. Ihre Ausrüstung würde gereinigt werden. Jenya gesellte sich zu ihnen.
»Mein Dank gebührt euch. Ihr habt die Sklavenhändler besiegt«, sagte sie, nachdem die Vier berichtet hatten. Sie übergab ihnen eine Schatulle. »Darin sind Zweitausendfünfhundert Königinnen für Euch.«
Helion bedankte sich müde. »Was ist mit Anna?«
»Ihre Leiche wird gerade gewaschen. Wir können bald versuchen, sie zurück zu holen. An welche Gottheit glaubte sie denn?« Die Vier schüttelten den Kopf. Jenya runzelte die Stirn.
»Ich werde für morgen um einen Zauber bitten, der uns mit ihr sprechen lässt. Dann frage ich sie selbst.«
»Morgen?«, fragte Helion?
»Schneller geht es nicht.«
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Es hämmerte an die Vordertür des Waisenhauses. Mit einem Schlag war Gretchyn wach. Die Kinder! Dann schalt sie sich eine Närrin. Ein Entführer würde kaum einen solchen Lärm veranstalten. Sie warf sich ihren Morgenmantel über und ging die Treppe hinunter. Augenklappe wartete schon, Besenstiel in der Hand.
»Wer ist da?«, fragte sie vorsichtig. Das Hämmern erstarb. »Hallo?«
»Gretchyn?«, klang eine ängstliche Stimme zurück. Gretchyns Augen weiteten sich. Terrem, die Stimme gehörte Terrem! Nachdem am Nachmittag Deakon, Lucinda und Evelyn zurückgebracht worden waren, hatte sie die Hoffnung schon fahren lassen, Terrem wiederzuseihen. Hastig kramte Gretchyn ihren Schlüssel hervor und schloss die Tür auf.
Terrem stand vor ihr und zitterte leicht. Gretchyn meinte, eine verhüllte Gestalt – eine Frau? – in der Lavaallee verschwinden zu sehen, aber sie achtete nicht darauf. Sie schloss Terrem in die Arme.
»Komm rein, Junge. Ich mache dir einen Tee.«
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Velior Thazo biss sich so stark auf die Zunge, dass sie blutete. ‚Bloß nicht schreien!’, ermahnte er sich. Das würde Vlaathu gefallen, und seine Folter verlängern. Der Hofnarr des Letzten Lachens hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Er hatte keine Kraft sich auf etwas anderes zu konzentrieren als sein Schweigen. Wie lange es her war, dass er seine natürliche Form wieder angenommen hatte, wusste er nicht, und es kümmerte ihn nicht, dass Vlaathu jetzt sein Geheimnis kannte. Wenn nur die Schmerzen endlich aufhören würden.
»Der Junge ist zurück gebracht worden.« Die Stimme des Fürsten troff vor Zorn. »Aber daran habt ihr keinen Verdienst. Ihr werdet auf ihn Acht geben, Hofnarr, besser als zuvor. Und ihr werdet diese Kettenbrecher im Auge behalten. Wer weiß, ob sie uns nicht nützlich werden können?«
Endlich hörten die Schmerzen auf. Entkräftet sank Velior Thazo zu Boden, und er spürte, wie Ohnmacht ihn sanft umarmte. Seine Sinne taumelten in tiefe Schwärze, und er hörte Vlaathus Stimme nur mehr unterbewusst.
»Merkt Euch: Man enttäuscht mich nur einmal, Hofnarr.«
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Jil zählte noch einmal die Beute, dann grinste sie zufrieden. Gar nicht schlecht für einen einfachen Taschendiebstahl. Und der Händler würde seiner Frau sicher nur ungerne erklären, warum er direkt vor der Scheuen Fee bestohlen wurde.
Nachdem die Versorgung der nächsten Tage sicher gestellt war, kehrten ihre Gedanken zu den Abenteurern zurück, die seit kurzem als Kettenbrecher bekannt waren. Sie konnte einen gewissen Respekt nicht verhehlen, dass diese Grünschnäbel Kazmojen getötet hatten. Sie würde die Kettenbrecher im Auge behalten müssen – vielleicht konnte man sie benutzen, um Velior Thazo aus dem Weg zu räumen. Außerdem war einer von ihnen ganz süß... wer wusste schon was die Zukunft bringen würde?
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Jenya wanderte versonnen durch den kleinen Garten des Tempels. Der Regen hatte ihre Haare durchnässt, zu einem strähnigen Geflecht verwandelt. Nachdenklich betrachtete Jenya die Pfützen am Boden. Die Erde war zu feucht, sie konnte nicht noch mehr Wasser aufnehmen. Draußen in der Stadt, das wusste sie, flossen stete Ströme, die der Bezeichnung Rinnsal längst entwachsen waren, in Richtung Kratersee. Dessen Pegel stieg weiter.
Jenya blickte nach oben, in die graue Einöde des Himmels. Sie fühlte sich allein, und sie fühlte sich den Herausforderungen nicht bewachsen.
»Sarcem«, fragte sie in die Nacht, »wo steckt Ihr?«
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Triel lehnte sich nach vorne, damit Geroth ihren Rücken schrubben konnte. Ein wohliges Seufzen entrang sich ihren Lippen. Der heutige Tag war perfekt gewesen. Tarkilar hatte leiser getobt als üblich, und Skaven hatte sich bei seinen Krabblern verkrochen. Sie selbst hatte den Tag damit verbracht, ihre Pläne noch einmal genau durchzugehen.
Sie schloss ihre Augen und überließ sich Geroths sanfter Massage und der angenehmen Hitze des Badewassers. Zungenfresser stand auf Abruf bereit. Jetzt musste sie nur noch ein paar zusätzliche Klingen anwerben, und dank der Käfigschmiede hatte sie nun auch das nötige Gold. Es war soweit. Allein bei dem Gedanken spürte Triel ein warmes Kribbeln in ihrem Unterleib. Sie lehnte sich zurück und zu Geroth hoch.
»Zieh deine Sachen aus und komm ins Wasser.«
Doch obwohl Geroth sein Bestes gab, war es nicht er, der Triel zum Höhepunkt brachte, sondern die Gedanken an bevorstehende Taten. Endlich war die Zeit reif: sie würde sich an Cauldron rächen.
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Der Schankraum im Schlüpfrigen Aal war voll. Boras ging voraus und bahnt ihnen einen Weg, Dirim, Thargad und Helion folgten. Als Gryffon Malek sie erblickte, trommelte er mit einem Humpen gegen die Theke.
»Haltet mal die Schnauze, Jungs!« Langsam kehrte Ruhe ein. Malek wies auf die Kettenbrecher. »Diese Kerle da drüben ham mich befreit! Wenn Sie nich gewesen wärn würd ich immer noch Goblinfutter kochen!« Er schnappte sich eine der Kellnerinnen und drückte ihr einen fetten Kuss auf die Lippen. Sie lachte. »Und ohne sie wäre ich nich wieder bei meiner Alma!« Gelächter ringsrum. »Ich habe mit Joris gesprochen, und die nächste Runde geht aufs Haus, zu Ehren dieser Jungs!« Großer Jubel brandete auf.
Als die Vier um einen Tisch herum saßen, und jeder Gast zumindest einmal mit ihnen angestoßen hatte, kehrte wieder etwas Ruhe ein. Sie sahen, wie Gryffon Malek seine Alma küsste, und mussten lächeln. Für einen Augenblick war alles gut.
Ende des ersten Teils