Himmlische Entschuldigung
Kheyne trat durch die Flammenwand hindurch, und das Feuer vermochte ihn nicht zu verzehren. Dort, wo das Inferno kleine Brandblasen verursachte, heilte die Haut sogleich wieder, alldieweil der Feuervogel auf Kheynes Brust hungrig leuchtete. Kheyne trat Sooka entgegen und schickte ihn mit einem Schlag zu Boden. Im selben Moment flohen seine Getreuen, und die Ära des Schwarzen Heers war vorüber.
- Aufstieg und Fall von Sooka, dem gnomischen Beschwörer, 1354 TZ
»Und was machen wir jetzt mit dir?«, fragte Dirim den Kobold, der sich als Helion ausgegeben und selbst die härtesten Identifikationstests bestanden hatte.
»Sagt einfach, Helion sei nach der Wiedererweckung entstellt, und würde sich nicht mehr vorwagen.«
»Geht sowas denn?«, fragte Boras.
»Passiert leider viel zu oft«, gab Helion zurück und deutete auf die linke Hand des Barbaren, an der ein Finger fehlte. »Ach, und noch was. Ich nenne mich in Zukunft Pecarri.«
»Was ist mit dem Tempel?«, erkundigte sich Thamior.
»Wieso? Was ist denn damit?«
Schnell berichtete Dirim von Beregard und seinen Mannen. »Jedenfalls sitzt er jetzt im Tempel und hat die Aufsicht. Wir müssen ihm schon etwas sagen.«
»Aber er muss ja nicht wissen, dass Pecarri in Wahrheit Helion ist, oder?«
»Nein, aber...« Dirim schien etwas unwohl.
»Denk mal an Krystof Jurgensen - unser Freund von Lathander hat gleich ausgeplaudert, wer wir sind. Und Beregard muss es nur seinen Leuten erzählen, dann weiß es morgen die ganze Stadt.«
»Also gut«, sagte der Zwerg schließlich. »Ich sage erst Mal nichts.«
Als die Kettenbrecher zum Tyr-Tempel kamen, gab es auch prompt Probleme. Die Torwache rief Beregard, ließ die Gruppe aber dennoch eintreten - schließlich war Dirim nach Beregard die höchste Autorität und schien keinesfalls von seinen seltsamen Gefährten gezwungen worden zu sein. Zudem erwartete man ja die Ankunft der gesamten Abenteuergruppe.
»Wen haben wir denn hier?«, fragte Beregard zur Begrüßung. Er sah jedoch zurückhaltend-freundlich und keineswegs misstrauisch aus. Seine altersmäßig hohe Stirn glänzte vor Schweiß; er hatte wohl gerade Waffenübungen gemacht.
»Das sind meine Gefährten, die Kettenbrecher. Thamior, Thargad, Boras und H... Pecarri. Freunde, das ist Beregard Streithammer von Tyr.«
»Tyr zum Gruße«, sagte Beregard förmlich, und dann: »Ich dachte nicht, dass ihr einen Kobold unter den Euren habt.«
»Nun, wir haben kürzlich unseren Magier verloren, und Pecarri soll in die Bresche springen«, sagte Dirim bestimmt.
»Nun ja... aber ein Kobold! Und dann seid ihr noch zu fünft.«
»Seid ihr etwa abergläubisch?«, fragte Pecarri schelmisch.
»Ich? Ach was«, versicherte Beregard nicht besonders glaubhaft.
»Gibt es denn ein Problem mit Pecarri?«, schaltete sich Dirim dazwischen.
»Ich habe Euch doch gesagt, solange die Räume unten nicht gebraucht werden, stehen sie Euren Gefährten weiter zur Verfügung.«
»Dann gehen wir mal runter.«
-
»Vielleicht erzähle ich euch erst Mal, was mit Devkin passiert ist«, sagte Dirim, als sie sich unten in eines der Zimmer zurückgezogen hatten. Gemeinsam mit Thamior berichtete er also von dem Treffen im Höchsten Sonnenstrahl, als sich der alte Zwerg als Verkleidung entpuppt hatte, hinter der Fürst Vlaathu, der scheinbar zauberkundige Betrachter steckte.
»Und was war mit Celeste?«, fragte Helion der jetzt, wo sie unter sich waren, natürlich wieder seinen richtigen Namen benutzte.
»Sie ist abgehauen. Hat noch irgendwas gemurmelt und ist verschwunden. Sie wollte sowieso nicht, dass wir uns mit Devkin treffen, sondern wollte uns aufhalten.«
»Abgehauen?«, erkundigte Thargad sich.
»Teleportiert«, bestätigte Thamior.
»Sieht so aus, als bestünde da noch Klärungsbedarf«, gab Thargad zurück und streichelte die Griffe seiner Kurzschwerter.
»Oder wir schnappen sie uns und quetschen sie aus«, sagte Boras.
Nach einem kurzen Moment der Stille sagte Helion: »Oder das.«
»Wir sollten uns auch noch mal mit Jenya treffen«, meinte Dirim.
»Auf jeden Fall«, stimmte Thargad zu. »Aber wir brauchen auch etwas Geld. Wir sollten ein paar der Beutestücke, die wir haben, abstoßen.«
»Ich brauche eine magische Tasche«, sagte Helion gleich, »Ich kann mein ganzes Zeug nicht mehr tragen. Außerdem benötige ich Komponenten, um ein paar Gegenstände zu erschaffen.«
»Vielleicht sollten wir die silberne Axt verkaufen, und uns dafür eine andere silberne Waffe kaufen?«, schlug Thargad vor. Boras sah entsetzt aus.
»Kannst du mit der Axt überhaupt umgehen?«, fragte Dirim.
»Klar!«, sagte Boras. »Zumindest so halb.«
»Dann wäre es vielleicht besser, wir hätten ein silbernes Langschwert oder so.«
»Mal sehen, was da ist.«
Es klopfte an der Tür. »Bruder Dirim«, klang es von draußen, »da ist ein Bote für Euch. Er wartet.«
Dirim öffnete die Tür und fand einen von Beregards Wachen davor, der ihm einen Brief in die Hand drückte. Dirim entrollte die Schriftrolle.
»An die Kettenbrecher«, las er vor, »ich möchte mich mit Euch treffen. Möglichst geheim. Schreibt mir wann, und wo. Es ist wichtig. Gezeichnet: Celeste.«
»Holla«, sagte Boras, »das ist eine Überraschung.«
»Und eine gute Gelegenheit«, sagte Thargad mit undurchsichtigem Lächeln.
»Hören wir sie uns erst Mal an«, schlug Helion vor.
»Aber wo?«, fragte Thamior. »Hier wird sie wohl nicht hinkommen.«
»Im Lathandertempel«, sagte Dirim bestimmt. »Und was Krystof angeht - den schicke ich weg.«
-
Pünktlich zur verabredeten Zeit klopfte es an die Tür des Lathandertempels. Davor stand Celeste, in einen grauen Wintermantel gehüllt, der es schaffte, sie derart zu verhüllen, dass man sich auf die Enthüllung umso mehr freute. Celeste schlug die Kapuze zurück und schüttelte ihr goldenes Haar, sodass der kleine Gebetsraum sich mit ihrem Duft füllte und die Temperatur um ein oder zwei Grad anstieg.
»Also«, fragte Dirim ungeduldig. »Was gibt es denn?«
Celeste sah sich um, und beim Anblick der versammelten Kettenbrecher beruhigte sie sich. Ihr Blick verharrte kurz auf dem Kobold, aber dann spielte ein Lächeln auf ihren Lippen, und sie nickte.
»Ich habe euch etwas mitgebracht«, sagte sie und holte einen kleinen Beutel hervor.
»Vorsicht!«, rief Boras. »Keine Dummheiten.«
Celeste öffnete den Beutel mit grazilen Fingern, griff hinein und nahm einen weiteren Beutel hervor, den sie wiederum öffnete und auf ihrer anderen Hand entleerte. Vor dem elfenbeinernen Fleisch glitzerten acht Smaragde im warmen Licht des Tempels.
»Die Steine sind insgesamt 16.000 Aenare wert«, nannte sie den Namen der tethyrischen Goldmünze. »Ich glaube, diese Belohnung ist für Thamior und Helion.«
»Pecarri«, sagte der Kbold störrisch, nicht willens, ihre Vermutung zu bestätigen.
»Pecarri. Natürlich«, Celeste lächelte nachsichtig und einladend zugleich, als wisse sie genau, wie man mit Kobolden umzugehen habe. »Was die restlichen Kettenbrecher anbelangt - ich glaube, es gab da ein paar Wünsche.«
Wieder griff sie in den Beutel. Diesmal nahm sie eine große Axt hervor. Der Schaft war aus Rosenholz und mit Runen verziert, die Klinge aus dunkel geschmiedetem Stahl, der an der Schneide rötlich glühte. Der Griff war mit rauem Leder umwickelt.
»Das ist Schlachtenwut«, sagte Celeste erhaben. »Die Waffe wurde 1066 TZ von Glotar Finsterstahl geschaffen. Er schmiedete sie für seine Tochter Glinda, die vor fünf Jahren an Altersschwäche starb. Wenn ihr die Waffe im Zorn verwendet, gewinnt sie zusätzliche Macht.«
Sie überreichte die Axt Boras, der sie mit großen Augen entgegen nahm und sie sogleich prüfend wog. Er schien zufrieden. Dann nahm Celeste ein Kurzschwert hervor. Es schien perfekt geschmiedet, und selbst im Lichtschein des Rosenfeuers im Tempel glänzte die Waffe nur blass.
»Dieses Schwert wurde vor zwei Jahren von Barl Höhlenklinge geschmiedet. Wie alle von Barls Waffen reflektiert die Klinge kein Licht. Das Schwert ist namenlos; es liegt am ersten Besitzer, ihm einen Namen und eine Geschichte zu geben.«
Sie gab die Waffe Thargad, der grimmig nickte. »Es liegt am zweiten Besitzer, die Waffe zu benennen.«
»Dann wird hoffentlich ihre Geschichte umso interessanter«, gab Celeste zurück. Sie griff wieder in den Beutel und entnahm ihm ein Breitschwert. Licht strömte von der glänzenden Klinge, weißes Licht, das im Gebetsraum fast unnatürlich kalt wirkte. Der Griff war mit rotem Leder umwickelt, in die Parierstange waren sechs Smaragde eingearbeitet; einer davon war gesprungen und schwarz, die anderen glänzten grün.
»Dies ist Lehnstreue. Torgan Silberarm schmiedete sie im Jahre 1341 TZ für Sammael den Gerechten, einen menschlichen Krieger. Das Schwert vermag es, Treulosigkeit zu entdecken. Als Sammael seinen Adjutanten mit der Waffe prüfte, zersprang einer der Smaragde und enthüllte dessen Falschheit. Daraufhin erschlug der Adjutant seinen Herren, bevor er von Sammaels Getreuen selbst getötet wurde. Man sandte die Waffe zu Torgan zurück.«
Sie reichte das Schwert an Dirim weiter. »Die Klinge ist aus Immerglanz.«
Dirim kannte diese zwergische Schmiedetechnik, wodurch eine Klinge immer scharf und glänzend blieb. Ehrfürchtig hielt er das Langschwert mit der für Zwerge typischen breiten Klinge in den Händen. »Eine gute Waffe«, sagte er.
»Das freut mich«, sagte Celeste mit einem Lächeln, das sagte: Wenn ihr nicht zufrieden gewesen wäret, hätte ich mir eine andere Methode der Bezahlung überlegen müssen. Sogleich legten die Kettenbrecher noch einmal einen prüfenden Blick an ihre neuen Waffen, konnten aber leider immer noch keinen Makel erkennen.
»Ihr habt es verdient, dass wir Euch anhören«, sagte Pecarri. »Also erklärt euch.«
»Es gibt nicht viel zu erklären«, sagte Celeste, und ihre Miene wurde traurig, wobei unklar blieb, ob die Traurigkeit durch das Thema hervorgerufen wurde oder dadurch, dass die Kettenbrecher keine andere Bezahlung brauchten.
»Kurz nach meiner Ankunft in Cauldron tauchte plötzlich dieser Betrachter bei mir auf. Er bezeichnete sich als ›Wahrer Fürst‹ der Stadt und nannte sich Vlaathu. Er gab mir zu verstehen, dass es in seiner Macht stünde, den Höchsten Sonnenstrahl zu zerstören und mich zu töten. Dann trug er mir auf, ein Auge auf Euch zu haben. Später befahl er mir, euch zu mir zu locken, um euch den Auftrag zu geben.«
Sie seufzte kurz, und jeder der Kettenbrecher war kurz davor, sie in den Arm zu nehmen. »Und ihr taucht nicht auf. Also befiehlt mir Vlaathu, euch zu holen, irgendwie, aber ihr seit verschwunden, und taucht erst drei Tage später wieder auf. Ich sah mein Stündlein schon geschlagen.«
»Warum wir?«, fragte Pecarri.
Celeste zuckte mit den Achseln, und bei der Bewegung wäre ihr Mantel beinahe von ihren Schultern gerutscht. »Ich habe ihn auch gefragt. Ich nehme an, er wollte sich rächen.«
»Warum habt ihr uns nicht gewarnt?«, fragte Thamior.
»Meint ihr das ernst? Was hättet ihr denn ausrichten können? Nein, ich dachte, wenn ich mitspiele, komme ich vielleicht heil da raus... und kann vielleicht versuchen, auch euch zu helfen. Indirekt.«
»Wie denn?«, fragte Boras, aber Thargad nahm Celeste die Antwort ab.
»Darum die Waffen.«
»Und die Versuche, uns Zenith vorher abzuknöpfen«, fügte Dirim hinzu.
Celeste nickte. »Ich dachte, wenn ich euch den Zwerg abnehme und euch die Belohnung gebe, erfahrt ihr gar nicht, was da gelaufen ist. Ich habe sogar extra Zwergenwaffen besorgt.«
»Was natürlich auch Eure Rolle in diesem Spiel verborgen gelassen hätte«, sagte Pecarri nüchtern.
Celeste senkte den Kopf ein wenig und schaffte es sogar, leicht zu erröten. Pecarri wollte sie gleichermaßen trösten wie bestrafen. »Zugegeben«, sagte sie.
»Und warum habt ihr die Belohnung erhöht?«
»Vielleicht als Wiedergutmachung?«, fragte Celeste zurück und überließ es jedem der Kettenbrecher, zu seinen eigenen Schlüssen zu kommen. »Nun ja, ich denke, wir haben das zur Genüge besprochen. Gibt es noch etwas?«
»Im Moment nicht«, sagte Dirim.
»Falls doch noch etwas ist«, sagte Celeste, »wisst ihr, wo ihr mich finden könnt.«
»Und wenn ihr Hilfe braucht - wir sind da«, gab der Zwerg zurück. »Sagt uns Bescheid, wenn Vlaathu noch einmal bei Euch auftaucht.«
»Wenn ich mich damit nicht in eine Gefahr begebe, vor der ihr mich nicht beschützen könnt«, sagte sie kokett, »denke ich darüber nach.« Dann schlug sie die Kapuze wieder über ihren Kopf und verschwand in die Nacht.